Die Notfallvorsorge- und -reaktionsplanung ist eine Voraussetzung für eine wirksame, effiziente und rechtzeitige humanitäre Hilfe für die von einer Krise betroffenen Regionen.
Katastrophenvorsorge
Lebensrettende Vorbereitungen für den Notfall treffen
Immer dann, wenn das Leben von Menschen durch Krisen und Katastrophen bedroht ist, ist ein voll funktionsfähiges Nothilfesystem überlebenswichtig. Eine vorab entwickelte solide Katastrophenvorsorge- und Nothilfeplanung ist deshalb von entscheidender Bedeutung.
Was ist Katastrophenvorsorge?
In Notsituationen muss Hilfe schnell bei der betroffenen Bevölkerung ankommen. In der humanitären Katastrophenvorsorge werden auf Grundlage von umfassenden Risikoanalysen unter anderem Pläne für den Notfall entwickelt, so dass die überlebenssichernden Maßnahmen im Falle einer Krise oder Katastrophe direkt umgesetzt werden können. Das Ziel ist: Auf zukünftige Krisen und Katastrophen besser vorbereitet zu sein. Dazu gehört zum Beispiel auch die strategische Vorratshaltung von Hilfsgütern - damit sie immer in den optimalen Mengen und an den optimalen Orten gelagert werden. Im Notfall kommen sie so schneller bei der betroffenen Bevölkerung an.
Das Ziel unserer Katastrophenvorsorge ist: Menschen, die von einer Krise oder Katastrophe betroffen sind, schneller und effizienter zu unterstützen. Dafür erstellen wir in den Ländern, in denen wir arbeiten, vorab landesspezifische Katastrophenvorsorge- und Nothilfepläne, auf die wir im Krisenfall zurückgreifen können. Die Welthungerhilfe hat einen Sieben-Schritte-Prozess entwickelt, mit dem eine rechtzeitige, angemessene und koordinierte Reaktion auf humanitäre Bedarfe vorbereitet wird. Die Gegebenheiten im jeweiligen Land werden dabei detailliert analysiert:
- Welche humanitären Risiken, wie Fluten, Erdbeben, Dürren oder Konflikte bestehen?
- Welche möglichen Auswirkungen gehen damit einher?
- Welche Krisen und Katastrophen können in der jeweiligen Region vorkommen und mit welchen Aktivitäten kann auf diese Situationen reagiert werden?
In sieben Schritten zum landesspezifischen Nothilfeplan
1. Festlegung der geografischen Grenzen
Es wird bestimmt, für welche Region innerhalb eines Landes der Nothilfeplan gültig ist. Häufig decken sich die geografischen Grenzen des Nothilfeplans mit den administrativen Grenzen des jeweiligen Programmlandes der Welthungerhilfe, z.B. Staats-, Provinz- oder Distriktgrenzen. Für die geografischen Gebiete, in denen die Welthungerhilfe bereits tätig ist, kann im Rahmen des Nothilfeplans besonders schnelle Nothilfe vorgesehen werden, da z.B. auf bestehende Projektbüros und Arbeitsbeziehungen mit Behörden und Institutionen sowie mit der lokalen Bevölkerung zurückgegriffen werden kann. Die Festlegung der geografischen Grenzen berücksichtigt auch, welche anderen Hilfsorganisationen bereits in anderen Gebieten aktiv sind. Von besonderer Bedeutung sind Regionen, in denen die Bevölkerung besonders großen Gefahrenrisiken ausgesetzt ist.
2. Durchführen einer Risikoanalyse
Die Risiken von Naturgefahren oder von Menschen ausgehenden Gefahren sowie deren möglichen negativen Auswirkungen für die lokale Bevölkerung werden analysiert und mit regionalem und lokalem Wissen angereichert. Die Risikoanalyse besteht aus zwei Schritten:
- Im ersten Schritt der Gefährdungsbewertung werden alle Risiken berücksichtigt, denen ein Land ausgesetzt ist. Dies geschieht unter Verwendung des INFORM-Index, in dem bestehende humanitäre Risiken für Länder und deren nationale Kapazitäten im Fall von Krisen und Katastrophen analysiert und bewertet werden.
