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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 06/2020
  • Jakob Miethe

Landen Hilfsgelder der Weltbank in Steueroasen?

Eine neue Studie bringt erstaunliche Parallelen zutage – aber auch mehr als eine skandalöse Entwicklung.

Ein Händler an der Börse in Ghana. Mit Entwicklungsgeldern werden in Afrika Steuerbehörden gestärkt, um mehr Einnahmen zu generieren. © Jonathan Ernst / World Bank

Es fing eigentlich ganz harmlos an. Jorgen Juel Anderson, Niels Johannesen und Bob Rijkers untersuchen in einem vorläufigen Arbeitspapier internationale Bankeinlagen in Steueroasen. Sie stellen fest, dass Einlagen aus Ländern, die Hilfszahlungen der Weltbank erhalten, zur selben Zeit ansteigen – Einlagen aus anderen Ländern allerdings nicht. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei diesem Anstieg um veruntreutes Geld handelt.

Einige alternative Erklärungsmuster für diesen Anstieg der Einlagen können in der Studie ausgeschlossen werden. So wird getestet, ob gleichzeitig Einlagen in nicht-Steueroasen ansteigen, ob gleichzeitige Naturkatastrophen die Kapitalflucht erklären können, oder ob Krisen im Land dafür verantwortlich sind. Alles negativ. Natürlich gibt es in jeder empirischen Studie offene Enden und Auslassungen. Es ist das Ziel eines wissenschaftlichen Reviewprozesses, das Papier hier noch kritisch zu prüfen. Zwei Dinge wurden bereits in Zeitungsartikeln und auch von den Autoren selbst benannt:

Erstens kann es durchaus sein, dass Gelder nach Hilfszahlungen völlig legitim in Steueroasen landen. Es könnte sein, dass das Vertrauen in das eigene Bankensystem so schlecht ist, dass man zum Beispiel die chinesische Baufirma, die ein Infrastrukturprojekt im Land plant, lieber aus Mauritius bezahlt. Solche Einlagen lassen sich in der Datenquelle der Autoren nicht trennen, denn diese Aufschlüsselung wird von den Zentralbanken nicht veröffentlicht.

Zweitens nutzen die Autoren Daten zu allen (auch den legalen) Einlagen in Steueroasen. Dies ist nötig, da die Besitzer*innen von veruntreuten Geldern leider keine Datensätze über ihre Aktivitäten veröffentlichen. Für die Ergebnisse ist das kein Problem, für die Interpretation vielleicht schon. Die Autoren können nicht zeigen (und behaupten dies auch nicht), dass exakt derselbe Dollar in der Steueroase landet, der von der Weltbank kam. Es könnte gut sein, dass das Geld der Weltbank völlig legitim verwendet wird. An anderer Stelle könnten dann aber andere Gelder für Korruption anfälliger werden und in Steueroasen landen. Solche offenen Fragen sind mögliche Wege für weitere Forschungsprojekte.

Die Weltbank ist so etwas wie die Hausbank der ärmeren Länder. Sie ist der größte Geber von Krediten und Zuschüssen an Entwicklungsländer. © World Bank / Grant Ellis

Der erste "Skandal"  sind dann die Ergebnisse selbst: Schockschwerenot! Nicht jeder Cent, der an Entwicklungshilfe in Länder mit den weltweit schwächsten Institutionen gezahlt wird, landet in den ihm zugedachten Projekt. Sage und schreibe 7,5 Prozent finden sich in Steueroasen wieder. Um diese Ergebnisse in Perspektive zu setzen: Schätzungen zur Schattenwirtschaft in Deutschland, also der nicht-besteuerten, oft illegalen, bewegen sich je nach Studie irgendwo zwischen 10 und 15 Prozent des BIP. In den baltischen und osteuropäischen Ländern sind es fast 25 Prozent. Höchstwahrscheinlich sind die 7,5 Prozent auch nur die Spitze des Eisberges, denn die Autoren beobachten nur Bankeinlagen in Steueroasen. Es gibt viele andere Kanäle für veruntreutes Kapital: Immobilien, Luxusgüter, Treuhandfonds, inländische Investitionen (und Bankeinlagen), Kapitalmarktfonds, oder einfach Bargeld. All dies wird von der Studie nicht erfasst.

