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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 04/2023
  • Ulrich Post, Kristina Roepstorff

„Gewalt gegen Kinder ist besonders schlimm – weil sie oft das weitere Leben prägt"

Warum Entwicklungszusammenarbeit verstärkt Initiativen zur Gewaltreduzierung fördern sollte – besonders lokale Projekte mit Schulen und im häuslichen Umfeld. Eine Gewaltforscherin im Interview.

Eine Frau am Krankenhausbett ihres Neffen nach einem Machetenangriff auf ihr Dorf in der Provinz Ituri in der DR Kongo. © UNHCR/Hélène Caux

Bilder vom saudisch-iranischen Stellvertreterkrieg im Jemen, dem russischen Überfall auf die Ukraine und anderen kriegerischen Auseinandersetzungen erinnern täglich an die zerstörerische Macht der Gewalt.  Doch Kriege sind nicht die einzige Form der Gewalt. Zwar gibt es im wissenschaftlichen Bereich keine allgemein akzeptierte Definition und Beschreibung von Gewalt, doch viele Forscher beziehen sich deshalb auf die Definition der Weltgesundheitsorganisation. Sie umfasst zwischenmenschliche oder interpersonelle Gewalt ebenso wie selbstschädigendes oder suizidales Verhalten und bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Gruppen und Staaten. Ein Gespräch mit der Gewaltforscherin Anke Hoeffler von der Universität Konstanz über die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Gewaltformen, ihre Häufigkeit in verschiedenen Weltegionen und über Gewaltprävention.

Welternährung: Frau Hoeffler, Sie forschen schon lange zum Thema Gewalt. Mit welchen Formen von Gewalt befassen Sie sich?

Anke Hoeffler: Es gibt sehr viele verschiedene Formen der Gewalt. Ich konzentriere mich auf die sogenannte kollektive Gewalt, die zumeist politisch motiviert von einer Gruppe durchgeführt wird, befasse mich aber auch mit interpersoneller Gewalt, die zwischen Menschen oder sehr kleinen Gruppen von Menschen gegeneinander stattfindet. Man kann natürlich noch diskutieren, ob man Suizid als Gewalt auffasst. Meistens aber wird Gewalt als physische Gewalt von einem Menschen auf den Körper eines anderen verstanden. Damit wäre Suizid ausgeschlossen. Wenn man aber sagt, Gewalt gegen die eigene Person nehmen wir auch mit hinzu, dann hätten wir drei Formen von Gewalt, also die kollektive, die interpersonelle und die auf die eigene Person gerichtete.

Strukturelle Gewalt zählen Sie nicht dazu?

Natürlich gibt es auch strukturelle Gewalt. Aber zur Zeit liegt der Fokus meiner Forschung bei den Kosten von Gewalt, und um die Kosten festmachen zu können, brauche ich die Prävalenz, also die Häufigkeit. Wie häufig kommen diese verschiedenen Formen der Gewalt vor und welche Kosten sind dann mit dem einzelnen Fall verbunden? Das heißt, ich muss Daten haben, um eben Prävalenzen schätzen zu können, die sind nie ganz genau. Niemand weiß genau, wie viele Menschen in einem Krieg umkommen. Und selbst in einem Land wie Deutschland sind nicht einmal die Daten für Mord und Totschlag übereinstimmend, die wir von Polizei und Ärzten erhalten. Es ist schwierig, das Konzept der strukturellen Gewalt in Daten zu erfassen.

Sie sagten, dass sie vor allem zur kollektiven Gewalt arbeiten und haben dann noch die interpersonelle Gewalt erwähnt. Gibt es eigentlich einen Zusammenhang der beiden Formen?

