Was Sie über den "Nutrition for Growth"-Gipfel wissen müssen
Fragen und Antworten zum Stellenwert gesunder Ernährung auf dem Weg zu den UN-Nachhaltigkeitszielen. Welche Weichen sind zu stellen? Geht das ohne die USA? Welche Lösungen gibt es?

1. Was steht bei dem N4G-Gipfel Mitte März in Paris auf dem Spiel? Wie wichtig ist diese Etappe auf dem Weg der Agenda 2030?
Um die Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele steht es nicht gut. Viele Ziele werden, ohne radikales Umsteuern, bis 2030 nicht erreicht. Gesunde Ernährung, die sinngemäße Übersetzung von Nutrition, ist nicht nur ein Teilaspekt des Nachhaltigkeitsziels 2 „Zero Hunger“ (SDG2). Vielmehr ist (gesunde) Ernährung durch ihren Beitrag zu Gesundheit, Bildung, Geschlechtergerechtigkeit und wirtschaftlicher Produktivität die Grundlage, um die Agenda 2030 insgesamt zu erreichen.
Um zu veranschaulichen, wie es um das Thema gesunde Ernährung bestellt ist:
Fehlernährung richtet enormen Schaden an. Weltweit leiden Millionen Menschen – insbesondere Kinder – darunter, dass sie nicht ausreichend oder falsch ernährt sind. Mangelernährung ist die Ursache für die Hälfte aller Todesfälle von Kindern weltweit. Chronische und akute Unterernährung sowie eine Ernährung, die nicht genügend Mikronährstoffe liefert, können zu lebenslangen Gesundheitsfolgen sowie schweren Erkrankungen wie Eisenmangel, geistiger Behinderung und dauerhafter Blindheit führen.
Das Netzwerk “Generation Nutrition”, in dem auch die Welthungerhilfe organisiert ist, hat in einer Studie Mitte 2024 u.a. ermittelt, dass es beim derzeitigen Tempo 50 Jahre dauern würde, bis Wachstumsverzögerung bei Kindern beendet wäre, und mehr als 100 Jahre, bis Auszehrung beendet wäre (Indikatoren für chronische bzw. akute Unterernährung).

Falsche Ernährung kann zudem auch zu Übergewicht und Adipositas (obesity) führen. Weltweit betrifft dies 2,5 Milliarden Menschen – mit steigender Tendenz auch in Ländern des globalen Südens. Sie sind einem erhöhten Diabetes- und Krebsrisiko sowie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgesetzt.
2. Wie steht es um die Finanzierung von Gegenmaßnahmen?
Bei all den negativen Folgen ist es verwunderlich, dass Manche eher in die Besiedlung des Mars investieren, als in gesunde Ernährung, um den Fortbestand der Menschheit zu gewährleiten.
Die Weltbank hat in ihrem „Investment Framework for Nutrition 2024“ zwar berechnet, dass zwischen 2025 und 2034 ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf gegenüber dem aktuellen Finanzierungsniveau in Höhe von ca. 13 Mrd. Dollar pro Jahr besteht, um die globalen Ziele zu gesunder Ernährung zu erreichen. Jedoch stellt sie gleichzeitig heraus, dass öffentliche Maßnahmen, die auf Ernährung abzielen, diejenigen mit der höchsten Investitionsrendite sind.
Konkret wird vorgerechnet: Jeder in die Überwindung von Unterernährung investierte Dollar bringt eine Rendite von 23 Dollar. Bei Nichthandeln hingegen summieren sich innerhalb von zehn Jahren, die Kosten auf weltweit 41 Billionen Dollar. Diese Kosten entstehen etwa zur Hälfte durch wirtschaftliche Produktivitätsverluste aufgrund von Unterernährung, zur anderen Hälfte durch wirtschaftliche und soziale Kosten aufgrund von Übergewicht und Adipositas.
Schon rein ökonomisch betrachtet rechnet sich die Investition in gesunde Ernährung. Mit der beschriebenen Rendite bewegt man sich – zum Vergleich – unter den 10-Jahres-Top-Ten-Performern der Aktienmärkte. Dies sollte auch jene aufhorchen lassen, die Menschenrechten, einschließlich dem Menschenrecht auf angemessene Ernährung, eher wenig Priorität beimessen.
