Wenn Städte wachsen: Ernährung nicht ohne informelle Akteure planen
Afrikas urbane Zukunft ist weder geplant noch gebaut. Will man die schwierige Frage der Ernährung vorbereiten, muss man neu denken und den informellen Sektor einbeziehen.
Städtische Gebiete verbrauchen etwa 70 Prozent der Lebenmittel dieser Welt, ihre Ernährungssysteme tragen wesentlich zur Emission von Treibhausgasen, zu Abfall, Wasserverbrauch und Landnutzung teil – lokal und global. Das ist herausfordernd, ist aber auch als Chance zu sehen, da Systeme zur Ernährung städtischer Gebiete auch als Hebel dienen können, um größere Nachhaltigkeit und Gleichheit herzustellen. Eine entscheidende Frage lautet also: Wie können wir Stadtbevölkerungen nachhaltig ernähren? Dies wird eine der dringlichsten Fragen dieses Planeten in den nächsten Jahrzehnten sein – besonders im afrikanischen Kontext.
Die Zahl afrikanischer Städte hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt, von 3300 auf 7600, die kumulierte Einwohnerzahl wuchs um 500 Millionen Menschen. Bis zum Jahr 205 werden Afrikas Städte weitere 950 Millionen beherbergen. Diese urbane Zukunft wird sich in Gegenden abspielen, die noch nicht bebaut und von Informalität geprägt sind. Beschäftigung und die Verbindung zu Basisversorgung wird sich überwiegend im informellen Sektor abspielen – auch Wohnen, Ernährungssysteme und Governance werden informellen Charakter haben. Vor diesem Hintergrund noch nicht gebauter oder geplanter Städte wird die Ernährung der Städter zu einer schwierigen Aufgabe.
Obwohl die Frage, wie die Stadtbevölkerung nachhaltig und gerecht ernährt werden kann, nicht beantwortet ist, findet sich das Thema Ernährung seltsamerweise nicht auf der Stadtentwicklungs- und Planungs-Agenda – und das Thema Städte fehlt auf der Nahrungsmittel-Agenda. Bis vor kurzem. Die Vernachlässigung scheint ein Ende zu nehmen. Denn der diesjährige Welternährungsbericht der FAO hat den Fokus Ernährungssicherheit in Städten. Der Welternährungsausschuss (CFS) kündigte vor kurzem an, sein nächster Bericht hochrangiger Experten (HLP) wird sich um urbane und peri-urbane Ernährungssysteme drehen. Es zeichnet sich ein politisches Moment ab, die Ernährung der Städte in beide Disziplinen einzubetten.
Vorsicht geboten
Als jemand, der seit über 15 Jahren im Bereich der städtischen Ernährung tätig ist, begrüße ich die sich bietenden Gelegenheiten sehr, möchte aber auch zur Vorsicht mahnen. Das Thema Ernährung steht nicht zum ersten Mal auf der städtischen Agenda. Historisch gesehen haben Regierungen eine ausreichende Versorgung der Stadtbevölkerung mit Nahrungsmitteln als eine Grundvoraussetzung für politische und wirtschaftliche Stabilität angesehen – angefangen bei der kolonialen Expansionsphase während der industriellen Revolution zur Versorgung der Stadtbevölkerung. Die Kontrolle über das Ernährungssystem hat die Stadt tiefgreifend geprägt, ohne dass dies immer sichtbar wäre, und hat die lokale, regionale und globale Geografie, Wirtschaft und Politik geformt.
In Sambia beispielsweise unterstellte die Marktverordnung von 1937 (Lusaka Markets Act) die Märkte der Kontrolle und Verwaltung der Kommunalbehörden und gab ihnen die Macht, die Marktgebäude zu regulieren und zu bestimmen, welche Waren wann und zu welchen Höchstpreisen verkauft werden durften. Außerdem erhielten sie das Recht, Waren zu inspizieren und zu klassifizieren. Das Gesetz verbot jedem, im Umkreis von zwei Meilen um einen Markt Waren zu verkaufen. Dadurch wurden zugelassene Händler vor dem Wettbewerb mit nicht zugelassenen Händlern abgeschirmt. Bestimmte Produktionsketten von Lebensmitteln wurden privilegiert und andere für unzulässig erklärt.
