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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 06/2022
  • Ulrich Post

Deutsche ODA 2021 in Daten, Fakten, Trends

In einem Schwerpunkt des „Kompass 2022“, dem 29. Bericht zur „Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik“, analysieren Welthungerhilfe und terre des hommes erneut die Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe durch die Bundesregierung.

Konflikte verursachen Hunger in aller Welt. Auch das zeigt anschaulich der im Juni in Berlin vorgestellte Kompass 2022. © Stephanie Steinkopf / Welthungerhilfe

Die meisten Menschen, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, werden der Behauptung zustimmen, dass Geld nicht der entscheidende Erfolgsfaktor in der Entwicklungsarbeit ist. Wenn Erfolg so schwer ist, dann hängt das eher mit dem mangelnden politischen Willen von Regierungen in Entwicklungs- und Industrieländern zusammen, notwendige Reformen vorzunehmen. Es hängt auch zusammen mit der oft anzutreffenden Dominanz von außen- und wirtschaftspolitischen Interessen der Geberländer, mit schlechter Regierungsführung, wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten, anhaltenden Konflikten und vielem anderen mehr.

Gleichwohl haben Welthungerhilfe und terre des hommes im „Kompass 2022“, dem nunmehr 29. Bericht zur „Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik“, erneut einen Schwerpunkt auf die Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe durch die Bundesregierung gelegt. Bei der humanitären Hilfe leuchtet das sofort ein, aber auch die Entwicklungszusammenarbeit, so heißt es in den Empfehlungen des „Kompass“ an die Bundesregierung, brauche „verlässliche,  flexible und langfristige finanzielle Perspektiven, um die strukturellen Ursachen von Konflikten, Hunger und  Armut zu bekämpfen, Krisen vorzubeugen und Partnerschaften zwischen Nord und Süd dauerhaft zu stärken.“

Weil das so ist, fordern die beiden Organisationen von der Bundesregierung, das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für staatliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) auszugeben, als Mindestziel und nicht als Zielmarke festzulegen – so wie es auch im Koalitionsvertrag der Ampel steht. Wie schon in den vergangenen Jahren fordern sie zudem, dass die Bundesregierung 0,2 Prozent des BNE für die Zusammenarbeit mit den am wenigsten entwickelten Ländern zur Verfügung stellt; bislang sind es nur 0,14 Prozent (2020).

Aber man muss auch anerkennen, dass Deutschland 2021 nach den USA erneut der zweitgrößte Geber in der Entwicklungszusammenarbeit war; die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe beliefen sich 2021 auf knapp 27,3 Mrd. Euro – doppelt so viel wie vor zehn Jahren und mit 0,74 Prozent des BNE oberhalb des 0,7 Prozent-Ziels. Wenn man die 2,3 Mrd. Euro Kosten für Inlandsflüchtlinge abzieht, bleiben allerding nur noch 0,68 Prozent.

Sorge bereitet terre des hommes und Welthungerhilfe die mittelfristige Finanzplanung des Bundes, die bis 2026 Kürzungen im Bereich des Entwicklungsministeriums (BMZ) und des Auswärtigen Amtes (AA) vorsieht. Nach Ansicht der beiden Organisationen zeigt das einmal mehr, dass „Entwicklungszusammenarbeit, Übergangshilfe und humanitäre Hilfe als friedenschaffende Maßnahmen und Mittel der Konfliktprävention unterschätzt werden.“

Für den Themenbereich „ländliche Entwicklung“ standen nach BMZ-Angaben im Jahr 2021 2,5 Mrd. Euro bereit; ein Höchststand, aber auch dort waren für 2022 ursprünglich Kürzungen geplant, die jedoch kurzfristig durch Sondermittel kompensiert wurden. Generell kritisieren terre des hommes und Welthungerhilfe die Intransparenz der Zahlen: Weltbank, OECD und BMZ nutzen jeweils andere Berechnungsgrundlagen bei der Ermittlung der Ausgaben für ländliche Entwicklung, Ernährungssicherung und Landwirtschaft. Das müsse sich ändern, so die beiden Organisationen.

