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  • Krisen & Humanitäre Hilfe
  • 08/2020
  • Stefan Ehlert

Islamisten terrorisieren den Norden von Mosambik

In der Provinz Cabo Delgado wird die Jugend radikalisiert oder greift zu Gegenwehr.

Binnenflüchtlinge in Mocimboa da Praia in der Provinz Cabo Delgado. Das UNHCR und das Welternährungsprogramm verstärken ihre Nothilfe. Vertriebene berichten von hunderten niedergebrannten Dörfern. © UNHCR / Eduardo Burmeister

In Chiuba, am Rande von Pemba, hockt der 61-jährige Vicente Tiago unter einem Mangobaum im Schatten. Um ihn herum toben Kinder. „Sie haben viel mitgemacht“, wird Tiago in lokalen Medien zitiert. Vor allem das stark unterernährte Baby schwebe noch immer in Gefahr. Es war erst acht Monate alt, als der Bauer im Dezember mit Frau und vier Kindern aus Muidumbe, 200 Kilometer nördlich von Pemba, flüchtete.

Pemba ist die Hauptstadt von Cabo Delgado, Mosambiks nördlichste Provinz – und eine der ärmsten. Mittlerweile seit drei Jahren greifen dort islamistische Milizen Dörfer und Städte an. Tod, Verwüstung, Flucht und Armut sind die Folgen. Die Vereinten Nationen gehen heute davon aus, dass 750.000 Menschen auf Hilfe angewiesen sind, nahezu ein Drittel der Einwohner der Provinz. Die Regierung in Maputo erscheint hilflos im Angesicht der wachsenden Bedrohung. Ein Überschuss an Jugendlichen ohne Jobs bietet Nährboden für die Rekrutierung. Andere organisieren sich zur Gegenwehr.

Der Chef des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (ICRC) im Südlichen Afrika, Mamadou Sow, sprach in einer Twitterbotschaft von mehr als 200.000 Vertriebenen infolge des bewaffneten Konflikts in Cabo Delgado. Inzwischen sind auch in den Nachbarprovinzen Niassa und Nampula Camps für die Opfer der Terrorkrise entstanden. „Unterernährung ist ein Riesenproblem“, sagt der Direktor des Hilfswerks Caritas in Pemba, Manuel Nota: „Wir haben praktisch überall Vertriebene, und es ist eine Herausforderung, ihre Not zu lindern.“  

Denn Cabo Delgado ist derzeit Schauplatz von mindestens drei Krisen gleichzeitig:

Ein Schüler in der Junior farmer field and life schools (JFFLS) in der zentralmosambikanischen Stadt Chimoio. © FAO / Filipe Branquinho

Über Ressourcen, um auf Krisen zu reagieren, verfügt das überschuldete Land praktisch nicht. Sie müssten von außen kommen. Die Sicherheitsprobleme beschäftigen inzwischen auch die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika, SADC. Ihre Mitgliedsstaaten sind mit Forderungen konfrontiert, Mosambik militärisch beizuspringen. Mosambiks Militär (FDS) ist ein Papiertiger. Mehrfach hat die Regierung in Maputo schon Söldner ins Land gerufen: die russische Gruppe Wagner ebenso wie den pensionierten simbabwischen Oberst Lionel Dyck und seine Truppe Dyck Advisory Group (DAG). Doch Südafrikas Streitkräfte dürfen per Gesetz nicht an der Seite von Söldnern kämpfen. Simbabwe hat kein Geld für einen Einsatz im Nachbarland. Und Tansania befürchtet eine Ausweitung des Konflikts auf das eigene Staatsgebiet, sollte es intervenieren.

So könnte sich der Niedergang Cabo Delgados in einer ungebrochenen Welle der Gewalt fortsetzen. Mehr als 300 Angriffe wurden bislang bekannt. Schätzungen, die niemand bestätigt, gehen von 1300 bis 4000 Todesopfern aus, zumeist Zivilisten, aber auch Islamisten, Soldaten und Polizisten. Manche Straßen sind nur mehr im Militärkonvoi zu passieren; inzwischen ist die Lage soweit eskaliert, dass verzweifelte Dörfler Milizen bilden, um sich zu wehren. Dafür laufen sie Gefahr, als Verräter mit grausamen Methoden abgestraft zu werden, geköpft, verstümmelt, verbrannt. 

Instabilität lähmt Wirtschaftsleben

Die Bevölkerung Cabo Delgados lebt zu 80 Prozent und mehr von der Landwirtschaft. Zumeist sind es Subsistenzbauern, doch es werden auch Baumwolle, Cashewnüsse oder Erdnüsse für den Verkauf angebaut, wobei zumeist die Frauen die Äcker bestellen. Müssen sie und ihre Familien flüchten und können die Ernten nicht einbringen, fallen die Menschen ins Elend, außer sie finden bei Verwandten Aufnahme und Unterstützung. Andere Standbeine der Wirtschaft liegen brach, darunter der Tourismus, obwohl Cabo Delgado die wohl schönsten Strände Afrikas hat. Um dem Trend entgegenzuwirken und mehr Chancen für junge Menschen zu schaffen, hat die Regierungspartei Frelimo den erfahrenen Politiker Armando Panguene (77) zum Leiter einer Agentur speziell für die Entwicklung des Nordens (ADIN) berufen. 

