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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 12/2019
  • Tom Arnold

„Ländliches Afrika“: Die Partnerschaft mit Europa braucht Impulse

Der Rahmen für eine engere Zusammenarbeit ist abgesteckt, nun müssen Taten folgen für die Transformation von Afrikas Agrar- und Nahrungsmittelwirtschaft. Eine Analyse von Tom Arnold, Leiter der EU-Task Force „Rural Africa“

Gruppenfoto EU AU Ministerkonferenz, 2019.
Seit dem ersten EU-Afrika-Gipfel in Kairo im Jahr 2000 treffen sich die Staats- und Regierungschefs und die Landwirtschaftsminister regelmäßig. 2018 wurde die Allianz für nachhaltige Investitionen und Arbeitsplätze gegründet. 2017 erging der Auftrag an die EU-Kommission, in einer unabhängigen Task Force Rural Africa (TFRA) Wege zu suchen, wie sich die landwirtschaftliche Wertschöpfung im ländlichen Raum gemeinsam verbessern lassen. © Europäische Union

Am 21. Juni 2019 verabschiedete die Dritte Landwirtschaftsministerkonferenz der Afrikanischen und der Europäischen Union (EU und AU) in Rom eine politische Erklärung, in der sich beide verpflichten, ihre Partnerschaft in den Bereichen Ernährung und Landwirtschaft weiter auszubauen. Herzstück ist eine Aktionsagenda mit neun politischen Initiativen, die von der Lebensmittelsicherheit bis zur digitalen Landwirtschaft reichen.  Die Aktionsagenda beruht auf den Empfehlungen der Task Force „Ländliches Afrika“ (TFRA), die im März 2019 ihren Bericht vorgelegt hatte. 

Was ist der politische Hintergrund der Task Force, welchen Zweck verfolgt sie, was sind die wichtigsten Empfehlungen? Und vor allem: Wie sollen diese umgesetzt wurden. Dieser Artikel widmet sich diesen Fragen und gibt einen Ausblick, wie erzielte Fortschritte afrikanischer und europäischer Minister in den kommenden Jahren ausgebaut werden können.

Den Anstoß zur TFRA gaben der EU-Afrika-Gipfel und die Agrarminister beider Blöcke 2016 und 2017. Für die EU-Kommission trieben Agrarkommissar Phil Hogan und Entwicklungskommissar Neven Mimica sowie für die AU-Kommission die Kommissarin Josefa Sacko die Expertengruppe von jeweils sieben vier Experten beider Kontinente voran. Ihr Auftrag lautete: die EU-Kommission zu beraten, wie sie besser zur nachhaltigen Entwicklung und der Schaffung von Arbeitsplätzen im Nahrungsmittelsektor und der Landwirtschaft im ländlichen Raum Afrikas beitragen kann.

Zu wenige Jobs für die Jugend

Der politische und wirtschaftliche Rahmen wird  dabei bestimmt von zwei drängenden Herausforderungen Afrikas: Bevölkerungswachstum und Beschäftigung.  Die Bevölkerung hat sich in 30 Jahren auf 1,25 Milliarden verdoppelt und wird sich bis 2050 voraussichtlich noch einmal auf 2,5 Milliarden verdoppeln. Rund 800 Millionen Frauen und Männer werden zwischen 2020 und 2050 ins Erwerbsleben eintreten – im Durchschnitt 27 Millionen Arbeitsuchende pro Jahr. Afrika wird so drei Viertel der Zunahme in der globalen Erwerbsbevölkerung in diesen 30 Jahren ausmachen.

Um diese Entwicklung aufzufangen, muss Afrikas Wirtschaft transformiert und ihr Agrar- und Ernährungssektor sowie der ländliche Raum das volle Potenzial entfalten. Der Bericht identifiziert zwei wichtige Querschnittsthemen, die dafür von entscheidender Bedeutung sind: Erstens muss die Regierungsführung in vielen afrikanischen Ländern verbessert und die Zahl der Konflikte verringert werden. Und zweitens muss Afrika umfangreich und anhaltend in die Ernährung, Bildung und Gesundheit der eigenen Bevölkerung investieren ­– mit internationaler Unterstützung.