Ja, ich habe überwiegend zu kollektiver Gewalt geforscht, also vor allem zu den Ursachen und Konsequenzen von Bürgerkriegen. Leider gab es in den Millenniums-Entwicklungszielen kein Ziel zum Thema Gewalt. Als es dann auf 2015 und die nachhaltigen Entwicklungsziele zuging, gab es eine Diskussion in den Fachkreisen, ob man nicht auch ein „Gewalt-Ziel“ einbringen sollte, vielleicht sogar mit einem Null-Ziel. 

Die UN waren interessanterweise nicht so empfänglich dafür, Ziele für die kollektive Gewalt festzuschreiben, weil das ja letztendlich immer in die Souveränität von Staaten eingreift, da die meisten Kriege Bürgerkriege sind. Die UN waren dann aber sehr empfänglich dafür, andere Formen der Gewalt  in die neuen Entwicklungsziele aufzunehmen – Formen der Gewalt, die im Übrigen zusammengerechnet auch viel mehr Menschen töten. Dazu zählt Gewalt gegen Kinder, und so heißt es in SDG 16.2 nun, dass alle Formen von Gewalt gegen Kinder beendet werden sollen. Kinder erfahren sehr viel Gewalt, überwiegend in der Form von körperlicher Bestrafung, meist zuhause, aber häufig auch in der Schule.

Die UN waren nicht so empfänglich dafür, Ziele für die kollektive Gewalt Gewalt in die neuen Entwicklungsziele festzuschreiben, weil das in die Souveränität von Staaten eingreift. Sie waren aber sehr empfänglich dafür, andere Formen der Gewalt aufzunehmen.

Prof. Dr. Anke Hoeffler lehrt und forscht seit 2019 an der Universität Konstanz, wo sie eine Humboldt-Professur erhielt und den Lehrstuhl für Entwicklungspolitik aufgebaut hat.

Zurück zu Ihrer Frage: Natürlich gibt es eine Verbindung von kollektiver und interpersoneller Gewalt; sie ist allerdings nicht besonders gut erforscht. Aber Kollegen aus Berlin haben beispielsweise eine Studie verfasst zu Männern, die in Angola im Bürgerkrieg aktiv waren, und 15 Jahre später finden sie heraus, dass es in deren Haushalten mehr häusliche Gewalt gibt. Bielefelder Kollegen haben herausgefunden, dass in den Haushalten von Männern, die in den Bürgerkrieg in Uganda verwickelt waren, später Kinder deutlich mehr körperlich bestraft wurden.

Das heißt, kollektive und  interpersonelle Gewalt – und übrigens auch Suizide – sind alle miteinander verbunden. Wir sind aber in unseren wissenschaftlichen Silos so voneinander isoliert, dass wir uns zu wenig zu der Forschung zu diesen verschiedenen Gewaltformen und ihren Zusammenhängen austauschen. Es gibt auch noch andere Gründe, warum das nicht passiert, und zwar deswegen, weil wir sehr schlechte Daten haben. Nur als Beispiel: Von 44 afrikanischen Ländern haben wir überhaupt keine offiziellen Angaben zu Mord und Totschlag; sie müssen geschätzt werden.

Das Lager Plain Savo hat 40.000 Geflüchtete aufgenommen, die ihre Dörfer wegen Überfällen bewaffneter Gruppen verlassen haben. Im Osten und Norden der DR Kongo sind 5,6 Millionen Menschen geflüchtet oder vertrieben. © UNHCR/Hélène Caux

Sie haben verschiedentlich darauf hingewiesen, dass es in unterschiedlichen Regionen auch unterschiedliche Formen von Gewalt gibt.

Gute, vergleichbare Daten kommen dazu von der Weltgesundheitsorganisation; die Zahlen für die Toten von Bürgerkriegen schwanken natürlich sehr stark, aber wenn man sich die vergangenen 20 Jahre anschaut, dann sterben ungefähr pro Jahr 80.000 Menschen an kollektiver Gewalt in Bürgerkriegen, ungefähr eine knappe halbe Million an Mord und Totschlag und ungefähr 700.000 an Suizid. Das heißt, zusammen genommen verursachen kollektive und interpersonelle Gewalt weniger Opfer als Suizide.

