Der Titel der Welthungerhilfe-Strategie 2025-2030 benennt unser Ziel. Die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern ist dabei ein zentrales Prinzip unserer Arbeit.
Lokalisierung bei der humanitären Hilfe
So lokal wie möglich, so international wie nötig: Die Welthungerhilfe unterstützt lokale Akteur*innen und fördert so Eigenverantwortung und Führungskompetenz bei der humanitären Hilfe.

Ob bei Flutkatastrophen oder Dürren, nach Erdbeben oder in bewaffneten Konflikten: In Krisen- oder Notsituationen ist schnelle Hilfe vor Ort überlebensnotwendig. Bevor internationale Helfer*innen in Krisenregionen ankommen, leisten vor allem lokale Organisationen, Behörden und Einwohner*innen lebensrettende Unterstützung. Sie sind direkt vor Ort, kennen Land und Leute sowie die lokalen Herausforderungen; aber auch Lösungsansätze und verfügbare Ressourcen sind ihnen bekannt. Daher wissen sie, wo sie ansetzen müssen, um schnell wirksame Veränderungen zu erzielen.
Was ist Lokalisierung?
Ohne lokale Akteur*innen wäre effektive humanitäre Hilfe nicht möglich. Doch deren Finanzierung läuft bisher vor allem über internationale Hilfsorganisationen und andere internationale Akteur*innen, wie etwa die Vereinten Nationen. Deshalb setzen wir uns als Organisation zum Ziel, die Handlungsfähigkeit lokaler Akteur*innen systematisch zu stärken und sie in die Lage zu versetzen, bei Planung und Durchführung von Hilfsmaßnahmen Führungsrollen zu übernehmen. Für dieses Ziel gibt es einen Fachbegriff: Lokalisierung.
Lokalisierung
Unter Lokalisierung versteht man einen Prozess im Arbeitsfeld der Humanitären Hilfe, der die Rolle von lokalen Akteur*innen stärken und sichtbar machen will. Dabei soll deren Handlungsfähigkeit bei der Gestaltung von Entwicklung und bei der Führung humanitärer Hilfsmaßnahmen gestärkt, ihre Unabhängigkeit anerkannt und respektiert werden.
Lokalisierung zielt daher im Kern darauf ab, die Gestaltungsmacht bei humanitären Hilfsmaßnahmen neu auszubalancieren. Lokale Akteur*innen – darunter zivilgesellschaftliche Organisationen, Behörden und traditionelle Autoritäten – fordern zu Recht mehr Eigenverantwortung und Führungsrollen ein (local ownership and leadership). Internationale Akteur*innen treten dabei stärker in den Hintergrund und füllen Lücken, wo dies erforderlich ist. Dazu müssen lokale Akteur*innen größere finanzielle Spielräume erhalten.
Wieso ist Lokalisierung bei der humanitären Hilfe wichtig?
Humanitäre Krisen und Katastrophen erfordern schnelles und gleichzeitig effektives Handeln. Das funktioniert viel besser und effizienter, wenn lokale Akteur*innen die Führung übernehmen. Sie sind schon vor Ort; sie kennen das Ausmaß der Notlage sowie die in der Region verfügbaren Ressourcen und Kapazitäten; sie wissen, wer angesprochen und einbezogen werden sollte; sie verstehen, welche Lösungsansätze funktionieren, oder welche Maßnahmen bereits durch die lokale Bevölkerung eingeleitet wurden und nur im Umfang verstärkt werden müssen; sie können beurteilen, welche Hilfe von außen nötig ist und wie Prioritäten gesetzt werden müssen.
Lokale Akteur*innen sind nicht nur „näher dran“ – sie bringen Expertise mit, die oft unsichtbar bleibt: Sie bewegen sich in vertrauten sozialen und kulturellen Kontexten, sprechen die lokalen Sprachen und kennen die gesellschaftlichen Dynamiken vor Ort. Dieses Wissen ermöglicht einen besonders nuancierten Umgang – auch im Miteinander mit betroffenen Gemeinschaften. So wird Kommunikation nicht nur effektiver, sondern auch vertrauensvoller gestaltet.