Das Jahr 2025 und der N4G sind also enorm wichtig, um die politischen und finanziellen Weichenstellungen für die nächsten Jahre im Bereich gesunder Ernährung und damit auch für die Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele insgesamt vorzunehmen. Dieses Gipfeltreffen findet alle vier Jahre statt, fällt 2025 aber in einen Zeitraum, in dem besonders Richtungsentscheide anstehen. Gerade endete das 20. Jubiläumsjahr (2024) der freiwilligen UN-Leitlinien zum Recht auf Nahrung. In Brüssel wird aktuell am Budget-Entwurf der Europäischen Union (EU) für den Zeitraum 2028-2034 gearbeitet; dem MFF (Multiannual Financial Framework). 2025 endet zudem die UN-Decade of Action on Nutrition, und die Global Nutrition Targets, beschlossen bei der World Health Assembly (WHA) 2012 für den Zeitraum bis 2025, müssen verlängert, oder eine adäquate Alternative gefunden werden.
3. Wie sind die Aussichten auf eine finanzielle Verständigung wie beim letzten N4G-Gipfel in Tokio?
Der N4G in Tokio lieferte 2021 keine perfekten Ergebnisse, brachte aber dennoch einen enormen Motivationsschub. 27 Mrd. Dollar wurden damals insgesamt zugesagt – trotz einer Welt im Corona-Modus. Im Nachgang des N4G konnten sogar Zusagen in einer Gesamthöhe von 42,6 Mrd. Dollar verzeichnet werden. Die USA sind für ihre Zusage über 11 Mrd. Dollar über drei Jahre gefeiert worden. Die USAID-Chefin, Samantha Power, war eine der hochrangigsten Teilnehmer*innen. Doch auch die politischen Selbstverpflichtungen, wie etwa die zur Umsetzung von sektorübergreifenden Ernährungsstrategien mit den dazugehörigen Koordinierungsmechanismen, machten Hoffnung.
Eine aktuell vollkommen unberechenbare US-Politik mit einer Entwicklungsagentur USAID, die in Auflösung begriffen ist, eine politische Hängepartie in Deutschland aufgrund vorgezogener Neuwahlen, und ein nur mit Ach und Krach verabschiedeter Sparhaushalt in Frankreich deuten nicht in die Richtung, dass die politischen oder gar finanziellen Zusagen von Tokio in Paris noch zu steigern wären. Aktuell wäre die Beibehaltung des Tokio-Niveaus bereits ein großer Erfolg.
Doch lässt sich den relevanten Akteuren weder in Berlin noch in Brüssel eine genauere Prognose entlocken. Es werden wohl erst im Rahmen des N4G bei maximaler Aufmerksamkeit die Zusagen der Länder präsentiert. Ein genauerer Überblick wird damit erst nach dem Zusammentreffen der Regierungsvertreter erkennbar werden.
Gleiches gilt für die Bilanz seit dem N4G 2021. Es gibt, vereinfacht gesagt, eine Datenbank, (Nutrition Accountability Framework – NAF) in die alle Zusagengeber*innen ihre jeweilige Zusage eintragen. Dieses NAF bietet dann eine Übersicht, zu welchem Ziel, in welchem (ggf. finanziellen) Umfang, sich wer im Bereich gesunder Ernährung verpflichtet hat. Die Zusagen können jederzeit, auch zwischen den N4Gs erfasst werden. Daher stammt auch die Differenz zwischen den Zusagen im Rahmen des N4G 2021 selbst und der deutlich höhere Gesamtsumme im Nachgang des Tokio-N4G. Alle Zusagen ab Ende 2024 werden bereits dem N4G 2025 zugerechnet. Eine Auswertung erfolgt jedoch erst kurz vor dem jeweils bevorstehenden Gipfeltreffen.
4. Kann die Kehrtwende von US-Präsident Trump in der Entwicklungspolitik auch einen möglichen Konsens der anderen Geber zu Nutrition-Zielen untergraben? Was wären die Folgen?
