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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 08/2022
  • Dr. Thomas Daum

Fleischkonsum wächst in Entwicklungsländern: mehr Nutzen als Schaden?

Menschen im globalen Süden haben das Recht, mehr Fleisch zu konsumieren. Wie kann der „lange Schatten“ der Tierhaltung im Zug einer Intensivierung oder der beschworenen "Revolution" minimiert werden?

Für Kühe in Ähtiopien gibt es "Masterpläne". Der Viehzucht in Entwicklungsländern wird großes Wachstum, ja sogar eine "Revolution" vorhergesagt. © FAO/Eduardo Soteras

Im globalen Norden essen die Menschen so viel Fleisch, dass sie darunter leiden. Im Schnitt essen Europäer 75 Kilogramm Fleisch pro Jahr, Nordamerikaner 120 Kilogramm. Die Folge sind Fettleibigkeit, Zivilisationskrankheiten und verfrühter Tod. Neben den Menschen leidet die Umwelt, die Tierhaltung verursacht 15 Prozent aller Treibhausgase. Die EAT-Lancet-Kommission empfiehlt deswegen eine drastische Reduzierung des Fleischkonsums in den Industrieländern, um menschliche und planetare Gesundheit zu schützen. Aber was ist die Losung für den globalen Süden, etwa Afrika, wo bislang kaum Fleisch gegessen wird und tierische Produkte zum Kampf gegen Mangelernährung beitragen könnten.

Noch ist Afrikas Anteil am globalen Fleischkonsum gering. Im Schnitt essen Afrikaner zehn Kilogramm Fleisch pro Jahr. Für die meisten ist Fleisch unerschwinglich, die Einkommen sind dafür zu niedrig, das Fleisch zu teuer. Aber der Wohlstand steigt, und der Fleischkonsum nimmt zu. Urbane Eliten essen so viel Fleisch wie Menschen in den Industrieländern. Zudem wächst Afrika: Bis 2050 wird sich die Bevölkerung auf zwei Milliarden Menschen verdoppeln. Aufgrund des Wachstums von Wohlstand und Bevölkerung schätzt die Welternährungsorganisation (FAO), dass der Konsum von Fleisch, Milch und Eiern in Afrika bis 2050 um 129 Prozent steigen wird.

Kleine Mengen mit großen Effekten

Für die Gesundheit von vielen Afrikanern ist das eine gute Entwicklung. Tierische Produkte liefern hochwertige Proteine, Mikronährstoffe wie Vitamin A und B12, sowie Eisen und Zink und bioaktive Wachstumsfaktoren. Diese Nährstoffe fehlen vielen Menschen, vor allem Schwangeren, Stillenden und Kleinkindern. Das kann die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern irreversibel schädigen. Kritisch ist die Aufnahme von ausreichend Mikronährstoffen vor allem während des „1000 Tage-Fensters“ von Empfängnis bis zweiten Geburtstag. In Ländern, in denen der Mikronährstoffmangel (auch: verborgener Hunger) verbreitet ist, können tierische Produkte selbst in kleinen Mengen große positive Effekte haben. Eine Studie in Bangladesch, Nepal, Uganda findet, dass tierische Produkte, etwa in der Form von einer Tasse Milch und einem Ei am Tag, Wachstumsverzögerung um 10-16 Prozent verringern können.

Viele wichtige Nährstoffe sind zwar auch in pflanzlichen Produkten enthalten, aber tierische Produkte liefern diese in einer höheren Dichte. Für die Ernährung von Kleinkindern, die wegen ihrer kleinen Mägen nur geringe Mengen Essen aufnehmen können, ist das ein Vorteil. Zudem sind pflanzliche Alternativen oftmals nicht zugänglich, es gibt keine Supermärkte mit Regalen voller Produkten aus der ganzen Welt und die Nahrungsmittelverfügbarkeit schwankt saisonal stark.

Tierhaltung in Niger. Hirten bringen ihre Herde zu einer Wasserstelle. © FAO/Dramane Bako

Verfechter von Tierhaltung verweisen auch auf deren Potenzial für die Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung. Wenn die Nachfrage an tierischen Produkten in den Städten steigt, bietet das neue Marktmöglichkeiten für Bauern im Hinterland. In Ostafrika beschreiben manche Milch als „weißes Gold“. Tiere liefern außerdem Dung für bessere Bodenfruchtbarkeit und Biogas zum Kochen, Beiprodukte wie Leder, und sie eignen sich zum Kapitalaufbau.

