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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 02/2020
  • Ulrich Post

Post-Cotonou: EU und Entwicklungsländer setzen sich neues Ziel

Trotz Uneinigkeit soll ein Folgeabkommen mit den ehemaligen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum 2021 in Kraft treten.

Schon 1975 unterzeichnete die damalige Europäische Gemeinschaft (EG) das Lomé-Abkommen, benannt nach der Hauptstadt Togos. Vertragspartner waren 46 ehemalige Kolonien, die unter der Abkürzung AKP (Afrika, Karibik, Pazifik) firmierten. Das Cotonou-Abkommen besteht seit dem Jahr 2000 mit 79 Staaten. © European Union

Eigentlich wollte die Europäische Union das Verhältnis zu ihren ehemaligen Kolonien bis Ende Februar 2020 neu geregelt haben. Doch die Neuverhandlung des Cotonou-Abkommens mit 79 Staaten Afrikas, des karibischen und des pazifischen Raumes (AKP) stockt. Uneinigkeit in Fragen der Migration und der Finanzen hat den rechtzeitigen Abschluss eines Folgeabkommens verhindert. Nun gibt es einen EU-typischen Kompromiss: Der Vertrag wird verlängert – und die Verhandler hoffen auf Einvernehmen noch bis zum Sommer. Neues Ziel: Anfang 2021.  

Das Abkommen basiert auf den drei Handlungsfeldern politischer Dialog, Handelspolitik (bis 2008) und Entwicklungspolitik. Es ist seit 20 Jahren das zentrale entwicklungspolitische Förderinstrument der EU. Mit der kontrovers diskutierten Einführung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) verlor es als handelspolitisches Mittel aber an Bedeutung.

Migration erschwert Bedingungen

Als es in Kraft trat, waren internationale Zusammenarbeit und Multilateralismus noch positiv besetzte Begriffe. Die sind heute bei vielen Regierungen verpönt. Demokratie und Menschenrechte sind vielerorts unter Druck; Nationalismus und Rechtspopulismus haben sich ausgebreitet. Themen wie Erderwärmung, Migration und islamistischer Terror, die heute drängender sind denn je, sorgen selbst unter den EU-Mitgliedern für erhebliche Meinungsunterschiede. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die AKP-Staaten alles andere als eine homogene Gruppe sind. So hat Migration für die karibischen und pazifischen Staaten einen weit geringeren Stellenwert als für die afrikanischen.

Die Bedingungen für die 2018 aufgenommenen Neuverhandlungen sind also deutlich schwieriger geworden – was zumindest teilweise die Verzögerung erklärt. Eine Verlängerung bis Ende 2020 macht überdies Sinn, weil dann der Europäische Entwicklungsfonds (EEF) ausläuft und der neue siebenjährige EU-Haushaltsrahmen in Kraft tritt. Über den EEF finanzieren die EU-Mitgliedstaaten die europäische Entwicklungszusammenarbeit mit den AKP-Staaten. Für den mittlerweile elften EEF (2015-2020) wurden 30,5 Milliarden Euro bereitgestellt. In Zukunft soll der EEF  jedoch in den Haushalt der EU eingegliedert werden.

In einem Feld in Burkina Faso werden halbmondförmige Senken ausgehoben, um Regenwasser zu sammeln. Das Projekt ist Teil der AKP-Initiative "Action against Desertification" und wird mit Geldern des Europäischen Entwicklungsfonds von der FAO durchgeführt. © FAO / Giulio Napolitano

Für die Neuverhandlungen hatten die EU-Mitgliedsstaaten der Kommission das Mandat gegeben, aufbauend auf der Agenda 2030 mit den drei Regionen der AKP-Staaten ein für alle geltendes Grundlagenabkommen („Foundation“) auszuhandeln, sowie jeweils ein Abkommen, das den spezifischen Bedingungen der jeweiligen Region entspricht. Diese regionalen Protokolle sind integraler Bestandteil des Abkommens („Single Undertaking“). Aus zivilgesellschaftlicher Sicht ist es wünschenswert, dass die Agenda 2030 auch tatsächlich den Referenzrahmen für die Neuausrichtung der Beziehungen bildet und die europäischen Interessen bei Sicherheits- und Migrationspolitik nicht alles dominieren.

Gründe des bisherigen Scheiterns

Die Gründe für das bisherige Scheitern sind – wie der gesamte Verhandlungsprozess – leider wenig transparent. Kommissionskreise nennen beispielsweise das Vorpreschen der AKP-Länder bei der Veröffentlichung des Verhandlungsmandats, oder eine unklare Kompetenzabgrenzung zwischen dem Europäischen Auswärtigen Dienst und dem Entwicklungs-Direktorat. Vor allem an Fragen der Finanzierung und Migration scheiden sich demnach die Geister: Die EU möchte den EEF in seiner jetzigen Form abschaffen, in den regulären Haushalt integrieren und damit auch der Kontrolle des EU-Parlaments unterstellen. Zudem soll der Titel für den Auswärtigen Dienst, in dem der Fonds aufgehen soll, auf Vorschlag der Kommission um 30 Prozent erhöht werden – trotz des Ausfalls eines der Hauptzahler. Großbritannien trug 14 Prozent zum EEF bei.

