Deutsche Afrika-Politik: Der Nachbarkontinent ist stärker ins Bewusstsein gerückt
Damit unsere Wirtschaft sich auf Afrika einlässt, hat die Bundesregierung viele Projekte angestoßen. Aber hilft das der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort? Der "African Mittelstand" bleibt außen vor.
Nie zuvor hat deutsche Afrika-Politik eine so prominente Rolle eingenommen wie in dieser Legislaturperiode. Das Engagement hat sich im letzten Jahrzehnt gewandelt, was sich unter anderem in der Verlagerung der Entwicklungszusammenarbeit hin zu wirtschaftlicher Kooperation zeigt. Schon 2017 wurde der Marshallplan mit Afrika (MPA) des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) aufgelegt. Im selben Jahr wurde die Kooperation mit Afrika zu einem Schwerpunktthema des G20-Gipfels in Hamburg, auf dem der Compact with Africa (CWA) beschlossen wurde. Seither entwickelten die Bundesregierung und einzelne Ministerien zahlreiche weitere Programme, wie die Afrikapolitischen Leitlinien (2019), den Entwicklungsinvestitionsfonds mit AfricaConnect und AfricaGrow (2019), die Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung, das Wirtschaftsnetzwerk Afrika (2019) und ein Konzept für Bildungs- und Forschungskooperation (2018). Zahlreiche Konferenzen fanden unter Beteiligung der Bundeskanzlerin, afrikanischer Staatschefs, deutscher Ministerien, Wirtschaftsverbände und zivilgesellschaftlicher Organisationen statt.
Die Pläne und Strategiepapiere lassen erkennen, dass die Bundesregierung bemüht ist, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Einerseits will sie dazu beitragen, dass Armut sich verringert und damit auch weniger Flüchtlinge nach Europa kommen, andererseits werden deutschen Unternehmen bessere Rahmenbedingungen für Investitionen auf dem Kontinent ermöglicht. Denn deutsche Investitionen sind in 90 Prozent der Länder extrem niedrig – nur Südafrika und die nordafrikanischen Länder sind bedeutend, während China, Frankreich, Großbritannien und die USA weitaus präsenter sind und die Wirtschaftspotenziale zahlreicher afrikanischer Länder durch große Investitionsvorhaben nutzen. China betreibt mit staatlich geförderten Investitionen und durch Milliardenkredite den Ausbau von Straßen, Häfen, Flughäfen, Eisenbahnen und Militärbasen eine geostrategische Politik.
Deutschland tritt als Latecomer an und versucht, vor allem durch Wirtschaftskooperation sein Profil zu schärfen. Dabei stehen sich die verschiedenen Konzepte in gewisser Weise sogar diametral entgegen, auch wenn durch einen Koordinierungsausschuss von Staatssekretären der wichtigsten Ministerien größere Kohärenz in der deutschen Afrikapolitik hergestellt werden soll. Dies ist angesichts der breit gefächerten Agenda von zentraler Bedeutung. Doch die verschiedenen Akteure und Strategie zusammenzubinden stellt kein einfaches Unterfangen dar. Dies wird besonders deutlich an den sehr unterschiedlichen Ansätzen des MPA, CWA und des Entwicklungsinvestitionsfonds.
Strategie der Inklusion vs Big Push für Großinvestitionen
Die Vorschläge des Marshallplans verbinden öffentliche und private Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Konzepten, wie der Agenda 2063 der Afrikanischen Union. Ziel ist eine nachhaltige Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent im Sinne der Sustainable Development Goals. Grundlegend beansprucht der MPA, zentrifugale Entwicklungen und die weitere Marginalisierung des Kontinents einzudämmen. Die Strategie setzt auf Inklusion und folgt einer Agenda, die zu mehr Empowerment, Modernisierung der Landwirtschaft, Senkung von Armut, mehr Beschäftigung, besserer Ausbildung und – durch Einbindung von lokalem Unternehmertum in globale und regionale Wertschöpfungsketten – zur Entwicklung beitragen will.
Der MPA orientiert sich dabei an den als besonders relevant angesehenen Wirtschaftskonzepten von Industrieclusters, Sonderwirtschaftszonen, Verknüpfung von Stadt und Land durch agro-industrielles Wachstum und stärkerer Beteiligung der Frauen und der Jugend. Zudem richtet er relativ klare Botschaften an die Staatsführungen in Afrika (etwa zu Good Governance). Allerdings wird der Plan nicht durch eine Politik des fairen Handels unterstützt, auch wenn Minister Gerd Müller sehr oft davon spricht.
