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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 08/2020
  • Emily Ongus

Junge Agrarexperten fordern die Politik heraus

Afrikas Akademiker wollen mitentscheiden und ihre Forschungsergebnisse zugunsten der Landwirtschaft einbringen.

Wundermittel Digitalisierung? Die junge Online-Handelsplattform Twiga wurde 2014 in Kenia gegründet, kauft heute bei 17 Erzeugern ein und beliefert 8000 Einzelhändler. © AppsAfrica.com

Der Schlüssel zur Ernährungssicherheit auf dem afrikanischen Kontinent liegt in der Beteiligung der Jugend – und zwar auf allen Ebenen der Ernährungssysteme sowie ihrer Regulierung. Der Aufruf, mehr junge Afrikaner für die Landwirtschaft zu gewinnen ist in jüngster Vergangenheit immer populärer geworden: Es geht darum, die Denkweise und Einstellung zu ändern, dass der Beruf des Landwirts als der eines "armen Mannes" angesehen wird. Im Angesicht der gegenwärtigen Altersdemografie Afrikas ist die Betonung auf die Jugend mehr als angebracht.

Mit einem Anteil von über 60 Prozent der 1,2 Milliarden Afrikaner, die jünger als 25 Jahre sind, ist Afrika in der Tat der Kontinent der jungen Menschen. Da die Zahl der Jugendlichen unter der Weltbevölkerung bis 2030 auf 1,3 Milliarden Menschen ansteigen wird, ist zu erwarten, dass ein Fünftel dieser jungen Menschen vom afrikanischen Kontinent stammen wird.

Vor diesem Hintergrund verbreitet auch die gegenwärtige Führung der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) ein Mantra, das versucht, die Landwirtschaft nicht als bloße Überlebensgrundlage für arme Bauern zu fördern, sondern als eine vielversprechende wirtschaftliche Tätigkeit, die zusätzlichen Wohlstand für die Nationen schaffen kann. Wie die afrikanische Jugend dazu beitragen kann, überkommene Wahrnehmungen zu verändern, und sich für ein Afrika einsetzt, das sich selbst ernähren kann, füllt viele landwirtschaftliche Programme.

Rolle der Jugend nicht länger ignorieren

Tatsächlich sind die Chancen und Herausforderungen, die sich durch das Bevölkerungswachstum ergeben, zwei Seiten einer Medaille, die den Kontinent in ein Zeitalter des Wohlstands oder in ein Zeitalter des Untergangs führen können. Je nachdem, welche kollektiven Maßnahmen heute ergriffen werden. Am wichtigsten dabei ist, dass die Rolle der Jugend nicht länger ignoriert werden kann und darf, wenn es darum geht, diese Zukunft zu gestalten.

Unbestritten haben Geberstaaten viel in Programme zur Digitalisierung der Landwirtschaft investiert, um sie „cool“ für die junge Generation zu machen. Jedoch bleibt die Wirkung verschwindend gering, wenn man sie der hohen Arbeitslosigkeit unter afrikanischen Jugendlichen gegenüberstellt – etwa 60 Prozent gemäß verschiedenen Quellen, darunter die FAO. Außerdem dreht sich der Diskurs über das Engagement in der Landwirtschaft meist um Beschäftigung junger Menschen in Agrarunternehmen und deren Hürden beim Zugang zu Finanzierung, Märkten Landbesitz etc.

Deshalb bleibt die Frage bestehen, warum – trotz des gegenwärtig populären Narrativs vom großen Potenzial des Sektors für die Jugend – diese die Herausforderungen offenbar nicht annimmt und Räume besetzt, in der sie ihre eigene Zukunft bestimmen können? Oder: Wenn das der Fall ist, welche Umstände verhindern, dass sich ihr Engagement in sichtbarer Wirkung auf landwirtschaftliche Entwicklung niederschlägt? Und wie kann dieser Impakt verstärkt werden?