Es wäre einfach, allein die aktuelle US-Politik für einen hoffentlich nicht eintretenden Misserfolg des N4G 2025 verantwortlich zu machen. Jedoch wäre dies zu kurz gegriffen. Die bereits erwähnte US-Zusage von 11 Mrd. Dollar von 2021 hat die Messlatte für Einzelzusagen hochgelegt, auch gemessen an der im Nachgang festgehaltenen Gesamtsumme von 42,6 Mrd. Dollar. Doch weltweit schlägt das Pendel in Richtung nationaler Egoismen und protektionistischer Verhaltensweisen aus, was auch die Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe in Deutschland und Europa enorm unter Druck setzt. Investitionen in die globalen Nachhaltigkeitsziele – und damit auch in Ernährungssicherung –werden zunehmend nicht mehr „im eigenen nationalen Interesse“ definiert. Dieses wird immer enger ausgelegt. Das spiegelt sich auch dramatisch in den Wahlprogrammen vieler deutscher Parteien wider. Multilateralismus verkommt zum Schimpfwort.
Den Teilnehmern des N4G darf sicher nicht unterstellt werden, dass sie kein Interesse mehr an den Nutrition-Zielen haben. Die Möglichkeiten, diese Ziele bei fehlenden finanziellen Zusagen zu erreichen, sind allerdings stark begrenzt. Allein politische Willensbekundungen zugunsten gesunder Ernährung werden nicht ausreichen. Eine zukunftsweisende verlässliche Finanzierung ist unabdingbar.
Was unabhängig von finanziellen Mittlen ein guter Beitrag wäre, ist die sektorübergreifende Koordinierung. Es gilt, Ernährungssicherheit und gesunde Ernährung mit Maßnahmen in Bildung, Gesundheit, Wasser- und Sanitärversorgung, Klimaanpassung sowie sozialer Sicherung stärker zu verbinden. Ein solcher multisektoraler Ansatz kann komplexe Wechselwirkungen berücksichtigen. So werden in Deutschland etwa die OECD-Nutrition Policy Markers, Kennmarken für ernährungssensible EZ-Vorhaben, noch nicht genutzt. Sie können zu einer effektiveren sektorübergreifenden Planung und erhöhter Transparenz der Ausgaben beitragen.
5. Wie verhält sich die EU? Hat sie ihre Zusagen von Tokio eingehalten? Wie ist die Position jetzt?
Die Europäische Union (EU) hat bei der N4G-Konferenz in Tokio 2021 zugesagt, zwischen 2021 und 2024 mindestens 2,5 Mrd. EUR für die internationale Zusammenarbeit (Entwicklung und humanitäre Hilfe) mit dem Ziel der Förderung gesunder Ernährung bereitzustellen. Diese finanzielle Zusage wurde im Nachgang zum N4G sogar mehr als erfüllt. Mit Stand Ende 2023 hatte die EU die Gesamtzusagen bereits auf 4,4 Milliarden erhöht. Aktuell lässt sich nicht in Erfahrung bringen, mit welcher Position die EU beim diesjährigen N4G auftreten wird. Es ist jedoch zu befürchten, dass die unsichere globalpolitische Lage auch hier Spuren hinterlassen wird.
Allerdings hat der Europäische Rat im Dezember 2024 in seinem Beschluss 5264/24 „Stepping up Team Europe’s support to global food security and nutrition“ die Kommission ermuntert, den auslaufenden EU-eigenen „Action Plan on Nutrition 2015-2025“ zu überarbeiten und in die N4G-Zusage zu inkludieren. Wohl ist dieser Beschluss nicht für die Kommission bindend, doch ist er ein positives einstimmiges Signal der Mitgliedsstaaten. Ebenso wie die Aufforderung des Rates an das Team Europe, die Reaktion auf Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung zu stärken und dabei der Achtung der Menschenrechte besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
6. Wo besteht bei FEHL-Ernährung der größte Handlungsbedarf?
Weltweit sind 150 Millionen mehr Frauen und Mädchen von Ernährungsunsicherheit betroffen als Männer – ein Problem, das tief in gesellschaftlichen Strukturen und Normen verwurzelt ist. Frauen und Mädchen haben oft weniger Zugang zu Ressourcen wie Land, Bildung und Nahrung. Sie essen im Haushalt häufig als letzte und am wenigsten. Dies gefährdet nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern auch die ihrer Familien: Mangelernährung bei Müttern kann sich negativ auf Kindersterblichkeit, Krankheiten, Bildungserfolg und Arbeitsproduktivität auswirken und verstärkt den Kreislauf von Mangelernährung über Generationen hinweg. Kinder, und insbesondere Kleinkinder unter fünf Jahren, gehören zu den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Eine mangelnde und nährstoffarme Ernährung bei Kindern kann irreversible Gesundheitsschäden zur Folge haben.