Wesentliche Empfehlungen der Task Force 

Was ihren zentralen Zweck betrifft, so hat sich die TFRA mit den Fragen auseinandergesetzt, WAS getan werden muss (Strategien und Politiken) und WIE es getan werden sollte (Prozess und Partnerschaft). 

Im Hinblick auf das WAS empfahl sie vier strategische Handlungsstränge für die mittel- bis langfristige Umsetzung, verbunden mit sechs kurz- bis mittelfristigen Initiativen, die auf „rasche Erfolge“ abzielen.

Strategisch sind diese Handlungsfelder:

Kurz- bis mittelfristig sollten angestoßen werden:

Förderung der ländlichen Governance und innovative lokale und gebietsorientierte Aktionsprogramme

Angesichts der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Vielfalt der 54 afrikanischen Staaten müssen alle Optionen an die nationalen Besonderheiten angepasst werden. Auf Politikentwürfe für einzelne Länder hat der Bericht verzichtet: Es liegt bei den afrikanischen Staats- und Regierungschefs selbst, ihr Spektrum an Entwicklungsprioritäten abzustecken und – mit Unterstützung der EU – Entscheidungen zu treffen.

Es liegt bei den afrikanischen Staats- und Regierungschefs selbst, ihr Spektrum an Entwicklungsprioritäten abzustecken und – mit Unterstützung der EU – Entscheidungen zu treffen.

Tom Arnold, Leiter Task Force "Ländliches Afrika"

Die zentrale Empfehlung zum WIE läuft auf eine „innovative Partnerschaft“ für die inklusive und nachhaltige Transformation des Sektors und der ländlichen Wirtschaft hinaus. Alle 48 Länder südlich der Sahara (SSA) haben unter dem bestehenden Cotonou-Abkommen (2000-2020) mehrjährige Partnerschaftsabkommen mit der EU, in denen Entwicklungsprioritäten und Beiträge der EU umrissen sind. Die EU unterstützt den Agrar- und Ernährungssektor in 36 dieser Länder. Außerdem hat Afrika mit dem Comprehensive Africa Agriculture Development Programme (CAADP) einen politischen Rahmen für die landwirtschaftliche Entwicklung vorgegeben.

Jedes Land sollte sich in seiner Agrarpolitik danach richten. Wenn nun Regierungen die Agrar- und Ernährungswirtschaft in ihr Partnerschaftsprogramm mit der EU aufnehmen wollen, soll dafür nach Ansicht der Task Force die politische Führung und Ausgestaltung bei den afrikanischen Partnern liegen. Europa kann mit Erfahrung, Fachwissen und Kapital behilflich sein. Abspielen soll sich die Partnerschaft auf drei Ebenen: von Mensch zu Mensch, von Unternehmen zu Unternehmen und von Regierung zu Regierung. 

Für die EU-Seite stellt der Bericht auch fest, dass für ein stärker abgestimmtes und inklusives gesamteuropäisches Herangehen zur Unterstützung der afrikanischen Partner noch Luft nach oben ist, was die Ebene der Koordinierung zwischen EU-Institutionen und ihren Mitgliedstaaten betrifft.

Reaktionen auf den Bericht der Taskforce

Der Bericht der Task Force stieß auf positive wie kritische Kommentare. In einer öffentlichen Konsultation der EU-Kommission gingen 248 Antworten ein, in der Mehrzahl (198) aus Afrika. Die meisten bewerteten die Empfehlungen als eine kohärente Agenda für die Agrar- und Ernährungswirtschaft und den ländlichen Raum – mit einer ganzheitlichen Sichtweise für eine nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung.

Unterstützt vom europäischen NRO-Verband Concord bezog auch die Zivilgesellschaft Stellung. Sie begrüßte, dass sich die Task Force auf Familienbetriebe, Kleinbauern und Bäuerinnen konzentriert und ihnen Vorrang vor industriellen Agrarmodellen gibt, die durch Mechanisierung und Arbeitsplatzabbau, ausgedehnte Monokulturen und übermäßige Abhängigkeit von Agrochemikalien gekennzeichnet sind. Begrüßt wurde zudem die Betonung von lokalen Wirtschaftsakteuren und Besonderheiten, sowie der „Bottom-up“ und gebietsbezogene Ansatz für die ländliche Entwicklung in Kontrast zu importierten und „Top-down“-Lösungen.   

