Standards für Pestizide: Globale Unterschiede schaden Wettbewerb und Verbrauchern
Einheitliche Vorschriften würden den Handel beleben. Große Gefälle im Schutz von Mensch und Umwelt treiben dagegen Kosten für Lebensmittelimporteure und Konsumenten in die Höhe.
Pestizide sind ein integraler Bestandteil der modernen Landwirtschaft und schützen Pflanzen vor Schädlingen und Krankheiten. Ihr übermäßiger Einsatz kann jedoch das Grundwasser kontaminieren, die Biodiversität gefährden, etwa durch das Abtöten von Nicht-Zielarten wie Bienen, und bei Menschen das Risiko von Krebs und Pestizidvergiftungen erhöhen. Politiker und Wähler fordern strengere Vorschriften, insbesondere in Europa, wo Initiativen den Einsatz synthetischer Pestizide verbieten oder begrenzen und deren Risiko und Verwendung bis 2030 halbieren wollen.
Um Risiken zu bewältigen, regulieren viele Länder und multinationale Organisationen die Lebensmittelsicherheit im Zusammenhang mit Pestiziden. So legt die von der Welternährungsorganisation FAO und der Welthandelsorganisation WTO geführte Codex Alimentarius-Kommission Höchstmengen für Rückstände (Maximum Residue Limits, MRLs) fest, die den maximal zulässigen Pestizidrückstand in Lebens- oder Futtermitteln bestimmen. MRLs sind also öffentliche Standards, die die Anwendung der Pestizide auf Pflanzen regulieren, um so die Gesundheit von Mensch und Umwelt zu schützen.
Was jedoch in einem Land als Standard gilt, ist oft in einem anderen Land kein Standard. Dies gilt nicht nur für Alltagsgegenstände wie Steckdosen oder Kabelstecker von Mobiltelefonen, sondern auch für den Pflanzenschutz. Obwohl die Lebensmittelsicherheit auf internationaler Ebene durch den Codex Alimentarius geregelt wird, unterscheiden sich die MRLs stark je nach Pestizid und nach der Kultur, auf die es angewendet wird, von Land zu Land.
Kein „Standard“ bei Standards
Ein Beispiel ist der Einsatz des Insektizids Carbaryl im Anbau von Mandarinen. In der Schweiz und der EU ist die Verwendung von Carbaryl nicht zugelassen. Der zulässige Höchstrückstand für importierte Produkte liegt bei nur 0,01 Teilen pro Million (ppm), was einen strengen Ansatz für Lebensmittelsicherheit widerspiegelt. Die Codex Alimentarius Komission empfiehlt 15 ppm als maximale Rückstandsmenge. Im Gegensatz dazu erlauben die USA und Kanada bis zu 10 ppm und Japan 7 ppm. Daher würden Mandarinen, die nach US- oder japanischen Standards angebaut werden, den europäischen Markt nicht erreichen, da sie die europäischen Vorgaben nicht erfüllen.
Zugleich wird ein erheblicher Teil der in Europa konsumierten Nahrungsmittel durch Importe gedeckt, die zum Teil aus Ländern mit anderen Standards oder nicht vorhandenen Pestizidvorschriften kommen. Nicht selten wird über Rückstände von in Europa verbotenen Pestiziden berichtet, die durch importierte Lebensmittel auf europäischen Tellern landen. Es liegt in der Verantwortung der Importeure sicherzustellen, dass die von ihnen importierten Produkte keine verbotenen Substanzen enthalten. Werden Importe wegen mangelnder Qualität an der EU-Grenze beanstandet und abgewiesen, schadet dies dem Ruf des Importeurs – zu dessen finanziellem Nachteil. Vergleichbar sind die HACCP-Protokolle (Hazard Analysis and Critical Control Point) der USA, bei denen die Durchsetzung von Lebensmittelsicherheitsstandards jedoch auf Akteure entlang der Agrar- und Lebensmittel-Wertschöpfungskette dezentralisiert ist.
In einer kürzlich erschienenen Studie im American Journal of Agricultural Economics untersuchen wir, wie Unterschiede in den Pestizidvorschriften zwischen Ländern die Importentscheidungen von Agrar- und Lebensmittelfirmen beeinflussen, die Nahrungsmittel aus dem Ausland einführen.
Widersprüchliche Pestizidvorschriften schaden dem Geschäft
Um sicherzustellen, dass Produkte nicht an der Grenze abgewiesen werden, müssen Importeure im Ausland nach Produzenten suchen, die nach den Standards des Importmarktes produzieren können. Auch für den ausländischen Produzenten steigen die Kosten, will er die Standards des Importeurs erfüllen. Unsere Forschung zeigt, dass das Geschäft beider Betriebe von diesem kostspieligen Aufwand beeinträchtigt wird. Anhand der Daten von etwa 10.200 Schweizer Agrar- und Lebensmittelimporteuren stellen wir fest, dass die Unterschiede in den Pestizidvorschriften zwischen Ländern sich negativ auf die Geschäftstätigkeit niederschlägt. So importieren Schweizer Firmen um bis zu 18 Prozent weniger aus Ländern mit schwächeren Pestizidvorschriften als in der Schweiz – was nicht bedeutet, dass sie den Import aus diesen Ländern komplett einstellen. Sie importieren aber relativ wenige Produkte, und dies zu höheren Kosten.
