Grüner synthetischer Stickstoffdünger – Nachhaltigkeitsbooster oder Irrweg in Afrika?
Die grüne Variante ist klimafreundlich und hätte – wie herkömmlicher Kunstdünger – ihren Platz in der Landwirtschaft, kombiniert mit anderen Nährstoffen und agrarökologischen Maßnahmen. Für Kleinbauern zählt indes der günstige Zugang mehr als der ökologische Mehrwert.

Alle in der Welternährung geäußerten Ansichten sind die der Autor*innen und spiegeln nicht zwangsläufig die Ansichten oder die Positionen der Welternährungsredaktion oder der Welthungerhilfe wider.
Die Rolle der Landwirtschaft für nachhaltige Entwicklung kann kaum hoch genug bewertet werden: Landwirtschaft ist der größte Nutzer von Land/Boden und Wasser, gefährdet die Biodiversität wie kein anderer Sektor und ist einer der größten Emittenten von Treibhausgasen, insbesondere wenn auch Entwaldung für neue Nutzflächen mit einbezogen wird. Sie ist aber auch die Quelle fast aller unserer Nahrungsmittel und die wichtigste Einkommensquelle in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Klimawandel, Degradierung natürlicher Ressourcen und Biodiversitätsverluste gefährden ihrerseits die Landwirtschaft und damit Wirtschaftsentwicklung, Armutsbekämpfung und Ernährungssicherheit.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich und angemessen, dass über die „richtige“ Art der Landwirtschaft und die weiter gefasste Agrarwirtschaft (mit vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen und Ernährungswirtschaft) kontrovers diskutiert wird, zumal Landwirtschaft je nach Weltregion und oft auch auf kleinstem Raum völlig verschieden ausgeprägt ist. Dennoch scheint es in manchen Debatten nur zwei Arten von Landwirtschaft zu geben: Die konventionelle, auch als industriell bezeichnete, und die ökologische oder organische – hier die Zerstörerin, dort die Heilerin.
Eine neue Facette dieser Debatte betrifft die Nutzung von „grünem“ synthetischem Stickstoffdünger in der Pflanzenproduktion. Dies ist keine Marginalie, sondern betrifft den Kern des Agrarsektors, denn Stickstoff ist der wichtigste Pflanzennährstoff und der wohl wichtigste Treiber steigender Ernteerträge in der Landwirtschaft – geschätzt gehen etwa 40 Prozent des Anstiegs der globalen Pflanzenproduktion auf das Konto gesteigerter Stickstoffdüngung. Und ein für die Entwicklungspolitik besonders relevanter Teil der Debatte ist, ob dieser grüne Stickstoffdünger eine sinnvolle, nachhaltige Option für Kleinbauern im Globalen Süden ist, oder ein weiterer Irrweg der industrialisierten Landwirtschaft. Speziell diesem Teil der Debatte soll hier nachgegangen werden.
Wie kommt Stickstoff in die Landwirtschaft?
In der traditionellen und der ökologischen Landwirtschaft stammt Stickstoff hauptsächlich aus der Nutzung von Luftstickstoff-bindenden Pflanzen (Leguminosen, z.B. Bohnen, Erbsen, aber auch etliche Sträucher und Bäume). Diese organischen Dünger werden als Wirtschaftsdünger bezeichnet. Der größte Teil entsteht betriebsintern. In vielen Ländern des Globalen Südens wurde und wird zur Erhaltung bzw. Wiederaufbau der Bodenfruchtbarkeit und der Erträge auch heute noch Wander- oder Brachefeldbau betrieben. Je nach Flächenverfügbarkeit und Regenerationskraft des Bodens kann eine Brache Jahre bis Jahrzehnte bestehen.
In der konventionellen Landwirtschaft stammt der überwiegende Teil des Stickstoffs (sieht man von der intensiven Tierhaltung ab, wo Gülle die Hauptrolle spielt) von sogenannten synthetischen Stickstoffdüngern, die unter Verbrauch erheblicher Mengen an Energie aus Luftstickstoff hergestellt werden. Es wird geschätzt, dass etwa zwei Prozent des globalen Energieverbrauchs für die Düngemittelproduktion aufgewandt werden. Da die Energie dafür bisher meist aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird und dabei große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid freiwerden, ist schon ihre Herstellung ökologisch bedenklich.
