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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 10/2019
  • Fabio Leippert , Stefanie Pondini
Schwerpunkt

Beacons of Hope: Leuchtturmprojekte für die Zukunft unserer Ernährung

Wandel findet statt. Eine Auswahl aus Musterprojekten agrarökologischer Umstellung, deren Analyse Gemeinsamkeiten und Erfolgsfaktoren zeigt

Malti Devi Gope (23) zerkleinert Reis in einem traditionellen Mahlstein in Huludbani, Jharkhand (Indien).
Eine Frau in Indien beim Zerkleinern von Reis in einem traditionellen Mahlstein. Der Reis wird in ein Loch platziert und nach dem Zerstampfen als Mehl eingesammelt. © Rommel / Welthungerhilfe

Der Weltklimarat IPCC hat in seiner jüngsten Publikation eindrücklich aufgezeigt, wie dringend eine Umstellung auf nachhaltige Nahrungssysteme ist. Doch wie ist eine solche Transformation in der Praxis umsetzbar? Die Publikation „Beacons of Hope“ zeigt es auf – anhand von 21 Leuchtturmprojekten aus aller Welt.

In Zusammenarbeit mit der „Global Alliance for the Future of Food“, einem globalen Netzwerk von Stiftungen, die sich für nachhaltige Ernährungssysteme engagieren, hat Biovision 21 Leuchtturmprojekte identifiziert und analysiert. Sie wurden sie aus 130 Initiativen aus aller Welt ausgewählt, die von renommierten Expertinnen und Experten als Musterinitiativen nominiert wurden. Zur Analyse standen die Ansätze der Projekte, die Gemeinsamkeiten und die spezifischen Erfolgsfaktoren.

Der jüngste Sonderbericht des Weltklimarats IPCC zu Landnutzung und Klimawandel zeigte auf, dass die Pariser Klimaziele ohne eine Veränderung der Bodennutzung und der landwirtschaftlichen Ernährungsproduktion nicht zu erreichen sind. Die Beispiele von „Beacons of Hope“ zeigen auf, dass und wie diese Transformation umsetzbar ist.

Transformation ist umsetzbar

Das Projekt soll den Austausch und die Verbindung zwischen den Initiativen stärken, das Verständnis über Transformationsprozesse verbessern und die Erkenntnisse in den globalen Dialog über den systemischen Wandel einbringen. Diese „Beacons of Hope“ stellen Beispiele von inspirierenden, kreativen und notwendigen Lösungen für dringende globale Herausforderungen wie Klimakrise, Migration, Biodiversitätsverlust und gesündere Ernährung dar. Drei der Musterinitiativen seien hier vorgestellt:

  1. Staatlich geförderte Ökologie in Indien
  2. Vom Wilderer zum Ökobauern in Sambia
  3. Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell in den Niederlanden

Verzicht auf zugekaufte Düngemittel und Pestizide

Zero Budget Natural Farming (ZBNF) ist ein staatliches Landwirtschaftsprogramm im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh und zugleich eine Strategie, die Bäuerinnen und Bauern bei der Anwendung agrarökologischer Praktiken unterstützt und damit einen Weg aufzeigt, wie sie auf jegliche extern zugekaufter Produkte, insbesondere künstliche Düngemittel und Pestizide, verzichten können. Dazu geben Bäuerinnen und Bauern ihr Wissen an andere Bäuerinnen und Bauern weiter. Heute sind bereits eine Million Bäuerinnen und Bauern in der ZBNF-Methode ausgebildet worden – bis 2024 sollen es sechs Millionen werden.

Fünf indische Bäuerinnen auf einem Feld.
Das Programm Zero Budget Natural Farming (ZBNF) ist ein staatliches Landwirtschaftsprogramm im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh und zugleich eine Strategie, die Bäuerinnen und Bauern bei der Anwendung agrarökologischer Praktiken unterstützt © Biovision

Neben dem „Farmer to Farmer“-Ansatz stehen kurze Tutorials und Filme sowie moderne Kommunikationsformen wie Whatsapp-Gruppen im Mittelpunkt der Wissensvermittlung. Durch die Anwendung von ZBNF können Landwirtinnen und Landwirte ihre Erträge steigern und ihre Widerstandsfähigkeit – insbesondere gegenüber dem Klimawandel – verbessern. Die agrarökologischen Praktiken des ZBNF beinhalten unter anderem: intensives Mulchen, umfassende Mischkulturen, regelmäßige Fruchtwechsel, Integration von Nutzpflanzen, Bäumen und Nutztieren sowie die Verwendung von lokalem Saatgut. 

Entscheidend für die Umsetzung vor Ort und die Verbreitung des Ansatzes sind die sogenannten „Modell-Bauern“ sowie die raschen Einkommenssteigerungen für die Landwirte. Eine aktuelle Befragung einer Gruppe von 97 Landwirten In Karnataka ergab, dass 78 Prozent ihren Ertrag gesteigert, 85 Prozent ihr Einkommen verbessert und 91 Prozent bessere Qualität geerntet haben, jeweils neun von zehn brauchten weniger Kredite und Produktionskosten.