Im Schnitt stammen 40 Prozent des landwirtschaftlichen Bruttoinlandsprodukt in Afrika aus der Tierhaltung, ein großer Wirtschaftszweig. Eine Studie in sieben Ländern zeigte, dass zwei Drittel der Haushalte Tiere halten und damit bis zu 20 Prozent ihres Haushaltseinkommens generieren. In Kenia, schafft der Tiersektor Arbeit für 13,5 Prozent der Beschäftigten. Wegen der Potenziale für sowohl Ernährung und Entwicklung fördern viele Projekte gezielt die Tierhaltung. Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt z.B. mit ihren „Grünen Innovationszentren“ die Milchwirtschaft in Kenia, Sambia und Tunesien – in Benin und Kamerun die Geflügelwirtschaft.

Es gibt also eine ganze Reihe von guten Gründen, sich über die steigende Nachfrage nach Fleisch im Globalen Süden zu freuen, gäbe es da nicht auch einige gravierende Nachteile, vor allem für die Umwelt. In einer berühmten Studie bezeichnet die FAO diese Effekte als den „langen Schatten“ der Tierhaltung.

Langer Schatten

Ein großes Problem sind die Klimaeffekte der Tierhaltung. Ein Gramm Protein aus Rindfleisch verursacht im Schnitt 15 Mal so viel CO2-Äquivalente wie ein Gramm Protein aus Tofu –  Hühnchen verursacht zweimal so viel. Der hohe Wert von Rindfleisch liegt an dem Methan, das Wiederkäuer ausstoßen, ein Klimagas mit einem 84 Mal höheren Treibhausgaspotenzial als CO2 (gerechnet auf 20 Jahre). Außerdem benötigt man viel Land für den Futtermittelanbau. Um ein Gramm Protein aus Rinderhaltung zu produzieren, braucht man 1,6 Quadratmeter Land, für Tofu 0,02 Quadratmeter. Weltweit wird bereits auf 40 Prozent aller Ackerflächen Futter angebaut. In Südamerika werden 71 Prozent der gerodeten Regenwaldflächen für Rinderherden verwendet und 14 Prozent für Ackerland, zumeist für den Anbau von Soja für Tierfutter.

Eine Ausweitung der globalen Ackerfläche, um genügend Futtermittel für die rasant wachsende Tierwirtschaft zu produzieren – etwa durch den Umbruch der afrikanischen Savanne – würde gigantische Mengen an Kohlenstoff freisetzen, der in den Böden gespeichert ist, und wäre fatal für die Biodiversität.

Eine Alternative ist prinzipiell zwar die intensivere, nachhaltigere Nutzung von Grasländern, die nur durch wiederkäuende Tiere wie Kühe und Ziegen für Menschen nutzbar gemacht werden können. Weltweit gibt es dreimal mehr Weideland als Ackerland und gut bewirtschaftetes Weideland bindet Kohlenstoff. Das gleicht den Methanausstoß von Wiederkäuern aus.

Durch die sich rasant verschärfende Klimakrise ist die Zukunft von Grasländern aber ungewiss, gerade in Afrika. Schon heute kommt es immer öfter zu tödlichen Dürren, wie gerade am Horn von Afrika. In der Sahel-Zone, einem gigantischen Streifen Land, der sich zwischen Sahara und Savanne von Mauretanien über Nigeria bis in den Sudan erstreckt, werden Viehhirten von sich ausbreitenden Wüsten aus dem Norden und sich ausbreitenden Ackerflächen aus dem Süden zerrieben. Immer öfter kommt es zu tödlichen Konflikten.

Weltweit gibt es mehr Weideland als Ackerland. Es kann nachhaltig genutzt werden. © FAO via Flickr

Es gibt also gute Gründe zu schlussfolgern, dass Menschen in Entwicklungsländern das Recht haben, etwas mehr Fleisch zu konsumieren (und Menschen im globalen Norden die Pflicht, ihren Konsum zu reduzieren, um das zu ermöglichen). Aber gleichzeitig sollte auch klar sein, dass alles getan werden muss, um den „langen Schatten“ von Tierhaltung möglichst gering zu halten. Dafür gibt es eine Reihe von Stellschrauben: auf Nachfrageseite durch einen optimierten Konsum und auf Angebotsseite durch eine nachhaltigere Produktion.   

