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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 02/2021
  • Marion Aberle

Immer mehr Land in immer weniger Händen

Land darf kein Spekulationsobjekt sein und nur Wenigen zu mehr Reichtum verhelfen – auf Kosten der kleinen Akteure im Ernährungssystem.

Land-Plantage Liberia
Eine Plantage in Liberia. Wenn Gewohnheitsrecht herrscht und der Staat Land an Agrarunternehmen vergibt gibt es immer wieder Konflikte. © Welthungerhilfe

Ungleichheit nimmt weltweit zu, das gilt auch für den Zugang zu Land. Das ist ein zentrales Ergebnis der Studie „Uneven Ground“ der International Land Coalition, der auch die Welthungerhilfe angehört. In den meisten Ländern konzentriert sich der Landbesitz bei immer weniger Eigentümern, deren Flächen immer größer werden. Dies geschieht zum Nachteil derjenigen, die für ihr Überleben auf die Landwirtschaft und andere Nutzung des Landes angewiesensind: vor allem Kleinbauern und Frauen, sowie ingesamt Angehörige indigener Völker und ländliche Gemeinschaften.

Die Forscher haben Land-Ungleichheit anhand von Volkszählungsdaten und der Besitzverhältnisse, der Qualität des Landes und anderer Indikatoren in 17 Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika ausgewertet. Demnach hat die Konzentration der Flächen auf wenige Eigentümer seit 1980 in fast allen Regionen weltweit zugenommen. Aufgrund dieser Entwicklung sind die Lebensgrundlagen von 2,5 Milliarden Menschen bedroht, die für ihr Überleben auf die Landwirtschaft angewiesen sind.

2,5 Milliarden Menschen werden aufgrund der Konzentration von Landeigentum in ihrer Lebensgrundlage bedroht.

Studie "Uneven Ground"

Nach Schätzungen gibt es heute rund 608 Millionen Farmen weltweit, die meisten in Familienbesitz. Die Schere ist allerdings schockierend: Nur ein Prozent dieser Farmen operiert auf mehr als 70 Prozent des weltweiten Ackerlandes; dabei handelt es sich um große agar-industrielle Betriebe, die den globalisierten Markt mit Nahrungsmitteln versorgen. Allerdings wird etwa die Hälfte der weltweit verfügbaren Nahrungsmittel nach wie vor von Kleinbauern produziert.

Ungefähr 80 Prozent der Gesamtzahl an Farmen, also rund 486 Millionen Farmen, sind Kleinbauern mit weniger als zwei Hektar. Auch innerhalb der ländlichen Bevölkerung gibt es große Unterschiede, wenn man den Wert des Landes betrachtet. Die reichsten zehn Prozent verfügen über 60 Prozent, und die fünfzig Prozent der Ärmsten über nur drei Prozent. Das heißt, die fruchtbarsten Flächen sind ebenfalls in weniger Händen, die Hälfte der ländlichen Bevölkerung kämpft auf schlechten Böden mit wenig Wasser ums Überleben.

Am größten ist die Ungleichheit weiterhin in Lateinamerika. In asiatischen und afrikanischen Ländern ist sie nach der einfachen Berechnung weniger groß. Allerdings ergeben die Analysen eine deutliche größere „Schere“, wenn Daten zur Qualität des Landes (also Fruchtbarkeit, Wasserverfügbarkeit) sowie zu der Zahl der Landlosen zusätzlich ausgewertet werden. Nach herkömmlichen Methoden ist die Landverteilung etwa in Indien relativ gleich; zieht man allerdings Daten zum Wert des Bodens und zur Zahl der Landlosen hinzu, so rückt es in die Liste der Länder mit der größten Ungleichheit auf.

Eine Bäuerin steht vor Mais- und Reis-Feldern, Ruanda.
Eine Bäuerin in Ruanda. Sie ist Mitglied einer Kooperative, die auf 95 Hektar Reis und Mais anbaut. © Christina Felschen / Welthungerhilfe

Die Ungleichheit ist auch eine der strukturellen Ursachen der fortgesetzten Bauernproteste in Indien. 40 Bauerngewerkschaften haben inzwischen mehr als eine halbe Million Bauern und Landarbeiter mobilisiert. Es sind die größten Proteste gegen die Politik von Premierminister Narendra Modi seit seiner Amtsübernahme 2014. Die soziale Bewegung „Ekta Parishad“, eine Partnerorganisation der Welthungerhilfe, kämpft seit den 1990er Jahren für die Rechte der Landlosen bei Projekten wie Dammbau, Rohstoffabbau, großflächigen Plantagen für die Produktion von Bioenergie oder auch Nationalparks und Naturreservate, die indigenen Völkern (Adivasis) und Kleinbauern (Dalits) Land wegnehmen oder den Zugang versperren.