Eine weitere Kritik richtete sich darauf, dass sich das Narrativ des Berichts, das lokalen Akteuren und Lösungen Vorrang gebe, nicht ausreichend in den Empfehlungen wiederfinde, die importierte europäische Lösungen betonten.

Phil Hogan spricht beim Agrarrat, Luxemburg.
Der bisherige EU-Agrarkommissar und künftige Handelskommissar Phil Hogan findet, Bauern in Afrika sollten sich stärker als Unternehmer verstehen, ihre Produkte müssten wettbewerbsfähiger werden. Die größten Defizite der afrikanischen Landwirtschaft sieht er in veralteten Methoden, zu geringen Investitionen und fehlender Qualifikation. © European Union

Die wichtigste Reaktion aber folgte in Form der politischen Erklärung und der Aktionsagenda, die auf der Agrarministertagung von AU und EU im Juni verabschiedet wurde. Es ist eine außergewöhnliche Leistung, dass wichtige Aussagen des TFRA-Berichts in nur drei Monaten in politische Entscheidungen umgesetzt wurden. Die Grundlage dafür hatten die Kommissare Sacko, Hogan und Mimica in enger Zusammenarbeit ihrer Dienststellen gut vorbereitet. Die Agrar- und Fischereiräte der EU und der Ausschuss für Landwirtschaft und Entwicklung im Europaparlament waren bereits während der Arbeit anhand eines Zwischenberichts und nach dem Abschluss unterrichtet worden.

Wie geht es weiter?

So willkommen der bisherige Fortschritt ist – so entscheidend wird es nun sein, welche Taten folgen und wie darauf aufgebaut wird. Die politischen Beziehungen zwischen Afrika und Europa entwickeln sich, und besondere Programme für den Agrar- und Ernährungssektor und die ländliche Wirtschaft liefern den Rahmen. In der „Agenda für Europa“ fordert die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine umfassende EU-Strategie für Afrika. Sie betont die Chancen des Kontinents und das Potenzial für Zusammenarbeit und Wirtschaftsbeziehungen. Ihre Strategie sollte auf dem beidseitigen Bündnis für nachhaltige Investitionen und Beschäftigung von 2018 aufbauen, das darauf abzielt, in fünf Jahren zehn Millionen Arbeitsplätze zu schaffen.

Anfang 2020 steht der erste Test bevor, wenn die EU über ihren künftigen Haushalt 2021-2027, den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), entscheidet. In ihrem ersten Vorschlag will die Kommission die Mittel für Afrika als Teil des vorgeschlagenen neuen Instruments für Nachbarschaft, Entwicklung und Zusammenarbeit gegenüber 2014-2020 erheblich aufstocken. Vorgeschlagen waren Mittel von 32 Mrd. Euro für Subsahara-Afrika und 7,7 Mrd. Euro für Nordafrika, ergänzt durch Mischfinanzierungen und Garantien für Beteiligungsfonds der öffentlichen und privaten Hand.

Dialog für Agrarstrategien gefragt

Die Task Force ist der Auffassung, dass ihr Bericht und Empfehlungen die Grundlage für das entsprechende Kapitel im Bündnis für nachhaltige Investitionen und Beschäftigung bilden sollten.  Implizit heißt das, dass der Nahrungs- und Agrarsektor und die ländliche Wirtschaft künftig höhere politische Priorität genießen sollte. Und dies auf den drei ineinandergreifenden Ebenen: afrikanischer Nationalstaat, Gesamtpartnerschaft zwischen Afrika und Europa und internationale Zusammenarbeit.

Afrikas Regierungen fällt die entscheidende Rolle zu, ihre länderspezifischen Strategien für die landwirtschaftliche Entwicklung und Transformation aufzustellen. Entlang der TFRA-Empfehlungen müssen sie entscheiden, wie sie ihre heimische Politik anpassen und in die sich wandelnden politischen, entwicklungspolitischen und finanziellen Beziehungen zu EU-Kommission und Mitgliedstaaten einbetten.  Es besteht Spielraum für einen produktiven politischen Dialog zwischen der EU und den afrikanischen Ländern bei der Festlegung künftiger nationaler Agrarstrategien. Diesen Raum, sich über künftige Strategien für das ländliche Afrika produktiv auszutauschen, gilt es nun zwischen EU und afrikanischen Ländern zu nutzen.

