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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 04/2021
  • Teja Tscharntke

Keine Schokolade ohne Artenvielfalt

Mit der richtigen Bewirtschaftung kann der Heißhunger auf Schokolade auch mit sehr artenreichen Agroforstsystemen gestillt werden. Dazu gehört natürliche Schädlingsbekämpfung – eine wenig verstandene Dienstleistung.

Landwirtschaft unter Schattenbäumen: Agroforstsysteme können eine hohe Artenvielfalt aufweisen, die andere Landnutzungssysteme weit übertrifft. © FAO / Joao Roberto Ripper

Die Zerstörung tropischer Regenwälder gehört zu den wichtigsten Ursachen des weltweiten Artenrückgangs. Gerade die am meisten gefährdeten Arten sind auf den strikten Schutz ungestörter Regenwälder angewiesen. Entsprechend sollte darauf höchste öffentliche Aufmerksamkeit liegen. Allerdings stehen weltweit nur 15 Prozent der Landfläche unter Schutz, während 38 Prozent landwirtschaftlich genutzt werden. Schutzgebiete reichen also keineswegs für einen nachhaltigen Biodiversitätsschutz aus. Nach Schätzungen sind bis zur Hälfte aller Arten auf die Flächen außerhalb von Schutzgebieten angewiesen, so dass die Art der Bewirtschaftung eine zentrale Rolle spielt.

Daher ist der Schutz der Biodiversität nicht nur aus Sicht des Naturschutzes, sondern auch aus landwirtschaftlicher Sicht relevant. Kleinbauern in den Tropen können beispielsweise von vielen Arten profitieren, indem diese einen Beitrag zur Bestäubung oder zur biologischen Schädlingskontrolle leisten. Dieser Nutzen der Biodiversität bietet eine Chance, Schutzanstrengungen mit den Bedürfnissen der meist armen Kleinbauern zu verbinden. Gerade Agroforstsysteme, also eine Landwirtschaft unter Schattenbäumen, können eine hohe Artenvielfalt aufweisen, die weit über der von anderen Landnutzungssystemen liegt.

Unsere Untersuchungen in Indonesien, dessen Regionen Wallacea und Sundaland zu den weltweit wichtigsten Hotspots der Biodiversität gehören, reichen etwa zwanzig Jahre zurück. Allerdings hat sich Indonesien in den letzten Jahren auch zu einem großen Produzenten von Agrarrohstoffen entwickelt. So ist das Land einer der größten Hersteller von Kakao. Damit stellte sich die Frage, ob und wie man bei der Kakaoproduktion den landwirtschaftlichen Nutzen mit Biodiversitätsschutz verbinden kann.

Reiche Ernte muss nicht auf Kosten der Vielfalt gehen

Unsere Untersuchungen zeigten, dass es – anders als typischerweise in Agrarlandschaften des globalen Nordens - keinen Zusammenhang zwischen dem Ertrag in Kakao-Agroforstsystemen und dem Artenreichtum gab. Auf den untersuchten Kakaoflächen, deren Erträge sich stark unterschieden, wurden bis zu 23 Vogelarten, 20 Baumarten und 17 Schmetterlingsarten gefunden. Interessanterweise spielte es für die Zahl der Arten, auch von endemischen Arten, keine Rolle, ob jährlich 100 oder 1.000 Kilogramm Kakaobohnen pro Hektar geerntet wurden. Eine große Ernte kann also ohne Verluste im Artenreichtum realisiert werden.

Ein Kakao-Agroforst-System auf der indonesischen Insel Sulawesi. © Manuel Toledo-Hernández

Leider besteht In Kakao-Agroforstsystemen bei den Kleinbauern die Tendenz, Schattenbäume zu fällen. Sie tun das in der Absicht, darüber den Ertrag zu erhöhen. Diese Schattenbäume können aus dem ursprünglichen Wald stammen, bevor er für die Anlage des Agroforstsystems ausgedünnt wurde. Oft sind sie aber auch angepflanzt. Was den Bauern interessiert, ist die prozentuale Schattenfläche an sich. Für den Artenreichtum an Vögeln und anderen Organismengruppen sind die Beschattung und insbesondere das Vorhandensein großer Bäume und einer größeren Zahl an Baumarten sehr wichtig.

