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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 05/2020

Blauer Brief in Sachen Kinderrechte

Das BMZ möchte Kinder- und Jugendrechte in der Entwicklungszusammenarbeit stärken, doch genaue Zahlen fehlen. Ein Kommentar von terre des hommes aus dem Bericht "Kompass 2020".

Bericht zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

„Nie gab es so viele Kinder und Jugendliche weltweit wie heute: Rund 3,1 Milliarden Menschen sind jünger als 25 Jahre. Die große Mehrheit – rund 90 Prozent – lebt in Entwicklungsländern; dort stellt sie oft die absolute Mehrheit der Bevölkerung.“ So beginnt der Aktionsplan „Agents of Change – Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Mit dem Aktionsplan will das BMZ seine Vorhaben zur Umsetzung der Kinderrechte ausweiten, international eine Vorreiterrolle einnehmen und seine Unterstützung strategisch auf kinderrechtliche Risiken und Potenziale ausrichten. Diese Ziele wären entwicklungspolitisch sinnvoll. Denn Investitionen in bessere Lebenschancen und Perspektiven für Kinder führen zu deutlichen Verbesserungen, sowohl für Kinder und Jugendliche selbst als auch für die ganze Gesellschaft. In einer Welt, in der es Kindern gut geht, geht es allen gut.

Kinder1 sind nicht nur eine große Gruppe und machen 34 Prozent der Weltbevölkerung aus, sie sind auch besonders verletzlich und benachteiligt: 48 Prozent, fast die Hälfte der armen Menschen weltweit, sind Kinder. Dabei sind Kinder auch existenzieller von Armut betroffen als Erwachsene, das heißt, sie sind häufiger gleichzeitig von mehreren Mangelsituationen betroffen. Sie haben etwa weder Zugang zu Bildung noch ausreichend Nahrung, noch Zugang zu sauberem Trinkwasser und Gesundheitsversorgung: Während weltweit 21 Prozent der Erwachsenen multidimensional arm sind, sind es 37 Prozent aller Kinder.2 Die meisten dieser Kinder leben in Afrika südlich der Sahara und in Südasien: In 36 Staaten sind die Hälfte oder mehr Kinder arm, darunter Indien. In Äthiopien, Niger und Südsudan sind es über 90 Prozent der Kinder.

Investitionen für Kinder führen zu deutlichen Verbesserungen für Kinder und Jugendliche und für die ganze Gesellschaft. In einer Welt, in der es Kindern gut geht, geht es allen gut.

Kompass2020

Gesund und sicher aufzuwachsen ist das gute Recht jedes Kindes. Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1989 definiert die Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte von Kindern. Sie gehört zu den meistgezeichneten Konventionen der UN, allerdings haben die Vereinigten Staaten von Amerika sie nicht ratifiziert. Auch die Agenda 2030 der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015 und das Pariser Klimaabkommen berücksichtigen die besonderen Belange von Kindern und setzen dafür Ziele. Das zentrale Prinzip der Agenda 2030 ist es, niemanden zurückzulassen (leave no one behind) und ist besonders für eine Politik für arme und marginalisierte Kinder von hoher Relevanz.

Dass Kinder gesund aufwachsen, ist nicht nur unter humanitären, sondern auch unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten wünschenswert: Laut UNICEF kosten Hunger und Mangelernährung die Weltwirtschaft 3,5 Billionen Dollar pro Jahr. Ein Dollar in Programme gegen den Hunger in armen Entwicklungsländern investiert, bringt 18 Dollar Wirtschaftsleistung.3 Die Kosten von Gewalt gegen Kinder sind gesamtgesellschaftlich hoch: Volkswirte schätzen, dass jedes Jahr zwischen zwei und fünf Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts verloren gehen durch psychische und körperliche dauerhafte Schäden und den damit verbundenen Verlust von Arbeitskraft.4 

Entwicklungspolitik kann dazu beitragen, dass mehr Kinder überleben und gesund aufwachsen können. Sie kann Anstöße geben und Modelle schaffen, um den Teufelskreis aus Armut und Hunger zu durchbrechen. Das kann sie allerdings bei Weitem nicht allein. Zum einen bringt Entwicklungszusammenarbeit nicht die nötigen Mittel auf: Um allen Kindern in Entwicklungsländern den Schulbesuch zu ermöglichen, wären pro Jahr 1,8 Billionen US-Dollar notwendig.5 Die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe der OECD-Mitgliedstaaten im Jahr 2019 betrug 153 Milliarden Dollar.6 

