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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 04/2022
  • Ulrich Post, Marina Zapf

Internationale Saatgutbanken: "viel mehr als ein Museum”

Der Crop Trust konserviert Material, um es als lebendiges Kapital verfügbar zu halten. Direktor Stefan Schmitz will mit seiner Organisation Katalysator für die landwirtschaftliche Entwicklung im globalen Süden sein.

Die unglaubliche Vielfalt von Reis wird in einer Saatgutbank auf den Philippinen als Gemeingut bewahrt. © Shawn Landersz / Crop Trust

Welternährung:  Herr Schmitz, Sie waren kürzlich auf Spitzbergen und haben dort den Saatgut-Tresor, den Svalbard Global Seed Vault besucht. Was waren Ihre Eindrücke? 

Stefan Schmitz: Was mich zunächst am meisten bewegt hat, war die Außentemperatur. Ich stehe da auf fast 80 Grad nördlicher Breite, also nicht mehr so sehr weit vom Nordpol entfernt, mitten im Winter und schaue auf einen praktisch eisfreien Fjord. Die durchschnittlichen Wintertemperaturen sind inzwischen dort auf Svalbard mehr als 10 Grad über den Temperaturen zu Beginn der regelmäßigen Aufzeichnungen. Es gibt keinen anderen Ort der Welt, an dem der Klimawandel so krass ist.  

Aber zum Tresor: Dieser Klimawandel verlangt nach Antworten, auch für unsere Ernährung. Der Tresor ist eine dieser Antworten. Er dient dem Erhalt und dem Schutz einer Vielfalt von Saatgut für Lebensmittel wie Reis, Mais, Weizen, Hirse, Sorghum, Obst und Gemüse, die zur Ernährung wichtig sind. Diese Vielfalt werden wir benötigen, um aus ihnen neue, an den Klimawandel angepasste Sorten zu züchten oder uns auf alte Sorten rückzubesinnen. In einem Katastrophenfall können die Saatkörner von dort zurückgeholt und nachgezüchtet werden. Zwei- bis dreimal im Jahr wird dort neues Saatgut eingelagert. Dafür wird der Tresor geöffnet, und neue Kisten aus allen Teilen der Welt werden in diesen in den Berg gebauten Schacht gebracht. 

Wie sicher ist der Tresor? 

Das werde ich oft gefragt. Das Saatgut muss, wie in einem Drei-Sterne-Gefrierfach, bei minus 18 Grad gelagert werden, das ist die optimale Temperatur. Man könnte denken, wenn die Umgebung des Stollens auftaut, kann das eingelagerte Material nicht mehr gekühlt werden. Doch den Tresor könnte man auch in Dubai betreiben. Das Problem mit Dubai wäre nur, wenn die Kühlung einmal ausfällt – und auch das Notstromaggregat –, dann würde das Saatgut sehr schnell auftauen und die Keimfähigkeit verlieren.  Wenn in Svalbard die Umgebung des Stollens auftaut, würde es noch ungefähr hundert Jahre dauern, bis es im Inneren zu warm wird. Selbst unter den schlechtesten Klimaszenarien.  

Aber 2017 ist einmal Schmelzwasser eingedrungen? 

Es gab in den ersten Jahren des Betriebs Probleme mit dem Eingang. Das waren schlicht Baumängel. Der Eingang ist der Anfang eines Tunnels, der 50 bis 100 Meter schräg nach unten in den Berg hineingeht, bis man in die eigentlichen Tresor-Kammern gerät. Der Wassereinbruch war nur im Eingangsbereich und hat damals nie auch nur annähernd die Bestände in den Kammern gefährdet.  

Der Svalbard Global Seed Vault birgt auf Spitzbergen Kopien von Saatgut aus aller Welt. © Riccardo Gangale / Crop Trust

Wie würden Sie die überragende Rolle des Tresors für den Crop Trust und für die Welternährung beschreiben? 

