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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 12/2020
  • Bernd Seiffert, Peter Wobst

Kinderarbeit in der Landwirtschaft: Wo liegt der Schlüssel zur Wende?

Schon vor Corona stieg die Zahl von Kinderarbeitern auf den Feldern dieser Welt. Ohne mehr entschiedenes Handeln an der Wurzel kann der Zustand bis 2025 nicht beendet werden.

Tagelöhner und ihre Kinder bei der Arbeit in Indien. Außerhalb der Schule hält die Internationale Arbeitsorganisation ILO begrenzte Tätigkeiten von Kindern für viele kleinbäuerliche Familien für wichtig. © Katrin Park / International Food Policy Research Institute (IFPRI)

Anstatt in die Schule gehen, arbeiten In den ländlichen Regionen der Welt Millionen von Mädchen und Jungen als Kinderarbeiter in der Landwirtschaft. Kinderarbeiter gibt es fast überall, oft verdeckt auf Bauernhöfen, Fischerbooten und Plantagen, in Wäldern und Bergregionen, oder anderen abgelegen Gebieten, wo sie beispielsweise das Vieh hüten. Mädchen müssen neben der Feldarbeit häufig zusätzliche Aufgaben im Haushalt verrichten. 

Ohne Ausbildung können diese Kinder nicht zu erfolgreichen und innovativen Bauern werden. Als Jugendliche und Erwachsene werden sie keine angemessen bezahlte Arbeit in anderen Berufen finden. Kinderarbeit verlängert somit den Kreislauf der Armut – für die Kinder selbst, aber auch für ihre Familien und die Gemeinschaften, in denen sie leben. Diese Jungen und Mädchen werden die Armen von morgen sein.

Was ist Kinderarbeit? 

Die zwei zentralen Kinderrechtskonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beziehen sich in ihrer Definition von Kinderarbeit auf das Kindesalter (unter 18 Jahren), die Schulpflicht, die Arbeitsstunden und -bedingungen sowie auf die Tätigkeiten und die damit verbundenen Gefahren. Bei den sogenannten schwersten Formen von Kinderarbeit sind, besonders in der Landwirtschaft, oft gefährliche Arbeiten oder die damit verbundenen Bedingungen entscheidend. 

Den Schutz vor ökonomischer Ausbeutung betont auch die UN-Kinderrechtskonvention (UNICEF). Hier Näheres zur Definition von Kinderarbeit. Es ist wichtig hervorzuheben, dass die ILO-Konventionen gewisse ungefährliche Tätigkeiten von Kindern außerhalb des Schulunterrichts für bestimmte Altersgruppen erlauben. Für viele kleinbäuerliche Familien können solche begrenzten Tätigkeiten wichtig sein, um Wissen und Fähigkeiten zwischen den Generationen weiterzugeben. Darüber hinaus können Kinder auch mithelfen, die Ernährungssicherheit armer Familien zu gewährleisten. 

Die meisten Kinder arbeiten in der Landwirtschaft

Mit über 70 Prozent hat die Landwirtschaft laut ILO weltweit den höchsten Anteil an der Kinderarbeit. Von den insgesamt 152 Millionen Kinderarbeitern sind 108 Millionen Mädchen und Jungen im Alter zwischen fünf und 17 Jahren in der Land- und Forstwirtschaft sowie in der Fischerei beschäftigt. Rund drei Viertel der Kinderarbeit ist nach Schätzungen nicht-bezahlte Arbeit in Familienhaushalten, was oft mit gravierenden Armutsverhältnissen verbunden ist. 

Eine Kinderarbeiterin beim Sammeln von Feuerholz in im tibetischen Kathmandu. © FAO / Giuseppe Bizzarri

Jedes Jahr sterben global nach ILO-Angaben etwa 22 000 Kinder bei Arbeitsunfällen, wobei die Landwirtschaft hinter dem Baugewerbe und dem Bergbau der drittgefährlichste Wirtschaftssektor ist.

Zwischen 2012 und 2016 ist die Gesamtzahl der Kinderarbeiter international zwar leicht gesunken, in der Landwirtschaft aber leider um zehn Millionen (rund 12 Prozent) gestiegen. Viele Organisationen berichten, dass die mit der Covid-19-Pandemie verbundenen Einkommensverluste in vielen Familien dazu geführt haben, dass Kinderarbeit inzwischen wieder deutlich zunimmt. 

Kinderarbeit gibt es überall

Kinderarbeit ist ein globales Problem, es gibt sie in allen Regionen der Erde. Am höchsten ist der Anteil von Kinderarbeitern aber in Afrika, wo eines von fünf Kindern arbeitet und 85 Prozent der Kinderarbeit auf die Landwirtschaft entfallen. 

Diese ILO Angaben machen zweierlei deutlich: Erstens, nur wenn es gelingt, die Zahl der Kinderarbeiter in der Landwirtschaft zu verringern, lässt sich Kinderarbeit weltweit erfolgreich bekämpfen. Zweitens, alle Formen von Kinderarbeit bis zum Jahre 2025 ganz abzuschaffen, wie es sich die internationale Gemeinschaft zum Ziel gesetzt hat, wird beim gegenwärtigen Trend offensichtlich nicht erreicht. 

Die internationale Gemeinschaft muss deshalb viel radikaler und entschiedener handeln, um die vielfältigen Ursachen in den Griff zu bekommen. Das Problem der Kinderarbeit ist sehr komplex. Was ist zu tun? 