Sogenannter „grüner“ synthetischer Stickstoffdünger wird mit erneuerbarer Energie produziert, für deren Herstellung keine bzw. deutlich weniger Treibhausgase entstehen – ausgehend von grünem Wasserstoff, wobei verschiedene Verfahren möglich sind, die teils noch in der Erprobung sind. Wie grüner Wasserstoff ist die Herstellung von grünem synthetischen Stickstoff weitgehend klimaneutral, in Publikationen findet man Angaben von 40bis 90 Prozent Treibhausgaseinsparung, eine Spanne, die häufig offensichtlich der Position der Autoren in der Nachhaltigkeitsdebatte entspricht. Die Erzeugung von grünem synthetischen Stickstoffdünger ist gemessen an der Klimawirkung also deutlich umweltfreundlicher als herkömmlicher Stickstoffdünger. Von der Energiebilanz her ist er also erst einmal eine prima Sache – er kann ein bis zwei Prozent des globalen fossilen Energieverbrauchs und damit der Treibhausgas-Emissionen einsparen.
Treibhausgas-Bilanz ist nicht die ganze Geschichte
Allerdings beschränken sich die generellen Probleme beim Einsatz von synthetischem Stickstoffdünger nicht auf die Produktion. Auch in der Nutzung gibt es eine Reihe von Nachhaltigkeitsbedenken: In zwei Gruppen sind das vielfältige ökologische Negativeffekte auf Boden, Klima, Wasser und Biodiversität; zum anderen sozio-ökonomische Effekte wie mangelnde Ertragswirkung und damit schlechter oder gar negativer Kosten-Nutzen-Bilanz einschließlich Abhängigkeiten.
Es soll hier nicht der Versuch gemacht werden, diese Debatte umfassend zu klären. Allerdings sollen einige Grundsätze beleuchtet werden für die bessere Einordnung von Argumenten, da oft mit groben Vereinfachungen und Vergleichen gearbeitet wird.
Zunächst zu den ökologischen Dimensionen:
Treibhausgase: Ein Teil der Treibhauseffekte beim Einsatz von Stickstoffdünger entsteht nach Ausbringung auf den Acker. Manche Autoren sprechen von bis zu 60 Prozent vom Gesamteffekt. Durch biologische Umwandlungsprozesse im Boden und im Wasser entsteht Distickstoff-Oxid (N20), auch Lachgas genannt, ein äußerst potentes Treibhausgas. Das Problem steigt mit der Höhe der Stickstoffdüngung, insbesondere mit dem Überschuss, den die Pflanzen nicht aufnehmen können. Dies trifft sowohl auf Kunst- als auch auf Wirtschaftsdünger zu. Darüber hinaus hängt die Problematik entscheidend von Temperatur, Bodenart, Bodenleben und nicht zuletzt von der Bodenbewirtschaftung ab – also wann und wie der Stickstoff auf und in den Boden kommt.
Wasserbelastung: Die Hauptbelastung des Wassers ist Nitrat (NO3), das ebenfalls je nach Typ und Ausbringungsmenge von Stickstoffdünger, Standortfaktoren und Bewirtschaftung im Boden entsteht und ins Oberflächen- oder Grundwasser ausgewaschen wird. Es entstehen Gefahren insbesondere für die Überdüngung von Gewässern bis hin zu ihrem ökologischen Kollaps. Diese Belastung ist regional sehr unterschiedlich, aber so gravierend, dass sie als eine der wichtigsten Gefährdungen der planetaren Grenzen eingestuft wird.
Bodenfruchtbarkeit: Häufig wird behauptet, stickstoffhaltiger Kunstdünger wäre per se schädlich für die Bodenfruchtbarkeit. Dies entspricht nicht dem Stand der Forschung. Zwar gibt es durchaus Studien, wonach bei einseitiger Düngung oder bei Verwendung bestimmter Formen von Stickstoffdünger die Bodenfruchtbarkeit bspw. durch Versauerung negativ beeinflusst wird. Eine Metastudie der FAO zur Auswirkung von mineralischen Düngern in Langzeitversuchen auf die organische Substanz im Boden – einem Schlüsselindikator für Bodenfruchtbarkeit – kommt aber zu dem Schluss, dass „neben wenigen Studien, in denen ein Rückgang der organischen Substanz im Boden nach langfristiger Düngung festgestellt wurde, eine unverhältnismäßig große Anzahl empirischer Studien zu dem Schluss kommt, dass die Düngung zu einem Anstieg der Anreicherung der organischen Substanz im Boden führte“.
