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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 02/2023
  • Tom Cardamome

Über illegale Finanzströme – und die Geheimhaltung, die sie begünstigt

Wenn Gelder illegal aus armen Ländern fließen, untergräbt das potenziellen wirtschaftlichen Fortschritt. Weder politische Antikorruptions- noch Transparenzprogramme setzen der Plage wirksame Grenzen

Bankschließfächer sind nur ein Ort für verborgene Reichtümer aus verdächtigen Transaktionen. © Tim Evans via Unsplash

In den zurückliegenden 40 Jahren konnte die Welt eine bislang einmalige Leistung erleben: Mehr als eine Milliarde Menschen wurden aus der Armut befreit. Diese bemerkenswerte Errungenschaft ist am deutlichsten in China erkennbar, wo drei Viertel dieser Menschen leben, aber zahlreiche andere Staaten haben ebenfalls spürbare Fortschritte gemacht, darunter Tansania, Vietnam, Indien und Indonesien.

Dieser Fortschritt kam so rasch und umfassend zustande, dass die Vereinten Nationen 2015 die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ (Sustainable Development Goals, SDGs) verkündeten, ein ehrgeiziges und umfassendes Bündel von Zielen, um den Armen der Welt mehr zu ermöglichen als nur zu überleben. Versteckt zwischen den 17 Zielen und 169 Zielvorgaben, die sich im wesentlichen um Nahrung, Bildung, Gesundheitsversorgung und sauberes Wasser drehen, gab es einen Punkt, den man leicht hätte übersehen können: die Absicht, „den Umlauf von Schwarzgeld und unerlaubten Waffen deutlich zu reduzieren, die Beschlagnahme und Rückgabe gestohlener Güter zu verstärken und jede Form des organisierten Verbrechens zu bekämpfen“.

Diese breite Zielsetzung schnürte verschiedene Einzelvorschläge zusammen, die offensichtlich für sich allein nicht bedeutend genug erschienen. Dazu zählt auch der Blick auf illegale Finanzströme (illicit financial flows, kurz IFF) - bis dahin lediglich ein Fachbegriff von Entwicklungsökonomen, die sich mit Kapitalflucht befassten.

Heute hingegen bezieht sich der Begriff auf ein Phänomen von wesentlich größerer Bedeutung: auf Geld, das illegal verdient, eingesetzt oder transferiert wurde und dabei über internationale Grenzen verschoben worden war. Diese Definition ist heute fast überall anerkannt. Zuerst benutzt wurde sie 2016 von dem Washingtoner Think Tank Global Financial Integrity, der sich mit Maßnahmen gegen die zersetzende Wirkung illegaler Geldströme befasst. Zwar wurde die Bekämpfung solcher Finanzströme nicht als eigenes Nachhaltigkeitsziel benannt, aber es bedeutet eine Revolution für die Entwicklungsdebatte, solche Geldflüsse als Problem zu benennen. Erstmals betrachtete man den Abfluss illegaler Finanzen aus armen Ländern als Teil der Entwicklungsbilanz.

Schwerwiegende Folgen

Die durch IFFs verursachten Probleme wiegen schwer. So schätzt die Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD, dass allein aus Afrika jedes Jahr mehr als 88 Mrd. Dollar als illegale Finanzströme - das sind 3,7 Prozent des afrikanischen BIP - abfließen. Diese Summe ist fast ebenso hoch wie die gesamte offizielle Entwicklungshilfe und die ausländischen Direktinvestitionen für diesen Kontinent zusammen. Damit wird potenzieller wirtschaftlicher Fortschritt untergraben. Die indirekten Folgen dieses Verlusts an finanziellen Mitteln sind kaum abzuschätzen.

Der Löwenanteil der IFFs hat drei Ursprünge: Korruption, kriminelle Machenschaften und Steuerhinterziehung durch Unternehmen. Die weltweiten Zahlen sind gewaltig: Nach UN-Angaben werden fünf Prozent der globalen Wirtschaftsleistung (2020 103 Billionen US-Dollar) durch Korruption im großen Stil erwirtschaftet - also fünf Billionen US-Dollar. Grenzüberschreitende organisierte Kriminalität erbringt jährlich geschätzte zwei Billionen US-Dollar, Steuerhinterziehung 500 Milliarden US-Dollar.