Desgleichen wurden in Simbabwe durch die Gebietseinteilung aus der Kolonialzeit die Maismühlen rechtlich auf Industriegebiete beschränkt – nach der Vision eines Lebensmittelsystems, das von Großbauern vom Land mit Mais versorgt wird, der in industriellem Maßstab gemahlen wird. Was jedoch Tausende von Kleinstmühlen in Wohngebieten in die Illegalität und Informalität verbannte, da sie das geplante Lebensmittelsystem potenziell untergraben hätten.
Historisch gesehen war die Steuerung der städtischen Ernährungssysteme von zentraler Bedeutung für die Kontrolle der städtischen Räume und Wirtschaften. Sie schuf die Grenzen zwischen formell und informell, sie formte die Auffassung davon, was ländlich und was städtisch sein sollte – zog klare Grenzen zwischen städtischen und ländlichen Aktivitäten und Lebensweisen – und wie sie sich zueinander verhalten sollten. Die Governance hat Wirtschaft, Geografie, politische Macht und Ausgrenzung geprägt.
Rahmenwerke der Planung blockieren Veränderung
Wenn wir also über zukünftige Ernährungspolitik und Governance nachdenken, müssen wir uns diese weitgehend vergessenen Geschichten vom Umgang mit Nahrung in Städten vor Augen halten, da sie gegenwärtige Bedingungen ebenso tiefgreifend beeinflussen wie potenzielle Wegpfade für Veränderungen.
Viele der Planungsordnungen und Rechtsvorschriften, die erlassen wurden, um diese Bedingungen für das Lebensmittelsystem zu schaffen, sind noch in Kraft und blockieren transformative Veränderungen - zum Beispiel, um Straßenhändler stärker einzubeziehen. Es gilt, veraltete Rechtsvorschriften zu identifizieren und zu reformieren.
Um zu nachhaltigen städtischen Lebensmittelsystemen zu gelangen, sind daher neue Formen der Regierungsführung erforderlich, die die Auswirkungen historischer Methoden der Ordnungspolitik berücksichtigen. Diese Rechtsvorschriften haben nicht nur einen technischen Effekt, sondern auch einen Bewusstseinseffekt, denn sie prägen die Einstellung von Politikern und Entscheidungsträgern, wie die Stadt auszusehen habe.
Hier möchte ich vier wichtige Schritte vorschlagen, um nachhaltige und gerechte städtische Ernährungssysteme auf die politische Tagesordnung zu setzen.
Erstens muss der politische Wille zum Handeln geweckt werden, wenn das Thema Nahrung wieder auf der politischen Agenda der Städte auftaucht. Dies kann gelingen, indem man erkennt, welches Potenzial das Ernährungssystem hat, um grünere, gesündere und wirtschaftlich dynamischere Städte zu schaffen und um den Staaten zu helfen, wichtige Entwicklungsziele zu erreichen. Nahrungsmittel wurden schon früher genutzt, um umfassendere Ziele für Städte zu gestalten. Es ist an der Zeit, sich diese Macht wieder zu Eigen zu machen.
Wenn das Ernährungssystem potenziell auch andere Entwicklungsprobleme positiv beeinflussen kann, dann ist die Forderung nach seiner stärkeren Beachtung kein zusätzliches Mandat obendrauf und kein weiterer Anspruch an die Stadtverwaltungen. Stattdessen bietet es die Chance, zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu gelangen. Dazu bedarf es jedoch gezielter Konzepte und Erkenntnisse. Es setzt eine umfassendere Vision voraus. Es erfordert auch eine ernsthafte Abwägung der anfallenden Kosten, wenn man sich NICHT um Ernährungsfragen kümmert.
Im Jahr 2018 hat die Regierung der südafrikanischen Provinz Western Cape die Kosten der doppelten Belastung durch Fehlernährung berechnet und kam zu dem Ergebnis, dass der Provinz bis 2040 Haushaltsausgaben in Höhe von 357 Mrd. Rand aufgrund von Verkümmerung und bis zu 590 Mrd. Rand infolge von Fettleibigkeit verloren gehen würden (zum damaligen Zeitpunkt 1 USD:11 Rand); dies entspricht einem Verlust von 5 Prozent des BIP allein durch entgangene Ausgaben. Es müssen außerdem die möglichen Kosten politischer Unruhen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und Existenzgrundlagen sowie die Wirkung der Ernährungssysteme auf den Klimawandel berücksichtigt werden. Und dies bringt möglicherweise neue Partner ins Spiel, die finanzielle Mittel und Netzwerke mobilisieren können.
