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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 10/2024
  • Charlotte Day
Schwerpunkt

Schädlinge vorausschauend bekämpfen – innovative Gehversuche in Afrika

Wann ist der beste Zeitpunkt, um gegen wesentliche Nutzpflanzen-Schädlinge vorzugehen? Der "Pest Risk Informationsdienst" bietet digitale Hilfe an

Aggressiver Schädling auf einer Maispflanze. Der Herbstheerwurm (Spodoptera frugiperda) hat Ernten in ganz Afrika schwer geschädigt. © CABI

Die Wettervorhersage hilft uns zu entscheiden, wann wir Sonnenschutz auftragen oder einen Regenschirm mitnehmen sollen. Wer an Heuschnupfen leidet, kann durch die Pollenvorhersage erfahren, ob er an diesem Tag ein Antihistamin einnehmen oder Parks und Gärten meiden sollte. Wir verlassen uns auf diese Hilfsmittel und die von ihnen angebotenen Informationen, machen uns aber kaum bewusst, welch gewaltige Mengen an Daten und Rechenleistung erforderlich sind, um sie auf den Bildschirmen unserer Smartphones aufscheinen zu lassen.

Diese Werkzeuge sind allerdings gerade für diejenigen, die solche Prognosen am dringendsten bräuchten, nur sehr lückenhaft verfügbar. Der Klimawandel sorgt vor allem in Subsahara-Afrika (SSA) für unvorhersehbare Schwankungen der Wetterzyklen nicht nur von Jahr zu Jahr, sondern sogar innerhalb einzelner Jahre. Dadurch wird das traditionelle, lokale Wissen über die besten Zeitpunkte für landwirtschaftlichen Tätigkeiten entwertet - und somit die Produktivität verringert. Eines der größten jährlich wiederkehrenden Probleme für Kleinbauern in SSA sind Verluste bei ihren Ernten durch Schädlinge und Krankheiten. Diese sind weltweit für durchschnittlich 40 Prozent der Ernteverluste und wirtschaftliche Ausfälle in Höhe von 1.300 Mrd. Dollar verantwortlich (Diagne u. a., 2021). Schädlingsbefall gelingt am besten vorbeugend, denn wenn Schadenssymptome erkennbar werden, ist es meist zu spät, um noch etwas zu retten. Vorbeugende Schädlingsbekämpfung ist allerdings teuer und umweltschädlich (Barzman u. a., 2015; FAO, 2021).

Das britische Center for Agriculture and Bioscience International (CABI) und sein digitales Entwicklungsteam stellte sich daher folgende Frage: Welche Handlungsanweisungen können wir Kleinbauern in einem leicht nutzbaren Format geben, die die lokalen Wetterbedingungen berücksichtigen und ihnen hilft, Verluste durch Schädlingsbefall zu verringern? Nach einigen Versuchen entwickelten wir den Informationsdienst für Schädlingsbefall-Risiken (Pest Risk Information Service, kurz PRISE). Es handelt sich dabei um ein Frühwarnsystem, das Bauern per SMS benachrichtigt und über den besten Zeitpunkt informiert, wann sie ihre Pflanzen wirksam gegen Schädlinge schützen können (sogenannte time-to-act alerts, TTA). 

PRISE stützt sich auf biologische Modelle, auf Wetterdaten aus der Erdbeobachtung und agrarwirtschaftliche Expertise, um ortsgenau über das beste Zeitfenster für ein Eingreifen zu informieren. Dies ermöglicht Bauern und anderen landwirtschaftlichen Stakeholdern, sich auf den Beginn der Aussaat vorzubereiten und Schädlinge jeweils zum optimalen Zeitpunkt zu bekämpfen. PRISE ging 2017 zunächst in vier Ländern an den Start: Ghana, Kenia, Malawi und Sambia. Die Entwicklung konzentrierte sich zunächst auf den Befall gemischter Maispflanzungen durch die häufigsten Insekten, denn diese Form des Anbaus wird von den meisten Kleinbauern in der Region praktiziert (FAO 2024) und auch von den wesentlichen staatlichen Behörden empfohlen.

Modelle des Schädlingsbefalls

Für die Pflanzenschädlinge, die in Tabelle 1 aufgelistet sind, wurden zwei phänologische Entwicklungsmodelle erstellt: Das erste wurde genutzt, um den Zeitpunkt und die Dauer des Lebenszyklus eines bestimmten Schädlings abhängig von der Entwicklung der Außentemperaturen zu bestimmen. Wenn die Schädlinge sich von Eiern vollständig zu Larven entwickelt haben, ist der beste Zeitpunkt für ihre Bekämpfung.