Systemische Ursache von Hunger

Ohne Ressourcen können die Menschen aber Armut und Hunger nicht aus eigener Kraft bewältigen. Der ungleiche Zugang zu Land sollte daher als systemischer Faktor in der Debatte um Ernährungssysteme – sowohl global als auch nationale – in die Analyse der Ursachen von Hunger und Armut einbezogen werden. Außerdem sollten die Analysen, Schlussfolgerungen und Lösungsempfehlungen aus dem „Land and Inequality“-Bericht der ILC in die Abschlussdokumente des UN Food Systems Summit einfließen.

Dazu müssen die treibenden Kräfte hinter dieser weltweiten Entwicklung in den Blick genommen werden? Wer sind diese? Die Antwort ist nicht leicht, da die Forscher mit mangelnder Transparenz umgehen müssen. Die umfassendste Datenbasis für großflächige landbasierte Agrarinvestitionen weltweit ist die Land Matrix, eine Monitoring-Initiative von fünf Partnern, darunter das Hamburger GIGA-Institut.

In der Landmatrix sind 1487 Landgeschäfte erfasst, die eine Fläche von mehr als 30 Millionen Hektar umfassen. Bei weniger als 20 Prozent ist der Investor bekannt, für nur 15 Prozent weiß man, wo sich überhaupt die Investitionsfläche befindet, und weniger als zehn Prozent veröffentlichen den Kaufpreis oder die Pachtsumme. Anleger aus den EU-Staaten zählen dabei nicht nur zu den wichtigsten Investoren weltweit, sie gehören auch zu den intransparentesten.  

Am erschreckendsten für die Welthungerhilfe und die Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet, ist jedoch die Tatsache, dass es in 90 Prozent aller Fälle keine Dokumentation gibt, ob die betroffenen Gemeinschaften vorher gefragt wurden, ob auf ihrem Land Ölpalmen oder Zuckerrohr für den Export angebaut werden soll.

Plantagen in Mosambik.
Eine Luftaufnahme von Plantagen und Parzellen in Mosambik. Staatliche und private Großprojekte für Agrarland und Aufforstung dringen immer weiter vor. © Robin Hammond

Wem gehört das Land?

Die zentrale Frage lautet: Wem gehört das Land? Die “Rights and Resources”-Initiative ist dem in einer umfangreichen Studie nachgegangen. Denn es wird unterschätzt, dass Besitzverhältnisse im größten Teil der Welt nicht im „westlichen“ Verständnis formalisiert und registriert sind, wie etwa in Deutschland mit dem Grundbucheintrag für Hausbesitzer und Landwirte. 

Gemeinschaftsbesitz kann die bessere Option sein, wenn er demokratisch und transparent verwaltet wird. Die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat sich mit der angeblichen „Tragödie der Allmende“ beschäftigt und beschrieben, wie sich komplexe soziale Strukturen und Prozesse entwickeln, mit denen gemeinschaftliche Flächen im Interesse aller Nutzer nachhaltig bewirtschaftet werden können.

Nach der „Rights and Resources”-Studie sind nur zehn Prozent der weltweiten Landfläche formal als im Besitz von indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften registriert, und bei acht Prozent werden ihnen Flächen zugesprochen. Hingegen wird geschätzt, dass bis zu 65 Prozent des Landes weltweit nach Gewohnheitsrecht verwaltet wird; ungefähr 1,5 Milliarden Menschen wohnen auf diesen Flächen.

Konflikte programmiert

Werden die Landrechtsverhältnisse nicht sorgsam analysiert und erfasst, ist dies eine wichtige Ursache für Konflikte und gescheiterte Investitionen. Umgekehrt setzt sich in der internationalen Zusammenarbeit und bei verantwortlichen Investoren zunehmend die Erkenntnis durch, dass die Zusammenarbeit mit Angehörigen indigener Völker und lokalen Gemeinschaften von zentraler Bedeutung ist, um Entwicklung nachhaltig zu gestalten, Hunger und Armut zu bekämpfen, die Böden, den Wald, die Artenvielfalt und damit auch das Klima zu schützen. 