Was bedeuten diese Fakten nun für die Einschätzung von grünem synthetischem Stickstoffdünger in armen Ländern des globalen Südens, speziell für Subsahara-Afrika (SSA)?
Zunächst muss die Ausgangslage beachtet werden, und dass die Messung des Düngerverbrauches neben Mängeln der Statistik auch viel Interpretationsspielraum lässt. Der durchschnittliche Stickstoff-Düngemittelverbrauch in SSA liegt um die 13 kg Nährstoff pro Hektar und Jahr (zum Vergleich: Nordamerika 73kg, China 170kg), bei Zählung aller Hauptnährstoffe (Phosphat und Kalium) etwa das doppelte (22 kg) und bei Zählung des Gesamtgewichtes der Düngemittel nochmal 50 Prozent mehr. Nur in wenigen afrikanischen Hoch- und Mitteleinkommensländern wie Mauritius und im intensiven Gemüseanbau werden hohe Stickstoffgaben ähnlich wie in Industrie- und Schwellenländern angewandt. Das Flächenland mit dem höchsten Verbrauch ist Sambia (ca. 80 kg pro ha und Jahr Dünger insgesamt), während bspw. in der DR Kongo – so groß wie ganz Europa – nur 2 kg eingesetzt werden. Die Mehrheit der Kleinbauern auf dem Kontinent nutzt fast keinen Mineraldünger.
Die Entwicklung des Düngemittelverbrauchs liegt neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch an der relativen Flächenverfügbarkeit. Während es in früheren traditionellen Landwirtschaftssystemen eine Balance zwischen Anbau und Brache gab, sind diese Systeme wegen rapide steigender Land- und Stadtbevölkerung, höherer Marktproduktion und höherer Viehdichten schon lange nicht mehr im Gleichgewicht. Es kommt zu massivem Entzug von Bodennährstoffen, der nicht wieder ausgeglichen wird (Soil Nutrient Mining). Dieser Nettoentzug akkumuliert sich mit der Zeit und ist das wohl größte Problem für die Pflanzenproduktion und die Bodenfruchtbarkeit – sowie indirekt für die Biodiversität, durch den Zwang zur dauernden Ausweitung der Produktionsflächen in die Wälder und Savannen.
Über ökologische Maßnahmen ohne Düngemittel sind diese Defizite nicht oder nur sehr langsam auszugleichen, wie viele wissenschaftliche Studien belegen: Die Böden haben oft nicht genügend verbleibende Nährstoffe, Leguminosen können für einen ganzen Betrieb kaum genügend Stickstoff produzieren, und die Massen an Wirtschaftsdüngern, die für eine alleinige organische Landwirtschaft benötigt würden, sind meist nicht ausreichend vorhanden.
Erhöhte Stickstoffdüngung angezeigt
Eine Erhöhung der synthetischen Stickstoffdüngung ist in SSA daher in den meisten Fällen angezeigt, um den Rückgang der Bodenfruchtbarkeit und die Stagnation der Erträge zu stoppen und rückgängig zu machen. Sie wird auch in den meisten agrarwissenschaftlichen Studien und wissenschaftlich fundierten nationalen Richtlinien empfohlen, so auch im panafrikanischen Aktionsplan für Dünger und Bodengesundheit vom Mai 2025. Ein ökologisches oder gesundheitliches Problem ist Stickstoffdüngung in SSA wahrscheinlich nur in wenigen Situationen, zumindest in den moderaten Mengen, die in absehbarer Zeit realistisch sind.
Wenn der grüne synthetische Stickstoff daher einen kleineren Treibhausgas-Fußabdruck hat als der konventionelle, ist dies ein Plus und ökologisch zu begrüßen. Allerdings darf Stickstoff nicht einseitig eingesetzt werden, es braucht eine ausgeglichene Zufuhr auch an anderen Pflanzennährstoffen – dann sind langfristige und stabile Produktivitätssteigerungen zu erreichen –, und es braucht ein integriertes Bodenfruchtbarkeitsmanagement, das Nährstoffzufuhr und -entzüge, die organische Substanz sowie die Bodensäure ausbalancieren kann. Zusammen mit anderen Zielen im Pflanzenbau, wie Erosionsbekämpfung, Bodenwasserspeicherung, der Vermeidung und Bekämpfung von Schädlingen und Krankheiten sowie der Unkrautbekämpfung sind vielfältige Fruchtfolgen, Agroforstmaßnahmen und schonende und erosionsreduzierende Bodenbearbeitung wichtige Prinzipien. Letztere sind auch für sich allein genommen ertragssteigernd, insbesondere gegenüber einer Situation ohne Düngung.
