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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 06/2025
  • Michael Windfuhr
Schwerpunkt

Internationale Hilfe und Zusammenarbeit sind eine menschenrechtliche Verpflichtung

Überlegungen zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung in der derzeitigen Krise der Entwicklungszusammenarbeit.

Frau steht an Stacheldrahtzaun.
Ohne Land keine Nahrung: Frauen sind die verwundbarste Gruppe, wenn es um Landrechte geht. © Jason Taylor/ILC

Alle in der Welternährung geäußerten Ansichten sind die der Autor*innen und spiegeln nicht zwangsläufig die Ansichten oder die Positionen der Welternährungsredaktion oder der Welthungerhilfe wider.

Das internationale Unterstützungssystem als Reaktion auf Hunger, Ernährungsnotlagen und Katastrophen kommt an seine Grenzen und bricht teilweise zusammen. Der Wegfall der Unterstützung und der Mittel des bislang größten Gebers, der US-Entwicklungsagentur USAID, ist gerade im Bereich des Einsatzes gegen Hunger und Unterernährung substanziell und in den Konsequenzen noch nicht vollumfänglich abschätzbar.

Das liegt daran, dass erst nach und nach die Dramatik der Entwicklung deutlich wird: Die Versorgung in verschiedenen Flüchtlingskontexten wird weitgehend oder komplett eingestellt. Viele internationale, aber vor allem auch nationale zivilgesellschaftliche Organisationen, die in schwierigen nationalen Kontexten mithelfen oder garantieren, dass Agrargüter verteilt werden können, verlieren über Nacht ein Viertel, die Hälfte oder mehr ihrer finanziellen Mittel. Viele nationale Organisationen müssen Teile Ihrer Aktivitäten ganz schließen. Die Logistik der Verteilung humanitärer Hilfe ist betroffen, von verfügbaren Transportschiffen bis hin zur Verteilungsinfrastruktur in Konfliktregionen (LKWs etc.), die von USAID unterhalten oder organisiert wurde. Die USA wollen 83 Prozent der USAID-Programme streichen und insgesamt rund 50 Mrd. Euro einsparen. Hinzu kommt, dass auch andere größere Geber wie das Vereinigte Königreich und die Niederlande ihre Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit stark reduziert haben.

Genaue Zahlen über die Betroffenen gibt es noch nicht, aber es werden aller Voraussicht nach mehrere Millionen Menschen sein, die an Hunger sterben werden durch den Wegfall von Ernährungs- und Gesundheitsinfrastruktur. So meldete UNICEF Ende März, dass im von Hunger und Klimawandel betroffenen Norden Äthiopiens, in der Region Afar, bereits 23 von 30 mobilen Kliniken wegen der weltweiten Kürzungen bei Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit geschlossen wurden. Die Versorgung von großen Flüchtlingslagern für die Region, wie beispielsweise im Norden Kenias für Somalia, im Norden Kameruns, oder in Konflikt- oder Kriegsregionen wie dem Sudan, wird gestoppt, bzw. eingestellt. Alternative Versorgungsrouten sind oft kaum vorhanden, die Logistik kann in der Regel nicht einfach von einem neuen Akteur übernommen werden. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO sinkt die mögliche Versorgung in Konflikten in vielen Lagern auf weit unter 2.100 kcal und damit auf ein dramatisch niedriges Niveau. In vielen Konfliktgebieten wird kaum noch etwas ankommen, insbesondere wenn Kriegsparteien Nahrung als Waffe einsetzen und die Verteilung blockieren.

Noch sind Gerichtsverfahren zur Abwicklung von USAID anhängig, auch im US-Kongress gibt es Gespräche über ein mögliches neues Gesetz für die Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Dennoch ist der unmittelbare Effekt für die globale Ernährungssicherheit dramatisch. Letzte Meldungen bestätigen, dass USAID Ende September insgesamt geschlossen wird.