Was folgt auf den Meilenstein?

Zwischen AU und EU stellen die Beschlüsse der Ministertagung vom Juni sowohl politisch wie auch institutionell einen wichtigen Meilenstein dar. Aufbauend darauf kann die Zusammenarbeit systematisiert werden und auf bestimmte strategische Prioritäten Afrikas hinarbeiten.  Eine davon ist das Kontinentale Freihandelsabkommen (ACFTA), ein ehrgeiziger Plan, der langfristig Binnengrenzen abbauen will. Er bedingt das ebenfalls langfristige Ziel, eine Freihandelszone zwischen Afrika und Europa zu schaffen. Zu den wesentlichen Bausteinen eines ACFTA werden aber verbesserte Zollverfahren und die Verbreitung von Standards der Lebensmittelsicherheit gehören.  Die EU kann Erfahrungen der eigenen 50-jährigen Integration in die praktische Umsetzung einbringen.

Um die Umsetzung der Empfehlungen der Expertengruppe und der Aktionspläne zu steuern, war im Juni schon von einer hochrangigen Task Force zur Steuerung die Rede. Nun wird erwartet, dass diese Anfang 2020 eingesetzt wird. Ihre Informationen werden helfen zu beurteilen, inwieweit die TFRA-Empfehlungen in den Ländern, in der AU- und EU-Kommission und entlang der drei Beziehungsstränge Menschen, Unternehmen und Regierungen angenommen werden, um die Afrika-EU-Partnerschaft mit Leben zu füllen.

Gerd Müller im Gespräch mit Menschen in der Elfenbeinküste.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller hat durch seine Sonderinitiative "Eine Welt ohne Hunger" international an Glaubwürdigkeit gewonnen. Hier beim Besuch einer Kakaoplantage in Elfenbeinküste. © Ute Grabowsky / photothek /BMZ

Aufgabe für deutsche Ratspräsidentschaft

Eine besonders wichtige Führungsrolle kann aber Deutschland übernehmen: sowohl bei der Vertiefung der Gesamtpartnerschaft mit Afrika als auch dabei, die Mitwirkung Europas bei der Transformation des afrikanischen Agrar- und Nahrungsmittelsektors und der ländlichen Wirtschaft zu organisieren. Mit seiner Politik "Eine Welt ohne Hunger" und dem Fokus auf Afrikas Jugendarbeitslosigkeit seit der G20-Präsidentschaft 2017 hat Deutschland seine Glaubwürdigkeit hierfür gestärkt. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 kann genutzt werden, um Impulse für ein breit angelegtes europäisches Programm zu geben, das – wie im TFRA-Bericht vorgesehen – Menschen mit  Menschen, Unternehmen mit Unternehmen und Regierungen mit Regierungen verbindet.

Schließlich stehen in den nächsten Jahren bedeutende internationale Höhepunkte bevor, die auch auf die afrikanische Agrar-, Ernährungs- und ländliche Agenda ausstrahlen. Zum einen müssen nach fünf Jahren Fortschritte und Defizite auf dem Weg zu den SDG und der Umsetzung des Pariser Klimaabkommen überwacht werden. Zum anderen findet in Tokio Ende 2020 ein wichtiger Nutrition for Growth-Gipfel (N4G) statt. Und im Jahr darauf folgt in Rom ein Gipfeltreffen zum Thema Ernährungssysteme. Bei allen diesen Initiativen sollten Afrika und die EU ähnlich wie bei der erfolgreichen Ministerkonferenz im Juni 2018 zusammenarbeiten, damit die Anliegen des „ländlichen Afrika“ angemessen berücksichtigt werden und vorankommen.

Der TFRA-Bericht birgt die Botschaft, dass Afrika und die EU ein großes Interesse haben, gemeinsam auf stabile und wohlhabende Gesellschaften und Volkswirtschaften hinzuarbeiten. Er hebt auch hervor, dass die ländliche Transformation entscheidend dafür ist, eine ausreichende Zahl nachhaltiger Arbeitsplätze für die schnell wachsende Erwerbsbevölkerung zu schaffen. Nun sind politisches Handeln, entschlossene Gestaltung und Führungsstärke in allen Bereichen gefragt, um der Dimension der Herausforderung gerecht zu werden. 

Tom Arnold Task Force "ländliches Afrika"

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