Wechsel an der Spitze der FAO: To-do’s für den Neuen in Rom
Erstmals leitet ein Chinese die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganistion der Vereinten Nationen. Will Qu Dongyu den Einfluss Pekings in der größten UN-Sonderorganisation stärken? Oder für eine global nachhaltigere Landwirtschaft kämpfen? Erwartungen…
Mit der Wahl von Qu Dongyu zum neuen Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat China seinen Anspruch untermauert, im UN-System mehr Verantwortung zu übernehmen und damit auch mehr Einfluss auszuüben.
Die Mitgliedsländer dürfen gespannt sein, ob China mit der Übernahme der Spitzenposition bei der FAO beabsichtigt, verstärkt dazu beizutragen, Hunger und Armut zu bekämpfen, die Weltlandwirtschaft umweltverträglicher zu gestalten und für eine bessere Ernährung für alle Menschen zu sorgen. Oder ob es Peking darum geht, über die FAO vermehrt Einfluss auf die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern auszuüben, um diese politisch und wirtschaftlich dominieren zu können.
Der 56-jährige Qu setzte sich bereits im ersten Wahlgang erfolgreich gegen seine von der Europäischen Union bzw. von den USA unterstützten Mitbewerber aus Frankreich und Georgien durch. Bedauernswert ist, dass der Wahlkampf um diese Spitzenposition im UN-System weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, ohne jegliche öffentliche Debatte und Anhörung mit allen Bewerbern. Diesen Mangel an Transparenz sollten die FAO-Mitgliedsländer bei zukünftigen Wahlen beseitigen.
Einen schalen Beigeschmack haben zudem die unter Diplomaten kolportierten Gerüchte hinterlassen, China habe zahlreiche Entwicklungsländer mit finanziellen Vorteilen auf seine Seite gebracht. Qu wird sehr schnell mit konkreten Initiativen Vertrauen schaffen und beweisen müssen, dass er der Generaldirektor aller Mitgliedsländer ist.
Qu wird Unabhängigkeit, Offenheit, und Durchsetzungsvermögen aufbringen müssen, um die FAO international stärker zu positionieren.
Erwin Northoff Mitglied im Beirat "Welternährung"Ein Blick auf Qu's Lebenslauf zeigt, dass er sehr gute persönliche Voraussetzungen mitbringt, die ihn dazu qualifizieren, die größte Sonderorganisation der Vereinten Nationen zu leiten. Er war seit 2015 stellvertretender chinesischer Minister für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung und vorher stellvertretender Leiter der autonomen Provinz Ningxia Hui sowie Vizepräsident der chinesischen Akademie für Agrarwissenschaften. Der Sohn eines Reisbauern ist Biologe und hat an der niederländischen Universität Wageningen promoviert. Die Mischung aus wissenschaftlicher, administrativer und politischer Erfahrung dürfte ihm in seiner neuen Rolle zugute kommen.
Qu hat angekündigt, den renommierten Ökonomen Jeffrey Sachs zu seinem persönlichen Berater zu machen. Der Amerikaner ist Sonderberater von UN-Generalsekretär Antonio Guterres für die Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). Über Sachs könnte Qu die FAO bei den Vereinten Nationen in New York deutlich aufwerten und die Ideen und Konzepte der Organisation für eine nachhaltigere Ernährungssicherung und Landwirtschaft im internationalen SDG-Prozess stärker sichtbar machen.
Mehr Mittel für die ärmsten Länder
In seinem Aktionsprogramm hat Qu erklärt, dass er sich als Chef der FAO dafür einsetzen wolle, mehr Mittel in die ärmsten Länder umzulenken, um die Hunger- und Armutsbekämpfung vor allem in den tropischen und trockenen Regionen zu forcieren und die Produktivität der Kleinbauern durch Fortbildung und auch angepasste technische Innovationen zu verbessern. Er warb außerdem für den verstärkten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien entlang der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette, damit Bauern direkter und besser an Informationen über Märkte und Preise gelangen und damit ihre Absatzchancen erhöhen. Und er forderte die FAO auf, stärker als bisher die Umweltbeeinträchtigungen der Landwirtschaft durch eine nachhaltige Entwicklung zu verringern.