Der CWA hat eine entgegengesetzte Agenda und ist im Kern eine Strategie des Big Push, der Strukturanpassung und Stabilisierung. Er wird gesteuert vom Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der International Finance Corporation und von der African Development Bank mitgetragen. Sein Ziel ist es, durch Großinvestitionen den Ausbau von Infrastruktur zu fördern, und durch Verbesserung des wirtschaftlichen Umfeldes für Unternehmen höhere Auslandsdirektinvestitionen hervorzurufen. Das soll Wirtschaftswachstum generieren.
Steuerung der Country-Teams? Fehlanzeige!
Im Wesentlichen geht es um länderspezifische Investitionsvereinbarungen, die von afrikanischen Regierungen, internationalen Organisationen und bilateralen Partnern ausgearbeitet werden und die vordringlich auf die Steigerung privatwirtschaftlicher Investitionen abzielen. Inzwischen nehmen die zwölf Länder Marokko, Tunesien, Ägypten, Senegal, Guinea, Burkina Faso, Côte d’Ivoire, Ghana, Togo, Benin, Ruanda und Äthiopien teil. Mit Ausnahme von Guinea und Senegal sind diese Länder nur in geringem Ausmaß von Fluchtwellen nach Europa betroffen.
Die Bundesregierung wollte die Umsetzung des CWA in so genannten Country-Teamsbegleiten und steuern. Sie versprach sich davon, im Rahmen dieser Initiative eine besonders wichtige Rolle einnehmen zu können. Doch bislang ist nicht erkennbar, dass Deutschland zur Entwicklung dieser Teams einzelner afrikanischen Länder mit besonderen, innovativen Initiativen aufgefallen wäre. Die Agenda der Teams liegt in der Hand der Washingtoner Institutionen: Deutschland und die afrikanischen Länder lassen sich ziehen.
Zusätzlich zum CWA hat die Bundesregierung im Jahr 2019 im Rahmen sog. Reformpartnerschaften den Entwicklungsinvestitionsfonds in Höhe von 1 Mrd. € für die Jahre 2019-2021 eingerichtet. Dieser enthält zwei Komponenten, AfricaGrow und AfricaConnect. Ziel von AfricaGrow ist eine Verbesserung des Zugangs zu bedarfsgerechtem Wachstums- und Risikokapital für dynamische Klein- und Mittelunternehmen und junge innovative Unternehmen („Start Ups“) in Afrika. Dadurch soll ein Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zum nachhaltigen Wirtschaftswachstum geleistet werden. Mit dem AfricaConnect verfolgt die Bundesregierung das Ziel, deutschen Unternehmen über Beratung und Begleitung die Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit auf afrikanischen Wachstumsmärkten zu erleichtern.
In beiden Programmen fehlen Instrumente, um eine Komplementarität zwischen Infrastrukturentwicklung, Investitionen und der Entwicklung der lokalen Industrie und Landwirtschaft zu vertiefen, sodass auch Jobs geschaffen und die Armut reduziert werden.
Prof. em. Dr. Robert Kappel Universität LeipzigCompact vernachlässigt wirtschaftliche Transformation
Es stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß beide von Deutschland unterstützten Programme einen Beitrag zur Senkung der Arbeitslosigkeit, Armut und zugleich zu Industrie- und landwirtschaftlicher Entwicklung leisten können. Grundlegend lassen sich folgende Einschätzungen geben: Der CWA setzt auf Milliarden-Investitionen für Großprojekte und bezieht eine Reihe von Fragen nicht ein, wie zum Beispiel Beschäftigungsprobleme, Bildung, Klein- und Mittelunternehmen, Bevölkerungswachstum. Am auffälligsten im Compact-Ansatz ist das Fehlen einer proaktiven Politik zur wirtschaftlichen und sozialen Transformation, die erforderlich ist, damit in der Landwirtschaft, der Industrie und im Dienstleistungssektor Jobs geschaffen werden.
Der MPA und die Maßnahmen des Entwicklungsinvestitionsfonds befassen sich hingegen damit, wie produktivere Arbeitsplätze in der Industrie und im modernen Dienstleistungssektor durch Klein- und Mittelunternehmen und in der Landwirtschaft geschaffen werden können. In städtischen Zentren und in Sektoren, die in globale und regionale Wertschöpfungsketten integriert sind (u.a. Automobilproduktion, Lebensmittelproduktion, IKT-Sektor, Gartenbau und Textilien) lassen sich Technologietransfers und Ausbreitungseffekte erzeugen. Viele afrikanische Länder treiben den Strukturwandel mit solchen Industriekonzepten voran.