Insgesamt kann man sagen, dass kollektive und interpersonelle Gewalt eher in ärmeren Ländern stattfindet, interpersonelle Gewalt ist am höchsten in Lateinamerika, gefolgt von Subsahara-Afrika. Kollektive Gewalt finden wir besonders in der MENA-Region, ebenfalls gefolgt von Subsahara-Afrika. Nur beim Suizid ist Europa ein trauriger Spitzenreiter.

Gibt es eine Erklärung dafür, warum Gewalt in ärmeren Regionen höher ist?

Zu erklären, warum Gewalt hoch ist und warum sie sich vielleicht auch verringert oder erhöht, ist ein sehr großes Forschungsgebiet. Zu den Ursachen veränderter Gewaltraten gibt es ganz unterschiedliche, zum Teil auch sehr kontroverse Erklärungen.

Die sehr hohen Zahlen zu interpersoneller Gewalt in Lateinamerika und in Subsahara Afrika haben sicherlich damit zu tun, dass viele Staaten fragil sind und die öffentliche Sicherheit nicht garantieren können. Die Menschen haben wenig Vertrauen in den Staat und seine Leistungen; er ist für viele völlig abwesend.  Wenn etwas passiert, wenden sich die Menschen nicht unbedingt an die Polizei, da sie kein Vertrauen haben. Wenn aber Zeugen sich nicht trauen, zur Polizei zu gehen und es nicht zur Anzeige gebracht wird, dann kann es keine Aufklärung geben.

Für mich gibt es zwei Aufgaben, die ein Staat erfüllen muss: er muss Sicherheit gewährleisten und Menschen aus der Armut befreien. Diese beiden Aufgaben hängen eng miteinander zusammen.

Ein Jahr nach dem Verschwinden von 43 Studenten in Ayotzinapa fordern Demonstranten in Mexiko-Stadt Aufklärung. © Federico Blanco / CIDH via Flickr

Sie kritisieren, dass sich die internationale Gemeinschaft jedenfalls in der Entwicklungszusammenarbeit sehr auf die kollektive und trotz der höheren Opferzahlen zu wenig auf die interpersonelle Gewalt konzentriert.

Zunächst einmal: Es ist sehr gut, dass die internationale Gemeinschaft ein stärkeres Augenmerk richtet auf fragile Staaten und Bürgerkriege, also kollektive Gewalt. Das war nicht immer so. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges war es uns möglich, uns angemessen mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Vorher wurde es immer durch eine bestimmte Linse betrachtet, weil es so viele Stellvertreterkriege in armen Ländern gab. Man denke nur an Angola mit seinem langjährigen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnten wir uns ganz anders mit dem Thema beschäftigen, und haben dann nach und nach gelernt, dass die Konflikt- und Post-Konflikt-Länder eine ganz andere Unterstützung benötigen. Das war und ist ein Riesenfortschritt.

Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass die UN nun mit dem SDG 16 auch ein Ziel zu interpersoneller Gewalt haben. Aber in dem Rahmen findet wenig Entwicklungszusammenarbeit statt. Entwicklungszusammenarbeit ist natürlich nur ein kleiner Teil von dem, was man machen kann, aber er ist symbolisch dafür, wie wichtig oder unwichtig wir von außen dieses Problem nehmen. Aus meiner Sicht passiert da noch nicht genügend. Vielleicht auch deshalb, weil diese Gewalt häufig nicht in der Öffentlichkeit, sondern in den vier Wänden zu Hause, gegen Frauen und Kinder stattfindet und es noch sehr wenig Bewusstsein dafür gibt, wie schädlich das ist.