Junge Agrarexperten: eine vernachlässigte Gruppe

Zugegeben: Trotz vieler Hindernisse in ihrem Umfeld verändern viele junge Menschen auf dem ganzen Kontinent den Status quo, indem sie Räume neu besetzen von der Erzeugung von Lebensmitteln auf dem Bauernhof bis hin zu Neugründungen von Agri-Tech-Unternehmen, die digitale Dienstleistungen anbieten. Aber wenn sich ansieht, wer sich für eine Karriere in der Landwirtschaft entscheidet, dann gibt es neben jenen, die aus freien Stücken einen agrarwissenschaftlichen Studiengang belegen, auch die Gruppe, die vor allem zufällig in der Disziplin gelandet sind. Dazu gehöre auch ich.

Die Landwirtschaft ist für viele junge Menschen auf dem Kontinent nicht die erste Berufswahl. Wenn es darum geht, einen Bachelor-Abschluss zu erlangen, ist die bevorzugte Richtung oft Medizin, Ingenieurwesen, Luftfahrt oder Schreibtischkarrieren. Doch mit der Zeit finden sich die meisten Jugendlichen auch mit einer landwirtschaftlichen Ausbildung ab und entwickeln Interesse an dem, was sie studieren. Ich selbst wollte Ingenieurin werden, fand mich dann aber in einem agrarwissenschaftlichen Studiengang für eine Laufbahn, die ich nun gerne einschlage. Viele von uns bemühen sich um einen weiterführenden Abschluss, um die Chancen zu verbessern.

Andere steigen dagegen aus und orientieren sich in andere Berufe etwa im Finanz- und Bankenwesen. Folglich ergibt sich daraus nicht nur die Notwendigkeit, das Interesse junger Menschen für die Landwirtschaft grundsätzlich zu gewinnen. Vor allem muss auch vorsätzlich und bewusster mehr getan werden, um diejenigen zu halten, die sich tatsächlich aus freien Stücken für die Agrarwissenschaften entschieden haben. Wenn man schon davon ausgeht, dass die Landwirtschaft für junge Afrikaner nicht attraktiv ist, dann ist es doch tragisch, jene zu verlieren, die in dem Sektor Karriere machen wollten, sich aber wegen mangelnder Unterstützung in ihrem professionellen Umfeld abwenden und den Mut verlieren weiterzumachen. Das ist eine verspielte Chance.

Debatte in der Universität Wageningen

Als der Vorstand der United Community of African Students (UCAS) an der Universität Wageningen in den Niederlanden das Angebot bekam, 2019 an der „Eine Welt"-Woche teilzunehmen, war das eine Gelegenheit, die Rolle der afrikanischen Forschung in der Landwirtschaft zu thematisieren. Jedes Jahr verlässt eine große Zahl junger Menschen den Kontinent, um in diversen Erdteilen ein Postgraduiertenstudium zu absolvieren. Oft ist dies mit einer Form von Wissenstransfer-Vereinbarung verbunden, die nach Abschluss des Studiums die Rückkehr in das Heimatland verlangt.

Eine häufige, von den meisten geteilte Erfahrung ist, dass es an (oft von Gebernationen finanzierter) Forschung zur Verbesserung der Nahrungsmittelproduktion auf dem Kontinent nicht mangelt. Nur verstauben leider viele der Berichte am Ende der Projekte in den Regalen, ohne eine spürbare Wirkung zu entfalten. Aus eigener Erfahrung und aus Gesprächen mit Kollegen schließe ich, dass die Freude an der Forschung daran liegt, die Ergebnisse auch umzusetzen. Viele meiner Studienkollegen der vergangenen Jahre waren frustriert über die Nutzlosigkeit ihrer Arbeit, weil die Ergebnisse nicht weiterverfolgt wurden. Alle sind sich einig, dass diese Lücke des Wissenstransfers eine Quelle von Frustration ist, wenn junge Menschen motiviert in der Forschung arbeiten, daraus aber in der Praxis nichts weiter entsteht.

