Sahel: Anti-Terror-Kampf zulasten der Entwicklung
Der Menschenrechtsaktivist Moussa Tchangari übt Kritik an der Schieflage zwischen Militär- und Entwicklungshilfe. Ein Interview.
Europa engagiert sich in der Krisenregion Sahel und für die G5-Initiative von Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad aus drei Gründen: Kampf gegen islamistischen Terror, Migrationsabwehr und Hilfe zur wirtschaftlichen Entwicklung. In Niger ist der Menschenrechtsaktivist Moussa Tchangari eine renommierte Stimme der Zivilgesellschaft. Er sieht die Ursachen für das zunehmende Chaos in Unzufriedenheit mit den eigenen Regierungen und dem Fehlen von Perspektiven auf ein besseres Leben. Der Terror niste sich ein, wo der Staat den Menschen keine Daseinsvorsorge biete, wo örtliche Konflikte sich selbst überlassen werden, und wo der Kampf um die natürlichen Ressourcen immer erbitterter ausgefochten wird.
Herr Tchangari, die EU hat für die Entwicklung der fünf Sahel-Länder und ihrer Wirtschaft für einige Jahre Milliarden eingeplant. Spüren Sie eine Wirkung?
Der Treuhandfonds ist ja als Reaktion auf die stark angestiegene Zahl von Flüchtlingen eingerichtet worden, die sich aus Afrika durch die Wüste nach Europa durchschlagen wollen. Davor bekam die Region Unterstützung aus dem Europäischen Entwicklungsfonds. Wir brauchen eine grundlegende Neuorientierung dahin zurück. Der Treuhandfonds ist ein Mittel, das Problem der steigenden Migration zu lösen, obwohl mehr als 80 Prozent der afrikanischen Migranten in ihren Regionen bleiben. Die EU hilft damit nicht unserer Bevölkerung. Von anderen europäischen Mitteln sehen wir – zumindest in Niger – nur wenig. Erster Nutznießer scheint der Verteidigungs- und Sicherheitsbereich der Regierung zu sein. Aber Europa hilft den Menschen nicht, ein besseres Leben zu führen.
"Wir brauchen einen Paradigmenwechsel."
Moussa TchangariNeben dem so genannten Migrationsmanagement soll der Treuhandfonds doch auch gegen die Ursachen der instabilen Lage in der Region angehen – darunter Armut und Mangelernährung. Nach eigenen Angaben stärkt die EU mit 500 Millionen Euro die wirtschaftliche und soziale Grundversorgung von Gemeinden. Geschieht das?
Bei uns in Niger ist die Ernährungsunsicherheit ein schwerwiegendes Problem. Und man kann nicht sagen, dass die EU-Mittel an den Wurzeln des Übels ansetzen. Die Geber sind überwiegend auf das Flüchtlingsproblem fokussiert. Wir müssten wirklich genauer analysieren, was junge Menschen dazu treibt, sich Waffenbrüdern anzuschließen oder das Land zu verlassen, statt sich um die Ernährung ihrer Familien zu kümmern. Entsprechend müssten Mittel zweckgebunden vergeben werden. Aber dafür brauchen wir einen Paradigmenwechsel.
Wer soll denn zweckgebundene Mittel bekommen? Die Regierung oder internationale Hilfsorganisationen? Diese verwalten und verteilen ja bereits – relativ unkoordiniert – einen Großteil der EU-Gelder...
Wie gesagt, wir brauchen einen Paradigmenwechsel zurück zum Europäischen Entwicklungsfonds und zur Zusammenarbeit der EU mit Staaten, die Verantwortung für die Nöte der Bevölkerung übernehmen. Der Rahmen dafür existiert doch: Wir müssen uns auf die Prinzipien der Erklärung von Paris besinnen, nach denen die Partnerländern über ihre Entwicklungsstrategien selbst bestimmen und die Geberstaaten diese unterstützen. Die Ernährungssicherheit sollte dabei erste Priorität bekommen.
Verlieren die Menschen der Sahelzone nicht zunehmend auch das Vertrauen in ihre Regierungen?