Unverzichtbar ist hier auch die Zusammenarbeit von Akteuren auf verschiedenen Ebenen: 1.) Die Regierung und das Landwirtschaftsministerium von Andhra Pradesh. 2.) Die Landwirtschaftsuniversität. 3.) Die Landwirte. Und 4.) Organisationen der Zivilgesellschaft.

Den tragenden Pfeiler des ZBNF aber bildet die Wissensvermittlung zwischen den Bäuerinnen und Bauern. Hierbei und bei der Verwaltung der Gemeinschaftsgelder spielen Selbsthilfegruppen von Frauen eine wichtige Rolle. Auf die Rückmeldungen und Bedürfnisse aller Beteiligten einzugehen, wird deshalb für die zukünftige Verbreitung des Ansatzes zentral sein.

Kleinbäuerinnen und -bauern in blauer Arbeitskleidung sortieren Bohnen in Sambia.
In Sambia schult die Non-Profit-Organisation "Community Markets for Conservation" (COMACO) einkommensschwache Kleinbauern und Kleinbäuerinnen. © Biovision

Vom Wilderer zum Farmer

Community Markets for Conservation (COMACO) ist eine in Sambia tätige Non-Profit-Organisation, die zum Ziel hat, Wilderer zu Bauern umzuschulen. Die Teilnehmenden des Programms verpflichten sich, keine Wildtiere (vor allem Elefanten) zu töten und stattdessen Landwirtschaft nach agrarökologischen Prinzipen zu betreiben. COMACO wurde 2009 gegründet und verfolgt zwei Strategien: 1.) Ausbildung von 167 400 einkommensschwachen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie 67 Bauerngenossenschaften in agrarökologischen Methoden. 2.) Ankauf der weiterverarbeiteten Produkte der Bäuerinnen und Bauern. COMACO produziert umweltfreundliche Produkte (unter dem Markennamen "It's Wild!") von Reis bis zur Erdnussbutter, die ohne Pestizide und Düngemittel auskommen.

Durch die Wissensvermittlung sowie die Schaffung von Marktanreizen möchte COMACO dazu beitragen, dass Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu ihrem Land und ihren Ressourcen besser Sorge tragen, dass sie es ökologischer bewirtschaften und dadurch besser schützen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor, die Wilderer zum Umstieg zu bewegen, ist die Verpflichtung von COMACO, höhere Preise für die Ernten zu zahlen. Die Produkte werden als hochwertige Bioprodukte mit der Marke "It's Wild" und der Geschichte dahinter in Sambia vermarktet und erzielen einen Aufpreis. Ein weiteres wichtiges Element der Initiative liegt in der agrarökologischen Aus- und Weiterbildung der Menschen in der Annahme, dass sich dies nicht nur positiv auf den Landbau und den Naturschutz auswirkt, sondern sich auch in einem allgemeinen Umdenken in der Gesellschaft niederschlägt.

Ein Mann trägt eine Kiste mit Tomaten.
Das niederländisches Unternehmen EOSTA produziert und importiert biologisches und fair gehandeltes Obst und Gemüse und bietet eine vollständige Rückverfolgbarkeit der Produkte. © Biovision

Produkte reflektieren ökologische und soziale Kosten

EOSTA ist ein niederländisches Unternehmen, welches biologisches und fair gehandeltes Obst und Gemüse produziert und importiert. Es bietet eine vollständige Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte und fördert eine Vollkostenrechnung, also den Einbezug von ökologischen und sozialen Kosten, um einen nachhaltigen Markt zwischen Produzentinnen und Konsumenten aufzubauen. EOSTA baut auf das zunehmende gesellschaftliche Interesse für Nachhaltigkeit in der Gesellschaft: Immer mehr Menschen erkennen, dass in unserem Konsumverhalten ein „weiter so“ nicht mehr möglich ist.

Darüber hinaus entwickeln Verbraucher zunehmend ein Bewusstsein für die gesundheitlichen Auswirkungen einer Ernährung, die sich auf industrielle Landwirtschaft stützt. Somit stellt EOSTA das klassische Marketing, die gegenwärtige Nahrungsmittelproduktion sowie die Gesundheitsvorschriften und das Konsumverhalten in Frage und setzt sich in seinem Kerngeschäft, aber auch politisch für ein umfassenderes Nachhaltigkeitsverständnis in der Lebensmittelproduktion und der Ökonomie ein. EOSTA strebt eine Steigerung der Nachhaltigkeit durch den «4M-Ansatz» an: 1.) Monitor – Rückverfolgbarkeit seiner Produkte bis zur Bäuerin und zum Bauern. 2.) Manage – Beratungsleistung für die Produzenten. 3.) Monetarisierung externer Kosten und 4.) Markt-Nachhaltigkeit. Wirtschaftlich scheint das Konzept aufzugehen. 2018 bekamen die Niederländer den European Business Award für Umwelt, mit dem die EU-Kommission Kandidaten auszeichnet, die Innovation, Wettbewerb und Nachaltigkeit kombinieren.