Die norwegische Regierung, das Nordic Genetic Resource Center und der Crop Trust betreiben gemeinsam das Svalbard Global Seed Vault. Wir stellen lediglich diese Räume bereit. Was die einzelnen Saatgutbanken dieser Welt dort einlagern, bleibt deren Eigentum. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil es schon mal hieß, letztlich gehöre sowieso alles Konzernen wie Monsanto. Nein, die Bestände sind und bleiben Eigentum der einzelnen einsendenden Saatgutbanken – verschlossen in Boxen und aufgereiht in Regalen. Sie bergen Sicherungskopien von den Originalen dieser Saatgutbanken der verschiedenen Länder und Forschungseinrichtungen – für den Fall, dass die Originale zerstört werden, aus welchem Grund auch immer. 

Gibt es dafür ein Beispiel? 

In Syrien wurde vor sieben Jahren das internationale Agrarforschungsinstitut ICARDA in Aleppo im Nordosten des Landes durch den Krieg zerstört– und mit ihm auch die dortige Saatgutbank. ICARDA ist auf die Bewahrung, Erforschung und Weiterentwicklung von Pflanzensorten in Trockengebieten der Erde konzentriert, die auch bei langanhaltenden Dürren zufriedenstellende Erträge abwerfen, und zählt zu den weltweit bedeutendsten Einrichtungen in diesem Bereich. ICARDA hatte vor dem Krieg 116.000 Saatgutproben dupliziert und die „Sicherungskopien“ nach Spitzbergen gesandt. Nach den Zerstörungen in Aleppo konnte ICARDA an den neuen Ausweichquartieren im Libanon und in Marokko mit dem Saatgut, das aus Norwegen zurückgeholt wurde, weiterarbeiten.  Ohne die Kopien wäre dieses agrarkulturelle Erbe der Menschheit ein für alle Mal verloren gewesen. 

Die Lektion daraus hat uns für einen Appell an alle Genbanken der Welt motiviert: dupliziert, dupliziert, dupliziert! Und hinterlegt das Material für solche unvorhergesehenen Notfälle! Das können kriegerische Auseinandersetzungen sein, oder Feuer oder Erdbeben. 

Was ist die Hauptaufgabe des Crop Trust? 

Der Crop Trust ist Teil einer globalen Architektur zum Schutz der biologischen Vielfalt. Seine Hauptaufgabe ist es, die wichtigen Genbanken dieser Welt finanziell zu unterstützen, um ihren Basisbetrieb sicherzustellen. Dazu zählen funktionierende Kühlsysteme, regelmäßige Tests auf Keimfähigkeit des Saatgutes, regelmäßige Prüfungen auf Pflanzenkrankheiten sowie die Katalogisierung der Bestände und ihre Einstellung in Informationssysteme.  Wenn Forscher oder Züchter ein bestimmtes Saatgut anfragen, wird es dupliziert und versendet. 

Cassava-Keimmaterial wird für den Transport von Kenia in das IITA-Hauptquartier in Nigeria präpariert. © Michael Major / Crop Trust

Wie groß ist Ihr Budget und wie setzt es sich zusammen? 

Unser Stiftungskapital hat gegenwärtig einen Wert von 350 Mio. Dollar; aus den Erträgen geben wir derzeit jährlich etwa 10 Mio. Dollar für unsere Aufgaben aus. Der Gesamtkapitalstock soll auf 850 Mio. Dollar wachsen. Das wäre erforderlich, um unser Mandat vollständig zu erfüllen. Es fehlen also 500 Mio. Dollar, die wir versuchen bei Gebern einzuwerben. Das ist nicht einfach. Saatgutbanken schützen langfristig ein globales öffentliches Gut; das wirft keine schnelle Rendite ab. Aber Geber möchten aus verständlichen Gründen gerne sehen, wie ein Dollar direkt Menschen aus Armut und Hunger führt, ihre Gesundheit oder ihre Bildung verbessert. Das leisten Saatgutbanken nicht, ihr Nutzen zeigt sich nur langfristig. Chronische Unterfinanzierung ist das Schicksal fast aller Genbanken, zumindest im globalen Süden. Aber die weltweit stattfindende genetische Erosion setzt uns einem immer größer werdenden Risiko aus, die Menschheit nicht mehr ernähren zu können. 

