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Kinderrechte verankern, Kinder beteiligen

Kinder und Jugendliche werden von der Politik kaum gehört, selten beteiligt und nicht ausreichend berücksichtigt.

Mehrere Mädchen mit Schulbüchern und Stiften beim Unterricht. Oben rechts ist das "Kompass 2021" Logo.
Schulkinder beim Unterricht in Sodo, Äthiopien. © Wiards/Welthungerhilfe

Dieser Artikel ist Teil des Berichts Kompass 2021, der von der Welthungerhilfe und terre des hommes herausgegeben wird.

Entwicklungspolitik erzählt von Chancen und Perspektiven für die Ärmsten, von Potenzialen und dem Meistern globaler Herausforderungen für eine bessere Zukunft. Nach Lage der Dinge müssten Kinder und Jugendliche eine der wichtigsten Ziel- und Akteursgruppen der Entwicklungs­zusammenarbeit sein. Kinder und Jugendliche machen in den Partnerländern der deutschen Entwicklungs­zusammenarbeit die weitaus größte Bevölkerungsgruppe aus. Weltweit sind 2,35 Milliarden Menschen jünger als 18 Jahre, das sind 30 Prozent der Weltbevölkerung.

Kinder sind überproportional von Armut betroffen: Über 50 Prozent der extrem armen Menschen86 sind Kinder. Weil Kinder körperlich und psychisch verletzlicher und abhängiger von Schutz und Versorgung sind, treffen sie Katastrophen, Armut und Gewalt härter. Aktuell ist in Folge der COVID-19-Pandemie die Zahl der Kinder, die in extremer Armut leben, um etwa 150 Millionen auf 725 Millionen Mädchen und Jungen gestiegen.87

Kinder und Jugendliche sind die nächste Generation und werden globale Herausforderungen erben und meistern müssen. Nachhaltige Entwicklung und Kinderrechte sind deshalb untrennbar miteinander verbunden. Die UN-Nachhaltigkeitsziele aus dem Jahr 2015 verknüpfen bereits wesentliche Entwicklungsziele mit Kinderrechten.

Tatsächlich werden Kinder und Jugendliche von der Politik kaum gehört, selten beteiligt und nicht ausreichend berücksichtigt. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nahm sich im Jahr 2017 vor, diesen Missstand zu ändern und sogar international Vorreiter für Kinderrechte zu werden: Im Aktionsplan „Agents of Change – Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“ benannte das BMZ Kinder und Jugendliche als zentrale Akteure für eine wegweisende und nachhaltige Entwicklungspolitik.88 Bis heute zählt das BMZ in Pressemeldungen, dem Halbzeitbericht zum Aktionsplan oder in Antworten auf parlamentarische Anfragen immer wieder viele gute Dinge auf, wie etwa die Erhöhung der Beiträge an multilaterale Akteure wie UNICEF oder einzelne innovative Projekte für Kinder oder die Einrichtung eines Jugendbeirates. Von einer systematischen Einbeziehung und strategischen Umsetzung von Kinderrechten in der deutschen Entwicklungspolitik, deren Dringlichkeit wir nicht zuletzt im Kompass 2020 anmahnten, kann allerdings noch immer keine Rede sein.

Im Jahr 2020 leistete die Bundesrepublik 24,9 Milliarden Euro Entwicklungshilfe. Wie viel davon Kindern und Jugendlichen zugutekommt, weiß das BMZ nicht genau: Zum einen wurden positive Effekte und Wechselwirkungen von Vorhaben auf Kinder nicht systematisch identifiziert und analysiert, sodass niemand weiß, in welchen Projekten, die sich nicht direkt an Kinder wenden, dennoch etwas für sie erreicht wurde. Wahrscheinlich leistet das BMZ mehr für Kinder, als es weiß. Zudem ist mangels einer Kennung keine genaue Zuordnung von Mitteln möglich: „Ein exaktes Monitoring der jährlichen Finanzmittel, die das BMZ spezifisch für Kinder und Jugendrechte bereitgestellt hat, ist nicht möglich, da die anteiligen Beträge in den Vorhaben nicht spezifisch erfasst werden.“89 Das BMZ schätzt, dass es von 2017 bis 2019, also während der Laufzeit des Aktionsplans „Agents of Change“, „rund 1.100 Projekte staatlicher und nicht staatlicher EZ“ mit einem Volumen von 4,8 Milliarden Euro finanzierte.90 Der Abschlussbericht des Aktionsplans lag bis zu Redaktionsschluss im April 2021 noch nicht vor.