Die Organisation UCAS bot afrikanischen und anderen Postgraduiertenstudenten im Rahmen eines eintägigen Seminars über "Jugend und Landwirtschaft - Herausforderungen und Chancen in Afrika" eine Plattform, diese Problematik zu erörtern. Es ging nicht nur um die größten Hindernisse, die dem Transfer von Forschung in die Praxis in Afrika im Wege stehen, sondern auch um die Bedingungen für Forscher in der Hochschulbildung. Die "Eine Welt"-Woche (Wageningen University One World Week) wurde in Partnerschaft mit CTA, WCDI, Africa in Motion, WUR International cooperation Africa and YPARD organisiert.

Was hält Jugendliche zurück?

Afrikanische Jugendliche in der Diaspora können ihr internationales Engagement nutzen, um die Sichtbarkeit und Wirkung ihrer Forschung zu erhöhen. Dies war der Leitfaden für die Sitzungen des Seminars. In Grundsatzreden wurde versucht, die Faktoren zu identifizieren, die junge Menschen davon abhalten, sich an landwirtschaftlicher Forschung und Entwicklung zu beteiligen:

In Workshops erarbeiteten die jugendlichen Teilnehmer mögliche Lösungen für die genannten Herausforderungen. Als allgemeiner Konsens ergab sich daraus, dass die Politik den Schwerpunkt, die Ausgestaltung und die Umsetzung von landwirtschaftlichen Entwicklungsprogrammen bestimmt, während afrikanische Jugendliche lediglich die Endnutzer dieser politischen Maßnahmen sind. Dies sollte dringend revidiert werden.

Wie Yemi Adeyeye vom Forschungsneztwerk YPARD betonte, sollte eine solche Veranstaltung ein notwendiges Signal sein, um den Beitrag junger Agrarforscher zur Politik zu erweitern, die Beteiligung junger Menschen an der Landwirtschaft und der gesamten Wertschöpfungskette zu fördern und dieses Thema im Rahmen einer nachhaltigen Partnerschaft zwischen der EU und Afrika voranzubringen.

Wichtige Lektion: Politik soll mit der Jugend arbeiten

Die Beteiligung junger Menschen spielt im Prozess der Entscheidungsfindung und des Politikdialogs bereits eine wichtige Rolle. Aber politische Entscheidungsträger sind aufgefordert, nicht nur für die Jugend, sondern auch mit der Jugend zu arbeiten. Die afrikanischen Studenten in weiterführenden Studiengängen in der Diaspora hatten eine Hauptfrage: Wie können junge Fachleute aus der Landwirtschaft in die Politik einbezogen werden?

Weitere grundätzliche Anliegen, die die jungen Fachleute und Forscher hatten:

Landwirt*innen in Ghana können sich über Apps austauschen und vernetzen.
Digitale Dienstleistungen in Ghana. Das Start-up Farmerline ist ein Unternehmen, das vom Multimedia-Forschungsprojekt Agritools in Afrika auf seine innovativen Nutzen untersucht wird. © pr

Interssanterweise zeigten sich in der Diskussion unterschiedliche Anliegen der Master-Studenten und Doktoranden. Letztere stellten ihre Forschung vor und gaben dabei wertvolle Einblicke, wie Wissenschaftskommunikation effektiv funktionieren kann. Der Austausch bot eine gute Grundlage für Antworten, die jüngere Agrarfachleute benötigten.