Diese Zahlen sind natürlich nicht exakt. Seit der Verabschiedung der SDGs im Jahr 2015 haben sich die UNCTAD und das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) bemüht, ihre statistischen Methoden zu verbessern, damit sie Entwicklungsexperten und der Politik genauere Zahlen zur Verfügung stellen können. Zwar wäre eine solidere Zahlenbasis hilfreich, aber natürlich sind die tatsächlichen Werte nicht präzise zu ermitteln, denn illegale Geschäfte und ihre Profite werden im Verborgenen abgewickelt. Das Ausmaß der Problematik ist jedenfalls ausreichend groß, dass auch die Politik sie nicht mehr übersehen kann und sich um Abhilfe bemühen muss.

Korruption nur einer der Treiber

Angemerkt sei, dass die Schätzungen über die Höhe der Steuerhinterziehungen die gesetzlich zulässige Steuervermeidung durch Unternehmen nicht einschließen.  Ob das geschehen sollte, ist unter denen umstritten, die in der Praxis mit dieser Problematik zu tun haben. Deshalb haben sie sich auch noch nicht auf eine offizielle Definition von IFFs einigen können, und deshalb benutzt die US-Regierung den Begriff offiziell nicht. In dieser Frage teilt der Autor die Sichtweise der Weltbank, die empfiehlt, „sich auf Geldströme und Aktivitäten zu konzentrieren, die eine klare Verbindung zur Illegalität aufweisen“.

Aus vielen Gründen werden IFFs derzeit als ein gewaltiges Problem gesehen, einige davon verstärken sich gegenseitig: So ist die Regierungsführung in vielen Ländern zu schwach, die gesetzlichen Regelungen und Kontrollmöglichkeiten unzureichend, um Korruption, kriminellem Handeln und Steuerflucht einen Riegel vorzuschieben. Meist werden solche Straftaten deshalb nicht geahndet. Gleichzeitig machen es umfangreiche Korruption, Eigennutz und Vetternwirtschaft schwierig, Reformen durchzusetzen, die für Transparenz und Rechenschaft sorgen und damit illegale Geschäfte unterbinden könnten.

Milliarden von Dollar, die in den vergangenen 25 Jahren in offizielle Antikorruptionsprogramme geflossen sind, haben kaum dazu beigetragen, diese globale Plage zu besiegen. Transparency International hat in seinem Korruptionswahrnehmungsindex 2022 (engl. Fassung) festgestellt, dass „die meisten Staaten dabei versagen, Korruption zu stoppen“. In seinem Bericht für das Jahr davor kam die Organisation zu der nüchternen Einschätzung, dass 131 Staaten im zurückliegenden Jahrzehnt keinen signifikanten Fortschritt bei der Korruptionsbekämpfung gemacht haben, dass zwei Drittel der Staaten weniger als 50 von 100 Punkten erreichten, und dass 27 Staaten den niedrigsten Rang seit Beginn der Erhebungen (1995) einnähmen. Wenn sich am Ausmaß von Korruption nichts ändern lässt, ist es kein Wunder, dass auch IFFs so schwer zu unterbinden sind.

Dabei ist Korruption weder der einzige noch der wichtigste Antriebsfaktor von IFFs. Dies lässt sich besonders gut an Großbritannien und den USA aufzeigen - Rang 18 bzw. 24 von 180 im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency. Im Financial Secrecy Index des Tax Justice Network hingegen stehen die USA auf Rang 1 und Großbritannien auf Rang 13 von 141 Staaten. Der wichtigste Grund für das große Ausmaß von IFFs ist die Vielfalt an undurchsichtigen Methoden, mit denen schmutziges Geld transferiert, verborgen und gewaschen werden kann. Finanzskandale der jüngeren Zeit, die das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) öffentlich gemacht hat, zeigen uns nur einige der Wege, auf denen Geld rund um den Globus zirkuliert, ohne für Steuer- und und Ermittlungsbehörden greifbar zu sein.

In den Panama Papers warf das ICIJ ein Schlaglicht auf die Rolle anonymer Briefkastenfirmen, die es Kriminellen, Steuerhinterziehern und korrupten Politikern ermöglichen, Geld problemlos durch verwinkelte Firmenkonstruktionen zu schleusen. Die Paradise Papers zeigten, wie große Konzerne Unterfirmen in Steueroasen benutzen, um Steuern in anderen Ländern zu vermeiden. Und in den Pandora Papers wurde enthüllt, wie geheime Trusts in den USA mindestens eine Milliarde Dollar für ausländische Klienten, darunter etliche Staats- und Regierungschefs, versteckt haben.