Qu übernimmt das Amt für vier Jahre und das in einer Zeit wachsender internationaler Turbulenzen. Es ist zu befürchten, dass das verschlechterte internationale Umfeld, in dem er operieren muss, seinen Handlungsspielraum deutlich einschränken wird. Das multilaterale System, zu dem auch die FAO gehört, wird seitens populistischer Regierungen und Strömungen zunehmend in Frage gestellt. Das Weltwirtschaftswachstum verlangsamt sich; möglicherweise wird es mehr Armut und Hunger geben. Handels- und kriegerische Konflikte nehmen zu, und in vielen Ländern bekommen die Bauern die Folgen des Klimawandels deutlich zu spüren.
Zugleich ist es angesichts von rund 820 Millionen Hungernden weltweit fraglich, ob sich das sehr anspruchsvolle Ziel, den Hunger bis 2030 zu beseitigen, überhaupt erreichen lässt. Qu wird sehr viel diplomatisches Geschick, vor allem aber Unabhängigkeit, Offenheit, Kreativität und Durchsetzungsvermögen aufbringen müssen, um die FAO unter diesen sich zuspitzenden internationalen Bedingungen stärker zu positionieren.
Er wird den Druck auf die Länder erhöhen müssen, deutlich mehr als bisher zu tun, um die Zahl der Hungernden und Fehlernährten zu verringern. Alle sind sich einig, dass es längst wirksame Konzepte und Lösungen gibt, den Hunger zu beseitigen, dass es aber am politischen Willen vieler Regierungen und des Privatsektors fehlt, sie konkret und schnell umzusetzen. Qu könnte neue strategische Partnerschaften schmieden, um zusätzliche Mittel und politisches Kapital für eine bessere Ernährungssicherung und eine nachhaltigere Landwirtschaft zu mobilisieren.
Ohne den Privatsektor und seine Investitionen für die Nachhaltigkeitsziele zu gewinnen, werden die SDGs nicht zu verwirklichen sein. Dabei geht es auch darum, den Privatsektor zu verpflichten, die Richtlinien der FAO und anderer internationaler Organisationen für die Umsetzung von Sozial- und Umweltstandards umzusetzen. Zugleich wäre es erforderlich, den Welternährungsausschuss (Committee on World Food Security) und seine Beteiligungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft zu stärken.
Expertise der FAO mehr denn je gefragt
Innerhalb der Organisation wird es darauf ankommen, mehr in die Facharbeit der FAO zu investieren, um ihre technischen Kompetenzen deutlich zu steigern. Wo es um Landwirtschaft und Klimawandel, die internationalen Klimaverhandlungen, das Messen von Treibhausgasemissionen, eine klimaneutrale Viehzucht, grenzüberschreitende Tierkrankheiten wie Vogelgrippe und Afrikanische Schweinepest, den Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen oder den Schutz von Böden und Biodiversität geht – um nur einige Aufgaben zu nennen –, ist die Expertise der FAO mehr denn je gefragt. Ebenso ist zu wünschen, dass die FAO die Chancen der neuen Technologien für die Landwirtschaft erkennt und für die Hunger- und Armutsbekämpfung sowie für die nachhaltigere Nutzung von knappen Ressourcen nutzt.
Anstelle eines autoritären Führungsstils braucht die Organisation dringend eine offene und kreative Managementkultur mit klar definierten Mitspracherechten und einfachen, übersichtlichen Entscheidungsstrukturen. Qu wird nur erfolgreich sein, wenn er mit seinen Mitarbeitern eng zusammenarbeitet, und nicht gegen die Organisation regiert. Dass er sich in den ersten Tagen nach seinem Amtsantritt viel Zeit nahm, die meisten Mitarbeiter persönlich zu begrüßen, hat ihm viel Lob eingebracht. Auch die Suspendierung des bisherigen umstrittenen Personalchefs lässt hoffen, dass ein dringend notwendiger Richtungswechsel in der Personalpolitik ansteht, der Eigeninitiative, Partizipation und offenen Dialog fördert.