Wenn man die wichtigsten Erkenntnisse und Lektionen kurz beleuchten möchte, die die jungen Agrarexperten mitnehmen konnten, dann sind es folgende:

Damit sich Jugendliche in der Landwirtschaft engagieren, braucht es in erster Linie eine individuelle intrinsische Motivation. Darauf sollte dann ein kollektives Handeln folgen, das es den jungen Menschen ermöglicht, sich selbstbestimmt an politischen Dialogen zu beteiligen. (Aad Kessler -WUR)

Junge Menschen müssen ihre Netzwerkfähigkeiten maximieren und ausbauen. So kommen sie mit den richtigen Personen in Kontakt, die Entscheidungsprozesse beeinflussen, sie aber auch anleiten können. (Jennie van der Mheen-Sluijer -WUR)

Die Ansätze zur Steigerung von jugendlichem Engagement in der Landwirtschaft müssen so neu verpackt werden, dass sie unerlässliches gemeinsames Lernen und Wissensaustausch ermöglichen. YPARD zum Beispiel sorgt als Plattform dafür, dass die Stimmen Jugendlicher gesammelt werden, und bietet eine Datenbank, die politischen Entscheidungsträgern leicht zugänglich ist. (Yemi Adeyeye-YPARD).

Die Vermittlung von Forschungsergebnissen muss zielgruppengerechter werden. Anstatt sich nur auf wissenschaftliche Fachzeitschriften zu konzentrieren, lohnt es sich, über Medien nachzudenken, die von afrikanischen Entscheidungsträgern gelesen werden. (Chipo Msengezi-CTA)

Eine große Anzahl von Menschen können zu gleichen Zeiten und global digital über soziale Medien erreicht werden. Sie sind ein schnelles Instrument also auch zur populären Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. (Chris Addison-CTA)

Digitale Werkzeuge sind eine innovative Möglichkeit, junge Leute anzuziehen. Das geht aber nicht ohne Verständnis für das infrastrukturelle Umfeld und den Wissensstand, die gegebenenfalls eigene Investitionen benötigen. (Ken Lohento-CTA)

Lösungen, Engagement und Beteiligung von Jugendlichen sollten berücksichtigen, wie heterogen die Jugend ist und wie unterschiedlich Macht verteilt ist. Junge Menschen sollten in ihrem Eintreten für den politischen Dialog und die Forschung diese Unterschiede gegenüber politischen Entscheidungsträgern vertreten, um Ungleichheiten zu vermeiden. (Riti Herman - WCDI)

Um junge Menschen aktiv – und nicht nur als Platzhalter – an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, müssen sie mit den richtigen Fähigkeiten ausgestattet werden: sich selbst organisieren, kommunizieren und Anliegen vortragen. (Xander Berks- I4NATURE)

Die Konferenz war ein guter Beitrag dafür, das gesammelte Wissen zur Beratung von Politikern und Jugendlichen in der Landwirtschaft zu nutzen. Mehr noch legte sie Defizite im akadamischen Wissenstransfer offen und zeigte auf, dass dies noch einer größeren Diskussion bedarf.  Am wichtigsten ist die Erkenntnis, dass Anreize für jugendliches Engagement in der Landwirtschaft situationsbezogen sein müssen und dass es keine Einheitsperspektiven "one size fits all" geben kann. So vielfältig die Herausforderungen auch sind, die Lösungen sind da.

Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass afrikanische Jugendliche, die sich für eine professionelle Karriere in der Landwirtschaft entschieden haben, sich mehr Engagement wünschen und motiviert sind, an der Suche nach Lösungen für den Kontinent mitzuwirken. Dafür gibt es ausreichend Belege – angefangen von der akademischen Jugend in Wageningen bis hin zu jenen, die sich in Jugendforen für Landwirtschaft wie YPARD zusammenschließen. Sie verlangen aber, nicht als schmückendes Beiwerk betrachtet, sondern zu politischen Planungen für die landwirtschaftliche Entwicklung an die Tische der Entscheidungsträger geladen zu werden. Es ist Zeit, die Jugend über Lippenbekenntnisse hinaus in die Agrarpolitik einzubinden. Junge afrikanische Fachleute in der Landwirtschaft sind bereit. Ich bin es!

Foto Emily Ongus
Emily Ongus Wageningen University und The Global Centre on Adaptation, Rotterdam

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