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Entwicklungspolitische Empfehlungen an die Bundesregierung
Die Welthungerhilfe und terre des hommes formulieren entwicklungspolitische Empfehlungen an die deutsche Bundesregierung.
Dieser Artikel ist Teil des Berichts Kompass 2023, der von der Welthungerhilfe und terre des hommes herausgegeben wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Entwicklungsfinanzierung verlässlich gestalten
Die multiplen globalen Krisen haben in den Ländern des globalen Südens die Lücke zwischen vorhandenen Ressourcen und Bedarfen noch einmal vergrößert. Gerade deshalb darf die Bundesregierung in ihrem Engagement für die Umsetzung der Agenda 2030 nicht nachlassen. Die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) darf nicht unter das Niveau von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) fallen. Dabei muss sich die Bundesregierung insbesondere in Ländern engagieren, die von Hunger und Armut besonders betroffen sind.
Bereitstellung von ODA-Mitteln
Die Bereitstellung von ODA-Mitteln in Höhe von 0,2 Prozent des BNE an die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) ist eine Voraussetzung, um diese in die Lage zu versetzen, den Teufelskreis aus Armut, Vulnerabilität und Instabilität zu durchbrechen. In der Abschlusserklärung des diesjährigen G7-Gipfels in Hiroshima werden für dieses Jahr 19 Milliarden Euro zur Bewältigung humanitärer Krisen inklusive der akuten Ernährungskrise zugesagt; als Teil der G7-Staatengemeinschaft sollte sich Deutschland dafür einsetzen, dass konkrete Finanzierungszusagen auch für die langfristige Ernährungssicherung geleistet werden.
2. Menschenrechtliche Prinzipien in der Entwicklungspolitik stärken
Die Umsetzung des Menschenrechtsansatzes muss in der Entwicklungszusammenarbeit einen höheren Stellenwert erhalten. Mit seinem derzeit in Arbeit befindlichen Leistungsprofil zum Qualitätsmerkmal Menschenrechte sollte das BMZ sicherstellen, dass die Zahl menschenrechtsspezifischer Vorhaben steigt und menschenrechtliche Standards und Prinzipien künftig als Querschnittsthema in der Planung und Umsetzung von Entwicklungsprogrammen durchgängig berücksichtigt werden.
Rechte von Kindern und Jugendlichen schützen
Die Rechte von Kindern und Jugendlichen – die in den meisten Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit die Mehrheit der Bevölkerung stellen – sollten im Leistungsprofil verankert werden. Auch sollte das BMZ eine Kindesschutz-Policy für sich und alle Durchführungsorganisationen einführen.
3. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fördern, Zivilgesellschaft stärken
Die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die Entwicklungspolitik erfordert ressortübergreifende Kohärenz. Dies gilt insbesondere für Länder, in denen sich Zielkonflikte ergeben könnten, weil sie beispielsweise sowohl Entwicklungs- als auch wichtige Wirtschaftspartner sind. Auf internationaler Ebene sollte sich die Bundesregierung für gute Regierungsführung einsetzen und diese auch in schwierigen Kontexten mit den Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit stärken. Besonderes Augenmerk sollte dabei der Stärkung der Zivilgesellschaft gelten und hier gerade auch Kindern und Jugendlichen und ihren Organisationen. Es muss die Politik verändert und die Zivilgesellschaft gestärkt werden.
4. Klimaresilienz insbesondere der Ärmsten unterstützen
Der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlagen von Menschen weltweit. Gefährdet sind vor allem diejenigen, die ohnehin von Hunger und Armut betroffen sind. Die Bundesregierung sollte ihren Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung bis 2025 auf mindestens acht Milliarden Euro jährlich aufstocken. Bei der Mittelvergabe sollten die Ernährungssicherung und die verbesserte Klimaresilienz der armen Bevölkerung in den ländlichen Räumen des globalen Südens im Fokus stehen.
Zudem muss sichergestellt werden, dass die Interessen der benachteiligten und vulnerablen Bevölkerungsgruppen bei der Planung und Umsetzung von Klimaschutz- und -anpassungsmaßnahmen (etwa durch zivilgesellschaftliche Organisationen) angemessen berücksichtigt werden.
5. Ernährungssicherheit in globalen Lieferketten stärken
Ernährungssicherheit ist eine Grundvoraussetzung für den Aufbau nachhaltiger Lieferketten gerade im Agrarsektor. Die Bundesregierung sollte sich weiterhin für die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten durch Unternehmen in globalen Wertschöpfungsketten auf EU- und UN-Ebene einsetzen und sich für eine Aufnahme des Menschenrechts auf angemessene Nahrung in entsprechende Richtlinien stark machen. Parallel dazu sollte das BMZ Unternehmen des globalen Südens und hier vor allem kleinere Agrarbetriebe dabei unterstützen, den Anforderungen an die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten gerecht werden zu können. Hierfür ist ein umfassendes Beratungs- und Unterstützungsangebot vonnöten, das auch die Ernährungssicherheit berücksichtigt.
6. Ländliche Räume Afrikas fördern, Zivilgesellschaft auf Augenhöhe einbinden
Die Landwirtschaft und die ländlichen Räume sind für die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas und die Ernährungssicherung auf dem Kontinent von entscheidender Bedeutung. Um ihre Funktion als „Motor der Entwicklung” wahrnehmen zu können, müssen sie besonders gefördert werden. Die Afrika-Strategie des BMZ hätte mit mehr Partizipation Afrikas entwickelt werden können. Nun bei der Umsetzung sollte das BMZ die Zivilgesellschaft als wichtige Entwicklungsakteurin auf Augenhöhe einbinden. Dies gilt insbesondere für die zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Partnerländern selbst.
7. Soziale Sicherungssysteme zügig ausbauen
Soziale Sicherungssysteme sind unabdingbar, um es Menschen zu ermöglichen, der Armutsfalle zu entkommen. Sie müssen daher sowohl flexibel auf akute Notlagen reagieren als auch systematisch auf chronische Armut fokussieren und langfristig ausgebaut werden. Hierbei sollte die Bundesregierung insbesondere darauf achten, dass Menschen im informellen Sektor und in der Landwirtschaft – und vor allem auch Frauen und Kinder – in die Systeme einbezogen werden. Deutschland sollte seinem Beitrag zum G7-Ziel, bis 2025 eine Milliarde mehr Menschen in soziale Sicherungssysteme einzubinden, durch ein adäquates Gesamtkonzept nachkommen.
8. Feministische Entwicklungspolitik entschieden und kontextsensibel umsetzen
Mit seinem Konzept zur feministischen Entwicklungspolitik hat das BMZ ein starkes Signal gesetzt. Um dem transformativen Anspruch des Konzepts gerecht werden zu können, reicht allerdings das Erreichen einer bestimmen Gender-Marker- Quote – vom BMZ angestrebt sind 93 Prozent – nicht aus. Die Umsetzung des Konzepts birgt Konfliktpotenzial, vor allem in Ländern, in denen die Rechte von Frauen, Mädchen und LSBTIQ+-Personen kulturell oder politisch bedingt nicht anerkannt oder aktiv unterdrückt werden. Umso wichtiger ist es, die konkrete Ausgestaltung im jeweiligen Umfeld kontextspezifisch, risikosensibel und gemeinsam mit lokalen Partner*innen aus Politik und Zivilgesellschaft zu gestalten.