Kreislaufwirtschaft als Faktor der Bioökonomie – Rettung für die Agenda 2030?
Zur Bewältigung der planetaren Dreifachkrise von Umwelt, Klima und Artenvielfalt bietet sich die Kreislaufwirtschaft als genau der Katalysator an, den die kränkelnden UN-Nachhaltigkeitsziele gebrauchen könnten.
Bioökonomie ist für eine Reihe Branchen von großer Bedeutung. Dazu zählen die Agrar- und Ernährungswirtschaft, aber auch der Energiesektor. Ob als Brennholz, Kraftstoff oder Biogas – aus Biomasse lassen sich viele unterschiedliche Energieträger gewinnen. Aber Bioökonomie ist nicht per se nachhaltig und trägt auch nicht automatisch zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) bei. Doch die Nutzung natürlicher, nicht-fossiler Ressourcen sollte auch der Umsetzung ökologischer und sozialer Ziele dienen und keine negativen Auswirkungen haben. Dazu wäre eine „zirkuläre Bioökonomie“ notwendig.
Eine Kreislaufwirtschaft sei „zentral für die Bioökonomie“, schreibt das World Economic Forum auf seiner Website, „wenn sie sich darauf konzentriere, Abfall zu minimieren und die Ressourceneffizienz zu maximieren, indem sie Produktions- und Verbrauchskreisläufe schließe“. Auch der Sachverständigenrat Bioökonomie Bayern betont, dass der „immense weltweite Ressourcenverbrauch und die wachsenden Bedürfnisse der Weltbevölkerung …bereits heute die planetaren Grenzen“ überschreiten und fordert „einen Wandel hin zu einer Wirtschaftsweise, die mit sozialen und ökologischen Grundsätzen in Einklang steht und unabhängig von fossilen Ressourcen ist. Ein Schlüssel hierbei ist die Bioökonomie.“
Denn die Bioökonomie bietet einen Ansatz für den grundlegenden Wandel beim Rohstoffverbrauch und der Wirtschaftsweise, weil sie „nicht nur auf die effiziente Nutzung biologischer Ressourcen“ setzt, sondern auch darauf, „Produkte und Rohstoffe in Kreisläufen zu halten.“
Das renommierte Londoner Chatham House hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, wie Kreislaufwirtschaft die UN-Nachhaltigkeitsziele unterstützen kann. Mit freundlicher Genehmigung der Autoren veröffentlichen wir Teile der Zusammenfassung dieser Studie.
Angesichts der wachsenden Zweifel, ob die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung noch erreicht werden können, ergibt sich die Gelegenheit, die Kreislaufwirtschaft als die Lösung der Zukunft zu fördern - und das Konzept in den Mittelpunkt aller Maßnahmen zu stellen, vom Kampf gegen den Klimawandel bis zur Armutsbekämpfung.
Das transformative Potenzial der „Kreislaufwirtschaft“ für die Bewältigung der globalen ökologischen und sozialen Herausforderungen erfährt zunehmend internationale Aufmerksamkeit, Das jüngste Interesse wurde insbesondere durch die Erkenntnis ausgelöst, dass die Umsetzung der bestehenden UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung ins Stocken geraten ist. Bislang befand sich die Kreislaufwirtschaft weitgehend am Rande dieser Agenda, obwohl sie in den Überlegungen der Regierungen ausführlich vorkommt und zunehmend als nachhaltige Alternative zu den heutigen verschwenderischen und umweltschädlichen Wirtschaftsmodellen angesehen wird. Da jedoch die multilaterale politische Gemeinschaft dringend darüber nachdenken muss, wie man sowohl die stockenden Fortschritte bei den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) wieder in Gang bringen kann, als auch darüber, wie ein Rahmen aussehen könnte, der die SDGs nach 2030 ersetzen oder erweitern soll, besteht die Möglichkeit, die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft umfassender und formeller im internationalen System zu verankern.
