Wie die FAO gegen die Wüstenheuschrecke kämpft
Ob der Kampf gegen die Plage in Afrika gelingen kann, hängt vom Geld, dem Wetter und der Corona-Krise ab.
Als “äußerst alarmierend” stuft die Welternährungsorganisation (FAO) die Heuschreckenkrise in Ostafrika ein. Betroffen sind vor allem Äthiopien, Kenia und Somalia, aber auch Dschibouti, Eritrea, Südsudan, Sudan, Tansania, Uganda and Jemen. Eine neue Generation von Heuschrecken mit möglicherweise riesigen Schwärmen wird zum Albtraum für Millionen Kleinbauern. Von Äthiopien bis Somalia sind allein in sechs Ländern rund 27 Millionen Menschen von akuter schwerer Ernährungsunsicherheit bedroht, aufgrund von Unwettern, wirtschaftlichen Schocks und kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Vormarsch der gefräßigen Insekten droht die Krise weiter zu verschärfen. Zudem erschwert die Corona-Pandemie den Kampf gegen die Schädlinge. Die FAO ruft dazu auf, deutlich mehr Mittel gegen die Heuschrecken zu mobilisieren. Rund 140 Millionen Euro werden benötigt, nur etwa 108 Millionen Euro sind bislang zugesagt. Deutschland zählt mit rund 20 Millionen Euro zu den größten Gebern.
Im Interview gibt Keith Cressman, der Leiter des FAO-Heuschrecken-Informationsdienstes, Einblick in die Bemühungen, die Plage unter Kontrolle zu bringen.
Ostafrika erlebt die schlimmste Heuschreckenkrise seit 25 Jahren, die Existenz von Millionen von Menschen ist bedroht. Wie optimistisch sind Sie, die Lage unter Kontrolle zu bekommen?
Ich bin Optimist und Realist zugleich. Wenn mehr Hilfe vonseiten der Geber fließt, können die betroffenen Länder die Heuschrecken aus der Luft und am Boden schneller und massiver bekämpfen. Andererseits wird es wohl eine gute Regenzeit geben, was leider günstig für die Schädlinge ist. Unklar ist auch, wie sich die Corona-Krise auf unsere Arbeit auswirken wird. Wir rechnen bis Ende April mit den nächsten Schwärmen, wenn die Bauern neues Getreide anbauen. Wir müssen alles tun, um die Pflanzen zu schützen und eine humanitäre Krise zu verhindern. Ich hoffe sehr, daß es uns gelingt, eine regionale Heuschreckenplage abzuwenden.
Wie viele Hektar Land sind bislang besprüht worden?
Seit Dezember haben wir die Heuschrecken auf rund 472 000 Hektar Land am Boden und aus der Luft bekämpft. Leider waren diese Kampagnen unzureichend. Wir haben nicht verhindern können, dass es neue Schwärme in Kenia, Äthiopien und Somalia geben wird. Aus Nord- und Zentralkenia haben uns in den vergangenen Wochen bereits Meldungen über neue Schwärme erreicht, die den Bauern sehr große Sorgen bereiten. Diese Heuschrecken werden bald neue Eier legen. Deshalb ist es so wichtig, daß wir den Einsatz deutlich verstärken.
Ostafrika sieht sich gleich zwei Krisen ausgesetzt: der Heuschreckenplage und dem Corona-Virus. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?
Reiseverbote, geschlossene Flughäfen und Quarantäne beeinträchtigen unsere Arbeit erheblich. So konnten wir keine weiteren internationalen Heuschrecken- und Logistikexperten in betroffene Länder wie Kenia, Äthiopien, Somalia, Uganda und Südsudan fliegen. Wenn Flugverbote auch auf Frachtflüge ausgeweitet werden, könnte dies die pünktliche Lieferung von Ausrüstungsgegenständen und Pestiziden gefährden. Ausbildungen und Workshops sind Versammlungsverboten zum Opfer gefallen. Wir suchen jetzt nach neuen Wegen, wie wir lokale Kräfte virtuell mit Fernkursen und Videos trainieren und in die Bekämpfung der Heuschrecken einbeziehen können.
Wir müssen alles tun, um die Pflanzen zu schützen und eine humanitäre Krise zu verhindern.
