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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 06/2021
  • Marion Aberle, Thomas Hoerz

Gestern wie heute: dem Regen hinterher

Der Beitrag von Pastoralisten zu resilienten Ernährungssystemen wird noch zu wenig gewürdigt und gefördert.

Das Haus von Familie Awleed in Somaliland. Wetterextreme wie lange Dürrezeitennehmen Familien, die von der Tierzucht leben, ihre Existenz. © Welthungerhilfe

Abdilahi Ali Kahin besitzt nur ein paar Schafe und Ziegen. Der 43-jährige lebt in Lama-Looshka in Somaliland und ist „Agro-Pastoralist“, das heißt er praktiziert eine traditionelle Wirtschaftsform, in der Ackerbau und Viehhaltung auf Naturweiden kombiniert werden. Er hat in den vergangenen Jahren viele Veränderung auf seinem Weideland erlebt: Abholzung, Bodenerosion und wiederkehrende Dürren. Das bedroht seine Lebensgrundlage.

So wie ihm geht es Millionen Menschen. Die Zahl und Schwere von politischen Krisen und Naturkatastrophen auch infolge des Klimawandels ist in den vergangenen Jahrzehnten weltweit deutlich gestiegen und insbesondere die ärmeren Länder und Bevölkerungsschichten sind überdurchschnittlich stark und häufig davon betroffen. Zur Bewältigung mehrerer und sich überlappender Krisen wurde das Konzept der Resilienz (von Lateinisch resiliere „zurückspringen, abprallen“) auf den Kontext der Entwicklungszusammenarbeit angepasst.

Die Welthungerhilfe definiert Resilienz als die Fähigkeit von Personen, Gemeinden oder Institutionen, sich von extremen Belastungen rasch zu erholen und Strategien zu entwickeln, mit wiederkehrenden Herausforderungen umzugehen. Sie arbeitet auf zwei Ebenen: Ursachen bekämpfen, und die Widerstandskraft der betroffenen Bevölkerung zu stärken. Die geschieht durch Projekte etwa zu Frühwarnsystemen, der Ernährungssicherung oder ländlichen Entwicklung.

In Somaliland forsten die Bauern- und Hirtenfamilien gemeinsam mit der Welthungerhilfe Flächen wieder auf und errichten Schutzzonen gegen den Holzkohle-Raubbau. Der kostbare Regen wird mit einfachen Methoden „geerntet“: Auf den Höhenlinien entlang werden Erd- oder Steinwälle aufgeschüttet. Nach und nach terrassiert sich dadurch das Land, mehr Wasser kann versickern, statt ungenutzt abzufließen. So bleiben die Weiden länger grün, die flachen Brunnen in der Umgebung geben länger im Jahr Wasser und Futterbäume für Ziegen und Kamele gedeihen schneller.

So auch im Falle von Abdilahi Ali Kahin. Er hat zusammen mit seiner Gemeinde einen Teil seines Landes für ein Schutzgebiet nach den internationalen Prinzipien der partizipativen Wald- und Weidebewirtschaftung (Participatory Forest Management / PFM) bestimmt. „Wir beschlossen, ein ziemlich großes Stück Land zu demarkieren; dieses Land ist unser Land, niemand wird es uns wegnehmen, außer der Erosion. Deshalb haben wir die degradierten Hügel und die tiefen Rinnen mit Steinwällen versehen. Es wird einige Zeit ruhen müssen, damit sich Gras, Büsche und Bäume vollständig erholen können.“

Ohne „Governance“, also Regeln zum Umgang mit diesen Gebieten, geht es nicht. Sie entwickelten Gemeinde-Statuten, einschließlich Strafen für diejenigen, die gegen die Regeln verstoßen. Außerdem wurde ein Management-Team gewählt. Die Welthungerhilfe steuerte Werkzeug, Fachwissen und Arbeitslohn bei, die Gemeinde leistete einen Eigenbeitrag durch Bauarbeiten und den dauerhaften Schutz des Gebietes.

