Unser Ernährungssystem läuft nicht rund
Um Unwuchten für Mensch und Planet zu beseitigen, müssen auf vielen Ebenen Ursachen und Wirkungen verändert werden.
Fast 700 Millionen Menschen hungern in einer Welt des Überflusses. Um den Hunger dauerhaft zu überwinden, müssen die systemischen Ursachen und Zusammenhänge in den Blick genommen werden.
Drei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten, ein Viertel der Weltbevölkerung ist übergewichtig, während jeder elfte Mensch hungert. Wer die Zusammenhänge zwischen diesen Extremen verstehen will, muss das gesamte System betrachten, das für ihr Entstehen verantwortlich ist: unser Ernährungssystem.
Es umfasst die verschiedenen Elemente – einschließlich der Akteure und Aktivitäten –, die sich auf die Produktion, die Verarbeitung, den Vertrieb, die Zubereitung, den Verzehr und das Wegwerfen von Lebensmitteln beziehen. Dazu gehören die Ergebnisse dieser Aktivitäten, einschließlich der sozioökonomischen und ökologischen Folgen. Dem Systemmodell liegt die Erkenntnis zugrunde, dass alles was „vom Acker bis zum Teller“ geschieht, von Kräften mit unterschiedlichen Interessen, Einfluss, Macht und Perspektiven ausgeht.
Unterschiedlichste Einflüsse wirken sich auf die Komponenten innerhalb des Systems aus. Wie sich die Aktivitäten entlang der Lieferkette gestalten, ist ausschlaggebend für das jeweilige Ernährungsumfeld, das geschaffen wird: Werbung etwa für bestimmte Lebensmittel oder Faktoren wie Preis und Verfügbarkeit, aber auch Entfernung und Mobilität.
Zum Beispiel Peru: In Deutschland kann man im Winter Spargel aus diesem südamerikanischen Land erwerben, wofür das Gemüse über den Atlantik transportiert wird. Dafür werden in das Heimatland der Kartoffel, in dem es immer noch fast 4000 Kartoffelsorten gibt, Pommes aus standardisierter europäischer Produktion exportiert. Hingegen leben fünfzig Prozent der peruanischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, und viele Kleinbauern leiden an chronischer Unterernährung, insbesondere unter der indigenen Bevölkerung. Sie müssen meist von dem leben, was sie anbauen.
Das Ernährungsumfeld beeinflusst das Verbraucherverhalten: Was wird gekauft? Wie wird Essen zubereitet, verspeist und gelagert? Dafür sind auch soziokulturelle Faktoren entscheidend: Einkommen und Kaufkraft, Bildungsgrad und Zugang zu Informationen, kulturelle Werte und Präferenzen, Wohn- und Arbeitsortgestaltung.
Achtung Wechselwirkungen
Das Ernährungssystem steht zudem in ständiger Wechselwirkung mit anderen Systemen – es existiert nicht unabhängig. Die ökologischen Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten (Planetare Grenzen) setzen unserem Ressourcenverbrauch und Verhalten ein Limit: Ein gutes Leben frei von Armut und Hunger kann es nur mit einer stabilen Umwelt und intakten Natur geben.
Damit das Ernährungssystem dem Wohl von Mensch und Umwelt dienen kann, muss es grundlegend verändert werden. Die Transformation muss auf vielen Ebenen ansetzen:
- Die Einhaltung der Menschenrechte, insbesondere des Rechts auf angemessene Nahrung, und der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten sowie der ILO Arbeits- und Sozialstandards durch alle Akteure in den Lieferketten muss gegeben sein.
- Inkohärente Politiken und widersprüchliche Ziele, zum Beispiel von Entwicklungs- und Handelspolitik, müssen neu geordnet werden.
- Arbeiter*innen müssen Löhne für ihre Arbeit und Produzent*innen Preise für ihre Produkte erhalten, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, und dürfen nicht die Hauptlast der Produktionsrisiken tragen.
- Die sozialen und ökologischen Kosten unseres Ernährungssystems – auch im Globalen Süden – müssen Teil der Preiskalkulation werden.
- Um das Ziel „Kein Hunger“ zu erreichen, müssen alle Formen der Fehlernährung überwunden werden. Dazu braucht es einen stärkeren Fokus auf die Verbesserung der Qualität der Ernährung, nicht nur durch Ernährungsaufklärung, sondern auch bei der Gestaltung von Agrarpolitiken, Wertschöpfungsketten und in der Forschung.
