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Positionen zur Flüchtlingspolitik

Forderungen an Deutschland und die EU zum Umgang mit Flüchtlingen und Migranten

Wäscheleinen zwischen den Behausungen im Flüchtlingscamp Bajed Kandala im Irak
Millionen Menschen sind in Syrien und im Irak auf der Flucht. © Ralph Dickerhof
Dirk Ebach Team Policy & External Relations

Weltweit sind Mitte 2022 mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht, mehr als drei Viertel von ihnen finden Zuflucht in ihrem Heimatland oder einem anderen Land im Globalen Süden.

In ihrem Kampf gegen Hunger und Armut arbeitet die Welthungerhilfe seit Jahrzehnten in vielen dieser Länder eng mit Flüchtlingen, auf ganz unterschiedlichen Stationen der Flucht. Gegenwärtig unterstützen wir u.a. intern Vertriebene im Südsudan, in Syrien, im Nordirak, in der Türkei und in Afghanistan. Auf Basis dieser langjährigen praktischen Erfahrungen und aus humanitären Gründen setzt sich die Welthungerhilfe für Veränderungen im Umgang mit Flüchtlingen ein - und generell in der deutschen und europäischen Migrations- und Entwicklungspolitik.

Jetzt für Flüchtlinge in Not spenden und helfen

1. Die Ursachen von Flucht bekämpfen, nicht nur die Symptome

Die meisten Menschen fliehen vor Kriegen, Gewalt oder Verfolgung, aus akuter Not oder wegen wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit – sie haben die Hoffnung verloren, in ihrer Heimat für sich und ihre Familien eine Zukunft zu finden. Die Lösungen dafür liegen vielfach in den Herkunftsländern, aber man kann auch von außen etwas gegen diese Fluchtursachen tun, auch wenn nicht von heute auf morgen.

Mit politischen und diplomatischen Mitteln kann man zum Beispiel gewaltsamen Konflikten vorbeugen, friedliche Lösungen und die politische und wirtschaftliche Stabilität fördern, friedensbereite Kräfte unterstützen oder weniger Waffen exportieren. Auch eine ambitionierte Klimapolitik kann langfristig dazu beitragen, dass sich die Lebensgrundlagen in armen Ländern nicht weiter verschlechtern. Aus ihrer Projekterfahrung weiß die Welthungerhilfe: nur die Schaffung konkreter Perspektiven vor Ort und die damit verbundene Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen wird die Menschen nicht mehr zwingen, ihre Heimat zu verlassen.

2. Die Herkunftsländer und deren Nachbarstaaten unterstützen

Weltweit werden etwa neun von zehn Flüchtlingen in ihren Heimatländern und in anderen Ländern des Globalen Südens aufgenommen. Ein großer Teil der globalen Fluchtbewegungen findet in Asien und Afrika statt. Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge gelangt nach Europa. Die Staaten außerhalb der EU, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, benötigen zusätzliche Unterstützung. Zum einen durch Humanitäre Hilfe, zum anderen müssen die Kapazitäten der besonders stark betroffenen Länder zur Aufnahme und Unterstützung der Flüchtlinge gestärkt werden.

Zur Unterstützung gehören nicht nur Unterbringung und Ernährung, sondern auch weitergehende Angebote wie Bildung und Ausbildung und der Zugang zum Arbeitsmarkt. Insbesondere dort, wo Menschen monate- oder jahrelang in Flüchtlingslagern ausharren müssen, gilt es, eine „verlorene Generation“ von Flüchtlingen zu verhindern. Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit benötigen hier dringend neue, innovative Ansätze zur Verknüpfung ihrer unterschiedlichen Herangehensweisen. Solche Ansätze würden, wo immer möglich, auch die Regierungen der Herkunftsländer stärker mit in die Verantwortung nehmen.

Familie im Flüchtlingscamp
Jesidische Flüchtlinge im Nordirak. © Imke Lass

3. Ein tragfähiges Migrationskonzept entwickeln, Integration erleichtern

Auch ohne im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention politisch verfolgt zu sein, werden mehr Menschen nach Deutschland und Europa kommen. Diese Migrant*innen haben oft ähnliche Motive wie die Asylsuchenden: eine Kombination aus Konflikten, politischer Instabilität und wirtschaftlicher Unsicherheit. Sie suchen nach Perspektiven für bessere Lebensbedingungen. Diese Wanderungsbewegungen werden in den nächsten Jahren noch zunehmen, u.a. wegen der globalen demografischen Ungleichheit: Überalterung hier, ein sehr hoher Anteil junger Menschen dort.