Zum anderen hängt die Wirkung von Entwicklungszusammenarbeit wesentlich davon ab, ob andere politische Weichen ebenfalls richtig gestellt werden. Themen, die auf den ersten Blick wenig mit Kindern zu tun haben, sind entscheidend: gute Regierungsführung, Steuerpolitik, Handels-, Klima- und Umweltpolitik. Laut Schätzungen entgeht Entwicklungsländern durch Steuervermeidung multinationaler Konzerne ein Betrag von jährlich 100 Milliarden Dollar.7 Mittel, die in grundlegende Dienste investiert werden könnten, wenn Regierungen das Wohl der Kinder zu einer Priorität machen würden. Kinder und Jugendliche selbst haben mit der „Fridays for Future“-Bewegung weltweit laut und deutlich darauf aufmerksam gemacht, wie entscheidend Klimaschutz für die heute lebenden Kinder und künftige Generationen ist.

Politik für Kinder müsste in Bereiche investieren, die einerseits für die Entwicklung eines Kindes besonders wichtig sind und andererseits das Potenzial haben, die Situation von armen und besonders benachteiligten Kindern stark zu verbessern. Solche Hebelwirkung haben Investitionen in grundlegende Infrastruktur und Versorgung: Basisgesundheitsversorgung und Grundbildung, Schutz vor Gewalt, genügend und gesunde Lebensmittel und eine gesunde Umwelt. Besonders wichtig für die individuelle Entwicklung eines Kindes sind die ersten 1.000 Tage: Kinder, die schon im Mutterleib zu wenig Nährstoffe bekommen oder Umweltgiften ausgesetzt sind, die in den ersten Lebensjahren Hunger, Krankheiten und Gewalt erleben müssen, erleiden körperliche, geistige und seelische Schäden, die sie ihr Leben lang beeinträchtigen.

Was leistet deutsche Entwicklungszusammenarbeit für arme und benachteiligte Kinder? 

Im Jahr 2018 hat die Bundesrepublik 21,3 Milliarden Euro Entwicklungshilfe geleistet. Wie viel davon Kindern und Jugendlichen zugutekommt, weiß das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung allerdings nicht.

Dabei hatte das Ministerium sich mit dem Aktionsplan „Agents of Change – Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“ das Ziel gesetzt, zwischen 2017 und 2019 das Engagement für Kinder und Jugendliche weltweit strategisch zu gestalten und auszubauen: „Wir möchten sie als zentrale Zielgruppe der deutschen EZ besser berücksichtigen und dazu beitragen, dass ihre Rechte systematisch gestärkt werden.“8 Der Aktionsplan benannte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene als wesentliche Zielgruppe und schloss große Hoffnungen an: „Kinder und Jugendliche sind das Zukunftspotenzial der Menschheit. Ihre Energie, Kreativität, ihre Kapazitäten und Wünsche werden die Familien, Gesellschaften und Länder, in denen sie aufwachsen und leben, von Grund auf verändern.“9 Es ist vom „besonderen Entwicklungsfenster für ein Land“ die Rede, es gebe eine „enorme Chance für nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Armutsbekämpfung, Konfliktprävention und Demokratisierung“.10

Der Aktionsplan lief 2019 aus, ein Halbzeitbericht aus demselben Jahr liegt vor. Ein Endbericht und eine Evaluierung sollen folgen, voraussichtlich Ende des Jahres 2020. Im Reformplan des BMZ „Gemeinsam weiter / Zukunft denken“11 werden Kinder nicht als wesentliche Zielgruppe genannt und die Kinderrechte nicht erwähnt.

