Kinderrechte: Gute Ansätze, keine Strategie
Die globalen Krisen treffen Kinder besonders hart. Die Schwerpunkte der neuen Bundesregierung können wichtige Verbesserungen ermöglichen und kleinere Fortschritte aus der vorigen Legislaturperiode vergrößern. Allerdings stellt das noch keine Strategie für die Förderung von Kindern durch die Entwicklungszusammenarbeit dar.
Dieser Artikel ist Teil des Berichts Kompass 2022, der von der Welthungerhilfe und terre des hommes herausgegeben wird.
Die Situation von Kindern verschlechtert sich weltweit: Immer mehr Kinder erleiden Armut, Ausbeutung, Hunger und Gewalt. Im Jahr 2015 hatte sich die Weltgemeinschaft mit den UN-Nachhaltigkeitszielen vorgenommen, bis zum Jahr 2030 wesentliche Verbesserungen für Kinder und Erwachsene zu erreichen.
Kompass 2022 – Inhalt
- Vorwort und Übersicht
- Empfehlungen an die Bundesregierung
- Die deutsche Entwicklungsfinanzierung – auf einem guten Weg?
- Globale Nachhaltigkeitsziele: Wird die neue Bundesregierung ihrer Verantwortung gerecht?
- Kinderrechte: Gute Ansätze, keine Strategie
- Die globale Hungerkrise aufhalten – was können die G7-Staaten tun?
Unter anderem hat sie sich zum Ziel gesetzt, die Armut zu halbieren und die Ausbeutung von Kindern zu beenden. Heute, sieben Jahren später, liegt das Erreichen dieser Ziele in noch weiterer Ferne als zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung. Denn die Folgen von Corona-Pandemie und Kriegen, zunehmenden Wetterextremen und Umweltzerstörung verstärken nicht nur den Teufelskreis von Armut, Ausbeutung und Gewalt; sie treffen Kinder – also Menschen unter 18 Jahren – und damit ein Drittel der Weltbevölkerung besonders hart:
● Mehr als die Hälfte der extrem armen Menschen, gemessen an einem Einkommen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Person und Tag (Kaufkraftparität), sind Kinder. Damit sind sie heute überproportional von Armut betroffen. Bereits vor der Corona-Pandemie lebte etwa eine Milliarde Kinder weltweit in multidimensionaler Armut, also ohne ausreichende Nahrung und sauberes Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung. Infolge der Corona-Pandemie sind nach Angaben der Vereinten Nationen 100 Millionen Kinder zusätzlich in derartige Mangelsituationen abgerutscht. 30
● Weltweit ist jedes zweite Kind in seiner unmittelbaren Umgebung von Gewalt betroffen – durch Schläge, psychische und sexualisierte Gewalt, die Eltern, Geschwister, Nachbar*innen oder Respektspersonen wie Lehrer*innen, Polizist*innen oder religiöse Vertreter*innen ausüben. Während der Corona-Pandemie gab es kaum Hilfe oder Auswege, denn Schutzeinrichtungen waren geschlossen und die Kinder waren zu Hause isoliert. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) stellte bereits 2020 fest, dass zum ersten Mal seit der Jahrtausendwende wieder deutlich mehr Kinder arbeiten müssen und machte dafür zunehmende Kriege und Konflikte verantwortlich. 31 Studien zur Situation in Ghana, Uganda, Nepal, Afghanistan, Bangladesch, Indien, Myanmar und Peru belegen, dass infolge der Corona- Pandemie deutlich mehr Kinder arbeiten, dass mehr Mädchen immer früher verheiratet und mehr Kinder in Schuldknechtschaft und Sklaverei gezwungen werden. 32, 33
● In Kriegen und bewaffneten Konflikten werden Kinder getötet, verletzt, entführt, vergewaltigt, rekrutiert und durch die Zerstörung von Schulen, Krankenhäusern und Schutzeinrichtungen jeglicher Versorgung und Bildung beraubt. 34 Viele Kinder sind traumatisiert. Von Kriegen und Konflikten betroffen sind Kinder unter anderem in Äthiopien, Afghanistan, Burkina Faso, der Demokratischen Republik Kongo, Irak, Jemen, Kolumbien, Libyen, Mali, Mexiko, Myanmar, Nigeria, Somalia, Sudan und Südsudan, Syrien, der Ukraine und der Zentralafrikanischen Republik.
