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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 12/2019
  • Bettina Rudloff

Wie kann die EU Afrikas Agrarhandel stärken?

Eine Umsetzung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ebnet den Weg zur afrikanischen Freihandelszone. Um die Ernährungsversorgung zu sichern, muss Handelspolitik sich einfügen in eine umfassende Politik für den ländlichen Raum.

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Im Warenverkehr ist Europa Afrikas größter Handelspartner, gefolgt von China, Indien und den USA. Am intensivsten ist der beidseitige Austausch mit den vier Ländern Deutschland, Frankreich, Italien und Portugal. 2018 waren 65 Prozent der EU-Importe Primärgüter, umgekehrt überwiegen mit 70 Prozent verarbeitete Produkte. © Vidar Nordli-Mathisen via Unsplash

Handel spielt eine ambivalente Rolle für die Ernährungssicherung: In der Logik der FAO trägt Handel dazu bei, Nahrungsmittel verfügbar zu machen. Das ist Säule eins ihrer Definition von Ernährungssicherheit. Sie speist sich aus eigener Produktion, aber auch aus Importen und Nahrungsmittelhilfen. Viele Staaten nutzen Handelspolitik, um ihre Produktion über den Weg der Marktabschottung anzukurbeln und in der Versorgung nicht von Importen abhängig zu sein. Andere dagegen streben diese gerade durch mehr Importe an und öffnen hierzu den Markt. Handel und Nahrungsversorgung wirken auch beim Zugang zu Nahrungsmitteln zusammen (Säule drei der FAO-Definition): Marktabschottung über Zölle oder Exportverbote können preistreibend wirken und den ökonomischen Zugang zu Nahrungsmitteln begrenzen.   

Aktuell gewinnen die Fragen an Priorität, wie der Handel innerhalb Afrikas steigen kann, aber auch, ob der bilaterale Handel zwischen Afrika und der EU hierbei hilft oder stört, und welche Rolle EU-Handelspolitik dabei spielt: So will die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag das Ziel einer Afrikanischen Freihandelszone unterstützen. Zugleich möchte sie bestehende, regionale EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPAs) darauf prüfen, ob sie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Afrika dienen. Nicht zuletzt will sie die nordafrikanischen Maghreb-Staaten in den europäischen Wirtschaftsraum integrieren.

Für die EU hatte Kommissionspräsident Juncker 2018 sogar die Vision einer Freihandelszone zwischen den beiden Kontinenten ausgegeben. Das würde nicht nur den Abbau aller Zölle in Afrika verlangen, sondern den aller Zölle zwischen der EU und Afrika.

 Ursula von der Leyen in Addis Abeba, 2019.
Ihr erster Amtsbesuch als neue Präsidentin der EU-Kommission führte Ursula von der Leyen nach Addis Abeba, wo sie unter anderen den Vorsitzenden der Kommission der Afrikanischen Union Moussa Faki traf. Ihr Besuch sollte "ein politisches Statement" sein. Mit der AU werde man an gemeinsamen Interessen und Zielen arbeiten, im Sinne einer echten Partnerschaft unter Gleichen. © European Union

Aber können diese unterschiedlichen Ambitionen gelingen, die auf ein Nebeneinander vieler Handelsregime in Afrika treffen? Welche Spielräume gibt es darin, Ernährungssicherung zu leisten. Wie wirken Investitionsschutzbestimmungen, die in den aktuellen Handelsabkommen in der Regel nicht abgedeckt sind? Und welche Rolle können EU und deutsche Ratspräsidentschaft 2020 spielen?