Lokalisierung – Geschichte und Herausforderungen
Die Bedeutung der Lokalisierung wird heute von vielen internationalen Akteur*innen der humanitären Hilfe anerkannt. Das war nicht immer so. Veränderungen sind spätestens seit dem World Humanitarian Summit von 2016 zu beobachten, dessen Teilnehmer*innen sich in den als Grand Bargain bezeichneten Selbstverpflichtungen zu dem Ziel bekannten, 25% der Ausgaben für humanitäre Hilfe unmittelbar lokalen Akteur*innen zur Verfügung zu stellen. Seither ist bei Regierungen und Hilfsorganisationen das Bewusstsein für die Bedeutung von Lokalisierung gewachsen; das 25%-Ziel ist jedoch bei weitem noch nicht erreicht. Lediglich 4,5% der Mittel gingen 2023 unmittelbar an lokale und nationale Akteur*innen.
Das hergebrachte Top-down-System, bei dem große Organisationen und Geber maßgeblichen Einfluss darauf nehmen, wie Finanzmittel vor Ort eingesetzt werden, ist nicht leicht zu verändern. Um eine andere Machtdynamik zu erreichen, müssen politische Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit und Geldgeber*innen in einkommensstärkeren Ländern ihre Rolle neu bewerten.
Standards wie der Core Humanitarian Standard (CHS), die von vielen Staaten und Organisationen anerkannt werden, betonen die Bedeutung der systematischen Einbindung von Akteur*innen und Gemeinschaften vor Ort. Der CHS verlangt ausdrücklich, dass Menschen in humanitären Krisensituationen an Entscheidungen beteiligt werden. Ihr Feedback soll immer die Grundlage aller humanitären Hilfsmaßnahmen sein.
Lokalisierung bei der Welthungerhilfe
Die Welthungerhilfe hat Lokalisierung zu einem Kernprinzip ihrer Arbeit gemacht. In unserer Strategie für 2025-2030 spielt sie eine wichtige Rolle.
We prioritize local ownership by empowering and collaborating with local actors, including civil society organizations and the local private sector. This approach enables us to gain a deeper understanding of local needs and jointly craft more effective strategies.
Welthungerhilfe-Strategie 2025–2030Lokalisierung bei der humanitären Hilfe: Das ToGETHER-Programm
Um die Lokalisierung im Bereich der Humanitären Hilfe zu fördern, hat die Welthungerhilfe zusammen mit Caritas Deutschland, Malteser International und der Diakonie Katastrophenhilfe im Jahr 2020 das ToGETHER-Programm ins Leben gerufen, welches vom Auswärtigen Amt finanziert wird. Als Abkürzung steht ToGETHER für „Towards Greater Effectiveness and Timeliness in Humanitarian Emergency response” – „Für mehr Effektivität und Zeitnähe bei der humanitären Hilfe“.
Die ToGETHER-Initiative wurde im März 2020 ins Leben gerufen, um lokale Akteure zu befähigen, Führungsrollen bei der humanitären Hilfe in ihrer Region zu übernehmen.
Das Programm fördert die Zusammenarbeit von 40 lokalen und nationalen Nichtregierungsorganisationen in Bangladesch, Kolumbien, der Demokratischen Republik Kongo, Äthiopien, Indonesien, Myanmar, Pakistan und Somalia. Dabei wird die Effektivität der Organisationsstrukturen gestärkt, damit die lokalen Organisationen Führungsrollen bei der Durchführung humanitärer Maßnahmen in ihren Ländern übernehmen können.
Ein zentraler Aspekt des Programms ist die Erweiterung des finanziellen Spielraums. Dabei werden den lokalen Partnerorganisationen Finanzmittel für humanitäre Hilfe bereitgestellt, die teilweise für vorher vereinbarte Prioritäten verwendet werden sollen (Themenschwerpunkte "Vorausschauende humanitäre Hilfe" und "Gender"), hauptsächlich aber in Eigenverantwortung für Nothilfeprojekte in den Ländern vor Ort eingesetzt werden können. Die lokalen Partner entscheiden selbst, wie die Mittel für humanitäre Nothilfeprojekte am effektivsten und schnellsten in Unterstützung der Gemeinden umgesetzt werden.

Außerdem spielt der Peer-to-Peer-Austausch von Wissen und Erfahrungen eine zentrale Rolle, wie er durch die Kooperation der 40 nationalen Organisationen untereinander und durch ihre Zusammenarbeit mit den vier internationalen Partnerorganisationen zustande kommt. Eine noch größere Dimension erreicht dieser Austausch durch die Beteiligung von 120 weiteren lokalen humanitären Organisationen, die von den 40 Hauptteilnehmern über ein Mentoring-System in den Erfahrungsaustausch eingebunden werden. Sie können auch an gemeinsamen Trainings teilnehmen. Die internationalen Programmpartner*innen und die Welthungerhilfe lernen ihrerseits durch die Programmerfahrungen und die enge Zusammenarbeit mit den nationalen und lokalen Partner*innen, wie eine veränderte Rolle in einem lokalisierten System für sie aussehen kann.