Wenn es nur um die ökologischen Effekte ginge, könnte eine Abschätzung der Bedeutung von grünem synthetischem Stickstoffdünger für SSA hier enden – er ist vorteilhaft gegenüber normalem synthetischen Stickstoffdünger, und der ist unter den gegebenen Umständen wenig schädlich. Es gibt allerdings noch die sozial-ökonomische Dimension, die die Abschätzung durchaus verändert. Denn bereits die konventionellen und ökologischen Empfehlungen staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen zur verbesserten Stickstoffversorgung werden nicht oder unzureichend übernommen. Damit kommt man zu Faktoren, die neben der Düngung viele andere Innovationen in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in SSA verhindern, und die wahrscheinlich auch bei der Einführung von grünem synthetischem Stickstoff eine Rolle spielen.
Sozio-ökonomische Dimensionen standortgerechter Stickstoffdüngung
Faktor Komplexität: Die Nutzung von Mineraldünger ist komplex und bedarf häufig eines ganzen Bündels an Voraussetzungen und Maßnahmen, um effektiv zu wirken. Jede Pflanzenart, oft auch verschiedene Sorten, hat unterschiedliche Bedarfe, auch je nach Wachstumsstadium, und reagiert unterschiedlich auf verschiedene Dünger. Außerdem gibt es Böden, die (manche) Dünger nicht gut an die Pflanzen weitergeben, und die zusätzlicher organischer Substanz und evtl. der Kalkung gegen Bodenversauerung bedürfen. Wird nicht die richtige Kombination angewandt, sinkt die Effektivität und damit das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Düngernutzung.
In vielen Ländern stehen Landwirten aber nicht ausreichend differenzierte Kombinationen zur Verfügung, weil nur wenige Dünger zugelassen oder verbreitet sind, oft von staatlicher Seite gelenkt. Zudem sind Düngemittel schwer zu unterscheiden, es gibt viel Betrug und wirkungslose/-schwache Produkte, was auch das Vertrauen der Landwirte in Empfehlungen dämpft. Eine differenzierte Düngung braucht auch gute Informationen zum Bodenzustand und Kenntnisse zur Beurteilung der Situation, was für viele Kleinbauern nicht zutrifft. Oft wirken Düngemaßnahmen nur bei bestimmten, verbesserten Sorten. Diese Kombinationen müssen bekannt sein, die Sorten verfügbar und für die Bauern erschwinglich sein – all dies ist in SSA oft nicht gegeben. Es sei hier aber auch erwähnt, dass die Komplexität in der alternativen Agrarökologie noch wesentlich höher ist.
Faktor Abhängigkeit: Ein häufig generell geäußertes Argument gegen die Nutzung von Kunstdünger ist die resultierende Abhängigkeit. Solche Behauptungen zu Marktabhängigkeiten sind bisweilen ideologisch gefärbt oder zielen sehr einseitig auf bestimmte Produkte und Dienstleistungen (z.B. industrielle Betriebsmittel), während sie z.B. für alternative hochpreisige Vermarktungen heruntergespielt werden. Dennoch ist das Thema Abhängigkeit von Relevanz. Denn wenn etablierte Märkte gestört werden, können Sicherheit und Existenz eines Betriebes und des dazugehörigen Haushaltes in Gerfahr geraten. Die Problematik der Resilienz gegenüber Verwerfungen auf den Weltmärkten ist nach Corona-, Ukraine- und Energiepreiskrise wichtiger geworden – und wird von steigenden geopolitischen Risiken noch erhöht.
Wie trifft dies auf neue grüne synthetische Stickstoffdünger zu?
