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Anticipatory Humanitarian Action – Vorausschauende humanitäre Hilfe

Auf Grundlage von Prognosen und Vorhersagen handeln und eingreifen, bevor Krisen und Katastrophen zu Hunger, Zerstörung und Tod führen.

Ein Bauer steht auf seinem von einem Zyklon zerstörten Feld in Malawi. Vorausschauendes humanitäres Handeln kann die negativen Konsequenzen solcher Katastrophen lindern.
Patrick Ghembo steht auf seinem Feld in Malawi, zerstört im März 2019 durch Zyklon Idai. Die Folgen einer solchen Katastrophe können durch vorausschauendes humanitäres Handeln gelindert werden. © Gavin Douglas/Concern Worldwide
Matthias Amling Humanitarian Directorate

Der Bedarf an humanitärer Hilfe steigt von Jahr zu Jahr. Derzeit sind mehr als 360 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Viele dieser Menschen sind von lang andauernden Krisen und nachfolgenden Risiken betroffen. In naher Zukunft ist keine wesentliche Besserung in Sicht. Leider setzt humanitäre Hilfe meist erst dann ein, wenn viele Menschen bereits alles verloren haben. Der Ansatz der Welthungerhilfe ist es, wo immer möglich bereits auf der Grundlage von Prognosen und Vorhersagen zu handeln und einzugreifen, bevor Krisen und Katastrophen zu Hunger, Zerstörung und Tod führen.

Definition von Anticipatory Humanitarian Action

Anticipatory Humanitarian Action (AHA) – was so viel bedeutet wie „vorausschauende humanitäre Hilfe“ – ist ein innovativer Ansatz in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Es geht darum, Menschen zu unterstützen, noch bevor eine unmittelbar bevorstehende Katastrophe Schäden verursacht. Durch genaue Risiko- und Bedrohungsanalysen können wir Gefahren wie etwa Extremwetterereignisse immer besser vorhersagen und aufgrund dieser Frühwarnungen Maßnahmen ergreifen, noch bevor eine Katastrophe ihr volles Ausmaß erreicht hat. So wird es Menschen vor dem Eintreten der Katastrophe ermöglicht, rechtzeitig überlebenswichtige Entscheidungen zu treffen. Erste Pilotprojekte der Welthungerhilfe im Bereich der vorausschauenden humanitären Hilfe wurden im Rahmen des Programms „Forecast-based Action“ zwischen 2019 und Anfang 2023 durchgeführt und umgesetzt. 

Ein Mann in Pakistan sitzt auf durch Dürre ausgetrocknetem Boden. Mit Frühwarnsystemen und vorausschauendem humanitären Handeln kann daraus resultierendes Leid gemindert werden.
Die Menschen in Pakistan haben regelmäßig mit Dürren oder Überschwemmungen zu kämpfen. Bereits seit 2017 arbeitet die Welthungerhilfe zusammen mit Partnern daran, Frühwarnsysteme für verschiedene Naturgefahren zu entwickeln. © Kopp/Welthungerhilfe

Anticipatory Action mithilfe wissenschaftlicher Daten     

Auf der Grundlage umfassender Datenanalysen arbeitet die Welthungerhilfe mit Partnern aus der Wissenschaft an der Anpassung und Anwendung von Prognosemodellen, die Katastrophen und ihre Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung abschätzen können. So lassen sich beispielsweise durch die Analyse vergangener Dürreperioden und ihrer Folgen lokale Risikofaktoren identifizieren und Frühwarnindikatoren überwachen. Bei Dürren wird zum Beispiel die Bodenfeuchtigkeit für die Ernte während der Wachstumsperiode als Indikator verwendet. Auf Basis historischer Analysen von Trockenperioden kann ein kritischer Schwellenwert festgelegt werden, der eine Dürre ankündigt.

Wird dieser Grenzwert überschritten und somit eine Frühwarnung ausgelöst, greifen vorab entwickelte Katastrophenpläne und die Gelder für frühzeitige Maßnahmen werden automatisch freigegeben. In diesen Katastrophenplänen, den sogenannten „Early Action“-Protokollen, werden schon vor dem Eintreten einer Krise die Verwendung von Hilfsgeldern, Rollen und Zuständigkeiten festgelegt. Auch die Finanzierung von Hilfs­maßnahmen wird vorab mit Geldgebern, wie dem Auswärtigen Amt, vereinbart. So wird eine schnelle und effiziente Hilfe gewährleistet, noch bevor eine humanitäre Katastrophe entsteht.

Durchführung von vorauschauender humanitärer Hilfe – Schritt für Schritt

  1. Aus früheren Katastrophen lernen und rechtzeitig Vorzeichen erkennen 
  2. Einen Schwellenwert definieren, ab dem vorausschauendes humanitäres Handeln nötig ist (zum Beispiel ein bestimmter Grad von Trockenheit des Bodens in einer Region, in der es zuvor schwere Dürren gab) 
  3. Einen Plan für vorbeugende Maßnahmen erstellen und dafür nötige Finanzierung bei Geldgebern sichern 
  4. Bei Überschreiten des Schwellwerts: Maßnahmen durchführen, um Menschen vor Ernährungsunsicherheit und Hunger zu schützen (zum Beispiel durch Bargeldtransfers, der Verteilung von Lebensmittelpaketen oder der Unterbringung in sicheren Unterkünften beispielsweise bei bevorstehenden Überschwemmungen) 
  5. Menschen vor langfristigen negativen Folgen schützen (zum Beispiel dafür sorgen, dass Kinder weiter sicheren Zugang zu Nahrung, Bildung und gesundheitlicher Versorgung haben) 
  6. Folgen der möglicherweise eingetretenen Extremereignissen und die Ergebnisse der vorausschauenden Maßnahmen auswerten und in die nächste Analyse miteinfließen lassen 