Um den „langen Schatten“ von Fleisch zu reduzieren, ohne vollständig auf tierische Produkte zu verzichten, könnte man den Konsum von besonders umweltschädlichen Tierprodukten zurückschrauben. Der von der EAT-Lancet-Studie entwickelte globale Speiseplan, der sowohl gesund als auch nachhaltig ist, empfiehlt für Afrika einen höheren Konsum von Geflügel, Milchprodukten, Eiern und Fisch – nicht aber von rotem Fleisch von Schweinen und Rindern. Um das zu erreichen, könnten Regierungen und Entwicklungsprojekte die Geflügel- und Milchwirtschaft fördern, nicht aber die Haltung von Rindern für Fleisch. Eine Ausnahme wären Länder mit Grassavannen, deren extensive Nutzung die Lebensgrundlage für Pastoralisten ist. 

Nachhaltiger Speiseplan

Auf Nachfrageseite muss das Credo lauten: so viel tierische Produkte wie nötig, aber so wenig wie möglich. Ziel wäre ein Speiseplan basierend auf Pflanzen, Hülsenfrüchten, Nüssen, daneben auch Milch und Eier, aber kaum Fleisch. Milch und Eier liefern wichtige Nährstoffe, verursachen aber weniger negative Umwelteffekte als Fleisch. Und Milchkühe und Hühner kann man später auch schlachten. Milch hat einen weiteren Vorteil: Außerhalb von pastoralen Gesellschaften gilt Milch in vielen Gegenden als notwendiges Nahrungsmittel für Kinder, genau die Gruppe, für die ausreichend Nährstoffe besonders wichtig sind.

Quelle: ILRI, White Paper: Options for the Livestock Sector in Developing and Emerging Economies to 2030 and Beyond © ILRI

Für die Nachfragesteuerung braucht es kluge Politikinstrumente, um sicherzustellen, dass der Konsum von tierischen Produkten nur in den Bevölkerungsgruppen steigt, in denen er auch die Gesundheit verbessert, vor allem unter Schwangeren, Stillenden und Kleinkindern, nicht aber in Bevölkerungsgruppen, die bereits zu viele Tierprodukte essen. Gefragt sind etwa Investitionen sowohl in Forschung wie in die Förderung von tierischen Produkten, aber eben auch von Hülsenfrüchten, Nüssen und Obst und Gemüse. Wichtig sind gesunde Speisepläne in Schulernährungsprogrammen sowie Aufklärungskampagnen für ausgewogene Ernährung. Auch Preispolitik mittels Subventionen und Steuern könnte eine Rolle spielen, allerdings ist es schwierig, diese zielgenau zu gestalten. So können niedrigere Fleischpreise zwar Mangelernährung in armen Bevölkerungskreisen reduzieren, aber gleichzeitig zu einem Überkonsum in reichen Bevölkerungsgruppen führen.

Eine weitere Möglichkeit auf der Konsumseite sind Fleischersatzprodukte. Anders als Europäer und Nordamerikaner, deren Geschmack durch den jahrzehntelangen und frühkindlichen Konsum von Würstchen und Hühnerschlegeln geprägt wurde, sind beispielsweise viele Afrikaner nicht mit Fleisch sozialisiert. Zwar gibt es Ausnahmen, und Fleisch ist auch ein Statussymbol, dennoch bieten sich Chancen für die Vermarktung von Ersatzprodukten wie pflanzenbasiertem Fleisch und in Zukunft vielleicht auch kultiviertem Fleisch (In-vitro-Fleisch). In Südafrika haben bereits eine ganze Reihe von Unternehmen diesen Markt für sich entdeckt. Allerdings liefern bislang nicht alle dieser Produkte die gleichen Mikronährstoffe wie Fleisch. Das ist kein größeres Problem, wo Diäten ohnehin ausgewogen sind, aber in Afrika ist das oft nicht der Fall.

Intensivierung – aber richtig

Neben der Konsumseite gibt es auch auf der Produktionsseite verschiedene Möglichkeiten, um den „langen Schatten“ der Viehhaltung zu reduzieren. Ein wichtiges Stichwort ist nachhaltige Intensivierung. In Afrika sind die Treibhausgasemissionen und auch die Landnutzung je Produkteinheit, etwa pro Kilogramm Fleisch oder Protein, sehr hoch, da die Erträge gering sind. Eine deutsche Kuh produziert im Schnitt fast 8000 Kilogramm Milch pro Jahr, ghanaische Kühe produzieren 135 Kilogramm Milch, müssen aber genauso gefüttert werden. Eine deutsche Legehenne produziert fast zehn Mal so viel Kilogramm Eier pro Jahr wie ein Huhn in Ghana (21 kg versus 2,6 kg). Durch die höheren Erträge reduzieren sich fast automatisch die Umwelteffekte je Produkteinheit. Allerdings sollte man sich nicht allein auf die Produktivität konzentrieren, sondern auch andere Dimensionen von Nachhaltigkeit berücksichtigen, denn die industrielle Tierhaltung kann auch zu massiven lokalen Umweltschäden führen, etwa durch Nitratbelastung, und das Tierwohl beinträchtigen.