In beiden Programmen, wie auch im Entwicklungsinvestitionsfonds, fehlen kohärente Maßnahmen und Instrumente, um eine Komplementarität zwischen Infrastrukturentwicklung, Auslands- und Inlandsinvestitionen und der Entwicklung der lokalen Industrie und Landwirtschaft zu vertiefen, sodass nicht nur Wachstum, sondern auch Jobs geschaffen und die Armut reduziert werden.
Ob sich Verknüpfungen der ausländischen Unternehmen mit der lokalen Wirtschaft herstellen lassen, hängt nicht nur den Doing Business-Indices und guter Regierungsführung ab – wie Weltbank und IWF betonen – sondern auch von pro-aktiver Förderung lokaler Unternehmen, etwa durch den Aufbau von Industrieclustern, Business Services, besseren Transportsysteme sowie die Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte, verlässliche Stromzufuhr und Marktentwicklung. Je stärker sich ausländische und lokale Unternehmen verlinken, desto besser kann dies Wissen, Technologie und Know-how verbreiten und zu mehr Beschäftigung führen. Der CWA schenkt diesen strukturellen Maßnahmen keine Beachtung. Er geht davon aus, dass sich diese Wirkungen durch hohe Investitionen per se ergeben würden.
Kein Anreiz zur Kooperation mit "African Mittelstand"
Zumindest zeigen der Marshallplan und der Entwicklungsinvestitionsfonds, dass sie ein Verständnis von diesen Prozessen haben. Allerdings ist in beiden bislang unklar, wie AfricaConnect und AfricaGrow zu einer Entwicklung des lokalen Unternehmertums beitragen können. So fehlen Anreizsysteme für deutsche Unternehmen, mit dem afrikanischen Mittelstand und Farmen in Wertschöpfungsketten zusammenzuarbeiten, etwa durch die Entwicklung von industriellen Clusters oder von Sonderwirtschaftszonen. Das im MPA verankerte Konzept des „African Mittelstand“ ist eine von vielen guten Absichten. Doch müsste es passgenau mit AfricaGrow und AfricaConnect verbunden werden.
Stattdessen sieht AfricaGrow vor, sich auf die Start-up-Unternehmen zu konzentrieren. Die Förderung junger afrikanischer Gründer ist eine nachvollziehbares Mittel, um Wissens- und Technologietransfer zu ermöglichen. Aber die Mehrheit des afrikanischen Unternehmertums ist in der Produktion von Nahrungsmitteln und einfachen Konsumgütern tätig. Eine Neujustierung des Instrumentariums wäre anzustreben, damit keine neuen „weißen Elefanten“ entstehen, von denen weder deutsche noch afrikanische Produzenten profitieren.
Gefahr von "Jobless-Growth"
Jährlich 20 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, ist eine große Herausforderung für den Kontinent. Die Auswertung der CWA Monitoring-Berichte zeigt, dass im Rahmen der Compact-Aktivitäten nur sehr wenige Jobs entstehen. Alle Auslandsdirektinvestitionen sind kapitalintensiv, und die meisten Großprojekte weisen fast keine Verknüpfungen zur örtlichen Industrie auf. So werden lediglich Arbeitsplätze in der Lohnveredelung geschaffen. Am besten lässt sich dies an den Investitionen in der äthiopischen Textilindustrie nachweisen.
Es besteht die Gefahr, dass der CWA durch seine Fokussierung sogar „Jobless-growth“ befördert, von dem eher ausländisches Kapital als afrikanisches Unternehmertum und Farmen profitieren. Das Instrumentarium ist nicht geeignet, auch nur einen Beitrag zur Lösung von Arbeitslosigkeit und Armut zu leisten. Im Gegenteil: Der CWA trägt zur Verschärfung bei, indem er Ressourcen in nicht-nachhaltige und nicht-inklusive Bereiche lenkt. Hingegen könnten der MPA und der Entwicklungsinvestitionsfonds zu inklusiver Entwicklung beitragen, wenn es gelingt, die Instrumente von AfricaGrow und AfricaConnect neu zu justieren.
So stehen zwei konträre Konzepte gegeneinander. Der CWA ist eine Wiederholung von gescheiterten Strategien des kreditfinanzierten Wachstums (Debt-cum-growth), das auch in der Neuauflage zu scheitern droht. Zudem besteht die Gefahr, dass die beteiligten Länder erneut in eine Verschuldungsfalle hineingeraten.
