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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 10/2021
  • Anshuman Das

Konzernmacht nein danke: Mikromärkte nachhaltiger Landwirtschaft

In Indien formieren sich integrierte regionale Netzwerke von ökologischem Landbau und eigenem Bio-Label. Wie kann das gehen?

Ein indischer Kleinbauer drischt in seinem Hof. Ein Zusammenschluss von Erzeugern wird die Ernte einsammeln und in den Handel bringen. © Welthungerhilfe

Ich erinnere mich an meine Kindheit, als meine Großmutter in einer Pfanne voll glühend heißem Sand aus ungeschältem Reis Puffreis zubereitete - kleine, gelblich-weiße Körner, die in der Pfanne wie von Zauberhand aufploppten. Ich weiß nicht mehr genau, wann er von dem mit Harnstoff hergestellten milchigweißen Puffreis verdrängt wurde.

Ich erinnere mich an die ganz kleinen unterschiedlichsten Fische, die von kleinen Kindern und auch älteren Frauen in den Reisfeldern und namenlosen Bächen gefangen wurden. Es gab sie im Überfluss auf unserem Markt, und mit einer Senfsoße waren sie köstlich. Ich weiß nicht mehr genau, wann es stattdessen nur noch tiefgefrorenem Karpfen voller Chemikalien zu kaufen gab.

Ich erinnere mich, dass mein Vater, wenn er mit mir auf den Markt ging, nie fragte, ob das Gemüse biologisch angebaut war. Seit 15 Jahren aber, und verstärkt in den letzten fünf Jahren, muss man in die Shopping Mall gehen, um Bio-Gemüse zu kaufen. Und es ist stets teurer als das anderswo erhältliche Gemüse.

Paradox des Überflusses

Für viele von uns ist das der Alltag. Inzwischen können wir das ganze Jahr Tomaten kaufen, Blumenkohl sogar im Sommer, aber nur noch zwei oder drei Sorten Reis. Weltweit gibt es über 50.000 essbare Pflanzenarten, aber nur ein paar hundert spielen eine bedeutende Rolle. Nur drei davon – Reis, Mais und Weizen – decken 60 Prozent des menschlichen Nahrungsbedarfs. Doch wie kann es sein, dass trotz der großen Steigerung der Produktivität im zurückliegenden Jahrhundert noch immer 800 Millionen Menschen chronisch unterernährt sind? Indien steht trotz des angeblichen Erfolges der Grünen Revolution im Jahr 2021 immer noch an Platz 101 von 116 Staaten des Hunger-Indexes. Ein seltsames Paradox des Überflusses.

Doch die Frage, um die es gehen soll, ist: Was erwarte ich als Mittelschichtskonsument oder als Kleinbauer in einem Dorf von einem Ernährungssystem, das mir nutzen soll?

Biologischer Anbau -  was heißt das eigentlich?

Die Vorstellung, dass biologischer Anbau einfach nur bedeutet, „chemischen Dünger durch Kuhmist zu ersetzen“, ist zu einfach. Man muss viele Faktoren ausschließen: Keine vom Grundwasser gespeiste Bewässerung, kein gekaufter Dung, keine fossilen Brennstoff nutzenden Geräte, keine hybriden Samen aus dem Handel, keine Monokulturen von Großunternehmen auf riesigen Flächen. Auch kein Transport in Motorfahrzeugen über große Entfernungen. Ich möchte deshalb lieber von ökologischem Landbau sprechen, denn nicht alles, was unter der Bezeichnung „Bio“ läuft, ist auch sozial gerecht, ökologisch nachhaltig und wirtschaftlich fair.

Ökologischer Landbau, der sich auf nachhaltige Verfahren konzentriert und Agrarabfälle in den Kreislauf zurückführt, kostet Landwirt:innen und die Umwelt weniger. Aber Landwirte sollten dafür einen besseren Preis erzielen, da sie mehr Zeit investieren und einen ökologischen Nutzen für unseren Planeten erzeugen. Aber: Wie können wir sicher sein, dass die entstandenen Kosten der Landwirte gedeckt werden, wenn wir ihre Produkte auf dem Markt kaufen? Die meisten „Bio“-Produkte in den Einkaufszentren werden von Unternehmen produziert – nicht von kleinen und sich abmühenden Bauern.