Die Lage: Gerade innerafrikanischer Agrarhandel ist gering

Regionaler Handel ist entscheidend für wirtschaftliche Entwicklung und kann helfen, Wertschöpfung und damit höherqualifizierte Beschäftigung in der Region zu halten. Dieser regionale Handel hat in Afrika zwar zugenommen: von durchschnittlich nur fünf Prozent 1990 auf immerhin zwölf Prozent 2017. Für die bestehenden afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaften (Regional Economic Communities /RECs) sowie für regional ausgerichtete EU-Abkommen in und mit Afrika zeigt der geringe Grad an regionalem Austausch, dass sie nach wie vor weder umgesetzt noch ausgeschöpft werden. Gerade im Agrarbereich bestehen zahlreiche Barrieren, sogenannte nicht-tarifäre Handelsmaßnahmen (NTM), jenseits von Zöllen weiter. So ist der Agrarhandel in Afrika noch geringer als der von Industrieprodukten.

Gleichwohl gibt es Unterschiede: Während die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (Southern African Development Community, SADC) und die Ostafrikanische Gemeinschaft (East African Community, EAC)) immerhin insgesamt rund 20 Prozent regional handeln, sind es in der Maghreb-Region nur zwei Prozent, der weltweit geringste regionale Integrationsgrad überhaupt. 

Innerafrikanischer Handel, Zusammensetzung 1990-2017, in Prozent: rot: Manufactures, grün: Food, blau: Minerals

Grafik 2 Innerafrikanischer Handel.

Afrikas Handel international, Zusammensetzung 1990-2017, in Prozent: rot: Manufactures, grün: Food, blau: Minerals

Gafik Innerafrikanischer Handel, Zusammensetzung 1990-2017, in Prozent.
Die Grafik vom innerafrikanischem Handel (1990-2017) in Prozent zeigt folgendes: rot: Manufactures, grün: Food, blau: Minerals © Quelle: United Nations COMTRADE database; and IMF staff calculations

Afrikas Freihandelszone: richtig, wichtig, aber fern vom Ziel

Die von der Afrikanischen Union (AU) angestoßene Afrikanische Freihandelszone (African Continental Free Trade Area/AfCTFA) konnte ein Jahr nach der Ausverhandlung eines Rahmenabkommens im Mai 2019 mit der nötigen Zahl von mindestens 22 ratifizierenden Staaten in Kraft treten. Allerdings gilt damit vorerst eine Absichtserklärung – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Fest stehen lediglich das grobe Ziel an Marktöffnung und ein Zeitrahmen. Die eigentliche Arbeit steht noch bevor.

Wie in jedem Freihandelsabkommen ist auszuhandeln, in welcher Zeit und wie schnell konkret welche Zölle für welche Güter zwischen den Staaten fallen, welche Ausnahmen gewährt werden – etwa um Agrarmärkte durch Zölle vor Importen zu schützen –, und wie die gerade im Agrarhandel wichtigen NTMs abgebaut und harmonisiert werden sollen. Diese Bereiche werden in der nunmehr laufenden operativen Phase Eins bis 2020 behandelt. Weitere Inhalte wie Eigentumsrechte und Investitionen wurden in die Phase Zwei verschoben.

EU-Abkommen und die afrikanische Vision: Spielraum für Ernährungssicherung

Die EU unterhält vielerlei Handelsregime mit Afrika, die sich auch in Bezug auf Ernährungssicherung unterscheiden (s. Tabelle unten):

Investitionsschutzbestimmungen sind derzeit in keinem Abkommen enthalten. Sie sind Bestandteil bilateraler Abkommen (BITs), die etwa regeln, ob und wie Investoren Land kaufen oder pachten können. Wenn sie heimische Kleinerzeuger ohne Eigentumstitel verdrängen und zudem Agrarzeugnisse exportieren, gefährdet das die Ernährungssicherheit. Diese BITs können zudem striktere Gesetze für mehr Nachhaltigkeit begrenzen, da sie Unternehmensklagen gegen den Staat ermöglichen, die große Entschädigungssummen abverlangen können.

Die von EU-Mitgliedern mit einer Vielzahl afrikanischer Staaten bereits vor Jahrzehnten geschlossenen BITs sind weniger nachhaltigkeitsorientiert, als dies in einem neuen EU-Modell für solche Abkommen verfolgt wird – etwa in den DCFTAs mit Nordafrika oder in den WPA-Updates. Allerdings ist gerade die afrikanische Bereitschaft zu neuen Regeln gering. Selbst die Möglichkeit in alten BITs, Landbesitz zu beschränken, wurde von afrikanischen Staaten kaum genutzt.