Darüber hinaus liegen die Ursachen nicht nur in den Herkunftsländern, sondern gehen auch auf die migrationspolitischen Versäumnisse der EU-Länder zurück. Deshalb benötigen wir in Deutschland und, so schwer es auch ist, besser noch in der gesamten Europäischen Union eine Verständigung auf ein migrationspolitisches Konzept, das Ziele formuliert und nicht nur kurzfristige Instrumente. Dabei geht es in der EU nicht nur um die Anwendung gleicher Standards bei Asylverfahren und der Unterstützung von Flüchtlingen sowie um eine faire Aufteilung von Verantwortung und Lasten. Es geht auch um die Aussetzung des gescheiterten Dublin-Systems und eine Neuregelung der Flüchtlingsaufnahme, einschließlich einer Diskussion über die Vor- und Nachteile von Aufnahmequoten.

Grenzschließungen fördern Schmuggeldienstleistungen

Grenzschließungen für Zuwandernde helfen aller Erfahrung nach nicht dabei, ihre Zahl zu reduzieren, weil sich die Schmuggeldienstleistungen professionalisiert haben, online und über soziale Medien bessere Informationen zur Verfügung stehen und die lokalen und internationalen Migrations-Netzwerke zu weiterer Migration ermutigen. Migrationsforscher*innen weisen darauf hin, dass Grenzschließungen zwar die Migrationsrouten verändern, nicht aber die Zahl der Migrant*innen. Die Sozialsysteme der Aufnahmeländer spielen nach Aussagen der Forscher*innen keine wichtige Rolle bei der Entscheidung eines Menschen pro oder contra Abwanderung.

Es sollte nicht Ziel von Entwicklungspolitik sein, Migration aus Entwicklungsländern nach Europa zu verhindern. Denn: Migration kann wichtige Entwicklungsbeiträge für die Migrant*innen selbst und für Herkunfts- und Aufnahmeländer leisten.

Wenn das gelingen soll, muss es...

Die deutsche Entwicklungspolitik sollte über den Arbeitsstab Flucht und Migration hinaus das Engagement für migrationspolitische Programme deutlich ausweiten, die entwicklungsförderlichen Potenziale von Migration stärker fördern und ihre Erfahrungen in ein deutsches und europäisches Migrationskonzept einbringen.

Deutschland benötigt eine neue Integrationspolitik, die bereits bei der Aufnahme von Flüchtlingen einsetzen muss. Aus vielen Flüchtlingen werden Einwander*innen werden, denen an gesellschaftlicher Teilhabe liegt und die langfristig einen erheblichen Beitrag leisten können. Flüchtlinge sollten nach der Ankunft daher direkt in einem integrationsfähigen Umfeld wohnen können und einen schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung erhalten. Insbesondere die Kommunen müssen besser finanziell ausgestattet und zivilgesellschaftliche Organisationen und die Migrantennetzwerke besser in die Integrationsprozesse einbezogen werden.

4. Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe bei Flucht und Migration zusammendenken

Menschen kommen aus unterschiedlichen Motiven nach Deutschland und Europa. Dazu zählen Konflikte, politische Instabilität und wirtschaftliche Unsicherheit. Doch die Migrationsbewegungen vermischen sich zunehmend. Das erschwert die Entwicklung politischer Strategien. Denn: bei aller Gemeinsamkeit hinsichtlich der Migrationswege bestehen unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Während die EU-Staaten rechtlich zum Schutz von Flüchtlingen verpflichtet sind, liegt die Aufnahme von Migranten weitgehend in nationaler Entscheidungskompetenz. Flüchtlinge und Migrant*innen müssen daher weiterhin unterschieden werden.

