Die große grüne Mauer braucht dringend eine Version 2.0
Aus Baumstümpfen und Samen wachsen im Sahel nachhaltige Landschaften. Jetzt müssen mehr Bauern mehr unterschiedliche Bäume heranziehen.
Das Projekt der Großen Grünen Mauer wurde 2007 von der Afrikanischen Union (AU) initiiert, mit dem Ziel, ein „neues Weltwunder“ zu schaffen. Entstehen sollte ein Baumgürtel von 15 Kilometer Breite und 7000 Kilometern Länge, der sich von Dakar über elf Länder der Sahara bis nach Dschibuti erstrecken würde. Er wäre vom All aus sichtbar gewesen und sollte bis 2030 eine Fläche von 100 Millionen Hektar bedecken. Der Gedanke dahinter: die Ausbreitung der Wüste stoppen, das Leben von einigen der ärmsten Bevölkerungsgruppen der Welt verbessern, und einen Beitrag zum Kampf Afrikas gegen den Klimawandel leisten.
Doch was ist der Stand über ein Jahrzehnt später? 2020 hat das Sekretariat des UN-Übereinkommens zur Bekämpfung der Wüstenbildung berichtet, dass bisher nur etwas mehr als 18 Millionen Hektar rekultiviert worden sind. Davon waren nur 4 Millionen Hektar Trockengebiete mit weniger als 400 Millimeter jährlichen Niederschlägen. Eben solche Gebiete sollten ursprünglich im Fokus stehen, die Initiative nahm ab 2010 aber eine andere Richtung: weg vom Pflanzen eines Baumgürtels quer durch die Wüste – und hin zu einer geförderten Begrünung und der nachhaltigen Bodenbewirtschaftung in einem größeren Gebiet, das auch gemäßigt feuchte Regionen weiter südlich einschließt.
Man kann leicht ausrechnen, dass noch etwa 82 Millionen Hektar zum gesetzten Ziel von 100 Millionen Hektar fehlen. Sie müssten in den kommenden neun Jahren in ariden und semi-ariden Gebieten der Sahelzone auf nachhaltige Weise rekultiviert werden. Gegenwärtig gelingt dies aber in allen an dem Begrünungsvorhaben beteiligten Staaten gemeinsam nur für etwa eine Million Hektar pro Jahr.
Man müsste das Tempo also sofort auf das Neunfache beschleunigen. Ist das realistisch? Kaum. Aber es sollte möglich sein, schnellere Fortschritte zu machen. Wobei hier auch Vorsicht geboten ist. So werden auf der Website der Großen-Grünen-Mauer-Initiative Erfolge aufgezählt, für die es keine Belege gibt – etwa, dass in Nigeria geschätzt fünf Millionen Hektar rekultiviert worden seien.
Wie lässt sich die Begrünung beschleunigen?
Man muss nicht bei Null anfangen. So hat das World Resources Institute 2015 eine abgestufte Begrünungsstrategie entwickelt, für die langfristige Analysen der Erfahrungen in der Sahelzone ausgewertet wurden. Dort sind sechs Schritte zum Erfolg benannt: 1) Zeige Erfolge auf und ziehe Lehren aus ihnen, 2) Entwickle eine Graswurzelbewegung zur Förderung der Rekultivierung, 3) Entwickle politische Maßnahmen und Gesetze zur Förderung des Vorhabens, 4) Entwickle eine Kommunikationsstrategie, 5) Entwickle oder unterstütze Wertschöpfungsketten der Waldbewirtschaftung, damit die Einkommen der daran Beteiligten wachsen, 6) Suche aktiv nach Wissenslücken und beseitige sie.
Es ist äußerst sinnvoll, dass man zu Beginn die Lehren aus den zahlreichen größeren und kleineren Erfolgen bei der Rekultivierung der Sahelzone zieht. Wenn man sie öffentlich herausstellt, kann dies zu vergleichbaren Schritten inspirieren und weitere Erfolge ermöglichen. In der 2020 veröffentlichten Publikation „Restoring African Drylands“ werden Studien aus der gesamten Region zusammengetragen. Sie zeigen, wie natürliche, von den Bauern getragene Regenerationsprojekte, einfache Methoden der Wassersammlung und „soziale Umzäunungen“ (im Sinne von strafbewehrten Nutzungsregeln für Gemeindeland) die Produktivität degradierter Böden wiederhergestellt haben und wie Bauern sich an Folgen des Klimawandels anpassen konnten.