Welche Rolle spielt die Welternährungsorganisation FAO dabei? Würde es nicht Sinn machen, die Finanzierung dort anzudocken oder die Aufgabe gar zusammenzulegen? Die FAO verfügt doch auch über eine Kommission für genetische Ressourcen... 

Wir arbeiten eng mit der FAO zusammen, die uns bekanntlich mitgegründet hat. Auch das Sekretariat des internationalen Saatgutvertrages ist dort angesiedelt. Andererseits ist die Mitgliedschaft in den einzelnen Institutionen sehr unterschiedlich. Der Crop Trust ist politisch unabhängig und eigenständig – und das wichtigste Finanzierungsinstrument des Saatgutvertrages.  

Die weltweite genetische Erosion setzt uns dem Risiko aus, die Menschheit nicht mehr ernähren zu können. 

Stefan Schmitz, Exekutivdirektor Crop Diversity Fund, Bonn

Wie stellen Sie dann die Finanzierung sicher? Auch mit großen privaten Stiftungen und Geldgebern? 

Norwegen, die USA und Deutschland sind bisher die drei wichtigsten Geber. Sie stellen zusammen etwa die Hälfte des Stiftungskapitals. Die Bill und Melinda Gates-Stiftung hat anfangs auch gespendet, ist jedoch ebenso wenig im Verwaltungsrat oder Geber-Council vertreten wie diese Regierungen. Mit einer finanziellen Unterstützung erwirbt niemand ein direktes Recht auf Einflussnahme. 

Zu den Unterstützern zählen auch führende Konzerne wie DuPont/Pioneer Hi-Bred, Syngenta, Bayer und so weiter – also Mitverursacher des Biodiversitätsverlustes. Warum engagieren die sich bei Ihnen?  

Wir sind auf breite Unterstützung angewiesen und sind dankbar für jede Einzahlung. Ich würde mir größere Beiträge des Privatsektors wünschen. Unsere Botschaft an die Privatwirtschaft lautet: Bitte unterstützt uns substanziell, Eure künftige Tätigkeit wird von der Vielfalt abhängen, die wir heute bewahren. Mehrheitlich ist der Privatsektor jedoch der Meinung, dass für die Saatgutbanken die internationale Staatengemeinschaft eintreten müsse. Die konsequenteste Lösung wäre aus meiner Sicht, auf die Nutzung von Saatgut aus öffentlichen Saatgutbanken eine Gebühr zu erheben. Solange wir das nicht tun, teilt Saatgut das Dilemma fast aller öffentlichen Güter dieser Welt: ein typisches Allmende-Problem. Jeder nutzt es, so dass es durch mangelnde Pflege bedroht ist, was auch die Nutzer selbst bedroht. 

Sie waren vor kurzem in Kolumbien zur Eröffnung einer neuen Saatgutbank, die von der Bezos Earth Foundation mit 17 Mio. Dollar kofinanziert wurde. Kommt so etwas nur punktuell vor? Und entstehen damit irgendwelche Rechte? 

Nein, die in Kolumbien eröffnete Saatgutbank arbeitet unter dem Dach der CGIAR, einem internationalen, öffentlich getragenen und finanzierten Agrarforschungsverbund. Deren gesamtes agrargenetisches Material und die Ergebnisse der Forschung sind öffentliches Eigentum, für die Allgemeinheit zugänglich und in keiner Weise privatisierbar. Das sieht die Charta der CGIAR vor. Das ist das grundlegende Ethos. 

Wie wird überhaupt festgelegt, welches Saatgut schützenswert ist und in die Tresore kommt? 

Im Artikel 15 und Anhang 1 des internationalen Saatgutvertrags sind dazu Prioritäten festgelegt. Die dort genannten Saatgutsammlungen und Nutzpflanzen sind die für die Welternährung besonders wichtigen. Das ist für den Crop Trust die wichtigste Richtschnur dafür, was wir letztlich finanzieren.  

Wenn das Saatgut in Svalbard nur schlummert, woher weiß man dann, ob es noch keimfähig ist und wie es herangezogen werden muss?  

