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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 10/2021
  • Dr. Philip Howard

Wie Konzerne über unser Essen bestimmen

Die Konzentration von Unternehmen im Ernährungs- und Agrarsektor ist so hoch wie nie. Immer weniger Menschen entscheiden über unsere Nahrung.

Zehn Giganten der Fleischbranche mit Sitz in Brasilien, USA, China, Japan und Ländern der EU kontrollieren den Weltmarkt. Mit ihrer Marktmacht können sie niedrige Erzeugerpreise durchsetzen, manchmal unter Produktionskosten. © via piqsels

In vielen Branchen geht der Trend weg von Märkten, die aus vielen kleinen Betrieben bestehen, hin zu Märkten, die von wenigen großen Unternehmen beherrscht werden. Aus der Technologiebranche sind uns die gigantischen Ausmaße von Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft wohlbekannt. In der Lebensmittel- und Landwirtschaft ist – weniger prominent – eine ähnliche Konzentration im Gange. Branchen entlang der gesamten Lebensmittelkette – also Einzelhandel, Lebensmittelherstellung oder -verarbeitung sowie landwirtschaftliche Betriebsmittel – fallen zunehmend unter den Begriff "geteilte Monopole". In der Folge treffen immer weniger Menschen Schlüsselentscheidungen über die Nahrungsmittel, die wir essen – mit unzähligen negativen Auswirkungen auch auf unsere Gesellschaften und Ökosysteme.

Diese Trends sind vermeidbar. Sie werden wesentlich durch die Politik von Regierungen vorangetrieben, die die Vorteile größerer Unternehmen weiter verstärken. In einem Teufelskreis reagieren Regierungen auf die wachsende Macht der Großkonzerne, indem sie deren Forderungen nach politischen Kursänderungen immer häufiger nachkommen. Das macht es kleineren Firmen noch schwerer, überlebensfähig zu bleiben.

Marktbeherrschende Unternehmen behaupten für sich, dass eine weitere Ausdehnung ihrer Position zu niedrigeren Preisen für die Konsumenten und auch zu mehr Innovation führen wird. Doch das Gegenteil ist der Fall: Immer niedrigere Preise und Löhne für Zulieferer und Arbeitnehmer sowie steigende Verbraucherpreise und die Sabotage von Innovationen sind alles wohl kalkulierte Folgen von Konzernstrategien, die auf einen Ausbau ihrer Macht im Vergleich zu anderen marktbeherrschenden Unternehmen zielen. Unternehmen, die nicht in diesen Kategorien denken, wachsen langsamer als andere und können selbst zur Zielscheibe von Übernahmen werden.

Preisabsprachen von Fleischverarbeitern

In einem Markt mit funktionierendem Wettbewerb hat kein einzelnes Unternehmen die Macht, die Preise zu bestimmen. Wirtschaftswissenschaftler gehen davon aus, dass sich diese Situation ändert, sobald vier Unternehmen 40 Prozent oder mehr eines Marktes kontrollieren. Bei diesem Konzentrationsgrad können große Unternehmen ihre Absicht signalisieren, die Preise anzuheben – und andere Unternehmen derselben Größenordnung folgen dem Beispiel und profitieren ihrerseits davon.

Einige Unternehmen gehen angeblich sogar noch weiter, wie die meisten der führenden Fleischverarbeiter in den Vereinigten Staaten. Den Marktführern Tyson, JBS, WH Group und Perdue wird neben anderen Firmen vorgeworfen, eine Datenaustauschfirma namens Agri Stats genutzt zu haben, um ihr Vorgehen am Markt zu koordinieren und die Preise in den vergangenen Jahren abgesprochen zu erhöhen. Infolgedessen haben sie mehrere Hundert Millionen Dollar Bußgelder und Strafen für Vergleiche in Sammelklagen gezahlt.

Auf der Ebene des Einzelhandels ist diese Dominanz weniger Firmen schwer zu erkennen. So unterhält JBS beispielsweise mehr als 100 Marken weltweit. Einige davon weisen auf der Verpackung gar nicht aus, dass sie zum JBS-Imperium gehören, und vermitteln dem Verbraucher so die Illusion einer größeren Auswahl. Dazu gehören auch Marken, die als Alternativen zu herkömmlichen Produkten wahrgenommen werden können, wie etwa aus biologischer oder grasgefütterter Aufzucht oder pflanzliche Fleischersatzprodukte.

Extreme Konzentration bei Betriebsmitteln

Auch bei den Herstellern landwirtschaftlicher Betriebsmittel ist die Konzentration auf globaler Ebene extrem vorangeschritten. Wie die nachstehende Abbildung zeigt, wird in den Branchen Agrochemikalien, Tierarzneimittel, Saatgut und landwirtschaftliche Ausrüstung die 40-Prozent-Schwelle für den Weltmarkt von je vier Unternehmen überschritten. Einige Firmennamen, wie ChemChina/Syngenta oder Bayer nehmen sowohl bei Saatgut wie auch bei Agrochemikalien eine beherrschende Stellung ein.