Kleinere Unternehmen sind stärker betroffen
Die beschriebene Situation führt dabei zu einer Umverteilung der Marktanteile zwischen Unternehmen basierend auf ihrer Produktivität. Kleinere, weniger produktive Unternehmen tragen eine größere regulatorische Last. Diese kleinen Firmen importieren in der Regel nur ein oder zwei Produkte aus einer Handvoll Ländern. Ändern sich die Standards unerwartet, können sie nicht schnell genug auf andere Quellen umstellen. Gerade in der EU werden die zulässigen Rückstände jährlich geändert; 2022 waren es 75 MRL, im Jahr darauf bereits 82. Größere multinationale und produktivere Unternehmen sind hier widerstandsfähiger, da ihre Lieferketten und Geschäftsmodelle diversifizierter aufgestellt sind.
Weniger produktive und meist kleine Firmen, die die Standards nicht einhalten können, sind somit die ersten, die aus dem Markt ausscheiden. Die Lieferketten werden dadurch insgesamt weniger inklusiv, und es kommt zu einer stärkeren Konzentration – sprich: einem verringerten Wettbewerb unter den Lebensmittelverarbeitern.
Was bedeutet das für Verbraucher?
Für die Verbraucher versprechen strengere Pestizidvorschriften sicherere Lebensmittel. Diese Vorteile gehen jedoch mit Kompromissen einher. Mit steigenden Kosten für die Einhaltung der Vorschriften steigen auch die Lebensmittelpreise, was Verbraucher zusätzlichem finanziellen Druck aussetzt. Darüber hinaus führt zunehmende Konzentration in der Lebensmittelindustrie zu weniger Wettbewerb, und die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher schrumpfen. Die zentrale Frage ist, ob die gesundheitlichen und ökologischen Vorteile strengerer Standards die zusätzlichen Kosten, die sowohl für Verbraucher als auch für kleine Unternehmen entstehen, rechtfertigen. Diese Abwägung sollte ausschlaggebend sein, ob MRLs strenger oder weniger streng sein sollten.
Der Codex Alimentarius gibt routinemäßig wissenschaftlich fundierte Empfehlungen ab, die weithin als gesund gelten. Jede Abweichung von diesen Richtlinien, insbesondere in Form strengerer nationaler Vorschriften, sollte sorgfältig daraufhin geprüft werden, ob sie tatsächlich notwendig ist und ob sie verhältnismäßig zu den Risiken bleibt, die sie mindern sollen.
In den Industrieländern nehmen derweil sowohl die Anzahl der Lebensmittelsicherheitsstandards als auch deren Strenge zu. Wie unsere Studie zeigt, führt dies zu einer Konzentration der Lieferketten zu wenigen Herkunftsländern. Solche Lieferketten sind weniger widerstandsfähig als diversifizierte – das heißt, sie sind anfälliger für unvorhergesehene Schocks wie etwa eine globale Pandemie oder einen regionalen Konflikt. Wenn wir widerstandsfähigere Versorgungsketten für Lebensmittel wollen, müssen wir die Teilnahme vieler Unternehmen aus verschiedenen Ländern an globalen Agrar- und Lebensmittel-Wertschöpfungsketten erleichtern.
Wie lösen wir das Problem?
Die Lösung des Problems ist offensichtlich, jedoch anspruchsvoll: Sie liegt in der Harmonisierung der Standards. Allerdings stellt sich die Frage, wessen Standard als Maßstab dann genommen werden soll? Der von den Vereinten Nationen geführte Codex Alimentarius bietet uns bereits reichlich Gemeinsamkeiten, indem er wissenschaftlich fundierte Empfehlungen herausgibt, die kulturelle und gemeinschaftliche Präferenzen weltweit widerspiegeln. Dennoch zeigt die kontinuierliche Missachtung der Codex-Standards, dass es den vielen Ländern hauptsächlich um die eigenen Standards geht.
Selbst zwischen den kulturell und wirtschaftlich ähnlichen Ländern wie der Schweiz und der EU ist der Unterschied in den Pestizidgrenzwerten erheblich Wie unsere Ergebnisse zeigen, fallen dadurch die gesamten Schweizer Importe um 14 Prozent niedriger aus als bei harmonisierten Standards. Während unsere Analyse den Ländern nicht helfen kann, sich darüber zu einigen, was sicher und gesund ist und was nicht, zeigt sie dennoch auf, was die potenziellen Vorteile einer stärkeren Angleichung der Vorschriften wären.