Die Erdgasindustrie dort entwickelt sich allerdings trotz staatlichen Versagens in Dimensionen, von denen sich ganz Mosambik eine rosige Zukunft verspricht. Investitionen von mehr als 100 Milliarden Euro in nur zehn Jahren stehen an, darunter wichtige Infrastruktur- und Serviceprojekte. Doch, so kritisiert der Soziologe João Feíjo von der mosambikanischen Beobachtergruppe für Ländliche Entwicklung: „Die seit Jahren in der Bevölkerung genährten Hoffnungen auf Jobs und etwas bessere Lebensbedingungen haben sich bislang nicht erfüllt.“ Die Frustration insbesondere der jungen Männer, deren Alterskohorte in der Bevölkerung der Provinz besonders stark sei, biete einen Nährboden für die islamische Radikalisierung, wie sie in Cabo Delgado seit einigen Jahren zu beobachten sei. 

Kalifat aus Gebieten von Mosambik und Tansania

Wer die Anführer der zumeist jungen Angreifer sind, ist unbekannt. Die Bevölkerung nennt sie Al Shabaab, wie in Somalia, doch sind die Bezüge dorthin ebenso unklar wie die zum sogenannten Islamischen Staat. In Videobotschaften haben sie immerhin angedeutet, was sie wollen: Die Scharia, also die Einführung des traditionellen islamischen Rechts, zudem die Entfernung der seit 1975 regierenden Befreiungsfront Frelimo von der Macht im Norden.

Jugendliche vertreiben sich die Zeit auf einem Markt in Chimoio. Das Land hat nicht genug Jobs für seine Jugend. © FAO / Paballo Thekiso

Der Afrika-Historiker und Mosambikexperte Eric Morier-Genoud von der Queens University Belfast sagt, sie strebten die Gründung eines Kalifats in den muslimischen Gebieten Mosambiks und Tansanias an. Theologisch, so der Analyst, unterschieden sich Cabo Delgados Islamisten deutlich von anderen Gruppierungen, weil sie eine wortgetreue Auslegung des Korans propagierten ohne Berücksichtigung des Interpretationsleitfadens der Hadithe, die den meisten Muslimen als Aussprüche des Propheten und heilige Schrift gelten. 

Nach einer 2019 veröffentlichten Studie des Instituto de Estudos  Sociais e Económicos (IESE) in Maputo entstammen Cabo Delgados Islamisten zudem überwiegend einer ethnischen Minderheit in Cabo Delgado, den Mwani, was ihnen zusätzlich zum theologischen Kitt Homogenität und Schlagkraft verleihen könnte. Ein weiterer Gegensatz zu international operierenden Terrornetzwerken in Afrika wie IS, al- Kaida oder auch Boko Haram ist, dass die Islamisten bislang noch nicht auf Selbstmordattentate setzen. Auch haben sie Pemba sowie Maputo bislang verschont, was darauf hindeuten könnte, dass sie entweder noch zu schwach sind für eine derartige Eskalation, oder aber auf eine Profilierung gegenüber den großen Netzwerken wenig Wert legen.

Eine Gruppe von Feldarbeiterinnen bei der Maisernte nahe der Kleinstadt Catandica in Mosambik. © FAO / Paballo Thekiso

Wie es zu der Radikalisierung kam, ist von absurden Theorien umrankt, wie nahezu alles, was die Sicherheitslage in Cabo Delgado betrifft. Die letzten empirischen Befunde dazu wurden 2018 erhoben, bevor die Regierung dazu überging, Forscher*innen und Journalist*innen an ihrer Arbeit im Norden zu hindern. Aus den Militär-Prozessen gegen mutmaßliche „Insurgents“ dringen kaum Informationen nach außen, die auf Hintergründe schließen lassen, ebensowenig wie auf die „Kriegsökonomie“ der Islamisten, die offiziell beharrlich „Aufständische“ genannt werden und nicht Terroristen.

Gleichwohl haben Frankreich, die USA und Großbritannien offenbar Unterstützung in Cabo Delgado angeboten. Die USA wollen dabei vor allem gegen den Drogenschmuggel an der „Heroinküste“ vorgehen – gemeint ist vor allem die Küste Cabo Delgados.

„Die Welt hat keine Vorstellung davon, was hier geschieht“, klagte jüngst der Bischof von Pemba, Luíz Fernando Lisboa. „Wahrscheinlich haben wir uns an all die Kriege gewöhnt, im Irak, in Syrien. Und jetzt haben wir auch einen Krieg in Mosambik."

Freier Journalist und Reporter Stefan Ehlert.
Stefan Ehlert freier Journalist, Maputo und Frankfurt

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