Die neuen synthetischen Stickstoffdünger reduzieren nicht die Herausforderungen des richtigen Umgangs mit Komplexität der mineralischen Stickstoffdüngung, der Wirkstoff ist derselbe. Hingegen war und ist das Argument der Abhängigkeit der Stickstoffdüngerversorgung von wenigen Produzenten auf der makro-ökonomischen Ebene eines der wesentlichen Motive für die vermehrte Zuwendung zu lokaler Düngerproduktion, sowohl organisch wie konventionell. Das greift auch der panafrikanische Aktionsplan für Dünger und Bodengesundheit auf. Für grüne synthetische Stickstoffdünger würde dabei sprechen, dass in vielen afrikanischen Ländern wie Namibia, Kenia oder Mauretanien die Produktion von grünem Wasserstoff gefördert wird – insbesondere für die Versorgung der Industrieländer mit sauberer Energie.
Die Diversifizierung zu lokalen Nutzungen des grünen Wasserstoffs kann helfen, Risiken neuer Abhängigkeiten der Produktionsländer zu mindern. Sie schafft außerdem lokalen Mehrwert und Arbeitsplätze. Der für lange Distanzen am besten zu verschiffbarem Ammoniak umgewandelte grüne Wasserstoff kann für lokale industrielle Zwecke genutzt werden, wobei die Verarbeitung zu grünem synthetischem Stickstoffdünger mengenmäßig die dominante Nutzung sein dürfte. Die Abhängigkeit wird also eher reduziert.
Auf der mikroökonomischen Ebene des bäuerlichen Betriebes in SSA kann abgeleitet werden, dass in Anbetracht der großen Bedeutung für kurzfristige Erträge und längerfristige Bodenfruchtbarkeit eine große Abhängigkeit von externen Märkten ein hohes Risiko darstellt, zumal die Märkte betrugsgefährdet und politisiert sind. Im Unterschied zu vielen anderen Märkten gibt es aber zumindest bei Stickstoff die betriebsinternen Alternativen in Form von Leguminosen und Wirtschaftsdünger, deren Ausbau sinnvoll, wenn auch nicht einfach ist.
Hohe Kosten und Verschuldungsrisiken sind weitere häufig genannte Argumente gegen grüne synthetische Stickstoffdünger, wie allgemeiner gegen zugekaufte Produktionsmittel. Auf der einzelbetrieblichen Ebene sind hohe Kosten für Dünger ein wichtiges Thema für Landwirte. Der Einsatz von Technologiepaketen einschließlich der Kosten für verbesserte Sorten ist für Kleinbauern selten zu stemmen. Sie müssen naturgemäß auch eher risiko-avers sein – angesichts hoher Unwägbarkeiten in Anbau, Märkten und Politik sowie dem Mangel an Kapital, Versicherungen und Reserven. Wagen Landwirte es dennoch, Dünger (und andere Produkte und Dienstleistungen) auf Kredit zu kaufen, können sie in eine Schuldenfalle tappen. Wobei meist grundsätzlich eine positive Wirkung von erhöhtem Düngereinsatz auf Produktion und Einkommen zu beobachten ist.
Problematische Informationslagen sowie Kosten und Risiken von Modernisierungspaketen tragen wesentlich zur niedrigen Düngernutzung in SSA bei. Die Folge sind Subventionsprogramme, über die mittlerweile in sehr vielen Ländern der Region fast 50 Prozent des vermarkteten Düngers verbilligt werden. Während der Krisen der letzten Jahre haben insbesondere die ärmeren Bauern die Nutzung nochmals reduziert, während höhere Agrarpreise und die Beihilfepolitik mehr Investitionen größerer Landwirte anstießen und insgesamt die Düngermenge erhöhte.
In kleinen, armen Ländern des globalen Südens sind die Kosten für Düngemittel schon jetzt höher als in großen Ländern. Dies liegt an kleineren Einkaufsmengen, wie auch an hohen Transport- und Vertriebskosten, staatlich gelenkten Einkaufs- und Verkaufspolitiken und eingeschränktem Wettbewerb durch Monopolisten und Vetternwirtschaft. Gerade die politisch gelenkten Subventionen tragen zu diesen Marktschwächen häufig bei. Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass die Mehrheit der Beihilfeprogramme weniger effektiv sind als Interventionen wie Investitionen in Agrarforschung, -beratung und lokale Infrastruktur, die aber erst langfristig wirken.