Agroforstgebiete aus Baumstümpfen und Samen
Es gibt dafür einige gute Beispiele: Landwirte in dicht bevölkerten Gebieten des südlichen Niger haben mit eigenen Mitteln fünf Millionen Hektar wieder begrünt. Seit 1985 sind auf ihrem Nutzland mindestens 200 Millionen Bäume hinzugekommen. Kein einziger davon wurde gepflanzt, sondern die Bauern haben lediglich die natürliche Regeneration von Baumstümpfen und aus Samen in der obersten Bodenschicht geschützt und gesteuert. Dies hat auch die Getreideernte in der Region um eine halbe Million Tonnen gesteigert – genug, um 2,5 Millionen Menschen zu ernähren.
Zusätzliche Bäume bestimmter Arten auf dem bewirtschafteten Land steigern die Fruchtbarkeit des Bodens. So können die Wurzeln der akazien-ähnlichen Baumart Faidherbia albida Stickstoff aus der Luft fixieren. Bäume sind zugleich ein wirksamer Schutz vor starkem Wind. Bauern in Niger mussten früher ihre Samen drei- oder viermal ausbringen, weil sie bei starkem Wind zu Beginn der Regensaison unter Sand begraben wurden. Seit auf den Feldern mehr Bäume wachsen, reicht nur eine Aussaat.
Ebenfalls in der Sahelzone sind in der Seno-Ebene in Mali seit Mitte der 1990er-Jahre fast eine halbe Million Hektar von Bauern wiederbegrünt worden. Hunderte Dörfer im zentralen Senegal sind jetzt grüner als vor 30 Jahren, und mehrere hunderttausend Hektar ausgedörrten, degradierten Bodens in Burkina Faso und Niger wurden von Bauern durch einfache Methoden der Wassersammlung und -speicherung wieder zu produktivem Land gemacht.
Als nächster Schritt muss nun die Zahl der Bäume und ihrer Artenvielfalt gesteigert werden, auch durch solche, die sich nicht auf natürliche Weise vermehren. Diese Praktiken müssen auf alle Länder der Großen Grünen Mauer ausgeweitet werden – und zwar jetzt!
Das gelingt am besten, wenn die Bauern selbst beobachten, welche Erfolge diese Techniken bei anderen ermöglicht haben. Die Wiederbegrünung in großem Maßstab resultiert nicht aus gebergesteuerten Projekten der Landbewirtschaftung, sondern sie ist das Ergebnis der Entscheidung hunderttausender individueller Kleinbauern, nämlich dass es in ihrem besten Interesse ist, auf ihren Feldern mehr Bäume wachsen zu lassen. Dauerhafter Wandel wird vor allem dadurch gefördert, wenn für mehr Erfahrungsaustausch unter den Bauern gesorgt wird.
Gegen die Mythen über Trockengebiete
Denn einige Mythen halten sich hartnäckig. Der erste ist, dass sich Investitionen in nachhaltige Bewirtschaftung von Trockengebieten erst nach vielen Jahren rentieren. Aber Kleinbauern, die Pflanzlöcher auf degradierten Brachflächen graben, werden bereits im ersten Jahr etwas ernten. Die einzige Frage ist, wie groß diese Erträge sein werden? Das hängt von der Bodenqualität und der Beeinflussung seiner Fruchtbarkeit ab. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, schon im ersten Jahr eine halbe oder ganze Tonne Getreide pro Hektar zu ernten – anstelle von gar nichts, bevor man diese einfachen Renaturierungsmethoden einsetzt, die kein Kapital, sondern nur etwas Zeit und Mühe erfordern.