Außerdem wird die Debatte um Ungleichheit, in der zum Beispiel Oxfam immer wieder den Finger in die Wunde legt, angesichts des durch die Corona-Pandemie massiv verschärften Elends zunehmen. Der „Uneven Ground“-Bericht ist eine wichtige Grundlage dafür. Ist es hinzunehmen, dass die US-amerikanische Finanzfirma BlackRock als größter globaler Vermögensverwalter ein Anlagevermögen von 7,43 Billionen US-Dollar hat, dessen Volumen fast doppelt so groß ist wie das Bruttoinlandsprodukt von Deutschland mit 4 Billionen US-Dollar für das Jahr 2019?

Das Interesse von Anlegern, insbesondere auch von landwirtschaftsfremden Finanzinvestoren, an der knapper werdenden Ressource fruchtbares Land ist ungebrochen. Undurchsichtige und verschachtelte globale Verflechtungen machen das System immer undurchschaubarer; und für die betroffene Bevölkerung wird es immer schwerer herauszufinden, an wen sie sich bei Menschenrechtsverletzungen wenden können. Auf ihre Regierung oder das Rechtssystem können sie in autoritären und korrupten Regimen nicht zählen.

Lösungsansätze sind freiwillig

Komplexe Herausforderungen erfordern komplexe Lösungen, die einen langen Atem benötigen. Ein zentrales Instrument, Landrechtsfragen zu adressieren, sind die Freiwilligen Leitlinien für eine verantwortungsvolle Landpolitik des Welternährungskomitees. Das völkerrechtliche Instrument beschreibt die Thematik der legitimen Landrechte und empfiehlt Lösungen. Dauerhaft wirksam wird dies allerdings erst, wenn diese freiwilligen Leitlinien in nationale Gesetze überführt und die notwendigen Institutionen und Verwaltungsverfahren geschaffen werden.

Aktivisten mit Plakaten, Liberia.
Aktivisten in Liberia demonstrieren für eine Landreform vor dem Senat. Das „Land Rights Act“ ist inzwischen verabschiedet. © Welthungerhilfe

Die Welthungerhilfe hat in ihrem „Land for Life“-Programm damit gute Erfahrungen gemacht, etwa in Liberia und Sierra Leone. Dazu müssen alle an einem Strang ziehen: Die Geberagenturen wie USAID, internationale Organisationen wie die FAO, sowie die Akteure der Zivilgesellschaft. In Liberia konnte das „Land Rights Act“ verabschiedet werden; zur Umsetzung ist eine große Landkonferenz in Vorbereitung. In Sierra Leone befindet sich das „Customary Land Rights Bill“ in der Konsultationsphase.

Das zweite große Handlungsfeld sind die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen. Die bisherige Lücke wurde als „extraterritoriale Staatenpflichten“ bezeichnet. Wenn Menschenrechtsverletzungen in Ländern nicht geahndet werden, sie aber im Zusammenhang mit ausländischen Investitionen stehen, müssen die Regierungen in den Herkunftsländern die Unternehmen verpflichten, entlang ihrer kompletten Lieferkette die Menschenrechte zu achten und bei Menschenrechtsverletzungen Abhilfe zu schaffen. Dafür braucht es Regelungen auf nationaler (Lieferkettengesetz), EU-Ebene (due diligence legislation) und global (Binding Treaty on Business and Human Rights).

Transparente Investitionen

Drittens braucht es Transparenz und Kontrolle bei Landverkauf und -besitz. Nicht jedes Geschäft ist ein gutes Geschäft im Sinne der Allgemeinheit. Auch in Deutschland diskutiert man inzwischen über eine stärkere Regulierung des Bodenmarktes, um eine breite Eigentumsstreuung zu erhalten und bäuerlichen Betrieben eine Zukunft zu geben. Das gleiche gilt für Transparenz in transnationalen Agrarinvestitionen. Projektbezogene Informationen sollten auf öffentlichen Datenbanken verfügbar sein. Dies gilt erst recht, wenn die Investition mit öffentlichen Geldern unterstützt wird, etwa über Entwicklungsbanken.

Viertens sollte Umverteilung kein Tabuwort sein. Durch gerechte Steuerpolitik, Sozialpolitik und Landreformen müssen extreme Ungleichheiten abgebaut werden. Die Corona-Pandemie hat ein Schlaglicht darauf geworfen, wie schnell Menschen in Not und Elend stürzen können. Land gehört uns allen, deshalb darf Land kein Spekulationsobjekt sein oder nur wenigen zu noch mehr Reichtum verhelfen.

Porträt: Marion Aberle, Team Policy & External Relations.
Marion Aberle Team Policy & External Relations

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