- Im zweiten Schritt werden für die am höchsten eingestuften Risiken die erwarteten Auswirkungen in den verschiedenen humanitären Sektoren (wie beispielsweise Ernährungssicherung/Nahrungsmittelhilfe oder Wasser- und Sanitärversorgung sowie Hygieneaufklärung (WASH) beschrieben.
3. Durchführen einer Kapazitätsanalyse
Die aktuelle Reaktionsfähigkeit auf Krisen und Katastrophen des Welthungerhilfe-Büros wird detailliert analysiert. Das bedeutet, welche Ausrüstung, Ressourcen, Kapazitäten und Wissen bestehen, um auf Nothilfesituationen schnell und effizient zu reagieren. Dabei wird insbesondere berücksichtigt, wie schnell Hilfsmaßnahmen gestartet und ausgeweitet werden können, welche Herausforderungen eine schnelle Reaktion behindern könnten, und welche Nothilfe-Erfahrungen im Programmland bestehen.
4. Identifizierung der erwarteten Bedarfe und Entscheidung über die Reaktion
- Als erstes werden vergangene Nothilfesituationen analysiert: In welcher Region fanden sie statt und welche Nothilfemaßnahmen wurden daraufhin durchgeführt? Dies basiert auf den Evaluationen aus früheren Nothilfeeinsätzen und berücksichtigt die Erfahrungen des Teams im Land.
- Anschließend werden die erwarteten Bedürfnisse nach Krisen und Katastrophen und Lücken in den vergangenen Nothilfesituationen analysiert. Berücksichtigt werden die Erfahrungen, Kapazitäten und Einsatzbereiche der Welthungerhilfe, sowie die geplanten Maßnahmen anderer Akteure (beispielsweise der Regierung, UN-Organisationen oder anderer Hilfsorganisationen). Auf dieser Grundlage entscheiden wir, ob wir uns auf die identifizierten erwarteten Bedarfe vorbereiten.
5. Definition der Interventionsauslöser
Zentral ist ein Verständnis der Fragen: Ab welchem Ausmaß einer Krise oder Katastrophe ist die Selbsthilfekapazität des betroffenen Landes bzw. der Provinz überfordert? Wann ist eine koordinierte humanitäre Nothilfe unter Beteiligung der Welthungerhilfe notwendig? Berücksichtigt werden die lokalen Kapazitäten, also beispielsweise der lokalen Bevölkerung und der lokalen und nationalen Regierung. Wenn diese Kapazitäten ausgereizt sind, ist der Punkt erreicht, an dem externe Unterstützung benötigt wird. Ab diesem Schwellenwert wird eine Nothilfe von uns ausgelöst. Weiterhin wird definiert, wie die im Rahmen der Risikoanalyse priorisierten Gefahren (durch Natur oder Mensch) vom Team beobachtet werden (Risikomonitoring). Wo immer möglich werden bestehende Frühwarnsysteme genutzt.
6. Szenarien entwickeln
Die Szenarien skizzieren, wie sich die Welthungerhilfe auf mögliche Krisen und Katastrophen in den identifizierten geografischen Gebieten vorbereitet. Sie berücksichtigen die in diesen Gebieten lebende Bevölkerungszahl, d.h. die voraussichtlich betroffene Bevölkerung und deren erwartete humanitäre Unterstützungsbedarfe an verschiedenen Örtlichkeiten. Darüber hinaus werden die Interventionsauslöser berücksichtigt. In dieser Szenarien-Entwicklung werden Erfahrungswerte aus zurückliegenden Nothilfemaßnahmen, die Beteiligung und Koordination anderer Akteure, die Kapazität des Landesbüros sowie die Möglichkeit einer Unterstützung durch das Nothilfeteam der Welthungerhilfe berücksichtigt.
7. Aktionspläne vorbereiten
In Aktionsplänen wird festgelegt, welche Maßnahmen erforderlich sind um im Notfall schnell, effizient, effektiv und angemessen auf Krisen und Katastrophen reagieren zu können. Sogenannte “Minimum Preparedness Actions” (MPAs) bieten Flexibilität und helfen, die Organisation während einer Nothilfe-Situation betriebsbereit zu halten. MPAs umfassen Risikoüberwachung, die Einführung von Koordinations- und Managementvereinbarungen für den Notfall, die Vorbereitung auf gemeinsame Bedarfsanalysen, das Monitoring der Notfallaktivitäten, das Informationsmanagement und die Schaffung von operativen Kapazitäten und Vereinbarungen zur Bereitstellung von Hilfs- und Schutzmaßnahmen.