Dieses Forschungspapier wurde mit der ausdrücklichen Absicht verfasst, zu diesem SDG-„Reset“ beizutragen, sowohl bei den bevorstehenden Veranstaltungen (...) als auch in den weiteren Diskussionen bis 2025 und darüber hinaus. Wir plädieren für eine Beschleunigung und Vertiefung des Übergangs zu zirkulären Wirtschaftsmodellen, wobei wir die potenziell notwendigen Kompromisse und unbeabsichtigten Folgen, die disruptive Innovationen mit sich bringen können, berücksichtigen. Das Papier unterstreicht die entscheidende Rolle, die der Ausweitung der Kreislaufwirtschaft bei der Unterstützung der SDGs und bei der Gestaltung dessen, was ihnen folgt, zukommt . (…)
Von Natur aus komplementär
Im Mittelpunkt unserer Argumentation steht die Idee, dass die Kreislaufwirtschaft und die SDGs von Natur aus komplementär sind. Ein prominenter Platz im Rahmen der SDGs könnte dazu beitragen, dass die Kreislaufwirtschaft eine kritische Größe und Verbreitung erreicht, was wiederum die Aussichten für das Erreichen vieler Nachhaltigkeitsziele verbessern würde. Die Verknüpfung der beiden bietet gegenseitige Vorteile. Die Kreislaufwirtschaft braucht die Unterstützung des UN-Systems und anderer multilateraler Institutionen, um sich weltweit zu etablieren. Gleichzeitig bietet sie die Aussicht auf weitaus effektivere Aktionen gegen die Dreifachkrise des Planeten – Umweltverschmutzung, Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt –, also genau die Art von Katalysator, die die kränkelnde UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung gebrauchen könnte.
Eine „Kreislaufwirtschaft“ kann als ein System betrachtet werden, sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand zu schaffen, ohne ein unhaltbares Maß an Rohstoffabbau, Verbrauch oder Verschmutzung zu erfordern. Vereinfacht ausgedrückt, kombiniert eine Kreislaufwirtschaft drei Gestaltungsprinzipien: Vermeidung von Abfall und Umweltverschmutzung, Verlängerung der Lebensdauer von Produkten und Materialien und die Regenerierung natürlicher Systeme. Sie kann viele verschiedene Arten von Aktivitäten beinhalten – Ökodesign von Gütern, „Produkt-als-Service“-Alternativen zum Produktbesitz, regenerative und restaurative Landwirtschaft und die Verwendung aufgearbeiteter und gebrauchter Waren sind nur einige Beispiele. Bei der Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft geht es nicht nur um mehr Recycling: Sie erfordert eine Neuausrichtung und Umgestaltung der grundlegenden Ziele und Strukturen gesellschaftlicher Versorgungssysteme (Lebensmittel, Verkehr, Energie, Wohnraum) in einer Weise, die den Verbrauch von Rohstoffen und Energie drastisch reduziert.
Eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur unterstreicht die Vorteile von Kreislaufwirtschaftsmodellen gegenüber den heute vorwiegend extraktiven, ressourcenintensiven Modellen (von Wissenschaftlern oft als „linear“ bezeichnet) (1). Einigen Schätzungen zufolge könnte der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft allein in drei Sektoren der US-Wirtschaft bis zu 1.500 Mrd. Dollar an Wert freisetzen (2). Sie könnte dazu beitragen, die zur Abschwächung des Klimawandels notwendige Reduzierung von 45 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen zu erreichen, indem sie die Herstellungs- und Verwendungsweise von Produkten und Materialien verändert (3).Sie könnte auch die weltweite Artenvielfalt innerhalb von etwas mehr als einem Jahrzehnt wieder auf den Stand von 2000 bringen. Ohne die Einführung der Kreislaufwirtschaft in großem Stil könnte dagegen der Ressourcenverbrauch bis 2060 um 60 Prozent gegenüber dem Stand von 2020 ansteigen, während mehr als die Hälfte der 169 Ziele der 17 SDGs unerreichbar bleiben könnten (4).
In anderen Worten: Die Kreislaufwirtschaft wird für die politischen Entscheidungsträger zu wichtig, um sie zu ignorieren – angesichts der zunehmenden Besorgnis über den globalen Temperaturanstieg, die mangelnden Fortschritte bei den SDGs und der Tatsache, dass die Welt viele Umweltziele nicht erreicht. Bisher war die Kreislaufwirtschaft jedoch eher gekennzeichnet von bescheidenen Ambitionen, lokal begrenzten Initiativen und kleinen oder experimentellen Projekten, die zusammenhanglos umgesetzt wurden.
Kreislaufwirtschaft braucht mehr Ehrgeiz
Wir argumentieren in dieser Studie, dass die Kreislaufwirtschaft sowohl in größerem Ausmaß als auch global koordiniert werden muss. Eine der grundlegendsten Herausforderungen ist die Tatsache, dass sie in noch sehr ungenügendem Umfang umgesetzt wird: Einer Schätzung zufolge ist die Weltwirtschaft nur zu 7,2 Prozent „kreislauffähig“, gemessen an dem Anteil von sekundären (d.h. im Kreislauf geführten) Materialien, die sie verbraucht (5).