Schlussfolgerungen für eine kohärente Afrika-Politik
Deutsche Afrikapolitik sollte also überprüfen, inwieweit die Kooperation mit der mächtigen und erfahrenen Weltbank-Gruppe auf den Prüfstand muss. Denn mit dem Fokus auf Großinvestitionen konterkariert der CWA afrikanische Strategien eher, als sie zu unterstützen. Ein stärkeres deutsches Engagement in der Weltbank wäre erforderlich, um schädliche Wirkungen auszuschließen und die Washingtoner Institutionen davon zu überzeugen, inklusives Wachstum und nachhaltige Entwicklung in den Mittelpunkt der Kooperation mit Afrika zu stellen. Dazu bedarf es einer konzertierten europäischen Aktion. Die Option ist angesichts der Machtfülle der Gruppe eher schwierig, aber nicht aussichtslos.
Die zweite Möglichkeit wäre – und sie ist sicherlich nicht einfacher als die erste –, mit anderen willigen Partnern aus Europa eine eigene Agenda zu verfolgen. Diese wäre sicherlich zielführender, um a) inklusives Wachstum vorrangig zu begünstigen und b) die Kooperation europäischer mit afrikanischen Unternehmen durch Anreizsysteme zu vertiefen. Als sinnvoll kann sich c) die fokussierte Unterstützung mittelgroßer Firmen als eine Brücke zwischen europäischen und afrikanischen Unternehmen erweisen, etwa durch berufliche Bildung.
Fazit ist somit: Der CWA in seiner Grundform steht inklusivem und sich selbst tragendem Wachstum entgegen. Der MPA und der Entwicklungsinvestitionsfonds formulieren wichtige Bausteine. Diese werden bislang aber nicht in eine kohärente Politik gegossen, weil in der Bundesregierung zwei Ministerien jeweils unterschiedliche Ziele verfolgen, die nicht miteinander kompatibel sind.
Das sagt der Koalitionsvertrag zur Afrika-Politik
- Wir müssen "...mit neuen Ansätzen für gute Regierungsführung, für den Auf- und Ausbau der afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur, bei der Förderung von nachhaltigen und entwicklungsfördernden Privatinvestitionen, dem Aufbau der Infrastruktur, unserer Unterstützung im Bildungssektor und bei der Schaffung menschenwürdiger Arbeit sowie bei der Förderung im Bereich der Sicherheitssektoren."
- "Wir werden im Rahmen des Marshallplans mit Afrika die Zusammenarbeit mit Reformpartner- und G20-Compactländern verstärken und konditionieren... Schwerpunkte werden ein Mittelstandsförder- und Start-up-Programm, um mehr Chancen und menschenwürdige Arbeitsplätze zu schaffen und zu einer Stärkung afrikanischer Angebote beizutragen, ein Programm für Ausbildungspartnerschaften und zur Errichtung und Förderung von dezentralen erneuerbaren Energien sein.
- „Wir wollen das Außenwirtschaftsförderinstrumentarium, insbesondere in Bezug auf neue Märkte und mit dem Schwerpunkt Afrika, weiterentwickeln. Wir nehmen bewusst die Zukunftsthemen des afrikanischen Kontinents in den Fokus – Digitalisierung, Innovation und Ausbildung – und setzen zu diesem Zwecke das Eckpunktepapier zur wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas um, u. a. durch die Stärkung privater Investitionen, Hermes-Bürgschaften und innovativer Finanzierungsinstrumente. Das Netzwerk der Deutschen Außenhandelskammern ist ein wichtiger Pfeiler unserer Außenwirtschaftspolitik, das wir weiter stärken und ausbauen wollen.
- "Wir wollen Vorreiter für eine faire Handelspolitik mit Afrika sein. Wir werden die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit den afrikanischen Staaten (EPAs) daraufhin überprüfen, ob sie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dienen. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass in allen EU-Handels-, Investitions- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen verbindliche soziale (u. a. ILO-Kernarbeitsnormen), menschenrechtliche und ökologische Standards und konkrete Beschwerde-, Überprüfungs- und Reaktionsmechanismen vereinbart werden. Dies gilt auch für das Allgemeine Präferenzsystem (APS und APS+) der EU. Die Afrikanische Union unterstützen wir beim Aufbau einer einheitlichen panafrikanischen Freihandelszone... Wir werden die Post-Cotonou-Verhandlungen aktiv und unter Einbindung der Zivilgesellschaft gestalten."
- "In den Verhandlungen für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union streben wir eine Erhöhung der Mittel für unsere Zusammenarbeit mit Afrika an."