Auch weitere Identitätsmerkmale neben dem Alter, wie die ethnische Zugehörigkeit, sozioökonomische Situation, oder Behinderung erschweren den Zugang zu ausreichender und gesunder Ernährung. Nur durch einen starken Fokus auf vulnerable Gruppen und gendertransformative Ansätze, die solche strukturellen Ungleichheiten angehen, können Ernährungsunsicherheit und Fehlernährung langfristig für alle Gruppen beseitigt werden. Diese gilt ebenso für den Bereich des Übergewichts und Adipositas.
7. Wird es beim Gipfel inhaltlich um so etwas wie "best practice"-Beispiele in Programmen gehen?
Ja, das ist Teil des Konzeptes, denn die Zusagen des N4G müssen SMART sein (specific, measurable, achievable, relevant and time-bound) – also spezifisch, messbar, erreichbar, relevant und zeitgebunden. Damit soll gewährleistet werden, dass über das erwähnte Nutrition Accountability Framework (NAF) Beispiele ermittelt werden können, die als Blaupause für künftige Zusagen dienen – und die daraus folgenden Maßnahmen stetig verbessern können.
Der N4G in Paris wird zudem ein Solutions Village anbieten, in dem Lösungsansätze präsentiert werden. Auch die Welthungerhilfe wird zusammen mit ihrem Partner Civil Society Organisation Nutrition Alliance (CSONA) aus Malawi dort vertreten sein und unterschiedlichste Ansätze zur Verbesserung der Ernährungssitutation vorstellen: darunter LANN+ (Linking Agriculture and Natural Resource Management towards Nutrition Security) bei dem die Welthungerhilfe alle wichtigen Sektoren in einem inklusiven Trainingsprogramm verbindet, das Sustainable Integrated Farming System (SIFS) (ein universell anwendbarer Ansatz, bei dem Kleinbäuer*innen ihre Ressourcen und Einschränkungen bewerten und auf der Grundlage traditioneller und wissenschaftlicher Kenntnisse innovative und technisch angemessene Lösungen entwickeln), sowie mehrere digitale Tools.
8. Welche Schwerpunkte verfolgt die Welthungerhilfe im Bereich Nutrition?
Der Ansatz der Welthungerhilfe beim Thema gesunde Ernährung ist sehr breit angelegt.
Er reicht von…
- Programmen zu Sozial- und Verhaltensänderungen für ein optimales Ernährungsverhalten (Stillen, Gesundheit, Hygiene, Kochen und Pflege).
- Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verfügbarkeit verschiedener nährstoffreicher Lebensmittel auf Haushaltsebene, durch Hausgärten, nachhaltige Nutzung von wilden oder wenig genutzten Nahrungsmitteln, biofortifizierten Pflanzen, Kleintierhaltung (z.B. Vieh, Geflügel, Fisch), sowie nährstoffsparende und hygienische Lebensmittelzubereitung, -konservierung und -verarbeitung aber auch sog. WASH-Maßnahmen (für sauberes Wasser und Hygiene) und geschlechtsspezifische Maßnahmen.
- Erkennung und Behandlung akuter Unterernährung in Zusammenarbeit mit lokalen Regierungsstrukturen und anderen relevanten Partnern.
- Unterstützung von (lokalen) Schulspeisungsprogrammen gekoppelt mit Ernährungserziehung, Verbesserung der Qualität der Schulmahlzeiten und der Schulgärten für die Ernährung.
- Programmen zur Verknüpfung von Landwirtschaft und Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen sowie WASH zur Ernährungssicherheit.
- Unterstützung von Gemeinschaften beim Aufbau von Strukturen zur Geltendmachung ihres Rechts auf angemessene Ernährung.
… bis hin zum Aufbau von "Nutrition Smart Communities" – einem systemischen Ansatz, der vier ineinandergreifende Strategien kombiniert: (1) Förderung von Verhaltensänderungen auf Haushaltsebene; (2) Stärkung und Unterstützung von Institutionen auf Gemeindeebene; (3) Aktivierung und Verbesserung der ernährungsrelevanten Dienste auf Gemeindeebene; (4) Förderung gemeinschaftsbasierter Lobbyarbeit für die schrittweise Verwirklichung des Rechts auf angemessene Nahrung.