Landfrauen mit Bündeln ihrer Ernte in Jharkand. © Welthungerhilfe

Kleinbauern spielen die wichtigste Rolle bei der Sicherung der Welternährung und der Erhaltung der Biodiversität. Sie produzieren den größten Teil der Lebensmittel in sich entwickelnden Ländern, darunter 70 Prozent der Hirse und Knollenfrüchte sowie des Obsts und Gemüses. aber wegen des hohen Drucks staatlicher Stellen und der trickreichen Vermarktungsstrategie der Samen- und Düngerindustrie gehen sie immer mehr zu unökologischen Methoden über. Sollten wir uns keine Sorgen um ihre Lebensbedingungen und unsere Gesundheit machen? Haben wir nie daran gedacht, dass die mit Chemikalien erzeugten Produkte ein Gefahrenschild tragen sollten? Und warum wird der Einsatz umweltschädlicher chemischer Düngemittel immer noch subventioniert?

Wie sieht ein Markt für MICH aus?

Ich brauche einen Markt, der frische lokale Produkte anbietet. Sie sollten bitte nicht mit chemischen Farbstoffen oder giftigen Materialien besprüht worden sein, um frisch auszusehen. Mir ist klar, dass Blattgemüse austrocknet, wenn es zu lange offen liegt, und dass nicht alle Auberginen genau gleich aussehen, wenn es lokal unterschiedliche Arten gibt. Ich versuche, mich mit saisonalem Gemüse zu ernähren. Dafür muss ich mit den Landwirten reden und wenn möglich auch ihre Höfe besuchen, damit ein Vertrauensverhältnis zwischen Erzeuger und Verbraucher entstehen kann.

Das ist dann schwierig, wenn der Markt weit vom Ursprungsort der Produkte entfernt ist. Aber bei kurzen Wegen ist es kein Problem. Noch vor 100 Jahren ernährten sich die Menschen von dem, was in ihrer Region wuchs. Aber heute leben wir in einer Ära der Globalisierung und der Monokulturen. Man kann überall die selben Lebensmittel kaufen. Früher gab es auch nicht nur Reis und Weizen. Wir aßen vielfältige Nahrung, die auf dem Gemeindeland gedieh, in den Flüssen, dem Wald und auf den Weideflächen. Natürlich muss ich für die Äpfel aus dem entfernten Kaschmir mehr bezahlen. Aber als Konsument muss es für mich eine klare Logik beim geforderten Preis geben.

Was bedeutet „Markt“ auf der Seite der Erzeuger:innen?

Viele Kleinbauern betreiben Subsistenzwirtschaft, sie verzehren ihre Ernte vollständig im eigenen Haushalt. Doch das wird schwieriger, oft beschränken sie sich inzwischen auf zwei oder drei Anbauprodukte im Jahreslauf. Und sie haben kaum einen Überblick über ihre Kosten. Sie scheuen sich vor der Vermarktung und der Rechnerei. Sie sind froh, wenn jemand ihre Ernte direkt bei ihnen abholt, selbst wenn sie dafür nur ein Drittel des Marktpreises erhalten. Nur wenige ihrer Produkte sind weiterverarbeitet, sie verkaufen lieber die Senfsamen als das Senföl. Oft verkaufen die Landwirte ihre Ernte auch gegen Vorkasse, selbst wenn der erzielte Erlös dann viel niedriger ist. Es gibt keinen Bauernverband, der sich damit befasst. Kleinbauern haben auch nur begrenzt Zugang zu Kapital und Krediten. Die Monokulturen in industriellem Maßstab verfügen hingegen über Kapital, Energie, politische Unterstützung und Subventionen.