Die AKP-Staaten lehnen diese geplante Integration ab: Sie bevorzugen ein für sie reserviertes Finanzpaket, für dessen Verwendung sie ein größeres Mitspracherecht hätten. Wohl würde sich das Volumen eines zukünftigen EEF bedingt durch den Brexit tendenziell verringern. Aber es bliebe zumindest vorhersehbar, während im EU-Haushalt Mittel hin und hergeschoben werden könnten. Die Verhandlungen darüber sind noch im Gange und das Ergebnis völlig offen, sowohl was die Budgetierung des EEF als auch die Mittelerhöhung betrifft.

Rückkehrer: Die ehemalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini übergibt 2015 einen symbolischen Scheck für ein Projekt zur Unterstützung heimgekehrter Geflüchteter in Addis Abeba, Äthiopien. © European Union

Als besonders harter Brocken erweist sich der Verhandlungsbereich Migration. Der besitzt für die EU zwar höchste Priorität. Zugleich sind die Mitgliedsstaaten uneins über die Schärfe der Formulierungen. Insbesondere Ungarn blockierte eine seiner Ansicht nach zu „weiche“ Wortwahl bei der Formulierung des Verhandlungsmandates an die Kommission. In dem Text zur irregulären Migration verlangt die EU nun eine „rechtliche Verpflichtung zur Rücknahme“ von Migranten, die auch funktioniere, während die AKP-Staaten von freiwilliger Rücknahme sprechen, keine Verbindungen von Entwicklungshilfe mit Grenzkontrollen möchten und auch Rücküberweisungen aus der Diaspora vereinfachen wollen.

Trotz dieser Hindernisse hoffen die Verhandler, in der ersten Hälfte 2020 Kompromisse gefunden zu haben, die beide Seiten akzeptieren können. Erst dann beginnt die rechtliche Prüfung, und EU- wie AKP-Länder müssen noch zustimmen. So liegt es noch im Bereich des Möglichen, einen Folgevertrag am 1. Januar 2021 in Kraft treten zu lassen. Sicher ist es aber keinesfalls. Es mag sein, dass auch auf die deutsche (im zweiten Halbjahr 2020) und die folgende portugiesische Ratspräsidentschaft einige Arbeit zukommt.

Bezug zur Agenda 2030

Aus der Perspektive der Zivilgesellschaft steht natürlich der Bezug zur Agenda 2030 im Vordergrund, ebenso der Bezug zu den Menschenrechten, zum zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum, und zu menschenfreundlicheren Migrationsregeln. Auch die Überwindung von Armut und sozialer Ungleichheit sollten zentrales Ziel europäischen Handelns sein. Neben Investitionen aus dem Ausland sollen zudem auch regionale und lokale Investitionen gefördert werden. Die Förderung europäischer Investitionen sollte mit dem Gebot der Nachhaltigkeit verbunden werden.

Wer sich den Aufwand um das neue Abkommen anschaut, stößt unweigerlich auf die Frage: Braucht man ein solches überhaupt noch? Ist es nicht überflüssig geworden? Hat die neue EU-Kommission nicht eine „Comprehensive Strategy for Africa“ angekündigt, hat nicht der deutsche Entwicklungsminister einen komplett neuen Handelsvertrag mit den AKP-Staaten für die zweite Jahreshälfte 2020 gefordert? Und hat die EU nicht selbst eine Reihe von Grundpfeilern des Cotonou-Abkommens in andere Vereinbarungen und Strategien ausgelagert? Den politischen Dialog in die EU-Afrika Plattform, den Handel in die weitgehend selbständigen EPAs und die Entwicklungszusammenarbeit in das Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI)?

Kompakte Strategie statt Verheddern

Auch schiene es sinnvoller, nicht nur mit ehemaligen Kolonien Afrikas derartige Verträge abzuschließen, sondern mit der Afrikanischen Union, die alle Länder repräsentiert und gerade eine kontinentale Freihandelszone aufbauen will. Außerdem ist das wirtschaftliche Gewicht Europas gegenüber Afrika in den letzten Jahren gesunken; der Handel nimmt ab, während China größter Neuinvestor geworden ist.

Am Ende läuft die EU Gefahr, sich in allzu vielen Vereinbarungen zu verheddern. Klar ist: Sie sollte sich dringend über eine kompakte Strategie gegenüber afrikanischen und anderen Entwicklungsländern verständigen, die ein Mindestmaß an Kohärenz aufweist.

Weder die EU noch die AKP-Staaten haben die Fortsetzung der Zusammenarbeit, also eine Neuverhandlung des Cotonou-Abkommens, in Frage gestellt oder in Zweifel gezogen – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.  Bei allen berechtigten Einwänden ist das eine gute Nachricht: Es gibt zumindest zwei große Länderblöcke, die internationale Zusammenarbeit und Multilateralismus nicht abgeschrieben haben, sondern große Hoffnung in ihre Fortsetzung setzen.

Prträt: Ulrich Post, Leiter Team Grundsatzfragen.
Ulrich Post Mitglied im Redaktionsbeirat

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