Jenseits solcher Außenwirtschaftsinstrumente gelten die FAO-Leitlinien zur verantwortungsvollen Landnutzung. Werden sie eingehalten, kann das die für Entwicklung durchaus notwendigen Investitionen deutlich nachhaltiger machen. Sie sind zwar freiwillig, können aber dem Interesse der beteiligten Länder und Investoren dienen, um die Geschäftstätigkeit akzeptabel zu gestalten und politische Konflikte zu vermeiden.

Tabelle: Handelsabkommen in Afrika und Schutzoptionen

 

Everything  but Arms (EBA)

Allgemeines Präferenzsystem  APS (APS+)

Wirtschaftspartner- schaftsabkommen  (WPAs)

Assoziierungs-  abkommen (AAs)

Afrikanische  Freihandelszone (AfCFTA)

Anzahl afrikanischer Staaten

     21
   (LDCs)

      3 (1)

43 Staaten in 5 Regionen

         4

        55         (AU-Mitglieder)

Ausdehnung

 Bilateral

   Bilateral

   Regional

   Bilateral

  Kontinental

Umsetzung

     21

      3 (1)

        14

         4

         0

Abdeckung

 

Alle Güter außer Waffen

Alle Güter

– Alle Güter        –  Update als umfassendes Abkommen möglich (Dienst-leistungen etc.)

– Nur Industrie-güter                – Aktuell Vertiefung als umfassendes DCFTA verhandelt

– Alle Güter     – Umfassend anvisiert für späteren Zeitpunkt

Umfang                    Marktöffnung Afrika  (%- Zolllinien bzw. Handel)

      0%

         0%

        80%             (durchschnittlich)

Keine Informa-tion, deutlich weniger als EU-Öffnung

       90%

Umfang sofortiger Marktöffnung EU

   100%

        66%

 

       100%

43% (Algerien) 89%  (Marokko)

         0%

Ernährungssicherheit: Schutzoptionen  auf afrikanischer Seite

Umfang Ausnahmen für Marktöffnung    (% Zolllinien bzw. Handel)

nicht        relevant

nicht relevant

        20%

keine Information (höher als WPAs)

        10%

Umsetzungsfrist

Nicht relevant

Nicht relevant

Bis zu 25 Jahren

Bis zu 12 Jahren

Bis zu 15 Jahren

Schutzzölle

Nicht relevant

Nicht relevant

– Generelle Schutzklausel bei Wirtschafts­risiko   – Teilweise spezifische Agrarschutzzölle (SADC)

Generelle Schutzklausel bei Wirtschafts­risiko, bislang nur Industrie­produkte

Noch zu definieren

Sonstige

Nicht relevant

Nicht relevant

Spezifische Ziele wie Frühwarn-systeme für Ernährungskrisen  in einzelnen Abkommen (EAC)

Übliches Nachhaltigkeits-kapitel mit Streit-schlichtungs-verfahren

Noch zu definieren

Quelle: Eigene Zusammenstellung, Stand November 2019.

Handelspolitik: nur eine Säule im Policy Mix für Versorgungssicherung

Was sind also die Aufgaben? Die EU sollte die Fragmentierung der bestehenden Abkommen abbauen, um die genuin afrikanische Idee der Stärkung des innerafrikanischen Agrarhandels zu unterstützen. Daneben sollte sie – und gerade auch Deutschland – eine klare und zielführende Gesamtstrategie verfolgen, statt sich wenig produktiv in der kontinuierlichen Debatte zu verlieren, ob die EU-Abkommen Nahrungsversorgung gefährden.