In Svalbard selbst wird nur eingelagert und dreimal im Jahr die Tür auf- und wieder zugemacht. Es handelt sich lediglich um Duplikate von Material, für das an den Originalstandorten in den Genbanken regelmäßig zu den dortigen klimatischen, Boden- und sonstigen Verhältnissen die Keimfähigkeit überprüft wird. Jedes Jahr werden aus größeren Gläsern ein paar Saatkörner entfernt und im Feld geprüft. Solange 90 Prozent auskeimen, ist alles gut, je nach Sorte lässt die Keimfähigkeit in 10 bis 100 Jahren deutlich nach, dann gibt es Rückholaktionen von Svalbard, und es muss in größerem Maßstab neu produziert werden, um neue Duplikate zu hinterlegen. 

Im indischen Hyderabad werden konservierte Samen auf ihre Keimfähigkeit geprüft. © Michael Major / Crop Trust

Wie funktioniert denn der Link zwischen dem gebunkerten “toten” Kapital und der Züchtung neuer Sorten – etwa mit höherer Widerstandskraft gegen den Klimawandel? 

Das ist Teil unserer Zusammenarbeit mit nationalen Genbanken, die wir projektbezogen über unser zweites Förderstandbein ausüben – also mit Drittmitteln. Die Verknüpfung zwischen externer Einlagerung (ex situ) und lokal gepflegter Konservierung (in situ) ist sehr wichtig und sollte in der Praxis auch fließend sein. Es sollte so viel wie möglich in Feldern, in der Natur erhalten werden. Solange jedoch ein fortschreitender Artenverlust und die Zerstörung von wilden Verwandten in der freien Natur traurige Realität ist, und solange zugleich das globale Agrarsystem sich auf immer weniger Sorten einengt, müssen wir auch außerhalb von Feld und Natur wenigstens festhalten was geht.  

Zum andern machen Genbanken Sinn für die Pflanzenzüchtung: als One-Stop-Agency für Züchter. Für eine neue Sorte brauchen sie teilweise 50 bis 100 verschiedene Genressourcen aus unterschiedlichen Sammlungen und Teilen der Welt. Ohne Saatgutbanken müsste der Züchter 50 bis 100 Dienstreisen machen, zu zig verschiedenen Erntezyklen, Reifungs- oder Jahreszeiten. Wir brauchen aber Züchtung – und zwar beschleunigt in Zeiten des Klimawandels und der Notwendigkeiten der Anpassung. Jede Züchtung, die halbwegs effizient und effektiv sein will, ist gut beraten, auch auf Genbanken zuzugehen.  

Was spricht für die ex situ-Auslagerung von Genressourcen, und was für die in situ-Erhaltung örtlich angepasster Bestände und deren lokale Vermehrung zu angepassten Populationen?  

Es gibt da einen fast ideologischen Streit zwischen formalen und informellen Saatgutsystemen. Im globalen Norden käme kein Landwirt auf die Idee, Saatgut selbst zu züchten. In weiten Teilen des  globalen Südens beruhen informellere Saatgutsysteme auf dem Austausch mit Nachbarn und dem Nachzüchten. Das sollte auch so bleiben. Sinnvoll ist aber trotzdem eine Verbindung der beiden Kreisläufe in vielen Teilen der Welt – aus meiner Sicht das Idealbild nachhaltiger, zukunftsfähiger, partizipativer und letztlich auch wirtschaftlich effizienter Ernährungssysteme, wo diese Dinge ineinandergreifen.  

In situ-Konservierung: Bananenkeime im Biodiversity International Musa Germplasm Transit Centre (ITC) © Michael Major / Crop Trust

Genbanken sollen keine exklusive, aber eine zentrale Rolle spielen. Und das ist unser Anliegen: Sie sollen nicht das Museum sein, in dem totes Kapital eingelagert wird, sondern es soll als aktives Kapital direkt für die Züchtung zur Verfügung gestellt werden. Daher ist unsere Mission letztlich nicht nur Conservation, das wird häufig so verkürzt, sondern auch Availability for Use. 