Haben die betroffenen Länder und die Geber sich auf die neue Krise zu wenig vorbereitet? Nach der letzten Heuschreckenplage in Westafrika in den Jahren 2003-2005 hatte die internationale Gemeinschaft zugesagt, alles zu tun, um ein solches Desaster in Zukunft zu verhindern.
Für den massiven Heuschreckenbefall sind vor allem zwei Wirbelstürme im Jahr 2018 verantwortlich. Es regnete zweimal in einem der abgelegensten Gebiete der Erde, dem sogenannten Empty Quarter der Arabischen Halbinsel: dort, wo die Grenzen von Saudi-Arabien, Oman und Jemen zusammentreffen. Das waren ideale Bedingungen für die Wüstenheuschrecken. Innerhalb von neun Monaten wuchsen drei Generationen heran, ihre Zahl stieg um das Achttausendfache. Und das in einem weitgehend unzugänglichen Gebiet, wo es keine Heuschreckenkontrolle gab. Niemand konnte sich auf dieses außergewöhnliche Naturereignis vorbereiten.
Aber es kam ja nicht übernacht...
Wir haben im vergangenen Jahr rund zwei Millionen Hektar Land mit Insektiziden besprüht. Das war aber nicht in allen Gebieten erfolgreich. Im Jemen beispielsweise, wo Bürgerkrieg herrscht, konnten sich die Schwärme ungehindert vermehren. Das Ergebnis: Es kam zu einer Heuschreckeninvasion am Horn von Afrika, zusätzlich begünstigt von einem Wirbelsturm im Dezember 2019. Daraus wurde in Ländern wie Uganda, Tansania und Südsudan die schlimmste Heuschreckenkrise seit den 1950er und 60er Jahren. Ein kleiner Schwarm schaffte es sogar bis in die Demokratische Republik Kongo, wo Heuschrecken zuletzt 1944 gesichtet wurden. In diesen Ländern, die jahrelang keine Heuschrecken gesehen haben, ist es erst recht schwierig, sich auf solche Krisen vorzubereiten.
Wie weit ist der Klimawandel für die Krise mitverantwortlich?
In den vergangenen zehn Jahren haben sich häufiger Wirbelstürme im Indischen Ozean gebildet. Dies hat zu starken Regenfällen im Süden der Arabischen Halbinsel und im nordöstlichen Horn von Afrika geführt. Im vergangenen Jahr, zum Beispiel, gab es acht anstelle von normalerweise nur einem Wirbelsturm. Klimaforscher rechnen damit, dass die Zahl solcher Zyklone dort in Zukunft zunehmen wird und dass es deshalb vermutlich öfter und heftigere Heuschreckenkrisen geben wird.
Wie überwacht die FAO die Heuschrecken?
Die FAO betreibt einen sehr aufwändigen Heuschrecken-Informationsdienst. Wir beobachten ständig die klimatischen Bedingungen in den Brutgebieten und im natürlichen Habitat der Heuschrecken, das sich von Westafrika bis nach Westindien erstreckt. Für unsere Analysen und Frühwarnungen stützen wir uns dabei auf Berichte nationaler Beobachtungs- und Kontroll-Teams sowie auf Satellitenaufnahmen. Wir werden auch zunehmend Dronen einsetzen. Außerdem verfügen wir über historische Daten, die bis zu 85 Jahre zurückgehen.
Und in Kriegsgebieten wie Somalia und dem Jemen, wie arbeiten Sie da? Oder in politisch isolierten Staaten wie Eritrea?
Die FAO hat in diesen Staaten Büros und unterstützt die nationalen Kampagnen gegen Heuschrecken – trotz der anhaltenden Konflikte. Dennoch können Kämpfe und eine insgesamt angespannte Sicherheitslage unsere Tätigkeit sehr einschränken. Wir arbeiten in solchen Fällen oft auch von angrenzenden Gebieten außerhalb der Konfliktzonen, die relativ sicher sind.
Welche Mittel bringen die Länder und die FAO zum Einsatz?
Derzeit sind in der gesamten Region 13 Kleinflugzeuge und Hubschrauber im Einsatz, am Boden haben wir 118 Fahrzeuge und insgesamt 740 lokale Mitarbeiter, hauptsächlich in Kenia, Äthiopien und Somalia.
Das ist eine relativ kleine Armee...
Das stimmt, viele Länder sind oft viel besser ausgerüstet. Nehmen Sie das Beispiel Pakistan, das allein eine Flotte von mehr als 100 Fahrzeugen hat.