Chemieunternehmen haben über Jahrzehnte hinweg hunderte von Saatgutunternehmen aufgekauft, was die Saatgutpreise hat steigen lassen. Für eine wachsende Zahl von Saatgutsorten müssen die Abnehmer Chemikalien für ihre Felder beim gleichen Anbieter einkaufen. Diese Firmen haben mit anderen Worten ihr Monopol im Markt von einem landwirtschaftlichen Betriebsmittel mit Monopolen in anderen Betriebsmittelmärkten verbunden.

Höhere Preise für Betriebsmittel haben zu einer Spirale in der Produktion beigetragen. Wenn die Preise, die Landwirte für ihre Produkte erzielen, nicht im gleichen Maße steigen wie die für Betriebsmittel, müssen sie jedes Jahr in größerem Umfang produzieren, um ihr Einkommen zu halten. Diese Dynamik führt zunehmend dazu, dass mehr und mehr Betriebe vom Markt verschwinden. Landwirte, die in der Spirale bleiben, können ihren steigenden Flächenbedarf auf Kosten derjenigen decken, die aufgrund der gestiegenen Kosten ihre Höfe aufgeben müssen.

Innovationen nur durch Zukauf kleiner Firmen

Für die staatliche Genehmigung von Megafusionen haben Marktwächer oft die Innovationsfähigkeit der Unternehmen als Begründung angeführt – so wie bei der Übernahme von Syngenta durch ChemChina im Jahre 2017 und bei der Übernahme von Monsanto durch Bayer im Jahre 2018. Schaut man jedoch genauer, wie diese Eigentümerwechsel sich auswirken, dann zeigt sich, dass Innovationen in der Regel nicht innerhalb der marktbeherrschenden Konzerne entstehen, sondern durch die Übernahme kleinerer Unternehmen. Große, bürokratische Organisationen haben oft mehrschichtige Verfahren, in denen neue Ideen eher blockiert werden. Mega-Unternehmen sind auch deshalb selbst weniger innovativ, weil sie dann eher seltener von neuen disruptiven Marktteilnehmern herausgefordert werden.

Um Kosten zu senken und die zur Finanzierung von Fusionen und Übernahmen aufgenommenen Gelder zurückzahlen zu können, sind sind Entlassungen eine gängige Strategie. Bayer beispielsweise kündigte nach dem Kauf von Monsanto 2018 die Streichung von 12 000 Arbeitsplätzen an, was etwa 10 Prozent seiner weltweiten Belegschaft entsprach. Auch dieses Muster führt dazu, dass weniger Ressourcen in Innovationen gesteckt werden.

Protest für freies Saatgut und Pflanzenvielfalt vor der Bayer-Zentrale 2017. Der Kauf des amerikanischen Pflanzenschutz-Riesen Monsanto zog wegen des Pestizids Glyphosat eine riesige Klagewelle nach sich. © www.wir-haben-es-satt.de

Innovationen zielen auf Blockbuster

Kommt es in marktbeherrschenden Unternehmen doch zu Innovationen, sind diese wahrscheinlich sehr eng darauf ausgerichtet, für besonders einträgliche Verkaufsschlager Gewinne abzuschöpfen. Und selbst bei vielversprechenden Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen ziehen Unternehmen dieser Größenordnung häufig die Reißleine, wenn keine Wachstumsraten winken, die die anderer dominierender Unternehmen übersteigen.

Dies gilt beispielsweise für Forschungsinvestitionen in der Saatgutindustrie. Man strengt sich weniger an:

Kollateralschäden der Marktkonzentration

Andere negative Folgen der zunehmenden Marktmacht müssen nicht unbedingt beabsichtigt sein, können aber als Kollateralschäden betrachtet werden. Dazu gehören viele Konsequenzen für die Ökosysteme – darunter Umweltverschmutzung, Beschleunigung des Klimawandels, Zerstörung von Ressourcen und Artenvielfalt sowie eine zunehmende Anfälligkeit von Systemen für Epidemien. So schafft die Konzentration von genetisch hochgradig einheitlichen Nutztieren in Großbetrieben ideale Bedingungen für die Verbreitung von Krankheiten wie etwa die Afrikanische Schweinepest und die Vogelgrippe.

Wenn die Bewältigung solcher "externen Effekte" den beherrschenden Unternehmen höhere Kosten verursacht, werden sie tunlichst entsprechende Lösungen vermeiden. In einigen Fällen können Maßnahmen ihnen aber auch Vorteile verschaffen. Wenn es um bestimmte Standards geht, die nur die größten Unternehmen mit ihren Ressourcen erfüllen können, dann schaffen diese für kleinere Unternehmen eine gewaltige Marktzutrittsschranke – und werden daher wohlwollender betrachtet.