Langfristige Ernährungsthemen gefährdet

Der Kahlschlag trifft aber längst nicht nur die Nothilfe und Notfallinfrastruktur, sondern ebenso die langfristigen Agrar- und Ernährungsthemen der Entwicklungszusammenarbeit. Die USA sind der wesentliche Geber für die internationalen Agrarforschungszentren (CGIAR), die längst über Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft hinaus zu weiteren Themen forschen, wie dem Ressourcenschutz oder der Reaktion auf den Klimawandel durch angepasste Verfahren im Umgang mit Wasser, Böden und Kulturen, der Suche nach geeigneten Anbaumethoden für Standorte mit ungünstigen naturräumlichen Bedingungen und der Sicherung der Agrarbiodiversität.

USAID hat auch regionale Zusammenarbeit und Institutionen gefördert, wie zuletzt beispielsweise bemerkenswerte Partizipationsprozesse während der Erarbeitung einer neuen Strategie der Afrikanischen Union (AU) zur Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme. Sie wurde gerade auf dem Sondergipfel im Januar 2025 in Kampala verabschiedet und enthält eine entscheidende Selbstverpflichtung der Mitgliedsstaaten, in ihrer nationalen Politik selbst aktiver diese Agenda umzusetzen. Wird die Zivilgesellschaft das weiter begleiten können?

Auch die multilateralen Akteure sind von der Abwicklung von USAID massiv betroffen, zuvorderst das Welternährungsprogramm (WFP). Bei der Welternährungsorganisation (FAO) erfahren über 100 Programme Kürzungen oder Zahlungsausfälle. Ähnlich ergeht es anderen Institutionen bei den Vereinten Nationen, wie dem Kinderhilfswerk (UNICEF). Hinzu kommen die Austritte der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Klimarahmenabkommen etc. Wo so viele Mittel für die internationalen Organisationen zusammengestrichen werden, ist das gesamte UN-System betroffen. Es werden Kürzungen von über 20 Prozent der Budgets diskutiert und über die Auswirkungen der Mittelkürzungen für die eigenen Funktionen.  

Transformationsaufgaben unvollendet

Können oder werden andere Geber diese Lücken kurz- oder mittelfristig auffüllen? Dies ist wohl kurzfristig kaum möglich, wie die EU aber auch das Entwicklungsministerium (Ministerin Svenja Schulze vor dem Regierungswechsel) bereits deutlich gemacht hat. Auch Deutschland möchte laut dem neuen Koalitionsvertrag im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit Einsparungen erreichen.

Nun können Kritiker der bisherigen Entwicklungszusammenarbeit darauf hinweisen, dass mit dem Rückgang der Mittel auch Chancen entstehen, die bisherige Pfadabhängigkeit vieler Unterstützungsmodelle zu überwinden. Beispiele wären die Förderung einer betriebsmittelintensiven „high-input“-Landwirtschaft, einhergehend mit einer patentabgesicherten Agrarforschung, aber auch die handelspolitisch erzwungene Marktöffnung und Durchsetzung von Sorten- und Patentvorschriften in den meisten Ländern des globalen Südens, bei gleichzeitigem handelspolitischen Schutz vieler Agrarmärkte im Norden.

Der notwendige Umbau der Agrar- und Ernährungssysteme hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, die dem Klimawandel und den dramatischen Biodiversitätsverlusten angemessen Rechnung trägt, ist politisch längst noch nicht in der entsprechenden Notwendigkeit erkannt und wird nur zögerlich umgesetzt. Der Club of Rome hat in seiner Bestandsaufnahme (Earth for All) 50 Jahre nach seiner ersten Studie diese Transformation als eine der fünf zentralen Transformationsaufgaben benannt, bei denen dringend Ergebnisse erreicht werden müssen, um bei der Nutzung natürlicher Ökosysteme innerhalb der planetaren Grenzen zu bleiben. Diese Dringlichkeit wird in den jüngsten Veröffentlichungen des Weltklimarates (IPCC) wie auch des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) vergleichbar betont.