Sind Bauern und Nichtregierungsorganisationen (NRO) an den Kampagnen beteiligt?
Oh ja. Lokale Gemeinden und NRO sind wegen ihrer hervorragenden Ortskenntnisse unabdingbar. Sie können rechtzeitig warnen, in welchen Gebieten es Heuschrecken gibt, das hilft uns sehr. Auch unsere Sprühaktionen stimmen wir eng mit den Dorfältesten ab, um Menschen und Tiere zu schützen. NRO arbeiten mit den Bauern zusammen, um über Heuschrecken zu informieren und auf Gefahren aufmerksam zu machen, die mit dem Einsatz von Pestiziden verbunden sind. Diese Aktionen müssen wir weiter ausbauen.
Welche Rolle spielen regionale Heuschrecken-Kommissionen?
Die regionalen FAO-Kommissionen sind sehr wichtig. Sie helfen, nationale Kapazitäten in den betroffenen Staaten aufzubauen, Prävention zu betreiben und in Krisenfällen sofort einzugreifen. Leider sind einige Länder wie beispielsweise Somalia, aber auch Kenia, Uganda, Tansania und Südsudan nicht Mitglieder der regionalen Kommission. In diesen Ländern gab es bislang sehr selten Heuschreckenbefall. Dies wird sich nach der jetzigen Krise aber wohl ändern. Somalia hat inzwischen die Mitgliedschaft beantragt, andere Länder werden sicherlich folgen.
Stimmt es, daß viele betroffene Staaten ihre Mitgliedsbeiträge nicht an die Kommission zur Bekämpfung der Wüstenheuschrecke in Ostafrika überwiesen haben?
Das stimmt. Einige Länder haben enorme Zahlungsrückstände. Das erschwert natürlich die Arbeit der Kommission, die auch ein Frühwarnsystem betreibt und die Staaten in der jetzigen Krise unterstützt. Die Kommission für Ostafrika in Addis Abeba ist weltweit die einzige regionale Einrichtung, die Wüstenheuschrecken aus der Luft bekämpft. Ihre Mittel sind aber äußerst gering, ihre Kleinflugzeuge stammen aus den 1950er Jahren. Das reicht in Krisenzeiten natürlich nicht aus. Die Kommission muß ihre Flotte für die Überwachung und Bekämpfung der Schädlinge modernisieren und erweitern. Außerdem ist eine Neuorganisation erforderlich, um die sehr nützliche Arbeit der Kommission zu verbessern, sie braucht mehr Personal und Material.
Warum werden zur Heuschreckenbekämpfung immer noch Pestizide eingesetzt?
Konventionelle Insektizide wie Organophosphate sind immer noch am wirksamsten um großflächige Heuschreckenschwärme zu bekämpfen. Besonders in Notfällen ist der Druck groß, sofort Erfolge vorzuweisen. Ich möchte aber betonen, daß es sich bei den Pestiziden, die wir einsetzen, um spezielle Formeln mit nur sehr geringen Mengen handelt. Um wirksam zu sein, müssen die Insekten direkt besprüht werden, nicht aber großflächig Getreidefelder, Vegetation und Weideland. Etwa 24 Stunden nach dem Einsatz werden die Mittel unwirksam. Wir setzen nur gut ausgebildete und erfahrene nationale Teams für die die Sprühaktionen ein, die außerdem Schutzanzüge tragen müssen. Bauern nehmen an den Aktionen nicht teil.
Bauern wollen schnelle Erfolge sehen
Wie effektiv sind Biopestizide und warum werden sie nicht vermehrt eingesetzt?
Seit der letzten großen Heuschreckenkrise in Westafrika in den Jahren 2003-2005 sind Biopestizide wirksamer und billiger geworden, außerdem lassen sie sich inzwischen leichter lagern. In diesem Jahr haben die Länder zum ersten Mal Zugang zu Biopestiziden als Alternative zu konventionellen Schädlingsbekämpfungsmitteln. Dabei handelt es sich um den Pilz Metarhizium acridum, der die Heuschrecke tötet. Es empfiehlt sich, Biopestizide besonders in der Nähe von befallenen Wohn- und Wassergebieten, von Weidetieren und Bienenstöcken einzusetzen.