Ein zweites Problem ist das Fehlen einer geeigneten institutionellen Vertretung. Während die UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) für die globale Koordinierung der Klimapolitik zuständig ist und die Internationale Energieagentur (IEA) eine Koordinierungsstruktur für den Energiesektor bietet, gibt es nichts dergleichen für die Kreislaufwirtschaft. Was wir brauchen, ist eine Art IEA für die Kreislaufwirtschaft: ein multilaterales Gremium, das die Kreislaufwirtschaft bei politischen Entscheidungsträgern und im UN-System vertreten und Politik, Regulierung und Standards koordinieren kann.
Ein drittes Problem, das sich zum Teil aus den obigen Ausführungen ergibt, ist, dass die Maßnahmen zugunsten der Kreislaufwirtschaft auf globaler Ebene fragmentiert bleiben. Alle Länder sind in unterschiedlichem Maße abhängig vom Außenhandel mit Materialien, Waren und Dienstleistungen, die sich für eine Kreislaufwirtschaft eignen. Ebenso werden sich „Ökodesign“-Standards, die bei Produkten die Einhaltung strenger Kriterien der Kreislaufwirtschaft erfüllen müssen, auf die globalen Lieferketten auswirken – mit möglichen Folgen jenseits der Rechtsprechung der Länder, in denen solche Normen erlassen wurden.
Allerdings bildet die Politik die zugrundeliegenden Verflechtungen der Kreislaufwirtschaft nur unvollständig ab. Mehr als 75 nationale Aktionspläne, Roadmaps und Strategien für die Kreislaufwirtschaft wurden bisher auf den Weg gebracht (weitere 14 befinden sich in der Entwicklung). Doch wurden diese Dokumente einseitig von den betreffenden Ländern verfasst, was zu einem Kaleidoskop von rund 3.000 sich stets entwickelnden Verpflichtungen in 135 Politikbereichen und 17 Sektoren führt. Während dieser Umfang ein positives Zeichen für das wachsende Interesse an der Kreislaufwirtschaft ist, birgt die Fragmentierung des operativen und regulatorischen Umfelds die Gefahr, dass Handelshemmnisse zunehmen (etwa wenn Vorschriften für die Ausfuhr von Industrieabfällen oder recycelter Elektronik von einem Land zum anderen unvereinbar sind).
Eine vierte Sorge ist, dass derzeitige Regierungspraktiken zur Kreislaufwirtschaft Gefahr laufen, kontraproduktiven Ressourcen-Nationalismus und Nullsummenwettbewerb zu fördern, was insbesondere den ressourcenarmen Entwicklungsländern schaden und die SDGs untergraben würde. In einigen Fällen haben die oben genannten nationalen Aktionspläne und Roadmaps enge nationale Ziele, wie etwa die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Handelspartnern zu steigern, die (oft politisch motivierte) Verlagerung von Industrien und Arbeitsplätzen zu fördern, oder die Abhängigkeit von strategisch wichtigen Importmaterialien zu reduzieren. Angesichts der Trends zur Deglobalisierung und zum Nationalismus sehen Regierungen sich zunehmend versucht, die Kreislaufwirtschaft als Gelegenheit zu nutzen, die Kontrolle über die Versorgung mit kritischen Rohstoffen zu verteidigen, oder sie anzufechten.
*Dieser Text ist ein Auszug aus der Zusammenfassung von : Schröder, P. and Barrie, J. (2024), How the circular economy can revive the Sustainable Development Goals: Priorities for immediate global action, and a policy blueprint for the transition to 2050, Research Paper, London: Royal Institute of International Affairs, doi.org/10.55317/9781784136222
Dr. Patrick Schröder und Dr. Jack Barrie sind Wissenschaftler in der privaten Denkfabrik Chatham House in London
Referenzen:
(1) Ellen MacArthur Foundation (undated), ‘What is the linear economy?, www.ellenmacarthurfoundation. org/what-is-the-linear-economy (accessed 29 Aug. 2024).
(2) Ellen MacArthur Foundation and Oliver Wyman (2024), An innovation pathway to decarbonization: circular economy solutions for policymakers and industry in the US, www.oliverwyman.com/content/dam/oliverwyman/ v2/publications/2024/apr/an-innovation-pathway-to-decarbonization-circular-economy-solutions-forpolicymakers-and-industry-in-the-US.pdf.
(3) Ellen MacArthur Foundation and Material Economics (2021), Completing the picture: How the circular economy tackles climate change, emf.thirdlight.com/file/24/cDm30tVcDDexwg2cD1ZEcZjU51g.
(4) Schroeder, P., Anggraeni, K. and Weber, U. (2018), ‘The Relevance of Circular Economy Practices to the Sustainable Development Goals’, Journal of Industrial Ecology, doi.org/10.1111/jiec.12732.
(5) Circle Economy Foundation(2024), The Circularity Gap Report, p.8, www.circularity-gap.world/2024