Kosten der Coronakrise: Ärmste Länder brauchen Solidarität zuerst
Die Pandemie treibt Armutszahlen wieder in die Höhe. Den einkommensschwächsten Ländern fehlen die Mittel für notwendige Sozialausgaben.
Die Schätzungen variieren, die zentrale Botschaft bleibt dieselbe: Die Corona-Krise hat das wirtschaftliche Leben der Menschen in den armen Ländern so heruntergefahren, dass schwere Armut wieder stark ansteigen wird. Ökonomen der UN-Handelsorganisation (UNCTAD) gingen Anfang Dezember von zusätzlich 32 Millionen Menschen aus, die allein in den 47 ärmsten Ländern mit weniger als 1,90 Dollar am Tag auskommen müssten. Die Armutsrate werde dort 2020 von 32,5 auf 35,7 Prozent steigen – gegen den vorherigen Trend. Die UN-Entwicklungsorganisation (UNDP) erwartet in ihrem pessimistischsten Szenario, dass langfristig etwa 200 Millionen Menschen mehr in schwerer Armut leben müssen.
Aber was tun? Die UN-Organisationen fordern dazu auf, dringend in die produktiven Kapazitäten dieser Länder zu investieren, oder einen konzertierten "SDG-Push" auf der Agenda 2030 zu unternehmen – sonst werde "mühsam erreichter Fortschritt" bei Armutsraten, Ernährung und Bildung zunichte gemacht. In den 47 am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs), die meisten davon in Afrika, leben etwa eine Milliarde Menschen, die im Jahr 2019 durchschnittlich 1088 Dollar verdienten. Sie stehen für nur 1,3 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.
Auf die folglich äußert knappen Eigenmittel, die diese Staaten einnehmen, verweist auch der britische Thinktank Overasees Development Institute (ODI). In einem Policy Paper fordert er die Gebernationen auf, in der Corona-Krise allen 135 einkommensschwachen Ländern in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit absoluten Vorrang einzuräumen. Denn die wohlhabenderen Länder (MICs) hätten die Kapazitäten, hundert mal mehr Steuern einzunehmen und könnten knapp 1950 Mrd. Dollar mobilisieren. Dagegen könnte die Länder mit den niedrigsten Einkommen (LICs) nur etwa 11 Mrd. Dollar an zusätzlichen Steuereinnahmen in die Kasse spülen.
Das ODI prognostiziert bis 2030 zusätzlich 250 Millionen Menschen in extremer Armut. Es werde zehn Jahre Wirtschaftswachstum brauchen, um wieder Vorkrisenniveau zu erreichen. Vorrangig seien daher Investitionen in die soziale Infrastruktur, weil diese entscheidend dafür sei, die wachsende Armut aufzufangen und auch Widerstandskräfte gegen künftige Pandemien aufzubauen.
Bei der Vergabe von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) appelliert das ODI daher an die Geber, verstärkt 34 Länder in den Fokus zu nehmen, die selbst mit äußerster Mühe zur Steigerung staatlicher Einnahmen maximal ein Viertel der notwendigen Kosten aufbringen könnten. Diese "schwer finanzschwachen Länder" liegen fast alle in Afrika. Um die Hälfte der Kosten darzustellen, müssten von Geberseite etwa 77 Mrd. Dollar zugeschossen werden. Zum Vergleich: Nach OECD-Zählart erreichte die in Ländern verfügbare EZ (CPA/Country Programmable Aid) zuletzt 94 Mrd. Dollar.
Mittel dringend umverteilen
Vier von zehn Dollar dieser CPA gehen laut ODI an Länder, die Mehrausgaben im sozialen Sektor selbst stemmen können. Sie könnten daher umverteilt werden, um den finanzschwächsten Ländern einen multisektoralen Ansatz gegen die höhere Armut zu erleichtern. Wenn alle Geberstaaten auch ihr ODA-Ziel von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einlösen würden, könnten die ärmsten Staaten mit zusätzlicher CPA-Hilfe wenigstens die Hälfte der Mittel aufbringen, um schweren Armut zurückzudrängen.
Die Kernbotschaft: Ordnen die Geber ihre Prioritäten neu und erreichen ihre ODA-Ziele, dann hätten die einkommensschwächsten Länder trotz Corona wenigstens eine Chance, das Minimum zur Erreichung der SDG-Ziele für die menschliche Entwicklung aufzubringen: sprich für soziale Sicherheit, Bildung, Gesundheit und Ernährung, Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen sowie für krisenbedingte Ausgaben wie Bargeldhilfen, Arbeitsprogramme oder Zuschüsse an Alte und Kinder.