Eine Absage erteilte das BMZ Anfang des Jahres einer systematischen Kindesschutz-Policy für das Ministerium und alle Durchführungsorganisationen: In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage verkündete das Ministerium, die vorhandenen Mechanismen seien ausreichend.91 Dringend fordern zivilgesellschaftliche Organisationen seit mehr als einem Jahrzehnt einen wirksamen Mechanismus, um Kinder im Einflussbereich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit vor Schaden und Gewalt durch Mitarbeitende und in Programmen zu schützen. Kinderrechtsorganisationen haben dem BMZ Einzelfälle zur Kenntnis gebracht; Skandale sexualisierter Gewalt in internationalen Hilfsorganisationen machten deutlich, dass gerade im Entwicklungskontext erhebliche Risiken für Kinder bestehen. Längst liegen international anerkannte Standards und Verfahren vor. Aktuell verfügen die GIZ über eine Kindesschutz-Policy und Engagement Global über eine Ombudsstelle, die auch zu sexueller Belästigung angesprochen werden kann. Immerhin hat das BMZ für den neu gegründeten Jugendbeirat eine Kindesschutz-Policy angekündigt.

Ob Kinderrechte mit der Reform des BMZ stärker und systematischer berücksichtigt werden, ist im Moment noch unklar: Mit dem Reformkonzept „BMZ 2030“ zielt das BMZ darauf ab, Maßnahmen und Mittel der Entwicklungspolitik strategischer, wirksamer und effizienter zur Lösung der aktuellen globalen Herausforderungen einzusetzen. Kinder und Jugendliche werden darin nicht genannt. Kinderrechte sollen allerdings im „Qualitätsmerkmal Menschenrechte, Gender, Inklusion“ verankert werden. Die „Qualitätsmerkmale“ sollen bei der Prüfung und Durchführung aller Maßnahmen sowie in den Strategien für die Kern- und Initiativthemen berücksichtigt werden. Das Haus spricht von „Gütesiegeln“, die für die bilaterale Zusammenarbeit verbindlich seien. Bis zum Redaktionsschluss lag noch kein Entwurf für das Qualitätsmerkmal Menschenrechte, Gender, Inklusion vor.

Im Hinblick auf die Beteiligung von Kindern hat das BMZ mittlerweile einen Schritt gemacht, der Anerkennung verdient: Ein Jugendbeirat wurde eingerichtet, in Zukunft sollen 16 Kinder und Jugendliche aus Deutschland das Ministerium beraten. Sie werden sich mehrmals im Jahr treffen und alle zwei Jahre über ein internationales Jugendforum auch Jugendliche aus Vorhaben des BMZ einbeziehen können. Das BMZ ist das erste deutsche Ministerium, das einen Jugendbeirat etabliert. Allerdings: Die Einrichtung des Jugendbeirates dauerte mehr als fünf Jahre. Im Jahr 2016 hatte sich das BMZ zu Kinder- und Jugendpartizipation in einer Konsultation von Jugendlichen beraten lassen.92 2019 unternahm das Ministerium erste Schritte zur Etablierung eines Jugendbeirats. 2020 bat das BMZ um Bewerbungen für den Jugendbeirat, die Frist endete im August. Mitglieder wurden erst im März 2021 ausgewählt. Ob die mehr als 250 Kinder und Jugendlichen, die sich um einen Sitz im Jugendbeirat beworben hatten, ihren Elan für ein solches ehrenamtliches Engagement angesichts derartiger Zeitspannen behalten haben?

Kinder sind eine relevante Ziel- und Akteursgruppe 

Die nächste Bundesregierung sollte Kinderrechte klug adressieren und entschieden und mit Priorität umsetzen: Kinder und Jugendliche sind eine relevante Zielgruppe und Akteure von Entwicklungszusammenarbeit. Das gilt es sichtbar zu machen und zu stärken.

01 Schutz:

Das BMZ und alle Durchführungsorganisationen müssen eine verpflichtende und an internationalen Standards ausgerichtete Kindesschutz-Policy erarbeiten und umsetzen. Auch wenn es bis dato keine gesetzgeberische Pflicht gibt, die solche Schutzkonzepte verlangt, steht das BMZ in der Verantwortung. Ein umfassendes Schutzkonzept wirkt präventiv und ermöglicht bei einem Verdacht auf Gewalt schnelle und angemessene Reaktionen und den Schutz des betroffenen Kindes. Internationale Kinderrechtsorganisationen haben Standards und Verfahren für Schutzkonzepte entwickelt und setzen sie seit Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe ein.93 Bestandteile davon sind zum Beispiel:

02 Mainstreaming:

Die Rechte von Kindern und Jugendlichen müssen in der deutschen EZ durchgängig verankert werden. Das BMZ sollte eine kohärente und kinderrechtlich basierte Gesamtstrategie erarbeiten und umsetzen. Kinderrechte müssen in allen Handlungsfeldern stringent und systematisch mitgedacht werden: Denn globale Herausforderungen wie etwa die Auswirkungen des Klimawandels oder wachsende Ungleichheit und Armut werden nur erfolgreich bewältigt werden können, wenn Politik die junge Generation einbezieht. Es braucht mehr Investitionen in Bereiche, die für Kinder besonders wichtig sind und besonders stark ihre Situation verbessern können: grundlegende Infrastruktur und Versorgung für Gesundheit, Ernährung, Bildung und den Schutz vor Gewalt. Investitionen in frühkindliche Entwicklung sollten verstärkt werden. Dafür sollte das BMZ ein Monitoring- System aufbauen, das die regelmäßige, systematische und einheitliche Überprüfung der Umsetzung menschenrechtlicher Vorgaben in der staatlichen EZ ermöglicht. Ein kinderrechtlich basierter, konkreter und operationalisierbarer Überprüfungsmechanismus muss zunächst entwickelt werden. Die Evaluierung des Aktionsplans „Agents of Change“ kann wichtige Hinweise liefern. Wichtig ist etwa, kinderrechtliche Risiken effektiv und vollumfänglich zu analysieren und die Auswirkungen von Vorhaben auf Kinder systematisch zu berücksichtigen. Kinderrechtliche Dimensionen müssen systematisch in Evaluierungen integriert werden, zudem sind vorhabenübergreifende Evaluierungen zur Wirkung von Vorhaben auf Kinder notwendig. Ob mittels einer Kennung oder auf anderem Wege: das BMZ sollte genau wissen und systematisch erheben, wie viele Mittel Kindern und Jugendlichen zugutekommen.

03 Beteiligung:

Kinder haben gemäß Artikel 12 der UNKinderrechtskonvention ein Recht auf Beteiligung. Beteiligung ist gleichzeitig ein wichtiges Mittel, um Demokratiefähigkeit und friedliche Konfliktbewältigung zu lernen. Die positiven Effekte des zivilgesellschaftlichen Engagements von Kindern und Jugendlichen etwa auf die Arbeit an den UN-Nachhaltigkeitszielen sind empirisch belegt.94 Auch in die Entwicklungszusammenarbeit sollen Kinder und Jugendliche verbindlich einbezogen werden, in Strategieplanung und die Umsetzung von Vorhaben, die Auswirkungen auf ihre Situation haben. Um die Stimme von Kindern und Jugendlichen in Partnerländern zu stärken, soll das BMZ – auf Basis der Erfahrungen aus dem Aktionsplan „Agents of Change” – die Unterstützung von Partizipationsansätzen und Jugendnetzwerken ausweiten. In Zusammenarbeit mit dem BMZ-Jugendbeirat sollte eine Strategie zur systematischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen erarbeitet werden. Dabei ist es wichtig, Diversität abzubilden und zu fördern. Allerdings schränken zahlreiche Regierungen demokratische Freiräume ein (Shrinking Spaces), auch für Kinder und Jugendliche. Nur drei Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern, in denen fundamentale Rechte wie Meinungsfreiheit sowie Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit nicht eingeschränkt sind.95 Kinder und Jugendliche, die sich aktiv für ihre Rechte einsetzen, erleiden Drohungen und Gewalt: Besonders Mädchen werden – oft auch von der eigenen Familie – unter Druck gesetzt. Staatliche, religiöse oder wirtschaftliche Akteure bedrohen Aktivist*innen. Das BMZ und das Auswärtige Amt sollten der Bedrohung von jugendlichen Menschenrechts- oder Umweltaktivist* innen in Partnerländern der EZ aktiv begegnen.

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Fußnoten

86. Menschen, die mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag leben müssen.

87. UNICEF: Child poverty. (aufgerufen am 26.4.2021)

88. BMZ (2017): Agents of change. Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.

89. Deutscher Bundestag (9.12.2020): Drucksache 19/25075. Ausgestaltung der Kindesschutz- Policy des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; sowie Deutscher Bundestag (04.11.2020): Drucksache 19/23960: Ausgestaltung der Kindesschutz-Policy des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

90. Ebd.

91. Ebd.

92. Das Deutsche Institut für Menschenrechte bemängelte, dass es seinerzeit „kein Feedback zu Vorschlägen (der Jugendlichen) bis zum Abschluss der Jugendkonsultation aus der BMZ-Leitungsebene (sowie) Unklarheit über (den) weiteren Prozess nach Ende der Jugendkonsultation im März 2016“ gegeben hatte. G. Newiger-Addy (2016): Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Ein Beispiel aus der entwicklungspolitischen Praxis. Deutsches Institut für Menschenrechte. Berlin.

93. Für Organisationen und Institutionen: www.keepingchildrensafe.global; für die Humanitäre Hilfe: www.cpwg.net

94. Vgl. exemplarisch für die Region Asien- Pazifik: Hofert, J. (2018): Youth engagement for sustainable development in the Asia-Pacific region: An empirical study in cooperation with the United Nations Volunteers programme. Universität Potsdam.

95. CIVICUS (2020a). State of Civil Society Report: 2020. Diese alarmierenden Daten stammen aus dem Jahr 2019 und lassen sich daher nicht durch Einschränkungen im Kontext der COVID-19-Pandemie erklären.

Autor*innen dieses Artikels

Joshua Hofert

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Barbara Küppers

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