● Weltweit stieg die Zahl der Menschen, die vertrieben wurden, bis Ende 2021 auf 84 Millionen. Unter ihnen befinden sich 26,6 Millionen Flüchtlinge, 4,4 Millionen Asylsuchende und fast 51 Millionen Vertriebene im eigenen Land. Die Hälfte der Geflüchteten sind Kinder. 35
● Hungersnöte infolge von Konflikten, Wetterextremen und wirtschaftlichen Krisen treffen Kinder zurzeit in Äthiopien, Afghanistan, dem Jemen, Madagaskar, Malawi, Nigeria, Somalia und Südsudan. Der Klimawandel verstärkt diese Problemlagen. 36
● Durch Umweltverschmutzung sterben jedes Jahr etwa neun Millionen Menschen, das sind 16 Prozent aller Todesfälle weltweit und dreimal mehr als durch Aids, Tuberkulose und Malaria. 92 Prozent der Todesfälle durch Umweltverschmutzung treten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf. 37
Die neue Bundesregierung hat sich für die Entwicklungszusammenarbeit vorgenommen, die Folgen der Corona-Pandemie zu mildern, Hunger und Armut zu bekämpfen, die Klimapolitik sozial gerecht voranzubringen und die Politik feministisch zu gestalten. Im Hinblick auf die Situation von Kindern können diese Schwerpunkte wichtige Verbesserungen ermöglichen und kleinere Fortschritte aus der vorigen Legislaturperiode vergrößern. Allerdings stellt das noch keine Strategie für die Förderung von Kindern durch die Entwicklungszusammenarbeit dar.
Ein kritischer Blick auf den „Aktionsplan Kinder- und Jugendrechte“
Im Koalitionsvertrag werden Kinder im Hinblick auf Entwicklungspolitik nicht erwähnt. Das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) versichert allerdings, dass Kinder stärker in den Blickpunkt rücken sollen. „Ohne die Berücksichtigung von Kinder- und Jugendrechten kann es keine nachhaltige Entwicklung und keine fairen Chancen für Menschen in Entwicklungsländern geben“, beginnt der Endbericht des BMZ zum „Aktionsplan Kinder- und Jugendrechte“ („Agents of Change“), der im Juni 2021 und damit noch in der vergangenen Legislaturperiode veröffentlicht wurde. 38 Danach hat das BMZ während der Laufzeit des Aktionsplans (2017 bis 2019) 1 107 Vorhaben für Kinder unterstützt.
Eine Analyse des Berichts zeigt, dass die wenigsten Vorhaben die Themen „Schutz vor Gewalt“, „faire Arbeitsbedingungen“ oder „Armut und Ernährung“ behandelten. In diesen Arbeitsfeldern sind zum Beispiel der Schutz vor ausbeuterischer Kinderarbeit und der Schutz von Kindern in Kriegen und Konflikten verankert. Positiv zu bewerten ist, dass 41 Prozent der Vorhaben „Bildung und Berufsbildung“ fördern – ein Schlüsselbereich mit großem Potenzial, die Situation von Kindern deutlich zu verbessern. Dabei folgt das BMZ einer Strategie, die sich am UN-Nachhaltigkeitsziel 4 zu Bildung orientiert („Für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen sicherstellen“). 39
Die Themen „frühkindliche Entwicklung“, „schädliche Praktiken“ und „Zugang zu kinderfreundlicher Justiz“ sind nur wenig vertreten, und Vorhaben zur Geburtenregistrierung sehr selten. Der Bericht verzeichnet nur zehn Vorhaben zu Themen, die „nicht auf den ersten Blick mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung gebracht werden“, wie Energie, Trinkwasser, Wassermanagement, Abwasser, Abfallentsorgung und Umweltpolitik. Begrüßenswert ist die Unterstützung multilateraler Akteure, etwa von UNICEF und ILO oder der Alliance 8.7, die sich gegen Ausbeutung, Zwangsarbeit und Kinderhandel engagiert. Bei Letzterer will Deutschland „Pathfinder Country“ 40 werden. Wichtig wäre es, bei all diesen Aktivitäten sowohl betroffene Kinder als auch Nichtregierungsorganisationen einzubinden, um Beteiligung sicherzustellen und die Aktivitäten besser an den Realitäten von Kindern auszurichten.