Wie stellt sich diese Verfügbarkeit dar? 

Das fängt an mit Informationssystemen und der freien Zugänglichkeit: Dass Züchter überall auf der Welt und besonders lokal wissen, was wo eingelagert ist. Ich sehe die Genbanken als einen wichtigen Ausgangspunkt und Katalysator für landwirtschaftliche Entwicklung im globalen Süden. Als es im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Europa und den USA noch keinen professionellen Saatgutsektor gab, spielten Genbanken oft eine viel aktivere Rolle. Neben der eigenen Züchtung und Forschung wurden Bestände auf Feldern dupliziert, quasi wie ein Züchtungsbetrieb, der an Landwirte verteilt. Das hat sich bewährt und dient in meinen Augen als gutes Beispiel, wie es auch in Teilen des globalen Südens laufen könnte. 

Wie funktioniert die Kommunikation? Wie erfährt ein kleiner Züchter in Sri Lanka, wo das ideale Saatgut mit den für ihn wichtigen Eigenschaften verfügbar ist?  

Da stehen wir wirklich am Anfang, die Genbanken zu befähigen, genau diese Rolle zu spielen. Projektfinanzierungen von Deutschland und Norwegen eröffnen jetzt die Möglichkeit, dieses Anliegen mit 20 Genbanken der Welt hoffentlich so zu pilotieren, dass wir weitere Phasen anschließen können. Es soll genau das erreicht werden, dass Genbanken kein abgeschlossenes System darstellen, sondern Informationen zur Verfügung stellen und auch Wissenslücken schließen. Dazu gehört eben auch, dass kleine Züchter wissen, wo es genetisches Material gibt.  

Das T.T. Chang Genetic Resources Center auf den Philippinen hütet die größte Sammlung von Reisdiversität in der Welt. © IRRI / Shawn Landersz

Können Genbanken eine Art Versicherung gegen die Folgen des Klimawandels werden? 

Wenn wir dieses genetische Material schützen und festhalten, sind wir für alle Eventualitäten gefeit. Wir wissen, dass es immer wärmer wird auf dieser Erde. Aber wir kennen überhaupt nicht die Konsequenzen an hunderttausend verschiedenen Standorten mit hunderttausend verschiedenen klimatischen Variationen, Böden, endemischen Pflanzenkrankheiten usw. Das heißt: Wir müssen auf das Unvorhersehbare vorbereitet sein. Und das heißt, möglichst hohe Vielfalt erhalten, um reagieren zu können – uns zu wappnen, anzupassen und resilient zu bleiben. 

Nehmen Sie die große Hungerkatastrophe in Irland im 18. Jahrhundert. Es gab nur noch eine einzige Kartoffelsorte, die von der Kartoffelfäule befallen wurde, obwohl es in anderen Teilen der Welt, etwa in den Anden, tausende Sorten gab. Vergleichbare Krisen spielten sich in den 1970er und 80er Jahren mit Mais in den USA ab, oder mit Weizen in der Ukraine. Immer wenn die Natur auf Uniformität trifft, kann sie erbarmungslos zuschlagen. Dagegen hilft nur ein Mittel: Vielfalt. 

Von Kaffeeproduzenten hören wir, dass sie wegen der Klimaerwärmung höher anpflanzen müssen. Können die auch in Genbanken anfragen, ob es Saatgut für höhere Lagen gibt? 

Natürlich. Kaffee ist eigentlich ein Paradebeispiel. Millionen von Kaffeebauern sind extrem abhängig. Der Kaffee wandert heute schon Richtung Norden und Süden vom Äquator weg und insbesondere in die Höhe. Auf andere klimatische Bedingungen, Böden, jahres- und tageszeitliche Veränderungen reagieren diese Pflanzen sehr empfindlich. Herkömmliche Sorten wie Robusta und Arabica werden in der Form nicht mehr tragfähig sein. Deshalb unterstützen wir auch das Bemühen der internationalen Kaffeegenbank in Costa Rica, die dortigen Bestände zu erhalten. Die werden wir nutzen müssen. 