Meine Regierung hat sich auf eine Migrationspartnerschaft mit Europa eingelassen, das die Migration als Bedrohung ansieht. Das zwingt sie in die Logik und die Vision der EU. Sie erhofft sich davon Anerkennung und materielle Gewinne für ihr Budget oder zum Ausgleich des Außenhandelsdefizits. Darin liegt eine Art Erpressung. Das ist nicht akzeptabel. Mein Land sollte stattdessen das Prinzip der Freizügigkeit und das Recht auf menschliche Mobilität verteidigen. Aber es akzeptiert die Auslagerung der europäischen Grenzen in den Sahel und opfert seine eigenen Werte und die Interessen der Bevölkerung.
Die G5-Länder der Sahel-Zone haben 2018 von der Sahel-Allianz aus acht europäischen Ländern, EU, UN und Entwicklungsbanken ein Sofortentwicklungsprogramm (PDU) von 266 Millionen Euro zur Stabilisierung der Konfliktregionen vor allem über Projekte zur Wasser- und Trinkwasserversorgung in den fragilen Konfliktzonen zugesagt bekommen...
Nach meiner Beobachtung ist das in der Realität weitgehend ein theoretischer Diskurs geblieben. Es gibt keine erhöhten Ausgaben für die Landwirtschaft, die Viehzucht oder die Versorgung mit Nahrungsmitteln, zumindest nicht im Niger. Es wird mehr für militärische Mittel ausgegeben. Dabei sind der Landbau, die Viehwirtschaft und die Produktion von Nahrungsmitteln das größte Opfer der zunehmenden Gefahrenlage. Es wird nicht verstanden, dass die Ernährungslage eine Frage der nationalen Sicherheit ist, die eine gezielte politische Antwort benötigt. In der Frage der Mittelverteilung brauchen wir eine landwirtschaftliche Politik. Wenn dort kein Geld ankommt, erklärt das auch zum Teil die Ressentiments gegenüber der ausländischen Militärpräsenz.
Es herrscht also Frustration über ausbleibende Ergebnisse? Betrifft das nur die Unterstützung von außen oder auch die regionalen Anstrengungen gegen den Terror der Dschihadisten?
Die französische Militärpräsenz und die ausländische Unterstützung für die Sicherheitskräfte haben nicht mehr Sicherheit geschaffen. Die Sicherheitslage hat sich verschlechtert. Der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Militärpräsenz nimmt zu. Der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit und auch der bewaffneten Angriffe von Dschihadisten auf Soldaten und die Bevölkerung hat sich von Mali in die Nachbarländer Richtung Norden verlagert. Fünf Jahre lang hat man bevorzugt auf die militärische Säule gesetzt, aber der Erfolg bleibt aus. Die ausländische Militärpräsenz muss ein Ende haben. Die Lösung ist nicht militärisch sondern politisch – und zwar über die ländliche Entwicklung.
Welche Rolle spielen die politischen Eliten?
Sie lassen es zu, dass die politischen Bedingungen sich verändern und die Demokratie Rückschritte macht. Die ganze Entwicklung bedroht unsere Souveränität. Frankreich betrachtet die Region als sein Jagdrevier, und spannt andere Länder für seine Zwecke ein, darunter auch Deutschland. Wenn – wie kürzlich in Niamey – Menschen auf die Straße gehen, um nach dem Tod vieler nigrischer Soldaten die nationalen Streitkräfte zu unterstützen, dann ist das indirekt eine Ablehnung der ausländischen Truppen, vor allem der französischen. Und wenn solche Proteste verboten werden, dann ist das ein Zeichen dafür, dass die Führung zunehmend autoritär wird und die demokratischen Grundrechte außer Kraft setzen will. Diese Fortsetzung einer Kultur der Gewalt ist aber wiederum Wasser auf die Mühlen derjenigen, die zur Waffe greifen, um eine Ordnung zu ändern, die sie als ungerecht empfinden.
Wie sollte sich Deutschland Ihrer Meinung nach verhalten? Die Bundeskanzlerin hat bei ihrer letzten Reise in die Region zumindest mehr Entwicklungszusammenarbeit in Aussicht gestellt...
Deutschland sollte sich nicht in die Strategie Frankreichs einbinden lassen. Das ist der falsche Weg und zum Scheitern verurteilt. Aber es kann seine Glaubwürdigkeit wahren, indem die Entwicklungshilfe verstärkt wird und weiter ein respektvollen Umgang mit den Partnerländern gepflegt wird – auch ohne die vermeintlichen Zwänge der Migrationspolitik. Deutschland ist stark genug, eigene Allianzen auf Augenhöhe einzugehen. Und es ist nicht unmöglich, politische Auswege zu finden.