Ohne auf diese Notwendigkeiten im Detail einzugehen, wird deutlich, dass es für die Internationale Gemeinschaft außerordentlicher Anstrengungen bedarf, das Agrar- und Ernährungssystem langfristig zukunftssicher zu machen. Deutlich ist auch, dass es dafür funktionierender internationaler Zusammenarbeit und funktionierender Institutionen bedarf, sowie einer offenen Debatte über Entwicklungswege, die Gestaltung von Transformationsprozessen – und dass es eine „Just Transition“ für die betroffenen Menschen geben muss. Wohl haben sich die vorhandenen Institutionen den Anforderungen an die Transformation zum Teil nur langsam genähert, notwendige Veränderungen sind oft noch blockiert oder werden verschleppt. Doch wird es ohne einen intakten multilateralen Rahmen nicht gelingen, die notwendigen Schritte abzustimmen, über finanzielle Ausgleichsmechanismen nachzudenken und die Umsetzung auf den Weg zu bringen, mit dem Ziel, gerade auch ärmere und schwächere Staaten und besonders auch marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu erreichen.

Internationale Hilfe und Zusammenarbeit sind menschenrechtliche Verpflichtung

Zur Erinnerung: Im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte (Sozialpakt) – einer der beiden Verträge, die die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte kodifizieren –, ist festgehalten, dass alle Vertragsparteien eine menschenrechtliche Verpflichtung zu internationaler Hilfe und Zusammenarbeit haben, um sicherzustellen, dass diese Rechte weltweit umgesetzt werden können. Dies bedeutet, dass es eine menschenrechtliche Verpflichtung gibt, sich auch jenseits der eigenen Grenze im Kontext internationaler Zusammenarbeit um die Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (WSK-Rechte) zu kümmern.

Diese Verpflichtung ist für die internationale Zusammenarbeit keine Aufgabe ohne Limit im Einsatz der verfügbaren Mittel. Der Umfang ist im Sozialpakt nicht festgelegt. Der Ausschuss für die WSK-Menschenrechte schaut in der Überwachung dieser Verpflichtung auf die seit 1970 formulierte Quote offizieller Entwicklungszusammenarbeit der OECD von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und überprüft zudem, ob die Hilfe ungebunden vergeben wird. Geprüft wird auch, ob die Hilfe menschenrechtsbasiert eingesetzt wird, d.h. bevorzugt besonders marginalisierten Bevölkerungsgruppen zugutekommt, oder diese bei der Ausgestaltung an den relevanten Entscheidungen beteiligt wurden. Qualitativ sollen einzelne Projekte oder Maßnahmen nicht zu Verletzungen von Menschenrechten beitragen. In den Blick genommen werden auch handels- oder finanzpolitische Entscheidungen, die sich in anderen Ländern negativ auf die WSK-Rechte auswirken bzw. zu einer Überschuldung von Empfängerstaaten führen können. Kürzungen und Rückschritte in der Umsetzung der Entwicklungszusammenarbeit bedürfen einer präzisen Begründung.

Die Verpflichtungen des Paktes gelten für alle derzeit 173 Vertragsparteien, die USA haben den Pakt als einer von wenigen Staaten nicht ratifiziert; dies gilt auch für die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die von allen anderen Staaten ratifiziert ist. Gerade weil die USA derzeit darüber hinaus fast alle multilateralen Regeln in Frage stellen, ist es umso wichtiger dass die anderen Staaten, wie die EU mit anderen Partnern (Brasilien, Südafrika etc.), die auch Vertragsparteien der beiden zentralen Menschenrechtspakte und damit auch des Sozialpakts sind, diese Regeln und dieses System weiterhin achten.

Welche Rollen sollte Deutschland übernehmen – mit welchen Prioritäten?