Vorauschauende humanitäre Hilfe der Welthungerhilfe im Nordosten Madagaskars

Die Welthungerhilfe ist die erste deutsche Nichtregierungsorganisation, die sich im Bereich Anticipatory Humanitarian Action (Vorausschauende humanitäre Hilfe) engagiert. Der Ansatz des vorhersagebasierten Handelns in der humanitären Hilfe ist ein wichtiger Baustein unserer Arbeit. Zusammen mit Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der lokalen Bevölkerung und einer gründlichen Katastrophenvorsorge- und Nothilfeplanung unterstützt er unser Bestreben, die Auswirkungen von Krisen, Katastrophen und daraus resultierenden Konflikten abzumildern und so die lokale Bevölkerung vor Notsituationen zu schützen

Die Klimakrise trifft vor allem Menschen, die am wenigsten zur Erderwärmung beitragen.

"WAHAFA": Welthungerhilfe Anticipatory Humanitarian Action Facility

In Zukunft will die Welthungerhilfe gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen diesen humanitären Paradigmenwechsel hin zu mehr vorausschauendem Denken und Handeln vorantreiben. Die Welthungerhilfe Anticipatory Humanitarian Action Facility (WAHAFA) zielt darauf ab, Katastrophenrisiken zu identifizieren und zu analysieren, die Entwicklung von Mechanismen für vorausschauende humanitäre Hilfe zu unterstützen und die Finanzierung zur Umsetzung dieser Mechanismen zu sichern.

WAHAFA wird die aktive Teilnahme deutscher NGOs und ihrer lokalen Kooperationspartner an vorauschauender humanitärer Hilfe fördern, indem sie den Zugang zu allen benötigten Säulen erleichtert: Zum einen werden die teilnehmenden Organisationen eingeladen, sich am Austausch zu beteiligen. Zum anderen erhalten sie finanzielle und konzeptionelle Unterstützung bei der Erstellung von wissenschaftlichen Gefahrenvorhersagemodellen und Maßnahmenplänen. Damit verbunden ist auch eine gesicherte Finanzierung der vorab vereinbarten Maßnahmen im Falle einer Aktivierung des wissenschaftlichen Frühwarnsystems

Regelmäßig spenden und präventiv handeln

Das Video zeigt die Ergebnisse aus dem vorangegangenen Forecast-based Action-Programm der Welthungerhilfe:

Versicherung gegen die Gefahren des Klimawandels    

Im Rahmen des vorausschauenden Ansatzes kann die Bereitstellung von Mitteln zur Finanzierung von Katastrophenschutzplänen durch eine Klimarisikoversicherung ergänzt werden. Dabei werden vorher festgelegte Versicherungsleistungen ausgezahlt, wenn Frühwarnindikatoren vertraglich festgelegte kritische Schwellenwerte erreichen.  

Weil die Versicherungsprämien sehr hoch sind, werden versicherungsbasierte Ansätze jedoch nur bei relativ seltenen extremen Dürren eingesetzt. Als Mitglied des Start Network und aktive Teilnehmende in dessen Komitees und Expertengruppen unterstützt die Welthungerhilfe den Versicherungsansatz der African Risk Capacity (ARC) Replica, welche ARCs gemeinsame Katastrophenrisikoversicherung afrikanischer Staaten zivilgesellschaftlich ergänzt. 

Zwei Männer prüfen eine Liste auf einem Klemmbrett. Vorausschauendes humanitäres Handeln ist mit viel Planung verbunden.
Jetzt Vorsorge treffen

...und Katastrophen mit vorauschauender humanitärer Hilfe zuvorkommen.

Vorauschauende humanitäre Hilfe: Effizienter Einsatz von Geldmitteln

Vorauschauende humanitäre Hilfe kann eine der effizientesten Arten der Hilfeleistung sein – denn je weniger Menschen unter den Folgen einer Katastrophe leiden müssen, desto weniger Menschen muss aus akuter Not geholfen werden. Das rettet mehr Menschenleben und spart gleichzeitig Geld, welches wiederum in weitere humanitäre Hilfsprojekte fließen kann. Wenn NGOs es schaffen, in Zukunft mindestens 25 Prozent aller Katastrophen mit vorauschauender humanitärer Hilfe zuvorzukommen, würde das einen immensen Effizienzgewinn bedeuten.

In das noch recht neue Feld der vorauschauenden humanitären Hilfe fließen derzeit aber nur rund zwei Prozent der von den Geberstaaten zur Verfügung gestellten humanitären Mittel. Das ohnehin schon knappe Geld für humanitäre Hilfe wird dringend für die Unterstützung akuter Bedarfe benötigt. Durch die Ausweitung des vorausschauenden humanitären Handelns möchten wir Menschen dabei unterstützen, sich vor Katastrophen schützen zu können und so dazu beitragen, den Teufelskreis der immer weiter steigenden humanitären Bedarfe zu brechen.

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