Das BMZ sollte stärker in Bereiche investieren, die für Kinder lebenswichtig sind und das größte Potenzial haben, ihre Situation zu verbessern: grundlegende Infrastruktur und Versorgung für Gesundheit, Ernährung, Bildung und den Schutz vor Gewalt. Dabei sollten Investitionen in die frühkindliche Entwicklung verstärkt werden.
Kinder vor Schäden im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit schützen
Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern seit mehr als einem Jahrzehnt einen wirksamen Mechanismus, um Kinder im Einflussbereich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit vor Schaden und Gewalt durch Mitarbeitende und in Programmen zu schützen. Zu hoffen ist, dass das BMZ insbesondere mit dem neuen Schwerpunkt einer feministischen Entwicklungszusammenarbeit seine ablehnende Haltung gegenüber einer systematischen Kindesschutz-Policy überdenkt und eine solche für das eigene Haus und für alle Durchführungsorganisationen einführt. Für den BMZ-Jugendbeirat und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wurden bereits Kindesschutzbestimmungen erarbeitet.
Bekannt gewordene Fälle sexualisierter Gewalt in internationalen Hilfsorganisationen haben deutlich gemacht, dass gerade im Entwicklungskontext und in der humanitären Hilfe erhebliche Risiken für Kinder bestehen. Einzelfälle sexualisierter Gewalt haben Kinderrechtsorganisationen auch dem BMZ zur Kenntnis gebracht. Ein umfassendes Schutzkonzept wurde präventiv wirken und bei einem Verdacht auf Gewalt schnelle und angemessene Reaktionen und den Schutz des betroffenen Kindes ermöglichen. Internationale Kinderrechtsorganisationen haben sich zu diesem Zweck zur Allianz „Keeping Children Safe“ zusammengeschlossen und setzen seit Jahren entsprechende Standards und Verfahren um. 41
Das Recht auf gesunde Umwelt zur Priorität erklären
Das Recht auf gesunde Umwelt schützt alle Menschen; in erster Linie dient es besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Dazu gehören die Kinder, denn sie entwickeln sich noch und können daher Umweltbelastungen weniger entgegensetzen als Erwachsene. Das Leben heute geborener Kinder wird vom Klimawandel geprägt sein. Die besondere staatliche Sorgfaltspflicht gegenüber Kindern, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention verankert ist, muss in der Klima- und Umweltpolitik stärker berücksichtigt werden. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat die Kinderkommission des Bundestages darauf hingewiesen, dass die Berücksichtigung von Kinderrechten die Klima- und Umweltpolitik verbessern kann. Positive Synergien können bei einer ganzen Reihe von Prioritäten der Entwicklungspolitik erreicht werden, sei es in Kern- und Initiativthemen, der multilateralen Zusammenarbeit oder den Qualitätsmerkmalen. Die Verwirklichung des Rechts auf eine gesunde Umwelt muss zu einer Priorität deutscher Politik werden.
Die Bundesregierung möchte die Konkretisierung und Durchsetzung des Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt auf Ebene der Vereinten Nationen stärken. Zudem ist Klima- und Umweltpolitik einer der vier neuen Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit. Mit dem Einsatz für globale Gemeingüter und die natürlichen Lebensgrundlagen trägt die Entwicklungszusammenarbeit der menschenrechtlichen Verantwortung Deutschlands Rechnung. Kinderrechte sowie das Prinzip der intergenerationellen Gerechtigkeit sollten zu einer Richtschnur für alle entwicklungspolitischen Maßnahmen werden, die eine schadstofffreie Umwelt, ein sicheres Klima, gesunde und nachhaltig produzierte Nahrung, sauberes Wasser und Sanitärversorgung, gesunde Ökosysteme und biologische Vielfalt zum Ziel haben. Umweltbildung und Umweltbeteiligung von Kindern können als rechtsbasierte Querschnittsaufgaben in all diese Aktionsfelder integriert werden.