Für die evtl. Promotion von grünen synthetischem Stickstoffdüngemitteln heißt das alles zusammen, dass sie zumindest anfänglich deutlich teurer sein dürften als herkömmliche Dünger. Teurer grüner Wasserstoff, neue Technologien, kleine Anlagen und teure Logistik für kleine Mengen stehen in Konkurrenz zu billigem Naturgas und großen etablierten Düngemittelvertriebsketten. Ohne staatliche Interventionen dürften sie zunächst nicht konkurrenzfähig sein. Sollte über die Besteuerung von Düngerimporten gegengesteuert werden, wird der gesamte Stickstoffmarkt hochpreisiger und damit noch weniger attraktiv für die Bauern. Unter politischem Protektionismus steht auch zu befürchten, dass lokale „grüne“ Produzenten die Qualität schleifen lassen.
Fazit:
Stickstoff ist ein wesentlicher Treiber für Erträge, Stabilität und Bodenfruchtbarkeit der Landwirtschaft, aber auch für mannigfaltige ökologische Probleme. Grüner synthetischer Stickstoffdünger kann langfristig eine große Chance für eine nachhaltigere Landwirtschaft auch in SSA sein. Die Vorzüge sind allerdings nicht absolut, sie hängen von vielen Faktoren ab, die es jeweils abzuwägen gilt.
Die Alternative zu synthetischem Dünger, die Möglichkeiten der organischen Akkumulierung von Stickstoff auf den vielen degradierten Standorten SSAs, ist bestenfalls ebenfalls schwierig, oft unrealistisch und auf jeden Fall langwierig. Eine Kombination aus synthetischem Stickstoff, anderen externen Nährstoffen und agrar-ökologischen Maßnahmen ist oft der sinnvollere Weg. Hier hätte auch der grüne synthetische Stickstoffdünger seinen Platz. Was im Übrigen durchaus mit agrarökologischen Prinzipien vereinbar ist, die, anders als der ökologische Landbau, nicht für den kompletten Verzicht auf externe Inputs plädieren, sondern für ihre Reduzierung. Allerdings ist unter den degradierten Bedingungen vieler landwirtschaftlicher Standorte in SSA zunächst meist eine Erhöhung notwendig.
Auch Überlegungen zur Reduzierung der globalen Stickstoffbelastung sprechen für eine Umverteilung der Stickstoffnutzung vom globalen Norden, wo er exzessiv eingesetzt wird, in den globalen Süden, wo er untergenutzt wird – und wo die zukünftige Nachfrage nach Agrarprodukten am stärksten steigen wird.
Es ist allerdings abzuwarten, ob und wo grüner synthetischer Stickstoffdünger wettbewerbsfähig produziert werden kann und für Landwirte zu einer echten Alternative wird. Entscheidend dürften die Kosten für alternative Energie sein und die Art und Weise, wie die Produkte auf den Markt gebracht werden. Die Industriepolitik afrikanischer Staaten, die oft industrielle Akteure zulasten der Bauern begünstigt, gekoppelt mit dem Drang der westlichen Entwicklungspolitik, im globalen Süden ökologisch korrekter zu sein als zu Hause, lassen hier Konfliktpotenzial vermuten zwischen kostengünstigem Zugang zu herkömmlichem, treibhausgas-intensiven und der teureren grünen Variante.
Allerdings sollte die Befürwortung und Unterstützung von synthetischem Stickstoff in armen Ländern nicht von der Existenz grünen Stickstoffs abhängig gemacht werden. Vielmehr sollte hinterfragt werden, ob es die richtige Priorität und moralisch akzeptabel ist, Kleinbauern Produktions- und Einkommensfortschritte mit Verweis auf Treibhausgasemissionen zu verwehren, wo diese doch weit unter einer Tonne CO2-Äquivalente ausstoßen, also nur einen Bruchteil anderer Weltregionen. Das Recht auf Entwicklung sollte hier Vorrang haben vor einer geringen Minderung von Treibhausgasen. Diese muss zuvorderst in den Industrie- und Schwellenländern erreicht werden.
Gleichzeitig muss diese Entwicklungszeit genutzt werden, um insgesamt nachhaltige kleinbäuerliche Landwirtschaft zu unterstützen, etwa durch die Entwicklung kostengünstiger organo-mineralischer Dünger, die die Vorteile der gegenwärtigen Dünger optimieren, sowie durch die Erhöhung der Düngereffizienz im Anbausystem und durch Kreislaufwirtschaft für Nährstoffe. Insgesamt sind Investitionen in Forschung, Beratung, Infrastruktur, Märkte und Institutionen nicht-nachhaltigen Subventionierungen vorzuziehen.