Ein Werkzeugkasten für die Transformation

Das Biovision-Team entwickelte aus der Analyse der 21 Beispiele und einer ausgiebigen Literaturrecherche in Zusammenarbeit mit Transformationsexperten ein interaktives Toolkit. Dieses soll Akteuren aus dem Ernährungsbereich helfen, die Veränderungslogik ihrer Projekte und Initiativen besser zu verstehen und von den Erfahrungen der «Beacons of Hope» zu lernen. Kern des Toolkits ist eine «Transformationsspirale» (siehe Abbildung), welche die verschiedenen Phasen einer Initiative und die jeweiligen Herausforderungen und Chancen beschreibt. Im Toolkit gibt es dazu konkrete Beispiele und praktische Hinweise aus den «Beacons of Hope».

Besondere Aspekte einer solchen Transformation beinhalten:

Die Phasen der Transformationsspirale 

Die Transformationsspirale der "Beacons of Hope"
Die Transformationsspirale der "Beacons of Hope" zeigt aufeinanderfolgende Phasen der Transformation landwirtschaftlicher Praktiken. © Biovision

Schlüsselelemente und Erkenntnisse der Beacons of Hope

Das Herausdestillieren der Essenz der 21 «Beacons of Hope» führte zu folgenden zentralen Erkenntnissen: Bei 15 dieser Leuchtturmprojekte steht Agrarökologie im Zentrum der Intervention, um Nahrungssysteme ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltiger zu machen.

Bei der Frage nach den wichtigsten globalen Herausforderungen standen Klimawandel, Migration und Urbanisierung im Vordergrund. Den Klimawandel sehen einige allerdings auch als indirekte Chance: Agrarökologie hält Lösungen für die Klimakrise bereit, deshalb besteht die Hoffnung, dass der klimabedingte Handlungsbedarf zu einer verstärkten finanziellen und politischen Unterstützung der Agrarökologie führt. Klar wird: es gibt keine Lösung der Klimakrise ohne eine Transformation unserer Nahrungssysteme.

Als großer Hebel stellte sich die Wirtschaftlichkeit heraus. Sie ist essentiell, um Regierungen, landwirtschaftliche Beratungsdienste und den Privatsektor zu überzeugen und an Bord zu holen. Schlüsselelemente, um die Transformation zu schaffen, sind Zugang zu Wissen, Zusammenarbeit und Wissensaustausch – wie die Beispiele ZBNF und COMACO zeigen, die genau das geschafft haben. Ansätze wie „Farmer to Farmer“, Feldschulen, funktionierende und partizipative Beratungssysteme, integrierte Forschung, Feldbesuche und Austausch unter Entscheidungsträgern des globalen Südens sind wichtige Elemente dafür.

Wandel findet statt

Für die andere große Herausforderung – die grenzüberschreitende Migration und der Umzug in die Städte, angetrieben durch fehlenden Zukunftsperspektiven, Einkommen und Jobs – gilt es, durch attraktivere Landwirtschaftsmodelle wie Agrarökologie Anreize zu setzen. Eine grosse Chance sehen die meisten „Beacons of Hope“ in einem steigenden Gesundheitsbewusstsein der Konsumenten. Der Trend zu gesundem Essen ist nicht nur im globalen Norden ein starker Treiber der Transformation, sondern zunehmend auch in den urbanen Zentren des globalen Südens. Zu guter Letzt ist auch die Schlüsselrolle des Privatsektors zu betonen und die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für nachhaltige Ernährungssysteme.

Eine der Hauptfolgerungen, wenn man die wahren, also auch die ökologischen und sozialen Kosten betrachtet lautet: Gesunde Lebensmittel sind nicht zu teuer – sondern nicht nachhaltig produzierte Nahrung ist zu billig, sie deckt nicht alle verursachten Kosten. Beispiele wie EOSTA zeigen auf, wie privatwirtschaftliche Initiativen Kostenwahrheit anstreben und ihren Konsumentinnen und Konsumenten durch die Einrechnung der ökologischen und sozialen Kosten eine faire Wahl geben können.

Die ausgewählten „Beacons of Hope“ beleuchten Schlüsselelemente des Wandels zu nachhaltigen Ernährungssystemen und zeigen anschaulich, dass Wandel auf der ganzen Welt bereits stattfindet. Landwirte, Konsumentinnen und Konsumenten, Organisationen, Regierungen, Unternehmen, Geldgeber und Investoren erleichtern die Transformation von Nahrungsmittelsystemen in verschiedenen Kontexten und Regionen.

Wir sind inspiriert von ihren individuellen und gemeinsamen Bemühungen und Leistungen, wir wollen ihre Geschichten erzählen, von Ihnen lernen, ihre Ansätze replizieren und so zusammen den Kurswechsel zu einem zukunftsfähigen Ernährungssystem bewältigen.

Fabio Leippert
Fabio Leippert Biovision
Stefanie Pondini schreibt als Autorin für das Fachjournal Welternährung.
Stefanie Pondini Biovision

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