Ohne Kooperation und Absprachen sind zentrale Teile der Governance-Struktur internationaler Zusammenarbeit gefährdet. Priorität sollte erhalten, was die Umsetzung von gemeinschaftlichen Aufgaben unterstützt, wie etwa die Überwachung staatlichen Handelns beispielsweise im Menschenrechtsschutzsystem, oder auch zur Einhaltung der zentralen Rio-Konventionen. Wesentlich ist der Erhalt von Forschung, wie die internationale Agrarforschung oder im Gesundheitsbereich zur Vorbeugung von Pandemien, zur wissenschaftlichen Begleitung der notwendigen Transformationen u.a. im Agrar- und Ernährungssystem. Es gilt weiter, angemessen auf die ökologischen Herausforderungen zu reagieren und dabei sicherzustellen, dass ergriffene Maßnahmen dem Ziel einer gerechten Transformation dienen. Absprachen, wie beispielsweise die Ergebnisse des Kunming-Montreal Summits zum Schutz der Biodiversität (Global Biodiversity Framework), sind nur multilateral zu erreichen und bedürfen eines gemeinsamen Impulses für die Umsetzung sowie einer gemeinsamen Umsetzungs- und Überwachungsstruktur. Ohne eine funktionierende multilaterale Struktur für Verhandlungen und die Überwachung der Fortschritte sind die globalen Herausforderungen nicht zu adressieren.

Priorität muss zudem das Aufrechterhalten einer Koordination, einer Grundstruktur und Kapazität von humanitärer Nothilfe und Übergangshilfe umfassen. Artikel 11 des Sozialpaktes enthält das Recht, frei zu sein von Hunger, als zentrale Aufgabenstellung, die in den nachhaltigen Entwicklungszielen 1 und 2 zu Armut und dem Ende von Hunger aufgegriffen wurde.

Internationale Zusammenarbeit muss zugleich selbst menschenrechtsbasiert durchgeführt werden, d.h. sie muss sicherstellen, dass es nicht zu möglichen Verletzungen von menschenrechtlichen Standards kommt, dass Partizipation aller Beteiligten, vor allem den direkt Betroffenen, zentraler Standard für Umsetzungsmaßnahmen ist, und dass es Beschwerde- und Überprüfungsmechanismen gibt, falls nicht geplante oder übersehene Folgen erkennbar werden. In vielen Ländern sinken jedoch die Spielräume für dafür unabdingbare (zivil)gesellschaftliche Akteure weltweit. Ihre Unterstützung, wie etwa eine aktive Arbeit zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, sollte ebenfalls eine Priorität sein. Bei der Durchsetzung des Rechts auf Nahrung sind es vielfach Verteidiger*innen von Land- und Umweltrechten, die derzeit besonders unter Druck stehen, wie die Berichte der UN-Sonderberichterstatterin zum Thema Menschenrechtsverteidiger zeigen.  

Deutschland kommt innerhalb der Geberlandschaft eine neue wichtigere Rolle zu, und es wird wesentlich sein, strategisch zu überlegen, welche eigenen Prioritäten zu setzen und zu unterstützen sind, wie die hier beschriebenen: Partnerländer sollen ermutigt und unterstützt werden, eine eigene menschenrechtsbasierte Politik umzusetzen – hier angesprochen besonders der Agrar- und Ernährungssektor und das Recht auf angemessene Nahrung. Globale Gemeingüter sollen geschützt und eine gerechte Transition u.a. des Agrar- und Ernährungssektors angestrebt werden. Der Fairness halber sei darauf verwiesen, dass die Umsetzung dieser Prioritäten in und durch Deutschland gleichzeitig auf den Prüfstand gestellt werden sollte, auch Deutschland hat hierbei noch viel Luft nach oben.

Michael Windfuhr, Stellvertretender Direktor, Deutsches Institut für Menschenrechte.
Michael Windfuhr Deutsches Institut für Menschenrechte
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