Kleinere Bauern stecken mitten in der Agrarkrise, in der Böden und Wasser durch den exzessiven Einsatz von Chemikalien, die durch die Grüne Revolution mit staatlicher Unterstützung ausgebracht wurden, degradiert sind. Die Kosten für den Landbau steigen von Tag zu Tag, die Subventionspolitik begünstigt große kommerzielle Landwirte, und der Mindeststützungspreis gilt nur für wenige Kulturen. Nur Großbetriebe und kommerzielle Unternehmen finden Zugang zu den Märkten und ihren Einrichtungen.

Können wir Landwirten also helfen, Unternehmer zu werden? Können wir als Konsumenten ihnen vermitteln, was wir von ihnen erwarten? Können Landwirte genossenschaftliche Verarbeitungszentren schaffen, damit der Mehrwert ihrer Produkte in ihrem Dorf bleibt und sie einen größeren Teil der Wertschöpfungskette vor Ort behalten? Etwa wenn Senföl gepresst wird und der Abfall verfüttert wird. Andernfalls bleiben sie doch nur Produzenten von Rohmaterialien und behalten einen minimalen Anteil des Gewinns.

Bhoomi Ka-Inititaive: der Silberstreifen am Horizont

Die Welthungerhilfe und ihre Partner haben das Programm Bhoomi Ka initiiert, um Antworten auf einige der hier gestellten Fragen zu finden. Bhoomi Ka bedeutet „aus der Erde“ und zielt darauf, sowohl die Nachfrage nach als auch das Angebot an unverfälschten, nachhaltig produzierten und fair hergestellten und gehandelten Nahrungsmitteln zu stärken. Es bietet den Anreiz zur Umstellung auf nachhaltige Muster von Nahrungsmittelproduktion und -verbrauch, indem es die gesamte Wertschöpfungskette von Produzenten- wie Konsumentenseite in den Blick nimmt.

Angestellte der Erzeugergemeinschaft füllen Senföl aus ökologischem Anbau ab. © Welthungerhilfe

Qualität, Verfügbarkeit und Menge sind Werte, nach denen der Markt sucht. Für Kleinbauern, die nur geringe und schwankende Mengen zur Vermarktung bringen, sind das Hürden. Doch der Zusammenschluss ländlicher Produzenten (Farmer Producer Organisation, kurz FPO) sammelt die zu verkaufende Ernte und sichert so ausreichende Mengen. Außerdem agiert die FPO als Puffer zwischen dem Markt und den einzelnen Bauern. Ein gegenseitiges Garantiesystem (Participatory Guarantee System, PGS), bei dem die Bauern sich untereinander kontrollieren und die ökologische Herstellung zeritifizieren, sorgt für Qualitätssicherung der zum Markt gebrachten Nahrungsmittel. Die Daten der Produktion und der Bodenuntersuchung müssen in eine nationale Datenbank hochgeladen werden. Der Regionalrat – die von der Regierung beauftragte Verwaltungsbehörde – kontrolliert die Betriebe stichprobenartig vor Ort.

Die FPOs arbeiten zusammen mit Kleinunternehmern wie Lastfahrern, Straßen- und Einzelhändlern und vermeiden so, dem Profitdruck großer Lebensmittelketten ausgesetzt zu werden. Die Einzelhändler erhöhen die Reichweite der Erzeugnisse der Kleinbauern und schaffen zu ihnen eine transparente Beziehung auf einer eher persönlichen Ebene.

Fallstudie: Bhoomi Ka Safe Food Programm

Bhoomi Ka will Märkte für unverfälschte, nachhaltig produzierte und fair hergestellte und gehandelte Nahrungsmittel aufbauen. Dafür war es erforderlich, dass Kleinbauern sich organisieren, dass sie Methoden des ökologischen Landbaus und seiner Zertifizierung lernten und so in die Lage kamen, die wachsende Nachfrage nach Bio-Produkten zu befriedigen. 2016 wurde im Bundesstaat Jharkhand, dessen Bevölkerung zu etwa einem Viertel aus Adivasi, also indigenen Volksgruppen besteht, die Firma Ajivika Bhoomi Ka Producer Company Limited (ABPCL) gegründet. Sie sollte für faire Preise für Landwirte und Verbraucher sorgen. Vor allem Kleinbauern sollten einen Markt finden, ihren Nahrungsbedarf und ein verlässliches Einkommen sichern. Durch ihren Zusammenschluss als FPO wurden sie zu Vorbildern für andere.