Nach seiner Wahl hat Qu zudem betont, dass er ein neutraler und unabhängiger Generaldirektor sein will. Er reagierte damit wohl auch auf Befürchtungen vieler Beobachter, dass die FAO zum Erfüllungsgehilfen Pekings degradiert werden könnte.
Ein Hintergrund ist sicherlich die von China seit 2013 mit Nachdruck verfolgte Belt and Road Initiative. Das bisher größte und hunderte von Milliarden Dollar teure Infrastrukturprojekt der Welt wird die teilnehmenden Länder über Flug- und Seehäfen, Schienen und Straßen miteinander verbinden, und soll China zugleich wichtige Finanz- und Warenmärkte erschließen. Viele Länder werden davon profitieren können, was ihre Infrastruktur, technische Innovationen und den Agrarhandel betrifft – wenn ihre Souveränitätsrechte respektiert werden.
Wird Qu die Initiative Neue Seidenstraße notfalls kritisieren?
Werden diese Projekte allerdings ohne Mitsprache der betroffenen Bevölkerung und besonders der Bauern umgesetzt, drohen Menschenrechtsverletzungen, ungerechtfertigte Landnahmen, die Zerstörung kleinbäuerlicher Strukturen und Umweltschäden. Die Frage stellt sich, ob die FAO unter Generaldirektor Qu die Auswirkungen des Projekts Neue Seidenstraße auf die ländliche Bevölkerung in den teilnehmenden Staaten unabhängig analysieren sowie notfalls kritisieren und Korrekturen anmahnen kann? Denn Kritiker befürchten, dass mit der Initiative Transparenz, faire Ausschreibungen und verbindliche Regeln auf der Strecke bleiben. Gerade kleinere Länder drohen in große finanzielle Abhängigkeit von China und in eine Schuldenfalle geraten.
Im nächsten Jahrzehnt wird sich entscheiden, ob die internationale Gemeinschaft es schaffen wird, die ehrgeizigen Nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 zu erreichen. Ohne Zweifel wird die Landwirtschaft dabei eine überragende Rolle spielen. Hunger-, Ernährungs-, Klima-, Wasser-, Boden-, Meeres- und Waldprobleme lassen sich nur mithilfe von hunderten Millionen Bauern lösen, die in der Mehrzahl Kleinbauern sind. Die FAO kann maßgeblich mithelfen, das stark reformbedürftige Welternährungssystem effizienter, umweltverträglicher und sozial gerechter zu machen. Es liegt am neuen FAO-Chef, diesen Wandel mit Vision, Innovation, Transparenz, Partizipation und Elan voranzutreiben.
Mächtiges Haus im UN-System
- Qu Dongyu wurde am 23. Juni mit 108 von 191 Stimmen gewählt. Seine Amtszeit begann am 1. August und wird bis zum 31. Juli 2023 dauern.
- Die FAO mit Sitz in Rom hat rund 11.000 Mitarbeiter und einen Zwei-Jahres-Haushalt von knapp über 2,5 Milliarden Dollar.
- Der deutsche Beitrag zum regulären FAO-Haushalt 2018/2019 beträgt insgesamt rund 27 Millionen Euro. Darüberhinaus unterstützt Deutschland freiwillig bestimmte Projekte der FAO mit rund 20 Millionen Euro pro Jahr. Gegenwärtig ist die Bundesrepublik nach den USA, Japan und China der viertgrößte Beitragszahler der Organisation.
- Diese UN-Institutionen werden von Chinesen geführt: die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO), die UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO), die Internationale Fernmeldeunion (ITU) und die UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (UNDESA) in New York.