Das zweite Modell war detaillierter und wurde nur für drei Schädlingsarten entwickelt, die Pflanzen befallen, welche für den Handel angebaut werden: den Herbst-Heerwurm (die Larve der Falter-Art spodoptera frugiperda), die Tomatenminiermotte und die Bohnen befallende Minierfliege (ophiomyi). Für diese Schädlinge wurde für die Bestimmung des besten Zeitpunkts für den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln berücksichtigt, wann der wirtschaftliche Schaden durch die Schädlinge so groß wird, dass man handeln muss, ein Eingreifen aber immer noch erfolgversprechend ist. Für dieses Modell wurde für eine Vorhersage der Zahl und Entwicklung der Larven jeder Schädlingsart berechnet, wann eine bestimmte Zahl ausreichend warmer Tage (die „Wärmesumme“) seit der Aussaat überschritten worden war.

Die mit diesen Modellen gewonnenen Prognosen wurden durch Feldversuche in verschiedenen Gegenden und Jahreszeiten wissenschaftlich überprüft. Somit konnte bestimmt werden, wie viele Tage nach der Aussaat ein Warnhinweis an die Bauern ausgegeben werden sollte. (mehr dazu in Day, 2023)

Tabelle 1: Welche Nutzpflanzen und Schädigungen bei PRISE berücksichtigt wurden (2017 bis 2022)

Diese Tabelle stellt dar, welche Schädlinge Mais, Bohnen und Tomaten befallen und in welchem Stadium – also ob als Larve oder als ausgewachsenes Insekt – sie mit welchen Mitteln bekämpft werden sollten.

SMS-Warnungen zur Schädlingsbekämpfung als Teil guter landwirtschaftlicher Praktiken

Seit PRISE 2017 mit der Arbeit begann, wurden mehr als zwei Millionen Kleinbauern erreicht. Wir haben zwei Methoden entwickelt, um unsere Warnhinweise (TTA) zu verbreiten: Zunächst über maßgeschneiderte, räumlich und zeitlich spezifische SMS-Nachrichten in der Anfangsphase der Anbausaison. Sie lauten etwa so:

Diese Dienstleistungen liefern zum richtigen Zeitpunkt relevante Botschaften zu guten landwirtschaftlichen Praktiken. Sie behandeln beispielsweise die Art des Saatguts, die Vorbereitung des Bodens, die Aussaat, die Bewässerung und das Düngemanagement, die Ernte und die Lagerung. Es wurde entschieden, dies in Partnerschaft mit Plattformen zu tun, die bereits auf ähnliche Weise tätig sind, denn so konnte die bestehende Beratung der Bauern ausgebaut und eine große Zahl von Nutzern erreicht werden, ohne einzelne Dienste zu bevorzugen.

Derzeit erreichen wir in Kenia mit KALRO fast eine Million Bauern pro Monat mit ortsspezifischen Hinweisen. Zweitens erreichen wir die Bauern auch mit den PRISE-Bulletins: Diese richten sich an die landwirtschaftlichen Beratungsstellen, die in direktem Kontakt zu Bauern, Bauernorganisationen, Kooperativen und anderen Stellen stehen. Damit wird sichergestellt, dass PRISE mit größerer Wahrscheinlichkeit auch von den am schwierigsten zu erreichenden Bauern zur Kenntnis genommen wird. Denn viele Bauern vertrauen am ehesten Informationen, die sie auf den traditionellen und bewährten Wegen der Mund-zu-Mund-Kommunikation erhalten. Beide Informationswege laden dazu ein, PRISE in die Beratung der Bauern über gute landwirtschaftliche Praktiken zu integrieren.

Abbildung 3

Gemittelte Warnhinweis-Zahlen am Beispiel der Tomatenminiermotte (phtorimaea absoluta) im August 2022 in Verwaltungsbezirken der vier Länder, in denen PRISE tätig ist. Die Farbe zeigt die unterschiedliche Anzahl der Tage zwischen der Aussaat und dem empfohlenen Zeitpunkt der Schädlingsbekämpfung. Die Zeitmaßstäbe unterscheiden sich zwischen den Ländern wegen der unterschiedlich großen Temperaturschwankungen.

Erfolge bei Ernten und Einkünften

CABI ist jederzeit daran interessiert zu erfahren, wie stark unsere Arbeit wahrgenommen wird, wie sie wirkt und wie sie verbessert werden kann. Ein Arbeitspapier (Khonje, 2024, noch nicht veröffentlicht) liefert Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie der Wirksamkeit von PRISE-Informationen bei 1300 Tomatenbauern in Kenia. Zwei Gruppen erhielten entweder nur Hinweise auf gute landwirtschaftliche Praktiken oder zusätzlich Warnhinweise (TTA), wann die Schädlingsbekämpfung stattfinden sollte. Nach 15 Wochen ließ sich ermitteln, dass die erste Gruppe ihre Ernten um 29 Prozent und ihre Nettoeinkünfte um 52 Prozent steigern konnten. Bei der zweiten Gruppe wuchsen die Ernten um 45 Prozent und die Nettoeinkünfte um 62 Prozent. Die Bauern aus dieser Gruppe konnten auch die versprühten Schädlingsbekämpfungsmittel um etwa 11 Prozent reduzieren, die Häufigkeit des Sprühens um 14 Prozent und die Kosten für Pestizide um 12 Prozent.