Aber die in diesen Berichten beschriebenen Methoden, um Schwarzgeld zu verbergen, kratzen nur an der Oberfläche der globalen Vertuschung. Illegale Gewinne können auch durch falsche Rechnungen und Zollpapiere verschoben werden, durch mangelnde Kontrolle von Freihandelszonen, durch handelsbasierte Geldwäsche, betrügerische Stiftungen, Familienstiftungen und nicht zuletzt hochpreisige Immobilien, private Investmentfonds und vieles andere mehr. Überraschend an diesem globalen Untergrundsystem ist vor allem, dass viele der Methoden zur Geldverschiebung legal sind und von Kriminellen ebenso wie von korrupten Amtsträgern ausgenutzt werden können.

Strafverfolgung lahmt

Die Legalität vieler Geldtransfers stellt eine Herausforderung für die Politik dar. Wie lassen sich illegale Finanzströme eindämmen, ohne gleichzeitig die globale Wirtschaft zu lähmen? Nun, zuerst muss man den Gesetzen Geltung verschaffen, die für Transparenz sorgen. Mit Transparenz geht eine Rechenschaftspflicht einher, und mit verstärkter Rechenschaftspflicht wird es häufiger möglich, die Gesetze durchzusetzen und die Kriminellen hinter Gitter zu bringen.

Zweitens muss die Strafverfolgung gestärkt werden. Der Schlüssel dabei ist der politische Wille, sich dem Problem zu stellen und einen gesetzlichen und regulatorischen Rahmen zu schaffen, der für mehr Transparenz sorgt. Aber ohne ausreichende Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden „hat der Schemel nur zwei Beine“, wie man sagt, und die Bemühungen, IFFs einzudämmen, werden wohl  ihre Zielvorgaben verfehlen. Was ist die bisherige Bilanz der Strafverfolger? Anscheinend nicht allzu gut. Anfang 2020 sagte der damalige Chef der Financial Action Task Force, die die globalen Standards im Kampf gegen Geldwäsche setzt, in einem Interview über die Fähigkeiten der Behörden, Finanzkriminalität zu bekämpfen: „Alle machen es schlecht.“

Diese unverblümte Schelte wurde nicht nur bei den Kampagnen für mehr Transparenz aufmerksam registriert. Im Dezember 2021 räumte US-Finanzministerin Janet Yellen ein: „Man kann mit gutem Grund behaupten, dass die USA tatsächlich derzeit der beste Ort sind, um Gewinne aus kriminellen Geschäften zu verstecken und zu waschen.“ Beobachter hoffen, dass diese beispiellose Bewertung der Bedeutung der USA für die Welt der geheimen Geldtransfers helfen wird, die Mängel der wichtigsten US-Behörde zur Bekämpfung von Finanzkriminalität abzustellen. FinCEN, so wird sie genannt, leidet an zu geringen Mitteln, schlechter Arbeitsmoral bei den Beschäftigten und veralteter technischer Ausstattung.

Zweifellos hat Joe Bidens Regierung gezeigt, dass sie die Mittel zur Bekämpfung von Finanzkriminalität stärken will. Anfang 2022 stritt sie für ein höheres Budget der FinCEN. Später in jenem Jahr kündigte das Weiße Haus seine volle Unterstützung für den ENABLERS-Gesetzentwurf an - trotz der Opposition des US-Berufsverbands für Anwälte (ABA). Das Gesetz hätte u.a. Anwälten und Immobilienmaklern abverlangt, verdächtigte Finanzaktivitäten zu melden, genau so, wie Banken es bereits tun müssen. Der Entwurf wurde im Repräsentantenhaus angenommen, scheiterte dann aber knapp im Senat.

Das war 2022. In diesem Jahr, in dem nun die Republikaner das Repräsentantenhaus kontrollieren, ist nicht sicher, wie es mit dem Gesetzentwurf und dem Kampf gegen Finanzkriminalität weitergeht. Schon eine Woche nach Beginn der Legislaturperiode kündigten die Republikaner an, im Vorjahr bewilligte 80 Mrd. Dollar für die Steuerbehörde IRS wieder zu streichen. Mit dem Geld sollte die Behörde in den nächsten zehn Jahren personell gestärkt und der Kampf gegen Steuervermeidung intensiviert werden. Schon kursieren Gerüchte in der US-Hauptstadt, dass die Republikaner auch die Mittel für FinCEN kürzen wollen. Ein solcher Schritt hätte womöglich desaströse Folgen für die nationale Sicherheit der USA und würde mit Sicherheit die staatlichen Fähigkeiten untergraben, Profite aus dem Menschenschmuggel und von Drogenkartellen aufzuspüren und zu beschlagnahmen.