Konkret heißt das: Deutschland sollte zur Vorreiterin einer kinderrechtsbasierten Klimapolitik werden und schnellstens die „Erklärung zu Kindern, Jugend und Klimaschutz“ unterschreiben, damit der Kinderrechtsbezug des Pariser UN-Klima- Abkommens endlich konkretisiert wird. 42 Noch nie in der Geschichte der Klimakonferenzen gab es eine kinderbezogene Entscheidung. Dies ist ein schweres Versäumnis angesichts der Folgen des Klimawandels für Kinder, vor allem im globalen Süden, und sollte sich bereits im Hinblick auf die nächste UN-Klimakonferenz (COP27), die im November 2022 in Ägypten stattfindet, ändern. Die Bundesregierung sollte Teil einer Gruppe von Staaten („Children’s Climate Champions“) werden, die den Weg für eine solche Entscheidung bereitet und einen Rahmen schafft, damit Kinderrechte systematisch in nationale Klimapläne, Programme zur Anpassung an den Klimawandel, Klimafinanzierung, das Arbeitsprogramm „Action for Climate Empowerment“ und Debatten wie die über „Loss and Damage“ integriert werden. 43 Die institutionelle Voraussetzung für die Umsetzung kinderbezogener Belange ist die Einrichtung eines Child Rights Focal Point im Sekretariat der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC).
Der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen arbeitet zurzeit an einer neuen Allgemeinen Bemerkung zur Kinderrechtskonvention, die Vertragsstaaten bei der Umsetzung von Kinderrechten in der Klima- und Umweltpolitik anleiten soll. Sie soll Maßstäbe für den Schutz der Kinderrechte im Umwelt- und Klimakontext setzen und die Perspektiven von Kindern aus aller Welt einbeziehen. Deutschland sollte die Erarbeitung, Verbreitung und Umsetzung dieser neuen Allgemeinen Bemerkung unterstützen. Dabei wäre wünschenswert, dass das BMZ marginalisierte Gruppen von Kindern in Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt, damit sie sich beteiligen können. Dafür bieten sich beispielsweise regionale Konsultationen mit Kindern an.
Das Auswärtige Amt und das BMZ sollten den UN-Sonderberichterstatter für Umwelt und Menschenrechte, David Boyd, bei der Erarbeitung eines Handbuchs zur Umsetzung des Rechts auf eine gesunde Umwelt in Gesetzgebung, Politik und Praxis unterstützen. Um junge Umweltaktivist*innen in Partnerländern zu stärken, sollte das BMZ kinder- und jugendfreundliche Informationen bereitstellen und ihnen dadurch den Zugang zu internationalen Verhandlungsprozessen erleichtern.
Armut, Konflikt, Pandemie: Beispiel Irak
Zainab ist 12 Jahre alt und lebt mit ihren Geschwistern bei der Großmutter in Ramadi, etwa 110 Kilometer westlich von Bagdad. Sie hat beide Eltern in den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre verloren. Als die Schule wegen des Corona-Lockdowns geschlossen wurde, verlor Zainab die einzige Gelegenheit, aus dem Haus zu kommen. Sie wurde depressiv und fing an, sich selbst zu verletzen.