Zudem müsse einer gesicherten Ernährung „oberste politische Priorität“ eingeräumt werden. Denn angesichts steigender Zahlen bewaffneter Konflikte, den Auswirkungen des Klimawandels, der Corona-Pandemie und nun auch noch der dramatischen Folgen des Ukraine-Krieges für den Globalen Süden werde die Zahl hungernder Menschen noch weiter ansteigen. Innerhalb der Bundesregierung sei es auch deshalb nötig, dass sich AA und BMZ vor allem mit Blick auf die ärmsten Länder besser koordinieren. Darüber hinaus sollten alle relevanten Bundesministerien mehr an einem Strang ziehen und untereinander ein kohärenteres Vorgehen abstimmen: „Politisches Handeln eines Ressorts darf, wie in der Vergangenheit leider allzu oft geschehen, nicht die Arbeit eines anderen unterlaufen. Wenn zum Beispiel deutsche Handelspolitik deutsche Entwicklungspolitik konterkariert, ist langfristig niemandem geholfen.“

In der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe spielen zivilgesellschaftliche Organisationen eine wichtige Rolle: „Sie können als Impulsgeberinnen eigene Projekte umsetzen, als Bindeglied zwischen Bevölkerung und Staat die Anliegen der Menschen einfordern, als Watchdog die Einhaltung der Menschenrechte und der staatlichen Rechenschaftspflicht sicherstellen, oder als Dienstleisterinnen unterstützende Maßnahmen zur Basisversorgung durchführen.“ Auch deshalb stellten die Mitglieder des OECD-Entwicklungsausschusses (DAC) im Jahr 2020 durchschnittlich 14,6 Prozent ihrer bilateralen Entwicklungsgelder für zivilgesellschaftliche Organisationen zur Verfügung.

Deutschland mit seinen großen staatlichen Durchführungsorganisationen bleibt mit 7,3 Prozent weit unter diesem Durchschnitt. Das könnte besser werden, wenn die Förderrichtlinien „entbürokratisiert, verschlankt und flexibilisiert“ werden, so terre des hommes und Welthungerhilfe. Sie müssten den (zunehmend schwierigeren) Rahmenbedingungen, unter denen die lokale Zivilgesellschaft in Entwicklungsländern agieren muss, stärker Rechnung tragen. So können lokale zivilgesellschaftliche Organisationen auch dann noch aktiv Hilfe leisten, wenn sich die staatliche Entwicklungszusammenarbeit aus fragilen oder Konfliktländern zurückgezogen hat.

Keinen Zweifel lassen die AutorInnen des „Kompass 2022“ daran, dass der diesjährige deutsche G7-Vorsitz genutzt werden sollte, einer gesicherten Ernährung und der ländlichen Entwicklung eine höhere Priorität einzuräumen, mehr Mittel für diese Bereiche zur Verfügung zu stellen und die Bekämpfung akuter Hungerkrisen mit Maßnahmen zur langfristigen Hungerbekämpfung zu verbinden. Globale Probleme können ohnehin nur in enger Internationaler Zusammenarbeit wie etwa in der G7 oder EU angegangen werden. Internationale Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik hat das Potenzial, nationale Eigeninteressen der Geber zu schwächen und eine höhere Wirksamkeit zu zeigen.

Welthungerhilfe und terre des hommes loben ausdrücklich den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, der sehr viele gute Absichtserklärungen enthalte. Er müsse trotz aller Krisen „weiter unbedingte Richtschnur des entwicklungspolitischen Handelns sein und bleiben.“ Entscheidend für eine Bewertung der Politik ist allerdings, ob den Absichten auch Taten folgen. Das zu beurteilen, ist jedoch nach rund sechs Monaten im Amt noch zu früh. Es wird aber gewiss einen erheblichen Teil des nächsten „Kompass“ im Jahr 2023 einnehmen, immerhin der 30. Ausgabe einer Veröffentlichung, die längst zu einer Referenzpublikation geworden ist.

 

Prträt: Ulrich Post, Leiter Team Grundsatzfragen.
Ulrich Post Mitglied im Redaktionsbeirat

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