Tomatenernte in Baki, Somaliland. Eine Pastoralistenfamilie bewirtschaftet und bewässert Felder. © Welthungerhilfe

Abdilahi Ali Kahin blickt zurück: „Das das Konzept war neu für unsere Gemeinde, daher gab es einige Gemeindemitglieder, die glaubten, dass sie ihr Stück Weideland für ihr Vieh verlieren würden. Für andere war es der Verlust des schnellen Einkommens aus der Holzkohle. Aber heutzutage hat sich ihr Denken geändert, als sie sahen, wie sich das Land verändert hat. Es ist wieder zu einem produktiven Gebiet geworden, die Weide wächst, und wir können Pflanzen für Futter und Naturheilkunde ernten. Auch einige der bereits ausgestorbenen Pflanzen, die wir als Kinder kannten, kamen zurück. Es gibt viel mehr Blumen im Schutzgebiet als irgendwo sonst. Und unser Einkommen wächst mit den gut gefütterten Schafen, Ziegen und Kamelen. Höchstwahrscheinlich wird sich das Konzept auf die benachbarten Gemeinden ausbreiten."

Was Wissen bewirken kann, zeigt sich auch an der Pflanze Prosopis. Vor Jahrzehnten wurde sie aus Südamerika nach Afrika gebracht, um die Wüstenbildung aufzuhalten. Ohne das Wissen um ihre Nutzung droht die schnell wachsende Pflanze Weiden und Felder zu überwuchern. Die Welthungerhilfe hat mit den Hirten- und Bauernfamilien eine Lösung gefunden: Richtig verarbeitet kann aus Prosopis Tierfutter, proteinreiche Nahrung, Dünger, Holzkohle und vieles mehr hergestellt werden. Wissen ist eines der wirksamsten Werkzeuge, um stark und widerstandsfähig mit extremen Belastungen umzugehen.

Bei der Ursachenbekämpfung müssen die politischen Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden. Pastoralisten und ihrer Lebensweise werden in der Politik und der Entwicklungszusammenarbeit häufig zu wenig Beachtung geschenkt. In Deutschland verbindet man sie am ehesten mit dem romantischen Bild von Schäfern. Dabei wird die Bedeutung von Hirten weltweit unterschätzt. Ein paar Fakten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO).

Doch das Bild wandelt sich. Weidegebiete und Pastoralismus erfahren zunehmend Aufmerksamkeit in der Debatte um Umwelt- und Klimaschutz. Rinderzucht gilt im Allgemeinen als „Klima-Killer“. Doch zum Beispiel eine Studie im Senegal kam zu dem Ergebnis, dass pastorale Systeme eine neutrale Klimabilanz haben: Die von den Tieren verursachten Methan-Emissionen werden durch Kohlendioxidbindung im Boden und in Pflanzen aufgewogen.

Zwei Fünftel der Erde sind Trockenzonen, ungeeignet für den Anbau von Pflanzen. Aber Nomadenvölker können durch ihre mobile Lebensweise in den Hochtälern, Savannen und Steppen überleben. Nach Schätzung gibt es weltweit 200 bis 500 Millionen Pastoralisten; in Afrika südlich der Sahara leben 16 Prozent der Bevölkerung als wandernde Viehhirten, in manchen Ländern bilden sie die Mehrheit der Bevölkerung. Laut Weltnaturschutzunion (IUCN) ist Pastoralismus ein effektiver Weg, spärliche Vegetation und niedrige Fruchtbarkeit trockener Böden zu nutzen, dabei werden die biologische Vielfalt, das Ökosystem und die Resilienz erhalten.“

Kostbaren Boden schützen. Auf harten Böden braucht es widerstandsfähige Pflanzen und vielSorgfalt beim Anbauen. © Welthungerhilfe