Die von der irakischen Regierung und der Regionalregierung Kurdistan-Irak initiierten Schulschließungen gehörten mit 63 Wochen zu den längsten der Welt und betrafen 11 Millionen Kinder. 45 Die Wiedereröffnungen der Schulen waren uneinheitlich und wiederholt unterbrochen. Etwa 7,4 Millionen Kinder konnten nicht an digitalen Bildungsangeboten teilnehmen, weil sie weder über Handys oder Computer noch über einen Internetzugang verfügen. Vor der Pandemie lebte jedes fünfte Kind im Irak in Armut. Mit den Lockdowns ist die Arbeitslosigkeit in einer ohnehin fragilen Wirtschaft weiter angestiegen. Heute leben 40 Prozent der Kinder im Irak in Armut. Häusliche Gewalt hat stark zugenommen, ebenso wie negative Bewältigungsstrategien: Schulabbruch, Kinderehen, Kinderarbeit. Besonders betroffen sind laut UNHCR geflüchtete und vertriebene Kinder. 46
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen stärken
Beteiligung stärkt Kinder und Jugendliche individuell und als gesellschaftliche Gruppe, macht sie und ihre Anliegen in Gesellschaften sichtbarer und kann so vielfältige Verbesserungen bewirken. Das BMZ ist das erste deutsche Ministerium, das einen Jugendbeirat etabliert hat. Die gewählten Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben darin die Schwerpunktthemen „Klimapolitik“, „Schutz vor Gewalt und Ausbeutung“, „Bildung“ und „Zusammenarbeit mit Afrika“ festgelegt. Um den Austausch mit Kindern und Jugendlichen aus Partnerländern zu beginnen, wird im Herbst dieses Jahres ein erstes internationales Jugendforum stattfinden. Die beteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden sicher dazu beitragen, die Relevanz und das Potenzial von Kindern und Jugendlichen für nachhaltige Entwicklung deutlich zu machen. Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat den Jugendbeirat bei einem ersten Treffen nach der Regierungsbildung aufgefordert, „Stein im Schuh des BMZ zu sein“. Ob Anliegen des Beirats aufgegriffen werden, bleibt abzuwarten. In Zusammenarbeit mit dem BMZ-Jugendbeirat sollte eine Strategie zur systematischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen erarbeitet werden. Dabei ist es wichtig, Diversität abzubilden und zu fördern.
Das BMZ fördert Pilotprojekte zu Partizipation, etwa das Projekt „Dialogue Works – Anchoring working children’s participation in societal and political processes“, das gemeinsam von terre des hommes und der Kindernothilfe ins Leben gerufen wurde. „Dialogue Works“ hat arbeitende Kinder befragt und unterstützt zurzeit 30 Kinderkomitees in 15 Ländern dabei, ihre Anliegen mit Entscheidungstragenden auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zu besprechen. Der Jugendbeirat und das Sektorvorhaben Menschenrechte der GIZ zeigen großes Interesse an den Ergebnissen; Diskussionen mit dem BMZ zur Übertragbarkeit auf andere Vorhaben und Verfahren finden bisher allerdings nicht statt.
Das BMZ sollte die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen weiterhin stärken und dabei an Fortschritte, Pilotprojekte und aktuelle internationale Debatten anknüpfen.
Kinderrechte im Grand Bargain berücksichtigen
Kinder und Jugendliche sind weltweit zunehmend komplexeren Krisen und Risiken ausgesetzt. Dennoch wird dem Schutz von Kindern in der humanitären Hilfe nicht systematisch Priorität eingeräumt. Kinder und Jugendliche als lokale Akteure (sowie lokale Akteure allgemein) spielen dort trotz vieler Bekundungen weiterhin eine untergeordnete Rolle. Im Koalitionsvertrag kündigt die Regierung an, die Reform der humanitären Hilfe (den sogenannten Grand Bargain 2.0) weiterzuführen (siehe auch Kapitel II). Lokale Akteure und betroffene Menschen sollen stärker beteiligt und unterstützt werden. Hier müssen Kinderrechte mitgedacht und Kinder und Jugendliche beteiligt werden. Deutschland ist zudem ab 2022 im Steuerungsgremium des Grand Bargain vertreten und sollte sich auch dort für die Berücksichtigung von Kindern und Kinderrechten einsetzen.