Kein peripheres Mandat für die Kommunen
Zweitens muss ein Verständnis dafür entwickelt werden, dass urbane Ernährungssysteme nicht an der Peripherie städtischer Kernaufgaben liegen. Historische Erfahrungen mit der Steuerung von Ernährungsfragen zeigen uns, dass Kommunen tatsächlich über immense Macht verfügen, wenn es darum geht, Systeme der Lebensmittelversorgung zu gestalten, und dass sie diese Macht in der Vergangenheit auch genutzt haben. Wir wissen auch, dass die urbanen Systeme durch die lokale Wirtschaft, die Infrastrukturen, die Sozialpolitik usw. geprägt sind, und deshalb müssen wir über eine transversale (oder fachübergreifende) Governance für den Lebensmittelbereich nachdenken. Wenn wir nicht übergreifend handeln, kann jede Politik oder jedes Programm potenziell verpuffen.
Da wir weltweit mit Sparmaßnahmen und Ressourcenknappheit konfrontiert sind, kann eine gemeinsame Programmplanung unter Einbeziehung aller Ministerien und Regierungsebenen den Nutzen von Investitionen nur maximieren.
Und drittens muss anerkannt werden, dass die Akteure und Nutzer der lokalen Lebensmittelsysteme über ein tief verwurzeltes Wissen verfügen, wie sie funktionieren und wo Hindernisse bestehen. "Harte" Daten über Nahrungsketten mögen begrenzt und bedingt sein, aber die Zusammenarbeit mit lokalen Marktteilnehmern kann tiefgreifende Erkenntnisse für die Gestaltung des Systems liefern. Wenn sie die Möglichkeit haben, können Markthändler in Sambia den kommunalen Verantwortlichen leicht erklären, warum Pläne, einen Markt zu verlegen, untauglich sind. Eine Hühner- und Eierverkäuferin in Kisumu, Kenia, weiß, warum ihre Hühner aus der Region stammen, die Eier aber von der anderen Seite der ugandischen Grenze, und sie hat tiefe gelebte Erfahrungen mit der Landwirtschaft und den Folgen von Handelspolitik.
Diese Akteure müssen in die Politikgestaltung und -umsetzung einbezogen werden. Wir dürfen jedoch nicht so naiv sein und einfache Zusammenhänge unterstellen. Diese Systeme bergen tiefgründige politische Interessen, was teilweise auf die frühere Geschichte der Ernährungswirtschaft zurückzuführen ist. Um dieses Wissen also zu nutzen, müssen wir Vertrauen neu aushandeln, eingefahrene Machtverhältnisse anerkennen und bereit sein, uns auf die verzwickte Politik der städtischen Nahrungsmittelmärkte einzulassen.
Schließlich sind es viertens Faktoren weit über kommunale Zuständigkeiten hinaus, die urbane Versorgungssysteme beeinflussen und von ihnen beeinflusst werden. Daher müssen Steuerungsprozesse auf mehreren Ebenen entwickelt werden, die sowohl von kommunalen wie auch von nationalen Interessen getragen werden. Im Anschluss an den UN-Gipfel für Ernährungssysteme im Jahr 2021 entstand eine Koalition für urbane Ernährungssysteme. Diese Koalition versucht, Wege zur Stärkung solcher Wechselbeziehungen zu finden. Allzu oft beschränkt sich hierarchienübergreifende Regierungsführung darauf, dass die nationale Ebene von der kommunalen Ebene erwartet, politische Maßnahmen und Programme einfach nur umzusetzen. Wir brauchen eine echte Mehrebenenpolitik, bei der die Stimmen der Städte in die nationalen politischen Agenden Eingang finden.
Während globale, nationale und lokale Politik-Akteure ihren Blick auf die immense Herausforderung der Ernährung unserer Städte schärfen, ist es unerlässlich, sich kritisch mit den anhaltenden Auswirkungen historischer Planung und Verwaltung auseinanderzusetzen und neue Ansätze zu wählen, die querschnittsorientiert sind, ein breites Spektrum an formellen und informellen Beteiligten einschließen und auf mehreren Ebenen ansetzen.