Es gibt Studien, die ganz klar belegen, dass Störungen der mentalen Gesundheit das meistverbreitete globale Gesundheitsproblem sind. In Kriegssituationen etwa sehen wir Menschen, die körperlich verletzt sind, aber sie sind ganz oft auch seelisch verletzt. Wie sollen die Post-Konflikt-Länder wirklichen Frieden erreichen, den positiven Frieden, der wirklich Entwicklung möglich macht? Wie soll der zustandekommen? Mit Menschen, die traumatisiert sind, eine Depression oder eine generalisierte Angststörung haben?

Tilman Brück und ich haben eine Studie im Rahmen unseres „Life with Corona“-Projektes gemacht, die aber noch nicht veröffentlicht ist. In 2021 haben wir fast 24.000 Menschen in Uganda, Tansania, Mosambik und Sierra Leone befragt. Dabei ging es uns darum, wie Menschen während der Pandemie leben, und wir haben ganz verschiedene Lebensumstände abgefragt. Auch nach Ernährungssicherheit haben wir gefragt: Haben Sie ausreichend zu essen? Müssen Sie Mahlzeiten auslassen?  50 Prozent aller Befragten in den vier Ländern haben uns gesagt, dass beides zu gewissen Zeiten problematisch war.

Wir haben auch gelernt, dass ungefähr ein Viertel aller Befragten direkt oder im Umfeld Covid ausgesetzt war. Wir haben außerdem versucht herauszufinden, bei wie vielen Menschen eine generalisierte Angststörung festzustellen ist und kamen auf erschreckende 18 Prozent der Befragten. Was wir uns eigentlich anschauen wollten: Wie wirkt sich Covid auf diese Angststörung aus? Es zeigte sich, dass zwar die Covid-Exponierung diese Angststörung beeinflusst, aber dass die Ernährungsunsicherheit ein viel stärkerer Erklärungsfaktor ist. Wer also die Ernährungssicherheit der Menschen verbessert, verbessert auch signifikant die mentale Gesundheit der Menschen.

Es gibt eine ganze Reihe von Instrumenten, um kollektive und interpersonelle Gewalt zu reduzieren. Was sehen Sie als erfolgversprechend an?

Ganz übergreifend kann man natürlich sagen, dass soziale und wirtschaftliche Entwicklung ein friedliches Miteinander erleichtern. Entwicklung sichert den Frieden, aber das ist natürlich dann die große Debatte, wie man inklusive Entwicklung bekommt.

Zu kollektiver Gewalt gibt es sehr gute Erkenntnisse. Zum Beispiel, dass UN-Friedenstruppen tatsächlich den Frieden wahren. Oft haben UN-Blauhelme eine schlechte Presse, weil einige  Einsätze von Skandalen zum Beispiel von sexueller Gewalt oder dem Einschleppen von Krankheiten begleitet wurden. Statistisch gesehen sind Blauhelme aber eine gute und effektive Möglichkeit, den Frieden zu wahren. Außerdem kosten sie vergleichsweise wenig, etwa sieben Milliarden Dollar pro Jahr. Das hört sich wie eine große Zahl an, ist aber nur ungefähr ein halbes Prozent der weltweiten Militärausgaben.

Dann muss der Transfer von Waffen begrenzt werden. Die EU und die USA haben schon lange Gesetze und internationale Vereinbarungen zu dem Transfer von Waffen, zudem gibt es schon seit 2013 den UN Arms Trade Treaty. Viele Leute stellen sich den Waffenhandel wie einen internationalen Schwarzmarkt vor, auf dem Waffen verschoben werden. Das ist aber nicht so. Waffen werden nur in ganz wenigen Ländern der Welt hergestellt und werden dann exportiert. Zum Beispiel exportierten Waffenhersteller Waffen nach Kenia. Das wurde auch geprüft und abgezeichnet. Doch diese Waffen verbleiben nicht in Kenia, sondern werden in den Südsudan verschoben. Um so etwas wirksam vor Ort zu kontrollieren, stehen aber viel zu wenig finanzielle Mittel bereit.