Wir brauchen ein stärkeres Engagement und bessere Zusammenarbeit von Verantwortlichen aus den Bereichen Arbeitsrecht, Landwirtschaft, Armutsbekämpfung, Ernährungssicherung, Bildung, Recht, Gesundheit und soziale Absicherung. Vor allem Regierungen und ihre Ministerien (auch in den Bereichen Regionalentwicklung, Frauen, Kinder, Jugendbeschäftigung, Infrastruktur und Handel) sowie private und öffentliche Investoren müssen wesentlich stärker zusammenarbeiten. Auch die Medien spielen eine Rolle.

Konzentration auf globale Lieferketten reicht nicht aus 

Leider konzentrieren sich die Aufmerksamkeit und die finanziellen Mittel zur Bekämpfung von Kinderarbeit bislang auf wenige globale Wertschöpfungsketten. Am weitesten verbreitet ist Kinderarbeit aber nicht in der Herstellung von Produkten für die Weltmärkte (wie Schokolade, Kaffee, Tee, Gewürze oder Baumwolle), sondern in nationalen, regionalen und lokalen Lieferketten und in der Subsistenzlandwirtschaft. 

Wenn wir die Lage dieser größten Gruppe von Kinderarbeitern weiter ignorieren, werden wir es nicht schaffen, das UN-Entwicklungsziel 8.7 der Agenda 2030 zu erreichen, nämlich alle Formen der Kinderarbeit zu beenden. Wir müssen dazu also umdenken und viel stärker in die kleinbäuerliche Landwirtschaft investieren. 

Notwendig sind Mittel und Wege, um die niedrigen Löhne von Landarbeitern und die oft unangemessen niedrigen Preise für Produkte von Kleinbauern zu erhöhen. Angemessene Mindestlöhne können beispielsweise helfen, einen Mindestlebensstandard zu erreichen. Außerdem gilt es, die kollektive Selbstorganisation und damit die Verhandlungsmacht zu stärken: von Landarbeitern für existenzsichernde Löhne wie von Kleinbauern für gerechte Preise. 

Um es deutlich zu machen: Solange wir für eine Hundert-Gramm-Tafel Schokolade im Supermarkt nur rund 50 Eurocents zahlen, wird es uns offensichtlich nicht gelingen, die grassierende Kinderarbeit umfassend und drastisch zu bekämpfen. 

Es ist sehr vielversprechend, dass inzwischen eine wachsende Zahl von europäischen Ländern und die EU angekündigt haben, Kinderarbeit mit Nulltoleranz zu begegnen und Lieferkerketten sorgfältiger auf Kinderarbeit zu überprüfen. Doch dies reicht nicht aus. 

Industriestaaten, Entwicklungsländer und Unternehmen müssen sich insgesamt stärker engagieren, um Kinderarbeit zu beenden. Es geht darum, Armut zu verringern und damit die wirtschaftliche Abhängigkeit armer Familien von Kinderarbeit zu beenden. Lieferketten auf Sorgfaltspflichten (due diligence) zu überprüfen, wird allein nicht ausreichen, solange Familien keine Alternative zur Kinderarbeit haben. 

Auf einer Plantage in Sri Lanka werden Mädchen für die Arbeit angelernt. © ILO

Deshalb werden Projekte und Programme gegen Kinderarbeit, die nur isoliert auf einige globale Wertschöpfungsketten abzielen, insgesamt betrachtet kaum Erfolg bringen. Wir benötigen vielmehr dringend einen viel umfassenderen Ansatz, um Kinderarbeit abzuschaffen. 

Umfassender Ansatz zur Armutsbekämpfung 

Im Kern kommt es nach Meinung der FAO darauf an, Strategien und Programme mit privaten und öffentlichen Mitteln zu finanzieren, sodass sie zur Bekämpfung von Kinderarbeit in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft beitragen – und zwar für alle Bereiche: Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Bildung, Gesundheit, Ernährungssicherung, Armutsbekämpfung, soziale Absicherung, Gemeindeentwicklung, Infrastruktur und Handel usw. Bislang wird viel zu sehr vernachlässigt, dass all diese Dimensionen einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Kinderarbeit leisten können. 

Auch die Weltbank und die Entwicklungsbanken für Afrika und Asien sowie andere internationale Finanzinstitutionen spielen eine entscheidende Rolle. Sie sollten dem Problem Kinderarbeit mehr Aufmerksamkeit schenken und jedes einzelne Programm zur Landwirtschaft, ländlichen Entwicklung, Ausbildung und Klimawandel daraufhin überprüfen, wie es zum Abbau von Kinderarbeit beitragen kann.

Vielversprechende Initiativen

Erfolgreich erprobt sind in der Landwirtschaft folgende konkrete Initiativen und Investitionen: 

Kinderarbeit global abzuschaffen wird nur gelingen, wenn Armutsbekämpfung in der Landwirtschaft eine höhere Priorität bekommt. Dazu gehört, die Rechte von Kleinbauernfamilien zu stärken und ihre Lebens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig zu verbessern. Sind Kleinbauern Teil internationaler Lieferketten, müssen die beteiligten Unternehmen faire Preise zahlen, damit ihre Produkte ohne Kinderarbeit hergestellt werden können.

Das von der UNO beschlossene Internationale Jahr für die Beseitigung der Kinderarbeit (2021) bietet reichlich Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen, Engagement zu zeigen, sowie Ansätze und Prioritäten zu überdenken, um Kinderarbeit stärker zu bekämpfen.

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