Biopestizide sind sehr wirksam, aber noch nicht in allen Ländern zugelassen. Wir drängen die Länder sehr, die Zulassungen zu beschleunigen. Außerdem gibt es die große Herausforderung, genügend Biopestizide zum rechten Zeitpunkt zu erzeugen. Viele Bauern drängen zudem auf den Einsatz von Pestiziden, sie wollen schnelle Erfolge sehen. Wir müssen deshalb mehr Aufklärungsarbeit leisten und den Menschen zeigen, daß mit Biopestiziden besprühte Heuschrecken zwar noch bis zu zwei Wochen überleben können, sich aber nicht mehr vermehren und ernähren können.
In welchen Ländern setzen Sie Biopestizide großflächig ein?
Wir wollen Biopestizide in großem Maßstab in Somalia einsetzen. Denn dort ist es für uns wegen des Bürgerkriegs schwierig, Pestizide sicher anzuwenden und zu lagern. In Nordsomalia haben wir mit dem Einsatz von Biopestiziden bereits sehr gute Ergebnisse erzielt. Der Vorteil von Biopestiziden ist auch, daß sie dort nicht auf Märkten weiterverkauft werden können, wie das oft bei konventionellen Schädlingsbekämpfungsmitteln der Fall ist.
Werden Sie Biopestizide auch in anderen Ländern anwenden?
Eindeutig ja. Eine Reihe von Ländern sind interessiert, neben konventionellen auch biologische Mittel einzusetzen. Die entsprechenden Registrierungen und Trainingsprogramme laufen. Insgesamt müssen wir noch mehr Überzeugungsarbeit für den Einsatz biologischer Mittel leisten.
Was geschieht mit ungenutzten, obsoleten Pestiziden? Das war in der Vergangenheit ein großes Problem.
Wir vermeiden es, Pestizide in großen Mengen zu bestellen und kaufen stattdessen kleinere Kontingente in kürzeren Abständen, je nachdem, wie groß die Schwärme sind. Wir können außerdem auf vorhandene Bestände in anderen Ländern zurückgreifen.
Jetzt investitieren statt Nahrungsmittelhilfe bezahlen
Was passiert, wenn die FAO nicht alle Mittel erhält, zu denen sie in ihrem Hilfsappell aufgerufen hat?
Sollten die günstigen Wetterbedingungen anhalten, werden sich die Heuschrecken weiter vermehren, und ihre Zahl wird alle drei Monate um das 20-Fache steigen. Es dürfte dann noch teurer und schwieriger werden, sie zu bekämpfen und die Schwärme zu kontrollieren. Dies ist eine riesige Gefahr für die Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlage von Millionen armer Menschen. Immerhin leben 75 Prozent der Menschen, die akut von Ernährungsunsicherheit bedroht sind, in Gebieten, in denen es Heuschrecken gibt.
Stellen Sie sich vor: Wenn am Morgen ein einziger Heuschreckenschwarm das Feld eines Bauern heimsucht, ist mittags alles abgefressen. Dieses Feld ist aber die Existenzgrundlage der Familie. Unsere Botschaft an die internationale Gemeinschaft lautet daher: Es ist billiger, heute in die Heuschreckenbekämpfung zu investieren als morgen für sehr aufwändige und teure Nahrungsmittelhilfe zu bezahlen. Trotz der Corona-Krise haben die Geber aber bislang positiv auf unseren Hilfsappell reagiert.
Wie lassen sich in Zukunft derartige Krisen in Ostafrika vermeiden?
Wir müssen die am meisten betroffenen Länder dabei unterstützen, nationale Kapazitäten zur Heuschreckenbekämpfung aufzubauen oder zu verstärken. Sie müssen schneller und wirksamer auf Invasionen reagieren können. Wir arbeiten beispielsweise mit Äthiopien und Kenia beim Aufbau nationaler Heuschrecken-Kontrollzentren zusammen. Und wir unterstützen sie dabei, eine nachhaltige Strategie zur Bekämpfung der Wüstenheuschrecken zu entwickeln. Diese Strategie sollte auch für andere Wanderschädlinge gelten. Wir helfen aber auch Ländern, in denen das Heuschreckenrisiko geringer ist, wie Dschibuti, Uganda, Südsudan und Tansania. Auch sie müssen sich auf eventuelle Notfälle in der Zukunft vorbereiten. Außerdem sollten Universitäten in der Region dringend eine neue Generation von Heuschrecken-Experten unterschiedlicher Fachrichtungen ausbilden.