Trotzdem sind – wie der "Economist" berichtet und die Autoren der Studie wenigstens nicht abstreiten – diese 7,5 Prozent den Verantwortlichen in der Weltbank groß genug gewesen, um die Publikation des vorläufigenArbeitspapieres, normalerweise eine Formalität, deutlich zu verzögern. Erst, nachdem einer der Autoren das Papier auf seiner Website veröffentlichte, tat dies auch die Weltbank. Das ist der zweite Skandal und lässt die Verantwortlichen bei der Weltbank in keinem guten Licht erscheinen. Es muss allerdings betont werden, dass es für eine bewusste Verzögerung keine Beweise gibt, nur Indizien, fehlende Dementi und eine auffällig schmallippige Erklärung der Weltbank.

Ohne die unübliche Reaktion der Weltbank wäre die Studie vermutlich nur einem Fachpublikum bekannt geworden. Dabei ist das Ergebnis durchaus brisant. Die ersten Steueroasen entstanden vor mehr als hundert Jahren. Aber sie produzieren immer noch Eklats wie die Luanda Leaks vom Januar 2020, die Korruption in Angola aufdeckten, oder die Mauritius Leaks im Juli 2019. Hier wurden 200.000 Dokumente einer Anwaltskanzlei auf Mauritius geleakt. Diese zeigen wie bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen mit den ärmsten Ländern der Welt es international aktive Firmen und Individuen erlauben, Steuerzahlungen in diesen Ländern zu umgehen.

Das Fürstentum Monako will kein Steuerparadies mehr sein und zieht vor allem Hedgefonds und Private-Equity-Firmen an. © helst1 via Flickr

Beispiel 1: die DEG und Mauritius

Mauritius ist ein alter Bekannter der deutschen Entwicklungshilfe. Die bundeseigene Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) investiert laut Jahresbericht 2019 selbst in 34 Fonds dort. Laut der Bundesregierung fungiert die DEG hier als „Signalinvestor“ für private Investoren. Die DEG argumentiert, dass es leichter sei diese zum Investment in Fonds auf Mauritius zu bewegen, als in Fonds im Zielland. Diese Argumentation ist schlüssig, vor allem im Hinblick auf internationale Partner, die Steueroasen völlig selbstverständlich für ihr Tagesgeschäft nutzen. Etwa 30-40 Prozent aller internationalen Kapitalbewegungen laufen über Steueroasen. Aber sie kommuniziert auch an private Investoren, dass ein staatlicher Entwicklungsfinanzierer Investitionen im Zielland für zu riskant hält. Gleichzeitig argumentiert die DEG, dass solche Fonds nicht in Deutschland aufgesetzt werden können. Dies sei zu teuer, und die entstehenden Kosten fehlten dann den Entwicklungsprojekten. Sie legitimiert damit Steueroasen als kostengünstige und rechtssichere Räume für den internationalen Kapitalverkehr.

Dieselben Steueroasen eben, in denen die veruntreuten Hilfszahlungen der Weltbank auftauchen und aus denen immer wieder illegitimes oder gar kriminelles Verhalten durch Leaks wie den oben genannten auftaucht. Gleichzeitig ist die DEG selbst unter Druck, möglichst kosteneffizient zu arbeiten. Ob sie über Mauritius selbst Steuern "optimiert" ist aufgrund der fehlenden Einsicht in diese Investitionen nicht feststellbar. Jedoch werden die Kapitalerträge im Zielland eben nicht versteuert. Wie die Empfängerländer von Entwicklungshilfe so die Kapazitäten entwickeln sollen, um die Veruntreuung selbiger effektiv zu verfolgen, bleibt unklar. Die deutsche Entwicklungspolitik nutzt also selbst genau die Steueroasen, die von Entwicklungsländern aus nicht genutzt werden sollen.

Ein idealer Ort zur Steuervermeidung: Blick auf das moderne Gebäude der Commercial Bank von Mauritius. © By Jean François Koenig - http://www.jfkoenig.com/files/content/002-projects/002-offices/002-mauritius-commercial-bank/image002.jpg, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35408087

Beispiel 2: die EU-Geldwäsche-Richtlinien

Gleichzeitig beteiligt sich Deutschland natürlich auch an den OECD- und EU-Initiativen zur Reduzierung internationaler Finanzkriminalität. Hier ist viel passiert in den letzten Jahren. So wurden beispielsweise alte internationale Verpflichtungen, bei denen es nur auf Anfrage möglich war, international Informationen über verdächtigte Steuersündige zu bekommen, durch automatischen Informationsaustausch ersetzt. Die USA haben ein eigenes Vertragswerk geschaffen, aber der Rest der OECD setzt auf diesen sogenannten Common Reporting Standard. Diese Maßnahmen sind nicht perfekt. Die Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweise haben sich bereits als Steueroase positioniert, um diesen Standard zu untergraben.