Auch mit Blick auf die interpersonelle Gewalt ist die Begrenzung von Schusswaffen ein wirksames Instrument. Schusswaffen sind besonders tödlich und deswegen werden sie auch so häufig benutzt, um andere Menschen oder sich selbst umzubringen. Gerade die automatischen und halbautomatischen Schusswaffen müssen im zivilen Gebrauch eingeschränkt, stark eingeschränkt werden.

Interpersonelle Gewalt wird auch durch Alkohol gefördert. Alkohol ist zwar legal in den meisten Ländern, bringt aber sehr große öffentliche Gesundheitsprobleme mit sich, unter anderem Gewalt, weil er viele Menschen aggressiver macht. Es ist oft so, dass der Alkoholmissbrauch bei Opfer und Täter zusammen stattfand und dann eben im Streit aus dem Ruder läuft. Besonders gefährlich ist der episodische Alkoholexzess, bei dem hochprozentiger Alkohol rasch konsumiert wird (Komasaufen). Da muss natürlich jeder liberale Staat die Möglichkeiten suchen, inwieweit man das begrenzt oder zulässt. Es gibt Möglichkeiten, diesen Exzess zu begrenzen. Studien belegen, das eine Erhöhung der Alkoholpreise und die Regulation der Ausschankzeiten effizient sind. Aber die meisten Politiker zögern, etwas gegen den Missbrauch zu unternehmen. Alle sprechen sich zwar für Informationskampagnen aus, aber diese sind praktisch wirkungslos.

Welche Rolle spielen Drogen?

Drogen sind ein weiteres großes Problem, das Gewalt fördert. Die Weltgesundheitsorganisation hat Anfang der 1960er Jahre aus Besorgnis um die öffentliche Gesundheit versucht, den Drogenkonsum einzuschränken, indem er illegal und kriminalisiert wurde. Das hatte aber den Effekt, dass der Schwarzmarkt sehr lukrativ wurde. Wenn ich zum Beispiel in Kilogramm Kokain von Kolumbien in die USA schaffe, dann gibt es da eine wesentlich größere Gewinnspanne als beim Kaffee. Da ist es nicht nur die Angebots-, sondern auch die Nachfrageseite, die wir uns hier anschauen müssen.

Man muss unterscheiden zwischen Ent-Kriminalisierung und Legalisierung von Drogen. In Portugal zum Beispiel sind alle Drogen entkriminalisiert. Wenn ich also Drogen konsumiere, werde ich nicht als Kriminelle eingestuft, sondern als Kranke. Das hat übrigens auch dazu geführt, dass es viel weniger Drogentote in Portugal gibt. Wir brauchen Mut und Kreativität, um neue Wege zu suchen und zu gehen.

Neue Ansätze testen Sie ja auch in Projekten aus, etwa wenn es um Gewalt gegen Kinder geht. Was sind da Ihre Erfahrungen?

Gewalt gegen Kinder ist besonders schlimm, weil sie nicht nur jetzt Schmerz und Leid verursacht, sondern für die Kinder oft das weitere Leben prägt. Deshalb ist ein Schwerpunkt meiner Forschung auch, diese Gewalt zu reduzieren. Wo findet Gewalt gegen Kinder vor allem statt? Zuhause und in der Schule! Aber hier gibt es längst von Psychologen entwickelte Programme, die helfen, gewaltfrei zu erziehen.

Ich arbeite mit einer Sozialarbeiterin in Kenia zusammen bei einem Schulungsprogramm für Eltern. Mit diesem Programm kann man den Eltern gut erklären, was man eigentlich von Kindern in einem bestimmten Alter erwarten kann, weil das sehr oft überschätzt wird von den Eltern: ‚Also wenn ich nach Hause komme, ist alles sauber gemacht.‘ Das kann aber ein sechsjähriges Kind nicht. Das andere ist, dass die kindliche Entwicklung besprochen wird.