1. Als ersten Schritt zur AfCFTA die Umsetzung bestehender EU-Abkommen fördern 

Da aktuell nur 18 EU-Abkommen in Afrika umgesetzt sind und dafür zudem lange Fristen gelten, wurde bislang kaum ein afrikanischer Zoll aufgrund der EU tatsächlich reduziert. Das macht auch zunächst das Ziel der Bundesregierung obsolet, die WPAs auf eine Wirkung zu prüfen, die noch gar nicht eingetreten sein kann. Für Agrarprodukte wird die Wirkung womöglich ohnehin gering bleiben, da sie großteils von den afrikanischen Partnern vom Zollabbau ausgenommen wurden, oder in Nordafrika vorerst gar nicht vorgesehen waren. Es sollte daher vorrangig die Umsetzung gefördert werden, da dies der erste Schritt auf dem langen Weg zu der kontinentalen Dimension einer AfCFTA sein kann. 

Die Freihandelszone verlangt zusätzlich zu den WPAs weitere zehn Prozent Zollabbau – noch mehr im Fall der AAs – und auch in kürzerer Zeit. Hemmnisse für die Regionalisierung wie NTMs, die gerade im Agrarhandel relevant sind, sollten beseitigt werden. Deutschlands Ansatz, bereits das AU-eigene neue Monitoring-Instrument für NTMs zu unterstützen, ist zu begrüßen. Zugleich muss aber die Fragmentierung der EU-Abkommen abgebaut werden.

Vor allem die bilateralen Abkommen mit Nordafrika stehen im Widerspruch zu den regionalen WPAs und dem längerfristig kontinentalen Design einer AfCFTA. Auch sind sie inhaltlich sehr beschränkt und schotten die EU, anders als in den WPAs, im Agrarsektor noch ab. In den Neuverhandlungen als DCFTAs wird eine Angleichung der Abkommen zwar angestrebt, eine echte Regionalisierung aber scheiterte bislang an politischen Spannungen zwischen den nordafrikanischen Nachbarn. Die Vision der AfCFTA kann einen Ausweg zeigen, indem die kontinentale nebenbei auch eine nordafrikanische Integration leistet.

2. Geeigneten Policy Mix zur Versorgungssicherheit finden

In allen bestehenden Regimen können afrikanische Partner entweder Agrarprodukte vom Zollabbau ausschließen, Märkte mit langen Fristen öffnen, oder Zölle in Krisenphasen verhängen. Das entspricht aber nur einer der Ideen von Versorgungssicherung, nämlich über Abschottung und eigene Produktion („infant industry“) Importe zu substituieren – eine Strategie vieler afrikanischer Staaten, wie auch der EU in der Vergangenheit. Allerdings bietet dies für sich genommen keine dauerhafte Lösung, denn ohne begleitende Agrarpolitik und andere Politiken im ländlichen Raum steigern Schutzzölle nicht die Produktion. Zudem verteuern Zölle Lebensmittel, was wiederum arme Verbraucher benachteiligt, die ohnehin den Großteil ihrer Einkommen für Nahrung ausgeben müssen. Handelspolitik kann also immer nur ein Instrument in einem umfassenden Policy-Mix zur Versorgungssicherung sein. Wenngleich höhere Zölle verführerisch einfach und schnell einsetzbar scheinen.

EU und Bundesregierung sollten sich daher dafür einsetzen, die oft vereinfachende und auch irreführende zollbezogene Debatte um Versorgungs- und Entwicklungsrisiken von Handelsabkommen hin zu einer sachgerechten Identifizierung von umfassenden Ansätzen zu bewegen. Hierzu könnten sie afrikanische Erfolgsgeschichten von umfassenden Politikansätzen kontinuierlich auswerten, öffentlich diskutieren und entsprechende Reformen weiter unterstützen. Das schließt auch ein, fortgesetzt zu beobachten und einzufordern, ob und wie die Leitlinien der FAO für verantwortungsvolle Landnutzung eingehalten werden. Entscheiden und vollziehen müssen dies afrikanische Partner selber. 

Portrait Bettina Rudloff.
Bettina Rudloff Stiftung Wissenenschaft und Politik
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