Gleichwohl sind Pastoralisten immer noch vielfältigem Druck ausgesetzt, wird ihre Lebensweise in Politik, Rechtssystem, der Wirtschaft und in der Gesellschaft nicht anerkannt und unterstützt. Sie brauchen eine an ihre Lebensweise angepasste Infrastruktur und Regelungen, etwa für ihr Vieh und ihre Wandergebiete. Ihre Tierrassen wurden über viele Generationen gezüchtet, sie sind unempfindlich, zäh und an das Klima angepasst. Gleichwohl sind Veterinärdienste oder neues Züchterwissen erforderlich. Auch Pastoralisten leben nicht mehr wie vor hundert Jahren, sie sind vernetzt, nutzen moderne Technik, haben Satellitentelefon und Handy, checken Wetter-Apps und Marktinformationen.

Wichtigste Voraussetzung, um ihr Ernährungssystem resilient zu gestalten ist, dass ihr Beitrag zu Gesellschaft-, Umwelt-, Klimaschutz und Wirtschaft anerkannt wird, und sie in den relevanten politischen Prozessen auf nationaler und internationaler Ebene Gehör und Stimme bekommen. Entwicklungspläne von Landwirtschafts- und anderen Ministerien müssen daraufhin überprüft werden, ob sie den spezifischen Anforderungen von Pastoralisten entsprechen, es finanziell ausreichend ausgestattete Programme gibt, und sie Schutz durch das Rechtssystem und den Staat erhalten, um sich gegen Bedrohung und Ausbeutung ihrer Gebiete zu wehren. Orientierung können auf die Verwaltung pastoraler Gebiete zugeschnittene Publikationen geben, etwa der FAO.

Eine Hirtenfamilie in Somaliland. Der Zwergstaat hat rund 60 Prozent seines Baumbestands verloren. Der ausgetrocknete Boden erodiert. © Welthungerhilfe

Auch Äthiopien ist ein Land, in dem Pastoralisten eine wichtige Rolle spielen, sie leben auf mehr als der Hälfte der Landesfläche. Die äthiopische Verfassung von 1995 garantiert Pastoralisten das Recht auf freies Weiden, die Nutzung natürlicher Ressourcen, Marktzugang, faire Preise und sichere Landrechte. Die Regierung hat auch eine nationale Strategie für die Entwicklung pastoraler Gebiete verabschiedet. Doch diese stehen im Widerspruch zu anderen Politiken.

Youseph Negassa von der äthiopischen Nichtregierungsorganisation „Action for Development“ kritisiert: „Die Regierung hat zwar einige Programme entwickelt, zum Beispiel lokale Bewässerungssysteme. Der Beitrag der Pastoralisten zur lokalen Wirtschaft wird aber zu wenig anerkannt. Stattdessen wird der Ackerproduktion der Vorzug gegeben. Insbesondere durch großflächige Investitionsprojekte wird ihnen Land und Wasser entzogen, und es kommt immer wieder zu Konflikten.“ Dabei sieht Negassa Potential für Synergien, wenn Handelsbeziehungen zwischen Pastoralisten, Bauern und Investoren entstehen, Wissensaustausch gefördert wird, und sie Anteil an den Investitionen erhalten, um so direkt davon zu profitieren.

Expertinnen wie Fiona Flintan vom „International Livestock Research Institute“ heben die Notwendigkeit partizipativer Landnutzungsplanung und Gemeindeentwicklung hervor, damit gemeinsam mit den Pastoralistengemeinschaften die notwendigen Schritte für ein resilientes Ernährungssystem sowie eine intakte Umwelt geschaffen werden können. 

Wenn Pastoralisten nicht die notwendige Anerkennung und Aufmerksamkeit erfahren, wird die Welt weite Teile ihres Landes, ihrer Wasservorkommen, der Vegetation und Kohlenstoffspeicherbecken verlieren. Sie bewahren Ressourcen, welche die Welt dringend braucht, um Millionen Menschen zu ernähren und die Klimakrise zu überwinden.

Porträt: Marion Aberle, Team Policy & External Relations.
Marion Aberle Team Policy & External Relations
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Thomas Hoerz Programmleiter Somaliland
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