Dies sind sehr ermutigende Erkenntnisse über unsere Arbeit, sie bestätigen frühere Untersuchungen über die Vorzüge von PRISE. Wir planen nun, PRISE auf weitere Länder besonders im subsaharischen Afrika auszuweiten. Außerdem wollen wir mit unseren nationalen Forschungspartnern weitere Schädlinge in das PRISE-Portfolio aufnehmen und zusätzliche Partner gewinnen, die helfen, PRISE-Warnhinweise noch mehr Bauern zugänglich zu machen.

Nächste Schritte und Partnerschaften

Das PRISE-Projekt wurde von 2017-2022 von der britischen Raumfahrtagentur und ab 2022 vom CABI PlantwisePlus-Programm mit Unterstützung von Assimila Ltd finanziert. Zu den Geldgebern von CABI gehören Ministerien und Entwicklungsagenturen aus Großbritannien, China, Australien, Kanada, Niederlande, Schweiz.

Partnerschaften sind für PRISE der Schlüssel. Wir suchen ständig sowohl nach staatlichen wie kommerziellen landwirtschaftlichen Beratungsdiensten, die uns als aktive Partner helfen, die von PRISE erstellten Modelle in ihre Angebote zu integrieren. Die bereits entstandenen Modelle (vgl. Tabelle 1) können auf jede Gegebenheit angepasst werden. Wir wollen sie auf andere Länder ausweiten, zunächst in Ost- und im südlichen Afrika, denn die Modelle haben sich dort bereits als erfolgreich bewiesen und können ohne größeren Aufwand übertragen werden.

Wir prüfen auch die Möglichkeit, in anderen Ländern landwirtschaftliche Forscher auszubilden, die dann Modelle für weitere Schädlinge entwicklen können, die an anderen Orten besondere Herausforderungen darstellen. Hier geht es um landwirtschaftliche Nutzpflanzen, aber auch den Gartenbau und Dauerkulturen wie Obst- und Nussbäume. Im Visier sind neben Insektenschädlingen auch Pathogene (Bakterien, Parasiten, Pilze).

Uns interessiert überdies, innovative Modelle jenseits von Schädlingswarnungen zu entwickeln. Durch die Nutzung historischer Klimadaten können wir die Entscheidungsfindung über den gesamten Produktionsprozess und über die Hofgrenze hinaus unterstützen: Das betrifft etwa die Suche nach einem bestmöglichen Standort, verschiedene Erntemodelle, das Risiko von Dürren oder Überflutungen, aber auch die Kalkulation von Aufwand oder Hilfen bei der finanziellen Inklusion.

Aus dem Englischen: Stefan Schaaf

Alle in der Welternährung geäußerten Ansichten sind die der Autor*in/nen und spiegeln nicht zwangsläufig die Ansichten oder die Positionen der Welternährungsredaktion oder der Welthungerhilfe wider. 

Referenzen:

Barzman, M., Bàrberi, P. Birch, A.N.E., Boonekamp, P., Dachbrodt-Saaydeh, S., Graf, B., Hommel, B., Jensen, J.E., Kiss, J., Lamichhane, J.R., Messéan, A., Moonen A.C., Ratnadass, A., Ricci, P., Sarah, J.L. and Sattin, M. (2015). Eight principles of integrated pest management. Agronomy for Sustainable Development 35: 1199–1215.

Day, C., Murphy, S.T., Styles, J., Taylor, B., Beale, T., Holland, W., Williams, F., Shaw, A., Finegold, C., Oronje, M., Oppong-Mensah, B., Phiri, N., Lowry, A., Finch, E.A., Mahony, J., Wood, S., Durocher-Granger, L.,  Chacha, D., Maczey, N., Gonzalez-Moreno, P., Thomas, S.E., Beeken, J., Lewis, J., Saldana,  G.L., Duah, S., Bundi, M., Wasilwa, L.,  Amata, R., Musila, R., Mutisya, D., Gitonga, C.K., Kalama, P., Nyasani, J.O., Matimelo, M., Mgomba, H., Gaitu, C., Ocloo, C., Adjei-Mensah, I., Ohene-Mensah, G.,  Nboyine, J.A. and Susuwele, B. (2024). Forecasting the population development of within-season insect crop pests in Sub-Saharan Africa: The Pest Risk Information Service. Journal of Integrated Pest Management 15(1): 7.

FAO, IFAD, UNICEF, WFP and WHO. (2024). The state of food security and nutrition in the World 2024 – Financing to end hunger, food insecurity and malnutrition in all its forms. Rome. doi.org/10.4060/cd1254en.

FAO. (2021). The impact of disasters and crises on agriculture and food security: 2021. Rome. https://doi.org/10.4060/cb3673en.

Khonje, M. G., Tambo, J. A., Chacha, D.,Mbugua., Holland, W. Lowry, A. Beale, T., Taylor, B., Day, C. Williams, F. (2024 in prep) Pest information and farm performance: Experimental evidence from Kenya. American Journal of Agricultural Economics.

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