Erfolge mangels Daten nicht nachweisbar 

In seinem Vorwort zum Halbzeitbericht des Aktionsplanes schreibt Bundesminister Dr. Gerd Müller im September 2019, man habe „bereits beachtliche Erfolge“ erzielt. Diese Aussage ist allerdings kaum zu belegen, denn es fehlt an Daten und Indikatoren. Im Halbzeitbericht selbst wird festgestellt: „Zur Erreichung der Ziele und Ergebnisse wurden keine Indikatoren festgelegt und keine Baseline-Daten erhoben, anhand derer der Umsetzungsstand gemessen werden könnte.“12

Man wusste also zu Beginn des Aktionsplanes nicht, wie viele Mittel Kindern und Jugendlichen zugutekamen, und kann deshalb auch nicht sagen, ob es nach drei Jahren nun mehr oder weniger sind. Nicht beantworten kann das Ministerium auch die Frage, wie viele Mittel es überhaupt für Kinder und Jugendliche aufwendet: „Ein Monitoring der Finanzmittel, die das BMZ für Kinder- und Jugendrechte bereitgestellt hat, ist nicht möglich, da in vielen Vorhaben die anteiligen Beträge mangels Kennung oder CRS Codes nicht erfasst werden können.“13 

Für den Halbzeitbericht war man deshalb auf eine Umfrage im Haus angewiesen. Immerhin macht das BMZ sichtbar, wo und in welchen Arbeitsfeldern Projekte durchgeführt werden, die sich direkt an Kinder und Jugendliche wenden: 285 Vorhaben wurden durch die interne Abfrage identifiziert, sowohl bilaterale und regionale Vorhaben der staatlichen EZ, Kooperationsvorhaben mit anderen Partnern sowie Einzelinitiativen. Der Halbzeitbericht benennt einen „Umsetzungsstand nach Regionen“ mit prioritärem Einsatz in Afrika und der MENA-Region. Er gibt in Grafiken wieder, zu welchen Arbeitsfeldern des BMZ die Vorhaben für Kinder gehören. Beispielhaft werden Projekte zu Berufsbildung, Bekämpfung von Kinderhandel und Kinderarbeit, Vorbeugung gegen Jugendgewalt, Beteiligung und Medienkompetenz, Schutz vor Gewalt beschrieben. Diese Kurztexte beschreiben zum Teil Ergebnisse, die strukturbildend und nachhaltig wirken, wie etwa den Aufbau von Kindesschutznetzwerken gegen Kinderhandel in Burkina Faso oder die Entwicklung einer Methode zum Erlernen gewaltfreier Erziehung, die in den drei mittelamerikanischen Staaten El Salvador, Guatemala und Honduras in den nationalen Bildungs- und Gewaltpräventionsprogrammen verankert werden konnte. In wie vielen der 285 Vorhaben solche Wirkungen erzielt werden, lässt das BMZ offen.

Im Jahr 2018 hat die Bundesrepublik 21,3 Milliarden Euro Entwicklungshilfe geleistet. Wie viel davon Kindern und Jugendlichen zugutekommt, weiß das BMZ allerdings nicht.

Kompass2020

Unbeantwortet bleibt die Frage, wie sich Vorhaben auf Kinder und Jugendliche auswirken, die sich nicht direkt an sie wenden. Welche Wechselwirkungen und Synergien für Kinder erzeugen wichtige EZ-Vorhaben, wie gute Regierungsführung, der Gender-Aktionsplan oder Zusammenarbeit mit der Wirtschaft? Erreicht die Entwicklungszusammenarbeit möglicherweise viel mehr für Kinder, als sie selbst weiß? 

Dass die Entwicklungszusammenarbeit die Situation von Kindern nicht unbeabsichtigt verschlechtert, sichert das BMZ für alle Vorhaben mit verbindlichen Leitlinien und Instrumenten.14 Mit deren Hilfe prüfen die Durchführungsorganisationen, ob ihre Arbeit vor Ort unbeabsichtigte negative Wirkungen haben kann. Die Instrumente enthalten ausdrücklich die Kinderrechte und stellen Bezüge zu möglichen Risiken für Kinder bei konkreten Maßnahmen her.