Grundlegend ist es, in der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe besonders gefährdete und diskriminierte Gruppen einzubeziehen. Hier wurde mit dem Inklusionskonzept von BMZ und Auswärtigem Amt für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) ein wichtiger Fortschritt erzielt. Das Konzept verankert ausdrücklich den Schutz und die Beteiligung von LSBTI sowie von Kindern und Jugendlichen. 44
Kinderrechte müssen in allen Handlungsfeldern stringent mitgedacht werden. Das BMZ und die Akteure der humanitären Hilfe sollten eine Strategie entwickeln, wie Kinder und junge Menschen systematisch berücksichtigt, gefördert und geschützt werden können. Hinweise liefern können hierfür beispielsweise der Endbericht zum BMZ-Aktionsplan „Agents of Change“ und die Ergebnisse der Evaluierung, die für das Jahr 2023 angekündigt sind. Ebenso genutzt werden können Standards, Verfahren und Tools, die in Pilotprojekten zu einzelnen Themen entwickelt wurden oder bereits von internationalen Akteuren diskutiert und genutzt werden, wie etwa zu Partizipation, Kindesschutz oder Klimapolitik.
Monitoring und Evaluierung spezifischer gestalten
Im Jahr 2021 hat die Bundesrepublik 27,3 Milliarden Euro Entwicklungshilfe geleistet. Wie viel davon Kindern und Jugendliche zugutekommt, weiß das BMZ nicht genau. Wahrscheinlich leistet Entwicklungszusammenarbeit mehr für Kinder, als ihr klar ist. Bisher werden die entsprechenden Wirkungen aber zu wenig analysiert und erfasst, etwa in den Vorhaben und Bereichen, die Kinder nicht als direkte Zielgruppe nennen. Das BMZ sollte daher ein Monitoring- System aufbauen, das die regelmäßige, systematische und einheitliche Überprüfung der Umsetzung kinderrechtlicher Vorgaben in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit ermöglicht. Dies ist ein grundlegender Bestandteil des Menschenrechtsansatzes.
Wichtig ist es, kinderrechtliche Risiken zu kennen und zu vermeiden und die Auswirkungen von Vorhaben auf Kinder systematisch zu analysieren und zu berücksichtigen. Das muss auch für Vorhaben mit der Privatwirtschaft gelten. Bisher erwähnt etwa der Endbericht des Aktionsplans „Agents of Change“ das Textilbündnis, gibt allerdings nicht an, welche konkreten Ergebnisse dabei für Kinder erzielt wurden. Kinderrechtliche Dimensionen müssen systematisch in Evaluierungen integriert werden, zudem sind vorhabenübergreifende Evaluierungen zur Wirkung von Vorhaben auf Kinder notwendig. Ob mittels einer Kennung oder auf anderem Wege: Das BMZ sollte genau wissen und systematisch erheben, wie viele Mittel Kindern und Jugendlichen auf welche Weise zugutekommen.
Die deutsche Entwicklungspolitik nimmt Kinder und ihre Anliegen heute ernster als jemals zuvor. So hat der Aktionsplan „Agents of Change“ Kinder und Kinderrechte sichtbarer gemacht, gute Beispiele und Pilotvorhaben ermöglicht und notwendige nächste Schritte aufgezeigt. Auch hat das BMZ als erstes deutsches Ministerium einen Jugendbeirat etabliert. Eine Strategie für die Förderung von Kindern und Jugendlichen – der größten Bevölkerungsgruppe in den Partnerländern – existiert allerdings noch nicht. Grundlagen wie eine systematische Kindesschutz-Policy oder die stringente und vorhabenübergreifende Auswertung von Wirkungen auf Kinder fehlen bisher. Manche Wirkung wird gewünscht und behauptet, ist aber kaum belegt. Besonders solche Teile der Entwicklungszusammenarbeit, die bisher nicht als relevant für Kinder verstanden werden, müssen die Relevanz und das Potenzial der Einbeziehung kinderrechtlicher Aspekte verstehen und umsetzen, etwa in der Umwelt- und Wirtschaftspolitik.