Die FPO von ABPCL kauft Getreide von Erzeugern, die am Garantiesystem PGS teilnehmen, das Zertifikate für Produkte aus ökologischem Landbau vergibt und von der indischen Regierung anerkannt ist. Bauern verarbeiten ihre Produkte in einer gemeinsamen Anlage und steigern deren Wert. Die FPO sammelt, verarbeitet und liefert die Produkte an Einzelhändler in den versprengten Märkten und in umliegenden größeren Orten. Zu den Produkten gehören Hülsenfrüchte, Ölsamen, Reis, Hirse, Afrikanische Malve und andere.

Die FPO wird von einem elfköpfigen Verwaltungsrat geleitet und hat 15 Arbeitsplätze für Frauen in der Verarbeitung geschaffen. Der Umsatz hat sich von anfänglich 50.000 Rupien bis zum Jahr 2019-2020 auf 1 Mio. Rupien (ca. 12.500 €) gesteigert und damit einen Hoffnungsstrahl für die Landwirte in Jharkhand aufgetan. ABPCL hat jetzt eine eigene Kontrolle der Nahrungsmittelsicherheit für die Verarbeitung und Verpackung. Noch fällt es schwer, die administrativen und gesetzlichen Erfordernisse zu bewältigen, aber sie machen gute Fortschritte.

„Ajivika FPO war für mich der Weg, um zu lernen, zu wachsen und mehr zu verdienen. Es stärkt mich und ich empfinde es als Ehre, die Landwirte als Direktor von ABPC Ltd. geschäftlich zu unterstützen. Mein Selbstbewusstsein ist gestiegen und ich verbessere ständig meine Führungsqualitäten“, sagt Dayamanti Savaiya, ein Mitglied im Verwaltungsrat der FPO und selbst ein Kleinbauer.

Bhoomi Ka hat als dritte Säule verschiedene Programme geschaffen, um bei unterschiedlichen Konsumentengruppen das Bewusstsein für und die Kenntnisse über ihre Ernährung zu erweitern – und so die Nachfrage nach ökologischer und gesunder Nahrung zu steigern. Damit kann die nachhaltige Nahrungsmittelproduktion wachsen und für grünere Lieferketten gesorgt werden. Landwirte, Händler und Konsumenten werden bei Food-Festivals, Messen, Kochdemonstrationen und Besuchen auf Höfen zusammengebracht. Es gibt Fortbildungen über Urban Gardeningoder Tests auf Verfälschung von Nahrungsmitteln sowie Ernährungsinformationen an Schulen.

All das hilft, die Nachfrage zu steigern und die Einkommen der Landwirte und Kleinbetriebe zu erhöhen. Bisher konnte Bhoomi Ka 7000 teilnehmende Landwirte mit 40 Einzelhändlern und 700.000 Konsumenten zusammenbringen. Die lokale Idee ist in den meisten Fällen in einem Umkreis von 100 bis 200 Kilometern angesiedelt – die Bauerngesellschaft in Jharhkand ist nur ein Beispiel von vielen. Sie kann durch Nachahmung globalisiert werden: Wir müssen eine Mikro-Infrastruktur aufbauen, um die lokale Lebensmittelproduktion zu fördern, statt in eine groß angelegte Infrastruktur zu investieren, die eine Monopolisierung fördert.

Sehr bald wird Bhoomi Ka eine Plattform bei den sozialen Medien starten, auf der alle Beteiligten über die angerissenen Themen debattieren können – denn Nahrung hält nicht nur Leib und Seele, sondern auch die Gesellschaft zusammen.

Anshuman Das, Programme Manager im Landesbüro Indien.
Anshuman Das Landesbüro Indien

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