Der zweite Mythos lautet, dass Bäume erst nach mindestens einem Jahrzehnt Nutzen bringen. Zwar müssen junge Bäume noch vor Abweidung/Verbiss geschützt und beschnitten werden, damit sie ausreichend groß werden – so wie ein Kind eine gute Erziehung braucht. In Trockengebieten sind außerdem Feuerholz und frische Triebe als Viehfutter so wertvoll, dass Bäume oft nicht heranwachsen können, bis sie Früchte tragen. Die Forschung zeigt allerdings, dass sich auch in diesen frühen Jahren eines Baumlebens ein großer Mehrwert durch abfallende Blätter, Stickstofffixierung, Schatten, Schutz und der Beförderung von Wasser und Nährstoffen aus den Tiefen des Bodens einstellt – und dies den Bauern durchaus bewusst ist.
Welche Rolle kann der Privatsektor spielen?
Es wird zunehmend Wert darauf gelegt, dass Investitionen aus dem Privatsektor für die Rekultivierung mobilisiert werden. Die Erfahrung zeigt hingegen, dass beispielsweise kommerzielle Baumplantagen nur begrenzte Erträge, Arbeitsplätze oder andere Vorteile für die lokale Wirtschaft erbracht haben. Wie wir gesehen haben, können hingegen Millionen Hektar wieder begrünt werden, wenn Millionen Bauern ihre geringen Möglichkeiten einsetzen, um nachhaltige Land- und Wassernutzung zu betreiben.
Es sind Kleinbauern, die den größten Anteil der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflächen und Wälder bewirtschaften. Sie produzieren mehr als Dreiviertel der weltweit verbrauchten Nahrungsmittel, obwohl sie oft nicht die gesetzlichen Nutzungsrechte für den Boden und seine Erträge haben. Sie müssen auf dem Weg von einfacher verfügbaren Krediten sowie von Kursen in Soft Skills und in technischen Fähigkeiten für den Kampf gegen Bodendegradation befähigt werden, damit sie besser in der Lage sind, sich politisch einzubringen und damit ihre und unseres Planeten Zukunft abzusichern.
Große Grüne Mauer 2.0 als Teil der Vorsorge
In der Sahelzone zieht ein perfekter Sturm herauf: So viele Jugendliche haben weder einen Job noch andere Möglichkeiten, ihren Unterhalt sinnvoll zu bestreiten und damit in Würde ihre Familien zu unterstützen. Dies hat viele schon seit Jahrzehnten gezwungen, nach Europa oder in den Nahen Osten auszuwandern. Setzt sich das derzeite Wachstum fort, wird sich die Bevölkerung in etwa 20 Jahren verdoppelt haben, wobei der Anteil junger Menschen stetig steigt. Außerdem verbreiten sich der Terrorismus, soziale Unruhen, Dürren, Heuschreckenplagen, dazu jetzt noch Covid-19, die allesamt die Perspektiven vieler Millionen Menschen zerstören. Um diesen riesigen Herausforderungen zu begegnen, sind gewaltige Anstrengungen nötig.
Diese Probleme werden nicht sofort dadurch gemildert oder gelöst, dass allein die Lebensräume dieser Menschen grüner und produktiver werden. Aber dieser Ansatz lässt sich als eine konkrete Grundlage betrachten, auf der weitere Hilfen fußen können. Mehr produktives Land schafft wirtschaftliche Möglichkeiten, verbessert die angespannten Beziehungen zwischen Viehhirten und Bauern und hält Jugendliche davon ab, sich extremistischen Gruppen anzuschließen oder gen Norden zu fliehen. Es ist keine einfach auszuführende technische Lösung. Der Ansatz funktioniert nur, wenn Macht dezentralisiert wird, wenn die Bevölkerung sich besser zivilgesellschaftlich organisieren kann und sie über ihre Lebensgrundlagen selbst bestimmen kann.
Wir wissen inzwischen, wie es funktioniert. Wir haben die Erfolge gesehen und aus den Erfahrungen gelernt. Inzwischen sind 14 Mrd. US-Dollar zugesagt worden, um die Große Grüne Mauer Wirklichkeit werden zu lassen. Also haben wir auch die Mittel zur Verfügung. Was hält uns noch zurück? Es gibt keine Ausreden mehr.