Weiterlesen:
Fußnoten
30 UNICEF (2022). Child Poverty. In: https://www.unicef.org/social-policy/child-poverty#:~:text=Since%202014%2C%20UNICEF%20has%20played%20an%
20instrumental%20role,poverty%20and%20accelerating%20global%20efforts%
20to%20tackle%20it (letzter Zugriff: 09.03.2022).
31 ILO (2020). COVID-19 and child labour: A time of crisis, a time to act. In: https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/@ed_norm/@ipec/documents/publication/
wcms_747421.pdf (letzter Zugriff: 09.03.2022).
32 Human Rights Watch (2021). “I Must Work to Eat”. Covid-19, Poverty, and Child Labor in Ghana, Nepal, and Uganda. In: https://www.hrw.org/sites/default/files/media_2021/05/crd_childlabor0521_web.pdf (letzter Zugriff: 13.05.2022).
33 Terre des Hommes International Federation (2022). Child Labour Report 2022. Building Back Better after COVID-19 – together with children as protagonists. In: https://www.terredeshommes.org/wp-content/uploads/2022/05/TDHIF_Child-Labour-Report_2022.pdf (letzter Zugriff: 13.05.2022).
34 UN (2021). Report of the Special Representative of the Secretary-General for Children and Armed Conflict, Human Rights Council. In: https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/76/231&Lang=E&Area=UNDOC (letzter Zugriff: 13.05.2022).
35 UNO-Flüchtlingshilfe Deutschland (2022). Flüchtlingszahlen. In: https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluechtlingszahlen?donation_custom_field_1628=W11184&msclkid=1851fec179a61f1384d19cf37fda 7405&utm_source=bing&utm_medium=cpc&utm_campaign=Paid%20%20 Brand%20%2B%20Fl%C3%BCchtlingshilfe&utm_term=unhcr%20fl%C3%BCchtlinge %20weltweit&utm_content=UNHCR%20%2B%20Fl%C3%BCchtlingslager (letzter Zugriff: 13.05.2022).
36 IPCC (2022). Climate Change: Impacts, Adaptation, Vulnerability.
37 The Lancet Commissions (2017). The Lancet Commission on Pollution and Health. In: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(17)32345-0 (letzter Zugriff: 13.05.2022).
38 BMZ (2021). Endbericht. Agents of Change. Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. In: https://www.bmz.de/de/aktuelles/publikationen/publikationen-reihen/85300-85300 (letzter Zugriff: 13.05.2022).
39 Child Protection AoR (2016). Child Protection in Emergencies. Coordination Handbook. In: https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/
files/documents/files/child_protection_coordination_handbook.pdf (letzter Zugriff: 13.05.2022).
40 BMAS (2021). “Fighting human trafficking and forced labour – What does Germany need to get done by 2030?” State Secretary Björn Böhning speaks with the participants. In: https://www.bmas.de/EN/Services/Press/recent-publications/2021/what-does-germany-need-to-get-done-by-2030.html (letzter Zugriff: 13.05.2022).
41 Für Organisationen und Institutionen: www.keepingchildrensafe.global; für die humanitäre Hilfe: https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info
/files/documents/files/child_protection_coordination_handbook.pdf
42 UN (2015). Paris Agreement. In: https://unfccc.int/sites/default/files/english_paris_agreement.pdf (letzter Zugriff: 13.05.2022).
43 UNICEF (2021). Making climate policies for and with children and young people. In: https://www.unicef.org/media/109701/file/Making-Climate-Policies-for-and-with-Children-and-Young-People.pdf (letzter Zugriff: 13.05.2022).
44 Auswärtiges Amt/ BMZ (2021). LSBTI Inklusionskonzept. LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung für die Auswärtige Politik und die Entwicklungszusammenarbeit.
In: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2444682/1f19e-1ba21d80879c81f77baa6824062/210226-inklusionskonzept-pdf-data.pdf (letzter Zugriff: 13.05.2022).
45 UNESCO (2021). Education: From disruption to recovery. In: https://en.unesco.org/covid19/educationresponse. (letzter Zugriff: 09.09.2021).
46 World Bank Group (2020). The Economic and Social Impact of COVID-19. (letzter Zugriff: 09.09.2021).