Wenn der Umgang mit "externen Effekten" dagegen zu niedrigeren Betriebskosten führt, dann wird eher in diese Initiativen investiert, wie z. B. bei Walmart, das seinen Energieverbrauch durch energie-effizientere Technologien senkt. Häufig wird das begleitet von noch höheren Ausgaben für Marketing, um diese Bemühungen öffentlich in ein positives Licht zu rücken und damit Greenwashing zu betreiben.

Anleger wollen überdurchschnittliche Renditen

Obwohl eine wachsende Zahl von Anlegern sich mit den negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen großer Unternehmen auseinandersetzt – was vielleicht sogar zur teilweisen Lösung einiger Probleme beiträgt –, wird der Finanzsektor das Grundproblem der konzentrierten Marktmacht nicht lösen können. Denn Kapital wird primär in solche Nachhaltigkeitsbemühungen fließen, die dem Streben der Anleger nach überdurchschnittlicher Rendite nicht zuwiderlaufen. Geschäftsinitiativen, die durch Patente oder Branchengeheimnisse geschützt sind, wecken stärkeres Anlegerinteresse als solche mit niedrigeren Marktzutrittsschranken, geringeren Möglichkeiten der Gewinnoptimierung und Barrieren gegen Monopolbildung.

Es ist auch unwahrscheinlich, dass Regierungen Maßnahmen ergreifen, um die Macht beherrschender Unternehmen durch ein schärferes Kartellrecht ernsthaft einzuschränken. Ausnahmen kommen in der Regel nur auf sehr starken öffentlichen Druck zustande, der die Legitimität des Staates (oder einer multilateralen Organisation) in Frage stellt. Ein Beispiel ist die Zerschlagung eines Kartells, das der Fleischhändler Swift Anfang der 1900er Jahre organisiert hatte, durch die US-Regierung. Solche außergewöhnlichen Schritte werden jedoch oft schnell wieder aufgehoben, oder ihre Umsetzung wird vereitelt, sobald der öffentliche Druck nachlässt.

So kontrollieren heute beispielsweise nur vier Unternehmen etwa 80 Prozent des US-Rindfleischmarktes. Das ist ein höherer Konzentrationsgrad als in den frühen 1920er Jahren, als fünf Unternehmen sich 70 Prozent dieses Marktes teilten. 

Der Abbau direkter und indirekter Subventionen für marktbeherrschende Unternehmen wäre ein längerfristiger Ansatz, um den Trend zur Machtkonzentration umzukehren. Zu diesen Subventionen gehören Steuererleichterungen, der Schutz geistigen Eigentums, die Bereitstellung von Infrastrukturen, welche die Kosten für Ferntransporte senken, Zahlungen zur Kostensenkung wichtiger Inputs (fossile Energien, Wasser, Rohstoffe), sowie die Finanzierung von Firmenübernahmen und zahlreiche andere Vorteile.

Konzentration rückgängig machen

Trends hin zu einer zunehmenden Unternehmenskonzentration mögen unvermeidlich erscheinen. Sie sind aber das Ergebnis menschlicher Entscheidungen und können somit auch rückgängig gemacht werden. Solange dies aber nicht geschieht, wird das Wachstum marktbeherrschender Unternehmen weiter zahlreiche soziale und ökologische Probleme mit verursachen und zugleich einer immer kleiner werdenden Zahl von Entscheidern erhebliche Macht verschaffen.

Nur wenn dies stärker allgemein anerkannt wird, kann es gelingen, die von diesen Unternehmen beabsichtigten Auswirkungen oder ihre Kollateralschäden zu bekämpfen. Alternativen, die sich nicht ausreichend davor schützen, kooptiert zu werden, können von den marktbeherrschenden Unternehmen leicht in ihr herkömmliches Geschäft integriert werden – was wiederum Problemen eher verschärfen kann, also sie zu lösen. So wird inzwischen die Mehrzahl der zertifizierten Bio-Lebensmittel auch von wenigen führenden Nahrungsmittelhändlern der Welt verkauft.

Die Marktkonzentration aufzuhalten und umzukehren wird sicherlich nicht einfach sein. Es wird ein viel stärkeres öffentliches Bewusstsein und Engagement erfordern, als das bisher der Fall war. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin wäre sicherlich, wenn sich mehr Menschen darüber informieren, wie sehr ihre Wahlfreiheit bei Nahrungsmitteln heute eine Illusion ist. Und sie müssten Alternativen schaffen oder unterstützen, die marktbeherrschende Unternehmen letztlich bedeutungslos machen.

Dr. Philip Howard Michigan State University, College of Agriculture & Natural Resources

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