Beispiel Kinderarbeit: Unrealistisches Ziel, kaum Kohärenz, Wirkungen unklar 

Bundesminister Müller stellt in seiner Öffentlichkeitsarbeit das Thema Kinderarbeit häufig in den Vordergrund: Er benennt den Skandal der Ausbeutung der Schwächsten und spricht über die Beendigung von Kinderarbeit im Zusammenhang mit dem vom BMZ initiierten Metasiegel für Textilien, dem „Grünen Knopf“, oder dem „Bündnis für nachhaltige Textilien“. Das Ministerium bezieht sich auf das Nachhaltigkeitsziel 8.7 aus der Agenda 203015, nach dem die schlimmsten Formen der Kinderarbeit sofort abzuschaffen sind und Kinderarbeit bis zum Jahr 2025 beendet werden soll.

„Das Ziel kann erreicht werden, dazu müssen allerdings schnell einige richtungsweisende Verbesserungen durchgesetzt werden“, schreibt das BMZ auf seiner Website.16 Woher das Ministerium seinen Optimismus nimmt, bleibt unklar.

Denn es sieht zurzeit leider nicht so aus, als ob bis 2025 wenigstens die schlimmsten Formen der Kinderarbeit weltweit zurückgedrängt geschweige denn abgeschafft sind. Etwa die Hälfte der 152 Millionen Kinderarbeiter - 72 Millionen Mädchen und Jungen - unterliegt heute den schlimmsten Formen der Kinderarbeit: Sklaverei, Zwangsarbeit, Prostitution, Kinderhandel, Arbeit an gefährlichen Orten oder mit gefährlichen Stoffen.17 In Konfliktgebieten ist die Zahl der Kinder, die ausgebeutet werden, enorm gestiegen, wie etwa als Folge des Syrienkrieges im Land selbst und den Nachbarländern.18

„Richtungsweisende Verbesserungen“ für Kinder in den schlimmsten Formen der Kinderarbeit müssten Ursachen von Ausbeutung beseitigen und schnell und umfassend Hilfe bieten. Kohärenz mit anderen Ressorts, allen voran Wirtschafts- und Außenpolitik, wäre notwendig – auch auf europäischer Ebene. 

Mit den bisherigen Aktivitäten des BMZ allerdings werden sie nur schwerlich angestoßen: 

Leider zeigt sich auch in Bezug auf Zielsetzung, Strategie und Monitoring zum Thema Kinderarbeit, dass großen Ankündigungen keine systematische und kohärente Politik folgt. Dabei wollte das Ministerium gerade die Rechte von Kindern auf Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch in den Mittelpunkt stellen. Dazu wurde das Gutachten „Ausbeutung und Missbrauch von Kindern weltweit beenden. Handlungsempfehlungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit“19 beauftragt, das seit November 2019 vorliegt.

Laut Gutachten unterstützt das Ministerium rund 60 Vorhaben, die direkt oder indirekt zur Beendigung ausbeuterischer Kinderarbeit beitragen sollen. Dazu gehört auch internationales Engagement, wie etwa die oben erwähnte Mitarbeit in der Allianz 8.7 und das Engagement für das Aktionsprogramm der Internationalen Arbeitsorganisation gegen Kinderarbeit, das Deutschland seit 1992 mit bis heute 73 Millionen Euro unterstützt. 

Eine übergreifende Wirkungsmessung des Engagements gibt es nicht. Einzelne Evaluierungen zeigen, ob und wie sich Vorhaben auswirken, die direkt Kinderarbeit adressieren. Nicht feststellbar ist, ob sich Vorhaben, die Kinderarbeit nicht direkt adressieren, aber wichtige Ursachen bearbeiten, positiv auf Kinder auswirken. Das Gutachten konstatiert: „[…] ist das Thema Kinderarbeit in zahlreichen Vorhaben der bilateralen staatlichen EU indirekt oder nachgeordnet berücksichtigt – oder hat zumindest tatsächliche oder potenzielle Wirkungen darauf (vermutlich häufig nicht explizit intendiert) […] Allerdings ist die Datenlage, d. h. konkret: die Identifizierung solcher Bezüge, deutlich verbesserungswürdig. Entsprechend ist die systematische Berücksichtigung dieses Aspektes nicht feststellbar und mutmaßlich nicht gegeben.“20

Eine systematische Auswertung auf Basis einer kinderrechtlich basierten Wirkungsanalyse kann solche positiven Effekte und Wechselwirkungen erkennen und benennen, wie zum Beispiel:  