Um Fluchtursachen zu überwinden und Flüchtlinge zu unterstützen, sollten deutlich mehr Mittel in die Prävention von Konflikten und Krisen investiert werden. Humanitäre Hilfe leistet darüber hinaus Hilfe in akuten Flüchtlingskrisen und sollte dabei auch ein besonderes Augenmerk auf intern Vertriebene (Binnenflüchtlinge) richten, um ihnen Zugang zu Hilfe und zu Schutz zu ermöglichen. Dies kann je nach Konfliktlage große politische Sensibilität erfordern und für die Helfer gefährlich sein. Drittens wohnen die meisten Flüchtlinge in Städten, andere auch in Camps. Sie haben unterschiedliche Bedürfnisse, auf die es einzugehen gilt. Da überdies Vertreibung in aller Regel eine eher langfristige Angelegenheit ist, müssen sich Entwicklungszusammenarbeit und auch Humanitäre Hilfe viel stärker mit der Frage befassen, wie sich Flüchtlinge selber besser helfen können.

Dringender Handlungsbedarf besteht bei dem sowohl in der deutschen wie in der europäischen Politik ungelöstem Problem, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit besser miteinander zu verbinden. Und viertens besteht in den Herkunftsländern ein großer Bedarf, die Flüchtlinge bei Rückkehr und Reintegration zu unterstützen, damit die Rückkehr als Neuanfang und Beginn der Wiedereingliederung begriffen werden kann und nicht als gescheiterte Migration begriffen wird.

Fluechtlinge im Irak refugees in Iraq
Die junge Mutter konnte im Oktober 2016 mit ihrer Tochter aus dem eingekesselten Mossul in ein Flüchtlingslingslager fliehen. © Stanislav Krupar

Migration als Treiber von Entwicklung

Migration sollte nicht bekämpft, sondern angemessen geregelt werden. Dabei kann auch die Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle spielen. Wenn sie erfolgreich ist, verbessert sie den Wohlstand in den Regionen, in denen sie tätig ist. Da steigendes Einkommen die Fähigkeit zur (kostspieligen) Migration verbessert, kann Entwicklungszusammenarbeit kurzfristig zu weiterer, dann aber freiwilliger Migration, beitragen und erst später zu einer abnehmenden Migration führen, wenn ein bestimmtes Wohlstandsniveau erreicht ist. Last but not least steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit von Entwicklungszusammenarbeit, wenn sie erstens ihre Konzepte mit den Herkunftsländern abstimmt und wenn sich zweitens die Geberländer besser untereinander koordinieren.

Migration kann mit hohen Risiken verbunden sein, in erster Linie für die Migrant*innen selbst. Sie kann auch zu einem Abfluss dringend benötigten Wissens aus den Herkunftsländern führen (brain drain), hat negative Auswirkungen auf die Familienstrukturen und kann eine Belastung für die Aufnahmeländer sein. Sie birgt aber auch Chancen: Migration gilt als Treiber von Entwicklung. Entwicklungszusammenarbeit sollte zirkuläre Migration und die Reintegration von Migranten in ihren Heimatländern stärker fördern, durch Beratungsangebote die sozialen Kosten von Migration in den Herkunftsländern verringern und Angebote entwickeln, wie die Rücküberweisungen der Migrant*innen entwicklungsförderlich eingesetzt werden könnten. So könnte aus dem brain drain ein brain gain werden.

Entwicklungszusammenarbeit kann überdies Arbeitsmöglichkeiten in den Herkunftsländern von Migrant*innen schaffen, etwa durch Investitionen in Infrastruktur und ländliche Entwicklung. Die Förderung einheimischer lokaler oder regionaler Wertschöpfungsketten insbesondere in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte kann zu einer deutlichen Zunahme von Beschäftigungsmöglichkeiten im ländlichen Raum führen. Dies gilt vor allem für afrikanische Länder.

5. Humanitäre Katastrophen vermeiden, mehr legale Zuwanderungsmöglichkeiten schaffen

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen alles tun, um weitere humanitäre Katastrophen an den Außengrenzen, vor allem im Mittelmeer, zu verhindern. Seenotrettung ist dafür unerlässlich, aber es müssen auch mehr legale Zuwanderungsmöglichkeiten für nicht anerkannte Asylsuchende und Migrant*innen geschaffen werden, z.B. durch die Vergabe humanitärer Visa oder einer Erleichterung des Familiennachzugs. Das entlässt die Regierungen der Herkunftsländer nicht aus ihrer Verantwortung für eine an den Menschenrechten und dem Gemeinwohl orientierten Politik.

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