Eine Stellschraube, um Erträge zu steigern, ist die Verbesserung der Fütterung. In vielen Farmsystemen könnte man mit besserer Fütterung sowohl Erträge steigern – und somit den Ausstoß von Klimagasen je Produkteinheit und den Flächenverbrauch reduzieren – als auch das Tierwohl verbessern. Vor allem bei den Wiederkäuern gibt es Potenziale: Viele Tiere bekommen lediglich Pflanzenreste, und in Dürreperioden wird Futter oftmals gänzlich knapp. Der gezielte Anbau und die Konservierung von ertragreichen und relativ trockenresistenten Gräsern wie Napiergras, aber auch von Futtersträuchern und -bäumen, könnte helfen, um ganzjährig genügend gutes Futter sicherzustellen und gleichzeitig Umwelteffekte zu reduzieren. Optimierte Futterrationen und die Zugabe von Kraftfutter entsprechend den Bedürfnissen der Kühe während des gesamten Laktationszyklus kann einen großen Unterschied machen. Smartphone-Anwendungen können Bauern helfen, basierend auf lokal verfügbaren Futtermitteln den optimalen Mix aus Energie, Eiweiß und Mineralstoffen zu errechnen.

Im Falle von Wiederkäuern kann eine optimierte Fütterung auch die Verdauung verbessern und somit den Methanausstoß reduzieren. Forschungsprojekte zielen darauf ab, die Bakterien in den Tiermägen zu ändern, die den Methanausstoß verursachen – etwa durch einen Austausch des Mikrobioms oder Probiotika-ähnliche Impfungen, aber das ist weitestgehend Zukunftsmusik. Auch mittels Züchtung könnte man in Zukunft vielleicht den Methanausstoß von Wiederkäuern reduzieren.

Potenzial Züchtung

Etwas langfristiger gedacht, können Tiere gezüchtet werden, die höhere Erträge liefern, Futtermittel effizienter umsetzen und weniger anfällig für Stressfaktoren sind. Viele LandwirtInnen in Afrika nutzen vor allem lokale Rassen, die zwar gut an harsche Bedingungen angepasst sind, aber geringe Erträge liefern. Solche Landrassen könnte man durch stetige Selektion verbessern, dafür braucht es Investitionen in die Forschung. Eine Option wären auch geschickte Kreuzungen zwischen exotischen Rassen aus dem Ausland, die dank jahrzehntelanger Züchtungsfortschritte leistungsfähiger, bislang aber unter (sub)-tropischen Bedingungen sehr stressanfällig sind, und lokalen Landrassen. Für höhere Produktivität und Tierwohl braucht es auch gute Institutionen: funktionierende Veterinärwesen, Schulungen von Landwirten, etwa zu Fruchtbarkeitsmanagement, Tierhygiene und dem Management von Dung, auch dies eine große Quelle von Methan.

Kurzum, die steigende Nachfrage nach Tierprodukten kommt mit einer ganzen Reihe von Potenzialen, um Mangelernährung, aber auch Armut in Afrika zu reduzieren. Allerdings ist die Tierhaltung auch mit einen „langen Schatten“ verbunden, negative Effekte wie Treibhausgasemissionen, Landnutzungsänderungen und Biodiversitätsverluste. Auf sowohl Konsumseite und Produktionsseite gibt es eine ganze Reihe von Lösungsmöglichkeiten, um die Potenziale der „Tierhaltungsrevolution“ zu nutzen und gleichzeitig den „langen Schatten“ zu reduzieren. Um das sicherzustellen, braucht es aber kluge und engagierte Maßnahmen von Politik, Industrie, Forschung und Entwicklungszusammenarbeit. Nur so kann es gelingen, menschliche und planetare Gesundheit gleichermaßen sicherzustellen.

Thomas Daum, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Agrarwissenschaften der Universität Hohenheim.
Dr. Thomas Daum Universität Hohenheim, Institut für Tropische Agrarwissenschaften

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