Aber es wird schwieriger für die internationale Finanzkriminalität. In der EU werden beispielsweise die Anti-Geldwäsche-Richtlinien vorangetrieben, die es schwieriger machen sollen, durch internationale Verschiebungen kriminelle Gelder zu waschen. Im November 2018 hat die EU die sechste dieser Geldwäsche-Richtlinien verabschiedet. Diese müssen in nationales Recht umgesetzt werden, Deutschland implementiert im Moment die Fünfte, muss aber sogar bei der Vierten noch nachbessern. Es hinkt dem "Best practice" mehrere Jahre hinterher. Auch wenn Deutschland also internationale Initiativen immer wieder unterstützt, so fällt es bei der Umsetzung als bremsende Kraft auf.

Protest gegen Steueroasen: Europaparlamentarier halten Plakate hoch. © GUE/NGL via Flickr

Beispiel 3: das Public Country-by-Country Reporting

Auch Steuervermeidung ist im Fokus. Steuervermeidung ist legal, nutzt aber Diskrepanzen in den Steuergesetzen unterschiedlicher Länder oder in bilateralen Abkommen, um Profite aus Ländern in denen die reale Aktivität stattfindet, in Länder zu verschieben wo Steuern niedrig oder null sind. Das "Base Erosion and Profit Shifting"-Programm der OECD beinhaltet 15 einzelne Handlungsfelder, um dies zu erschweren. Der Fortschritt ist in den einzelnen Feldern sehr unterschiedlich, aber vorhanden.

Eine EU-Initiative zu diesem Thema ist das "Public Country-by-Country-Rreporting", bei dem Unternehmen einige Kenngrößen ihrer unternehmerischen Aktivität auf Landesebene veröffentlichen müssen, als Grundlage für die Besteuerung selbiger. Dies würde es unter Umständen dem deutschen Fiskus erlauben, Starbucks zu besteuern, aber eben auch dem indischen Fiskus, dies mit den Niederlassungen der deutschen Exportindustrie zu tun. Vor allem würde es Buchungsgrößen in Steueroasen offenlegen. Bei der Abstimmung zur Einführung des besagten Reporting enthielt sich Deutschland als einziges Land der EU, mutmaßlich weil sich die Große Koalition nicht auf eine Position einigen konnte. 14 Länder stimmten für den Gesetzesvorschlag, 16 wären nötig gewesen. Die deutsche Politik bekennt sich also zu internationaler Transparenz, enthält sich aber zugleich, wenn es darum geht, diese auch umzusetzen.

Deutschlands zwiespältige Rolle

Drei selektive Beispiele – die Investitionen der staatseigenen DEG, das Verschleppen der EU-Geldwäsche-Richtlinien sowie die Enthaltung beim "Public Country by Country-Reporting" – zeigen, dass Deutschland wenigstens eine zwiespältige Rolle bei der Regulierung von Steueroasen und Finanzkriminalität spielt. Die Botschaft an internationale Investoren, aber eben auch an korrupte Politiker oder andere Finanzkriminelle, lässt sich etwa wie folgt übersetzen: Steueroasen sind juristisch sicher, günstig, und valide Startpunkte für Investitionen in Entwicklungsländern. Sie sollten reguliert werden, aber nicht sofort. Wenn es dann Regulierung gibt, so lassen wir uns Zeit mit der Umsetzung.

Für die deutsche Exportwirtschaft ist diese Politik vielleicht sogar effektiv, dazu gibt es noch keine empirischen Untersuchungen. In jedem Fall steht diese Politik aber im Widerspruch zu entwicklungspolitischen Zielen der Bundesregierung, wie zum Beispiel dem "Capacity Building" bei Empfängerländern. Dass die Weltbank nun die Publikation von Forschungsergebnissen zu korrupten Finanzströmen verzögert, hilft natürlich wenig dabei, diese zu unterbinden. Bizarr ist allerdings auch die empörte Reaktion der Geberländer auf die Ergebnisse der Studie, der oben genannte erste "Skandal". Auch Entwicklungshilfe ist nicht immun gegen Korruption. Ist das wirklich so überraschend? Dieselben Steueroasen, die von der Bundesregierung nicht konsequent reguliert werden, ermöglichen Korruption und Finanzkriminalität eben nicht nur in OECD-Ländern, sondern weltweit. Wie wahrscheinlich ist es, dass ausgerechnet die Länder mit den schwächsten administrativen Möglichkeiten, solche Finanzströme zu verfolgen, davor gefeit sind? Und wie sollen sie diese Kapazitäten aufbauen, wenn nicht einmal die deutsche Entwicklungshilfe im Empfängerland Steuern zahlt?

Foto von Jakob Miethe.
Jakob Miethe Ludwig-Maximilians-Universität München

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