Einer der wirksamsten Hebel gegen ausbeuterische Kinderarbeit ist gute Bildung.21 Im Aktionsplan ist Berufsbildung als einer der Schwerpunkte deutscher EZ benannt und soll laut Themenliste der Reformpläne des Hauses auch weiterhin im Kernthema „Ausbildung und nachhaltiges Wachstum für gute Jobs“ verankert werden. Ohne Zweifel ist Berufsbildung auch im Kampf gegen ausbeuterische Kinderarbeit ein wichtiges Instrument: Arme und marginalisierte Jugendliche bekommen eine Perspektive und damit eine wichtige Motivation, Schulabschlüsse zu machen. Jugendliche sind in Bildung integriert, statt informell als Tagelöhner unter möglicherweise ausbeuterischen Bedingungen zu arbeiten. Mädchen und Jungen verdienen Geld und unterstützen damit häufig jüngere Geschwister, damit sie Schulabschlüsse machen können. Schließlich zeigen sie als Rollenmodelle ihren Familien und Gemeinden, dass Bildung und Ausbildung sich im Wortsinn auszahlt, und tragen so dazu bei, dass Familien Entscheidungen für längere Ausbildung treffen.

Do no harm 

Einer der wichtigsten Grundsätze entwicklungspolitischen Engagements ist es, durch die eigenen Aktivitäten keinen Schaden anzurichten. Dies stellt die deutsche EZ über verbindliche Leitlinien für alle Vorhaben sicher (s. o). Dennoch besteht eine große Lücke: Bis heute hat das BMZ keine systematische Kindesschutz-Policy für das eigene Haus und alle Durchführungsorganisationen entwickelt und umgesetzt. Dringend fordern zivilgesellschaftliche Akteure seit einem Jahrzehnt die Einführung eines wirksamen Mechanismus, um Kinder im Einflussbereich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit vor Gewalt durch Mitarbeitende zu schützen. 

Das BMZ sieht offensichtlich seit Jahren in diesem Punkt keinen Grund zur Eile oder Priorisierung, sondern kündigt lediglich an. Der Aktionsplan Kinderrechte sah vor, bis 2019 die Einführung einer Kindesschutz-Policy lediglich zu prüfen. Selbst diese Prüfung wurde bis zum Auslaufen des Aktionsplans Ende 2019 nach eigener Aussage nicht durchgeführt. 23  Unterdessen haben Kinderrechtsorganisationen dem Haus Einzelfälle zur Kenntnis gebracht. Missbrauchsskandale in internationalen Hilfsorganisationen haben deutlich gemacht, dass auch in diesem Kontext erhebliche Risiken für Kinder bestehen. Und auch die eigenen Planungen müssten dem BMZ verdeutlichen, dass Kindesschutz notwendig ist, etwa wenn Kinder und Jugendliche stärker in Konsultationen und Debatten des Hauses selbst einbezogen werden. 

Internationale Kinderrechtsorganisationen setzen Kindesschutz-Policies um und haben gemeinsam internationale Standards entwickelt, Empfehlungen für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe erarbeitet und Instrumente geprüft und verbessert.24 Auch einzelne Durchführungsorganisationen der EZ haben inzwischen Instrumente entwickelt: Die GIZ verfolgt eine „Zero-Tolerance-Policy“ und wird voraussichtlich im Jahr 2020 eine eigene Kindesschutz-Policy vorstellen. Engagement Global hat seit 2014 eine Ombudsstelle, die auch zu sexueller Belästigung und zu Kindesschutz angesprochen werden kann. Eine systematische Kindesschutz-Policy des Ministeriums können solche Aktivitäten einzelner Durchführungsorganisationen allerdings nicht ersetzen.