Wie sich bei näherer Betrachtung zeigte, trat eine merkliche Verringerung der Kakaoernte erst bei einer Beschattung – oder Kronenschluss – von mehr als 40 Prozent auf. Das bedeutet, dass durch entsprechende Veränderungen in der Zusammensetzung der Schatten spendenden Bäume die Artenvielfalt positiv beeinflusst werden kann, ohne dass dies auf Kosten des Ernteertrags geht. Hohe Biodiversität ist also ­– wenn Bauern sich dafür einsetzen – auch auf ertragreichen Plantagen durch entsprechende Bewirtschaftung möglich.

Hohe Biodiversität ist auch auf ertragreichen Plantagen durch entsprechende Bewirtschaftung möglich.

Teja Tscharntke, Professor für Agrarökologie, Uni Göttingen

In anderen Untersuchungen konnten wir sogar zeigen, dass die Anwesenheit von Vögeln und Fledermäusen auf den indonesischen Kakaoplantagen positive Auswirkungen auf die Kakaoernte hat. Experimenteller Ausschluss von Vögeln und Fledermäusen von den Kakaobäumen führte zu mehr schädlichen Insekten, so dass die betroffenen Bäume bis zu 31 Prozent weniger Ertrag abwarfen. Die natürliche Schädlingskontrolle ist besonders in den tropischen Regionen, die zu den artenreichsten der Welt zählen, eine besonders wichtige, aber wenig verstandene und zu wenig geförderte Dienstleistung.

Unterschätzte natürliche Schädlingskontrolle

Um so wichtiger sind deshalb Landnutzungsmaßnahmen, die zu einer höheren strukturellen Vielfalt in den Anbaugebieten beitragen. Eine bessere Verteilung und Auswahl von Schattenbäumen, die im Kakaoanbau unerlässlich sind, würde zu einem verbesserten Angebot von Nistplätzen und Nahrung für Vögel und Fledermäuse beitragen. Würde beim Anbau die natürliche Schädlingskontrolle durch Vögel und Fledermäuse berücksichtigt, käme das nicht nur den Kleinbauern zugute, sondern auch dem Schutz der Artenvielfalt.

Aber nicht nur Vögel und Fledermäuse, auch die Anwesenheit einer großen Vielfalt an Ameisenarten hat positive Auswirkungen auf die Kakaoernte, wie unsere Untersuchungen in Indonesien zeigten. Eine artenreiche Ameisengesellschaft kann zwischen 27 und 34 Prozent des Kakaoertrags sichern. Ein experimenteller Ausschluss von Ameisen zeigte, dass einzelne Ameisenarten die Kakaoernte sowohl positiv als auch negativ beeinflussen können, wobei die positiven Effekte überwiegen. Sind die Kakaobäume von natürlich vorkommenden, artenreichen Ameisengesellschaften bevölkert, fällt die Kakaoernte um bis zu 27 Prozent höher aus, als wenn Ameisen von den Kakaobäumen ausgeschlossen sind.

Wird eine Ameisengesellschaft von einer einzigen Ameisenart zahlenmäßig dominiert, fallen die Ergebnisse unterschiedlich aus: Die auf Indonesien einheimische schwarze Kakao-Ameise weist einen ähnlichen Nutzen auf wie eine artenreiche Ameisenfauna- Die Invasion einer exotischen Ameise kann dagegen die Ernte um bis zu 34 Prozent verringern. Die Studie zeigt, dass es nicht ausreicht, einzelne Effekte der verschiedenen Organismen in Agroökosystemen herauszupicken, um zu bewerten, ob eine Art schädlich oder nützlich ist. Man muss die gesamte Lebensgemeinschaft und das gesamte System im Auge behalten, um den Einfluss auf die Gesamternte berechnen zu können.