Künstliche Intelligenz zur Bekämpfung einsetzen

Neue Technologien werden wahrscheinlich der Dreh- und Angelpunkt sein, um gegen illegale Finanzströme vorzugehen. Angesichts des Ausmaßes der Finanzkriminalität müssen künstliche Intelligenz, neuartige Technologien wie das Machine Learning Edge Computing und andere mehr bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität eingeführt werden, um Schritt zu halten. Eine Bewertung der Fähigkeiten von FinCEN durch eine Gruppe von Geldwäscheexperten im Jahr 2021 verdeutlichte den Bedarf an neuen Technologien in der Behörde. Die sogenannte AML Experts Group empfahl dem FinCEN, ein „Manhattan-Projekt“ einzurichten, „um modernste Technologien zu identifizieren, zu entwickeln und zu operationalisieren, um den Technologiebedarf der Verbrechensbekämpfer des 21. Jahrhunderts zu decken“.

Erfreulicherweise wurden in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte bei der Schaffung von mehr Transparenz bei Unternehmensmodellen wie z.B. anonymen Briefkastenfirmen erzielt. Sogenannte Transparenzregister, also Verzeichnisse der wirtschaftlichen Nutznießer (beneficial ownership, BO), haben eine breite Akzeptanz gefunden. Sie verlangen von den Individuen, die ein Unternehmen besitzen, dass sie grundlegende, sie identifizierende Informationen an staatliche Behörden weitergeben. Über 100 Regierungen haben sich verpflichtet, BO-Register einzuführen, um es Strafverfolgungs- und Steuerbehörden zu erleichtern, Transfers von Schwarzgeld über zugehörige Bankkonten nachzuverfolgen. Ohne diese Transparenz ist es für einen Übeltäter ziemlich einfach, die Transfers illegaler Gelder mit der Hilfe eines Anwalts oder Firmengründungsspezialisten zu verbergen und sich so vor Strafverfolgung zu schützen.

Fortschritte in diesem Bereich verlaufen jedoch nicht immer geradlinig. Während mehr als die Hälfte der Regierungen der Welt die Idee der Einrichtung eines Registers befürwortet haben, ist noch unklar, wie viele tatsächlich eines einführen werden. Darüber hinaus gibt es offene Fragen zur Qualität der an die Register übermittelten Informationen und zur Motivation der Strafverfolgungsbehörden zur Verwendung der Daten. Und zuletzt hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Ende 2022 ein Gesetz verworfen, das die öffentliche Zugänglichkeit von Informationen in den von den Mitgliedstaaten eingerichteten Registern der wirtschaftlichen Eigentümer vorschreibt. Der öffentliche Zugang – durch Forscher, Journalisten und andere Regierungen – ist allerdings eine wesentliche Komponente, um Geschäftsinhaber ehrlich und das Finanzsystem frei von illegalen Geldern zu halten.

Was jetzt erforderlich ist, um rechtlichen Rückschlägen, vorgeschlagenen Haushaltskürzungen und „Skandalmüdigkeit“ aufgrund immer neuer Ermittlungsberichte über Finanzkriminalität entgegenzuwirken, ist frische Energie bei den Zuständigen. Wenn die deutsche Bundesregierung erklärt, sie habe „keine Angst davor, mutige und entschlossene Maßnahmen zu ergreifen“, um Finanzkriminalität zu bekämpfen, könnte Bundeskanzler Olaf Scholz das europäische Gegenstück zu Präsident Biden und dessen energischer Anti-Korruptionsbemühungen werden. Dazu muss Scholz diese Agenda nicht nur annehmen, sondern bis an ihre Grenzen gehen.

In der Tat muss noch viel mehr Transparenz geschaffen werden, um illegalen Finanzströmen entgegenzuwirken: Nötig ist die Schaffung eines globalen Registers der wirtschaftlichen Eigentümer für die Handelsschifffahrt, die Förderung der Umsetzung bestmöglicher Verfahren für die 5.000 Freihandelszonen der Welt und die Förderung des Einsatzes der Blockchain-Technologie in jedem Hafen. Diese Transparenzschritte werden unschätzbare Bestandteile der erfolgreichen Bekämpfung der Finanzkriminalität sein - und sie brauchen einen Vorkämpfer.

Tom Cardamome Global Financial Integrity, Washington DC

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