Zudem soll das Programm die Eltern-Kind-Bindung verstärken; eine Stärkung, die dazu führt, dass unerwünschtes Verhalten des Kindes nicht mit Gewalt korrigiert wird. Aber wie verstärkt man diese Bindung mit dem Kind? Wir schlagen gemeinsame Aktivitäten vor, an den Strand gehen, gemeinsam Musik hören – kleinere Sachen, die kein oder wenig Geld kosten.

Arbeiten Sie auch mit Lehrern?

Ja, es gibt ein anderes Programm für Lehrer, das auch von Psychologen entwickelt wurde.  Wir arbeiten mit diesem Programm in Haiti, Pakistan, Ghana, Uganda und Tansania, also sehr unterschiedlichen Ländern. Aber überall nennen die Lehrer vor allem zwei Gründe, warum sie die Kinder schlagen. Erstens: ‚Wie soll ich sonst Disziplin aufrechterhalten?‘ Und das ist natürlich auch schwierig in diesen sehr großen Klassenzimmern. Und zweitens: ‚Sonst lernen sie ja nichts.‘ Da ist wieder dieses Missverständnis darüber, wie Kinder eigentlich lernen und die Unkenntnis darüber, dass Kinder in einer gewaltfreien Umgebung viel aufnahmebereiter sind. 

Die meisten Länder bieten Fortbildungen an, und in diesem Rahmen machen wir eine einwöchige Lehrerfortbildung; nach einem halben Jahr schauen wir noch einmal, ob sich die Situation dann tatsächlich in den beteiligten Schulen verbessert hat – im Vergleich zu den Schulen, die nicht an diesem Trainingsprogramm teilgenommen haben.

Welche Rolle kann internationale Hilfe bei der Reduzierung dieser Gewalt leisten?

Es gibt eine Reihe von Programmen; die meisten Eltern-Programme sind sehr gut erforscht. Wir z.B. arbeiten mit dem Positive Parenting Programme. Das stammt aus Australien und ist in vielen Ländern schon zum Einsatz gekommen, allerdings überwiegend in Hocheinkommensländern. Der Einsatz in ärmeren Ländern ist noch nicht gut erforscht, aber wir bauen jetzt sukzessive Evidenz auf. Und die zeigt uns, dass die Programme sehr effektiv sind. Es gibt also gute Gründe dafür, auch Entwicklungszusammenarbeit stärker für solche Gewaltreduzierung einzusetzen. Wir sollten versuchen, Initiativen zu fördern, insbesondere natürlich lokale, die sich gegen Gewalt einsetzen.

In 132 Ländern ist es verboten, Kinder in Schulen zu schlagen. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht passiert. Aber immerhin ist da schon der Anspruch: Wir wollen weniger Gewalt, aber wir wissen noch nicht so richtig, wie wir es machen sollen.

Von außen kann man nur begrenzt etwas erreichen. Wir wollen auch kein Social Engineering machen oder westliche Wertvorstellungen übertragen. Aber wir hatten das Gefühl, bei den bestehenden Initiativen offene Türen einzurennen. So viele haben gefragt: Dürfen wir mitmachen? Und weil der Wunsch dort so stark ist, habe ich überhaupt keine Bedenken, mehr Entwicklungsgelder für die Gewaltreduzierung an Schulen und im häuslichen Umfeld einzufordern.

Ich war jetzt gerade in Kenia, um zu sehen, wie es mit dem Projekt läuft. Für mich war es sehr, sehr positiv und geradezu herzerwärmend zu sehen, dass alle Beteiligten es anders machen wollen als bisher –  die Eltern, Lehrer und die Schulen.

Das Gespräch führten:

Prträt: Ulrich Post, Leiter Team Grundsatzfragen.
Ulrich Post Mitglied im Redaktionsbeirat
Kristina Roepstorff Peace Research Institute, Oslo

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