„Agents of Change“: Partizipation und Empowerment 

Der Anspruch, den der Aktionsplan Kinder- und Jugendrechte formulierte, Kinder und Jugendliche zu „Agents of Change“ zu machen, ist hoch. Damit Kinder sich beteiligen können, müssen sie zunächst das Recht auf Information, Versammlungs- und Meinungsfreiheit wahrnehmen können. Kinder, die sich für ihre Rechte engagieren, erleben häufig, dass Erwachsene sie zunächst nicht ernst nehmen, sie lächerlich machen oder sogar gewalttätig werden. Das betrifft vor allem, aber längst nicht nur Länder mit autoritären Regierungen, in denen demokratische Freiheitsrechte unterdrückt und die Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure systematisch eingeschränkt werden. Das Kinderrechtsnetzwerk Child Rights Connect hat im Jahr 2018 anlässlich der Diskussion des UN-Kinderrechtsausschusses über Kinder als Menschenrechtsverteidiger 2.695 Kinder zwischen fünf und 18 Jahren in 53 Ländern befragt. Alle Kinder setzen sich in ihren Gemeinden aktiv für ihre Rechte ein, etwa für den Schulbesuch oder die Beendigung von Gewalt. 70 Prozent der Kinder sagten, sie hätten Angst, wegen ihres Engagements tätlich angegriffen zu werden.25

Die deutsche EZ unterstützt einzelne Projekte, wie etwa die Medienkompetenz und Teilhabe von Jugendlichen in Kambodscha26 oder das Recht auf Schülerbeteiligung in Honduras27. Zum Thema Kinderarbeit hat das BMZ das Projekt „It’s Time to Talk! – Children’s Views on Children’s Work“28 von Kindernothilfe und terre des hommes gefördert, das 1.800 Kinderarbeiter in 36 Ländern zu ihren Erfahrungen und Vorschlägen befragt hat und sie dabei unterstützt, ihre Anliegen bei lokalen, nationalen und internationalen Akteuren vorzubringen. 

Der Aktionsplan wurde mit einer Jugendkonsultation begleitet, und bis Sommer 2020 plant das BMZ die Etablierung eines Jugendbeirats. Die Jugendkonsultation zum Aktionsplan ist kein Musterbeispiel, wie aus einer Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte hervorgeht: So gab es seinerzeit „kein Feedback zu Vorschlägen [der Jugendlichen] bis zum Abschluss der Jugendkonsultation aus der BMZ-Leitungsebene [sowie] Unklarheit über [den] weiteren Prozess nach Ende der Jugendkonsultation im März 2016“29

Es bleibt abzuwarten, ob das BMZ den Jugendbeirat einrichtet und einbezieht, etwa um eine Strategie für die Verwirklichung von Beteiligungsrechten von Kindern in der deutschen EZ zu erarbeiten und umzusetzen. 

Empfehlungen: Kinderrechte-Mainstreaming in der deutschen Entwicklungspolitik 

Die Rechte von Kindern und Jugendlichen müssen in der deutschen EZ durchgängig verankert werden („Mainstreaming“). Das BMZ sollte eine kohärente und kinderrechtlich basierte Gesamtstrategie erarbeiten und umsetzen. Es braucht mehr Investitionen in Bereiche, die für Kinder besonders wichtig sind und besonders stark ihre Situation verbessern können: grundlegende Infrastruktur und Versorgung für Gesundheit, Ernährung, Bildung und den Schutz vor Gewalt. Investitionen in frühkindliche Entwicklung sollten verstärkt werden. 

Dringend sollte das BMZ: 

2020-teaserbild-kompass-2020.jpg
Bericht "Kompass 2020"

Zum 27. Mal veröffentlichen Welthungerhilfe und terre des hommes Deutschland einen Bericht „Zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik“.