Auf den Parzellen der Familie im kolumbianischen Urwald wachsen wilde Verwandte von Cassava. © Juan Arredondo / Getty Images for Crop Trust

Wie fördert der Crop Trust den Austausch von Forschungsergebnissen zu Resilienz und Klima? 

In unserer neuen Strategie, die Ende des Jahres zu erwarten ist, wird die Verbreitung der Informationen über pflanzengenetische Vielfalt explizit ein Ziel werden. Wir hoffen auf Unterstützung der Geber, damit wir auch dies zu einer unserer Kernaufgaben machen können. Nach der Aufbauarbeit mit den internationalen Genbanken muss jetzt als nächster Schritt stärker in Personal, in Wissensmanagement und Kapazitätsentwicklung investiert werden. Da klafft noch eine Lücke: Wo auf der Welt ist was eingelagert, mit welchen sichtbaren und genetischen Eigenschaften? Welche Erfahrungen gibt es? Bislang hat sich nur ein Mitarbeiter um den Aufbau eines globalen Informationssystems für Züchter und Forscher gekümmert. Nun sind es drei. Es müssen definitiv mehr werden. 

Als Teil der Weltbiodiversitätskonferenz (COP 15) soll vom 25. April bis 8. Mai eine Konferenz zum Schutz der Biodiversität in China stattfinden. Was erwarten Sie davon?  

Es geht um die Umsetzung der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity; CBD) durch 200 Vertragsstaaten. Das ist praktisch ein Parallelsystem zum internationalen Saatgutvertrag. Wir sind gerne wichtiger Partner zum Informationsaustausch und für eine dringend notwendige Vernetzung. Denn das Silodenken und Silohandeln ist sehr ausgeprägt. Wer in der Agrodiversität im Zuständigkeitsbereich des Saatgutvertrages arbeitet, hat oft keine Ahnung, was die Kollegen bei der CBD machen und umgekehrt. Der Schutz von Biodiversität ist bisher ein Trauerspiel. Die Lage ist deutlich katastrophaler als bei der Klimabedrohung, die wenigstens politisch angekommen ist. Alle Akteure im entwicklungspolitischen und Klimakontext müssen sich zusammentun, um das Bewusstsein für Artenschwund und Biodiversitätsverlust zu erhöhen.  

Biodiversität ist eben mehr als nur Artenschwund. Der Verlust findet auf Ebene der Ökosysteme und der Arten und auch auf genetischer Ebene statt. Mit Agrobiodiversität als wichtigem Teilbereich der Biodiversität verhält es sich genauso. Dass man alles im Gesamtblick haben muss, ist leider nur wenigen Menschen klar. Um hier politisch etwas zu erreichen, ist noch wahnsinnig viel zu tun. 

Das Interview führten:

Prträt: Ulrich Post, Leiter Team Grundsatzfragen.
Ulrich Post Mitglied im Redaktionsbeirat
Marina Zapf, Journalistin, berichtet seit 20 Jahren aus Berlin über Themen der Außen, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik.
Marina Zapf Team Welternährung.de

Globaler Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt

Der Global Crop Diversity Trust (Globaler Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt, Crop Trust) ist eine internationale Organisation mit Sitz in Bonn. Sein Ziel ist es, die Biodiversität in der Landwirtschaft (Agrobiodiversität) und die Vielfalt von Nutzpflanzen zu bewahren und verfügbar zu halten, um die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern. Dafür unterstützt er den Erhalt und die globale Verfügbarkeit der wichtigsten Sammlungen pflanzengenetischer Ressourcen finanziell und bietet hierzu Informationen und technische Hilfe an. Genbanken sammeln und konservieren Saatgut der wichtigsten Kulturpflanzen und deren "wilden" Verwandten. Der Crop Trust wurde 2004 als unabhängige internationale Stiftung gegründet und fungiert seither als ein Finanzierungsinstrument des Internationalen Saatgutvertrages. Exekutivdirektor des Crop Trust ist seit zwei Jahren Dr. Stefan Schmitz, zuvor im BMZ verantwortlich für die Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger. 

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