Mit sogenannten „Specific Preparedness Actions“ (SPAs) werden mögliche Aktivitäten in einem bestimmten Sektor, wie beispielsweise Nahrungsmittelhilfe, vorbereitet.
Strategische Vorratshaltung garantiert schnelle und bedarfsgerechte Hilfe
Die schnelle und bedarfsgerechte Versorgung der von Krisen und Katastrophen betroffenen Menschen mit entsprechenden Hilfsgütern ist überlebenswichtig. Um in Krisensituationen zeitraubende Beschaffungsprozesse zu vermeiden, kommt der Vorratshaltung von Hilfsgütern im Vorfeld von Krisen und Katastrophen eine besondere Bedeutung zu, und ist daher ein wichtiger Bestandteil der Katastrophenvorsorge- und Nothilfeplanung.
Die Vorratshaltung von lebenswichtigen Hilfsgütern (wie Decken, Zelte, Hygieneartikel usw.) in Vorbereitung auf humanitäre Einsätze auf nationaler, regionaler und globaler Ebene ist bereits gängige Praxis. Wenn eine Katastrophe eintritt, können sie schnell an die betroffenen Menschen verteilt werden. Allerdings gibt es noch großes Potenzial, ihre Umsetzung zu verbessern. Aufgrund mangelnder Koordination berücksichtigen die humanitären Organisationen und Akteure oft nicht, was und wo andere in ihrem Gebiet bereits lagern. Zur Verminderung dieser Mängel engagiert sich die Welthungerhilfe in der sogenannten strategischen Vorratshaltung.
Damit dringend benötigte Hilfsgüter schnell bei den Betroffenen ankommen
Zur Unterstützung des internationalen humanitären Systems in der strategischen Vorratshaltung von Hilfsgütern ist die Welthungerhilfe in Zusammenarbeit mit dem UN Humanitarian Response Depot (UNHRD), dem Britischen Roten Kreuz, der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC), der internationalen Organisation für Migration (IOM), Save the Children, USAID/OFDA, Pennsylvania State University (PSU) und PLAN International an dem Projekt ESUPS (Emergency Supply Pre-positioning Strategy) beteiligt, und bewerkstelligt das ESUPS Projektmanagement.
Ziel des Projekts ist es, die Ausarbeitung einer koordinierten strategischen Bevorratung zu unterstützen, um eine effektive und effiziente Lagerung von Hilfsgütern im regionalen und nationalen humanitären System zu gewährleisten. Der akademische Partner von ESUPS, die Penn State University, entwickelte ein mathematisches Modell. Mit diesem soll eine bessere kollektive und koordinierte Organisation und Nutzung der Vorratshaltung erreicht werden. Damit dringend benötigte Hilfsgüter immer in den optimalen Mengen und an den optimalen Orten gelagert werden und sie schnell bei der betroffenen Bevölkerung ankommen.
Katastrophenrisiko mindern – Resilienz fördern
Mit durchdachten Maßnahmen besser auf Krisen vorbereitet sein.
Die Forschung erkennt zunehmend an, dass Katastrophen nicht naturgegeben sind, auch wenn sie oft auf Naturereignisse folgen. Verschiedene Faktoren wie Armut, Ungleichheit, schlecht geplante und verwaltete Stadt- und Regionalentwicklung, sowie Umweltzerstörung und die Auswirkungen des Klimawandels tragen dazu bei, dass aus einem Extremwetterereignis eine humanitäre Krise wird. Gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung verfolgen wir daher auch das Ziel, ihre Anfälligkeit gegenüber den Folgen von Krisen und Katastrophen zu verringern. Dazu gehört zum Beispiel: Schutzdämme zu bauen in Gebieten, die regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht werden; oder Gebäude beim Wiederaufbau sturm-, flut- oder erdbebensicher zu konstruieren, um sie bei einer erneuten Naturkatastrophe vor dem Einsturz zu sichern; und gemeinsam mit der Bevölkerung Evakuierungsrouten zu entwickeln und zu sichern. Zudem muss die Resilienz der Bevölkerung gegenüber Krisen und Katastrophen gestärkt werden.