Mehr erfahren

Fußnoten

1)Hier gebraucht für alle Menschen unter 18 Jahren, laut UN-Kinderrechtskonvention.
2) S. Alkire, C. Jindra, G. Robles and A. Vaz: „Children’s Multidimensional Poverty: Disaggregating the global MPI”, OPHI, Oxford, 2017.
3) UNICEF: „The changing face of malnutrition. The state of the world’s children2019” verfügbar unter: features.unicef.org/state-of-the-worlds-children-2019-nutrition/, abgerufen am 11.3.2020.
4) P. Pereznieto, A. Montes, S. Routier, L. Langston: „The costs and economic impact of violence against children”, ChildFundAlliance, London, 2014.
5) Child Rights Now!: „A Second Revolution. Thirty years of child rights, and the unfinished agenda” 2019.
6) OECD: „OECD and donor countries working to focus development efforts on Covid-19 crisis, building on a rise in official aid in 2019”, Pressemitteilung von 16.4.2020
7) M. Salomon: „Illicit Financial Flows toand from Developing Countries“, Global Financial Integrity, Washington, D. C., 2017.
8) Das Ziel ist mit diesen drei Unterzielen versehen: Wir weiten unsere Vorhaben zur Umsetzung von Kinder- und Jugendrechtenaus und verbessern deren Qualität. Wir nehmen im internationalen Dialog eine Vorreiterrolle für die Achtung, den Schutz und die Gewährleistung von Kinder- und Jugendrechten ein. Wir richten unsere Unterstützung strategisch auf kinderrechtliche Risiken und Potenziale aus und stimmen diese mit den Interessen und Bedarfen unserer Partnerregierungen ab.
9) BMZ: „,Agents of Change‘. Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“,2017, online unter www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/strategiepapiere/Strategiepapier385_04_2017.pdf.
10) BMZ: „,Agents of Change‘. Kinderund Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“, 2017 11) BMZ: „Gemeinsam weiter / Zukunft denken“, 2020, www.bmz.de (abgerufen am24.3.2020).
12) BMZ: „Halbzeitbericht zum Aktionsplan ,Agents of Change‘. Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (2017–2019)“, 2019, online unter www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/strategiepapiere/Strategiepapier485_09_2019.pdf.
13)BMZ: „Halbzeitbericht zum Aktionsplan ,Agents of Change‘. Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (2017–2019)“, 2019, S. 5.
14) Zum Beispiel BMZ: „Leitfaden zur Berücksichtigung von menschenrechtlichen Standardsund Prinzipien, einschließlich Gender, bei der Erstellung von Programmvorschlagen“, 2013; Safeguards und Gender-Managementsystem der GIZ; Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung der KfW.
15) Nachhaltigkeitsziel 8.7 sagt: „Sofortige und wirksame Maßnahmen ergreifen, um Zwangsarbeit abzuschaffen, moderne Sklaverei und Menschenhandel zu beenden und das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, einschließlich der Einziehung und des Einsatzes von Kindersoldaten, sicherstellen und bis 2025 jeder Form von Kinderarbeit ein Ende setzen.“
16) BMZ: „Kinder- und Jugendrechtedurchsetzen. Gemeinsam gegen Kinderarbeit“, verfügbar online unter www.bmz.de/de/themen/kinderrechte/arbeitsfelder/kinderarbeit/index.html, aufgerufen am 20.2.2020.
17) ILO: „Global estimates of child labour: Results and trends, 2012-2016“, Genf, 2017 www.ilo.org.
18) UNICEF, ILO, UNHCR: „Child Labour within the Syrian Refugee Response: A regional strategic framework for action“, 2019.
19) W. Eberlei: „Ausbeutung und Missbrauch von Kindern weltweit beenden. Handlungsempfehlungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit“, GIZ, Bonn, 2019.
20) Ebd., 48
21) M. Dottridge: „What works for working children: Being effective when tackling child labour“, TDHIF, Genf 2019.
22) BMZ: „Gemeinsam weiter / Zukunft denken“, www.bmz.de (abgerufen am 24.3.2020).
23) BMZ: „Halbzeitbericht zum Aktionsplan ,Agents of Change‘. Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit(2017–2019)“, 2019, S. 3.
24) Für Organisationen und Institutionen: www.keepingchildrensafe.global; für die humanitäre Hilfe: http://cpwg.net
25) L. Lundy, M. Templeton: „Children Human Rights Defenders: The views, perspectives and recommendations of children across the world“, Child Rights Connect, Genf, 2018.
26) BMZ: „Halbzeitbericht zum Aktionsplan ,Agents of Change‘. Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (2017–2019)“, 2019, S. 11.
27) BMZ: „Halbzeitbericht zum Aktionsplan ,Agents of Change‘. Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (2017–2019)“, 2019, S. 13.
28) www.time-to-talk.info.
29) G. Newiger-Addy: „Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Ein Beispiel aus der entwicklungspolitischen Praxis“, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin, 2016.

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