Der Forscher Manuel Toledo-Hernández bei der Kakao-Handbestäubung. Sie trägt erheblich zur Ertragssteigerung bei. © Manuel Toledo-Hernández

Handbestäubung statt Agrochemikalien

Kakao ist auf dem Weltmarkt stark nachgefragt, aber um die Produktion zu steigern, werden sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen. In einem gut replizierten Feldversuch in indonesischen Agroforstsystemen haben wir auch die relative Bedeutung des Einsatzes von Pestiziden, Dünger und Handbestäubung untersucht. Das Ergebnis: Eine Steigerung des Ertrags und des Einkommens bewirkten nicht die Agrochemikalien, sondern die Handbestäubung. Kakao benötigt Fremdbestäubung durch Insekten, um Früchte zu produzieren. Wie die natürliche Bestäubung durch winzige Mücken, Fliegen oder Wespen zu fördern ist, ist nach wie vor unklar. Es ist noch nicht einmal die Identität der wichtigsten Bestäuber geklärt. In dieser Situation bleiben mehr als 90 Prozent der Blüten ohne Insektenbesuch und entwickeln keine Früchte.

Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die traditionelle landwirtschaftliche Intensivierung mit Agrochemikalien nicht immer der optimale Weg ist. Handbestäubung bewirkte eine Ertragssteigerung bei den Kakaobäumen um 161 Prozent. Nach Abzug der Kosten der Handbestäubung bedeutete das immer noch eine Steigerung des Einkommens der Kleinbäuerinnen und -bauern um 69 Prozent. Der erhöhte Einsatz von Pestiziden und Dünger brachte dagegen keine Steigerung des Ertrags.

Eine Limitierung der Produktion durch unzureichende Bestäubung spielt in vielen Kulturen in den Tropen – darunter auch bei Kaffee, Marakuja, oder Mango, also generell den meisten Früchten und Nüssen – wie auch in den gemäßigten Breiten eine große Rolle. Das sollte in der Zukunft viel stärker bei Anstrengungen zur Produktionssteigerung berücksichtigt werden.

Natürliche Dienstleistungen ausnutzen

Zusammenfassend zeigen die Beispiele, dass ein ökologisch gut informiertes Landnutzungsmanagement eine hohe Produktivität mit einer hohen Artenvielfalt zusammenbringen kann. Dann können die Dienstleistungen dieser Organismen, zu denen die Schädlingskontrolle und die Bestäubung zählt, ausgenutzt werden. Das sind positive Nachrichten sowohl für Kleinbauern wie auch für Naturschützer, auch wenn es hier noch an detaillierter Forschung mangelt.

Die praktische Umsetzung bleibt eine große Herausforderung. Wichtige Anreize für einen nachhaltigeren Anbau können von Konsumenten geleistet werden, die auf Öko- und Fairtrade-Labels achten. Regierungen können einen Beitrag leisten, indem sie die Verpflichtung zu den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (2011) für den Agrarimport ernst nehmen, wozu das deutsche Lieferkettengesetz (2020) ein erster Beitrag ist. Am Beispiel des Kakaoanbaus in Indonesien wird jedenfalls deutlich, dass der Heißhunger auf Schokolade auch mit sehr artenreichen Agroforstsystemen gestillt werden kann.

Referenzen:

Bea Maas et al. (2013) Bats and birds increase crop yield in tropical agroforestry landscapes. Ecology Letters 16(12), 1480-1487.

Yann Clough et al. (2011) Combining high biodiversity with high yields in tropical agroforests. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 108(20), 8311-8316.

Manuel Toledo-Hernández et al. (2020) Hand pollination, not pesticides or fertilizers, increases cocoa yields and farmer income. Agriculture, Ecosystems and Environment 304, 107-160.

Teja Tscharntke et al. (2011): Multifunctional shade-tree management in tropical agroforestry landscapes – a review. Journal of Applied Ecology 48: 619-629.

Arno Wielgoss et al. (2014) Interaction complexity matters: Disentangling services and disservices of ant communities driving yield in tropical agroecosystems. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 281 (1775): 2013-2144.

Teja Tscharntke Georg August Universität Göttingen, Department für Nutzpflanzen-Wissenschaften

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