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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 12/2019
  • Alexander Wezel

Agrarökologie: Zusammenspiel von Vielfalt der Natur

Wie sehen agrarökologische Methoden in der Praxis aus und warum brauchen sie Unterstützung der Politik?

Ein Mann bei der Bewässerung in Honduras.
In Honduras liegen 78 Prozent des Agrarlands auf Hügeln, wo die Bewässerung ein anhaltendes Problem ist. Das agrarökologische Anbausystem Quesungual Agroforestry System hat die Situation verbessert. © FAO / Orlando Sierra

Die Debatte über die bestmöglich geeigneten landwirtschaftlichen Praktiken für das Ziel einer größeren und zugleich nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion ist kontrovers. Optionen erstrecken sich von hoch technologisierten zu ökologisch-basierten Praktiken.

Auf der einen Seite sind dies die Präzisionslandwirtschaft, die satellitengestützte Anwendungen für eine optimierte Dünger- oder Pestizidausbringung einsetzt, sowie die Verwendung von genetisch veränderten Organismen im Pflanzenbau. Auf der anderen Seite stehen Praktiken wie die biologische Schädlingsbekämpfung. Diese entlässt entweder Nützlinge ins Freiland oder integriert unterschiedliche Landschaftselemente wie Hecken und Wiesenstreifen in die Agrarlandschaften. So können wichtige Lebensräume für Nützlinge bereitgestellt werden. Ziel ist es, den Einsatz von Pestiziden zu verringern.

Aufmerksames Zusammenspiel von Vielfalt

Zu weiteren ökologisch-basierten, oder auch „agrarökologisch“ genannten Praktiken gehören verminderte Bodenbearbeitung, Direktsaat, Mischsorten- und Mischkulturanbau, Leguminosen-Untersaat und diversifizierte Kulturfolgen, um nur einige zu nennen. Sie fördern zum einen die Aktivität von Bodenorganismen und erhöhen die Bodenfruchtbarkeit, zum anderen bringen sie auch eine Diversifizierung des Agrarsystems mit sich.

Agrarökologische Praktiken existieren weltweit und werden in unterschiedlichem Maß in verschiedenen Regionen und klimatischen Bedingungen angewandt. Ihre Anwendung bedeutet aber oft auch für Landwirte, dass sie komplexere Systeme handhaben müssen. Damit gehen sie ökonomische und technische Risiken ein. Denn jährliche Erträge einzelner Anbaukulturen variieren zum Teil stärker, und Techniken wie Mischkulturen mit Leguminosen für die Fixierung von Stickstoff und die Unterdrückung von Unkraut können wegen der natürlichen Interaktionen weniger kontrolliert werden als mit einem simpleren chemischen Dünger- und Pestizideinsatz.

Maschine bei der Feldarbeit.
Höhere Bodenfruchtbarkeit: Die Direktsaat in lebende Bodendeckerpflanzen erhöht die organische Substanz im Boden und unterdrückt Unkräuter © A. Wezel

Stützen für den Übergang

Hier kommt die Politik ins Spiel. Auch wenn es schon eine große Zahl an Landwirten weltweit gibt, die erfolgreich agrarökologische Praktiken ein- und umsetzen, wird für viele von ihnen der Einsatz von oder der Übergang zu diesen Praktiken nur unter dafür geschaffenen (agrar-)politischen Rahmenbedingungen möglich sein.

Für die Transformation sind fünf Phasen identifiziert. Die ersten drei setzen auf dem Niveau von Agrarökosystemen an und beinhalten 1) verbesserte Effizienz bei der Nutzung von Input, 2) konventionelle Inputs und Praktiken durch agrarökologische Alternativen ersetzen, und 3) landwirtschaftliche Ökosysteme auf der Basis eines neuen Sets von ökologischen Prozessen umgestalten. Die folgenden Phasen 4) und 5) betreffen die Nahrungssysteme: Sie stellen eine direktere Verbindung zwischen Produzenten und Konsumenten her und bauen ein neues globales Ernährungssystem auf, das auf Teilhabe, örtlicher Nähe, Fairness und Gerechtigkeit beruht.

Agrarökologisches Projekt für Frankreich

Politisch geht Frankreich innovativ voran: Im Dezember 2012 hat der damalige Agrarminister Stephane le Foll das “Agrarökologische Projekt für Frankreich“ für alle Arten der Landwirtschaft auf den Weg gebracht. Es sieht vor, in den Bereichen Beratung und Unterstützung der Landwirte, Forschung, Hochschullehre und schulische Ausbildung in den landwirtschaftlichen Gymnasien eine Entwicklung zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft, basierend auf agrarökologischen Anbaumethoden und Ansätzen, einzuleiten.

Auch wenn diese Politik nicht unmittelbar auf breite Unterstützung einiger Bauernverbände und Landwirtschaftskammern stieß, so sind seitdem doch wichtige Entwicklungen und ein Paradigmenwechsel zu verzeichnen. Eine wichtige positive Folge davon ist zum Beispiel, dass viele betroffene Akteure in die Umsetzung dieser Politik eingebunden werden.

Als historisch darf auch gelten, dass der bis Sommer amtierende Generaldirektor der Welternährungsorganisation (FAO), José Graziano da Silva, 2014 während der ersten FAO-Konferenz zur Agrarökologie und Ernährungssicherheit zum ersten Mal in der Geschichte der UN-Organisation die Agrarökologie als alternativen Ansatz zum bisher noch vorherrschenden klassischen Ansatz der Produktionssteigerung anerkannte.

Bei der Folgekonferenz im April 2018 wurde sie vom Generaldirektor sogar als wichtiger Pfeiler für die zukünftige Entwicklung von nachhaltiger Landwirtschaft und Ernährungssystemen herausgestellt – mit der Forderung, die notwendigen Politikmaßnahmen dafür zu entwickeln und umzusetzen.

Der Unterschied: biologische Landwirtschaft und Agrarökologie

Die biologische Landwirtschaft ist ein Produktionssystem mit einer Zertifizierung. Es beruht auf einem Anbaumanagement, das den Einsatz von synthetischem chemischen Dünger und Pestiziden verbietet, wie auch von Antibiotika in der Tierproduktion. Dies gilt bis auf wenige spezielle Ausnahmen. Der Hauptunterschied zur Agrarökologie ist, dass es dort keine Zertifizierung gibt. Deshalb gibt es kein generelles Verbot von chemischem Produktionsmitteln, auch wenn der gegenwärtige Kernansatz darin besteht, diese extrem zu reduzieren oder auch komplett wegzulassen. Dies wird jedoch von verschiedenen Akteuren unterschiedlich diskutiert und favorisiert. Ebenso steht im Raum, ob es nicht in Zukunft eine Art Label für agrarökologische Produktion geben sollte.

Profilbild von Alexander Wezel, Direktor für Forschung bei Isara, Hochschule für Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion, in Lyon.
Alexander Wezel Isara, Hochschule für Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion, Lyon

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