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  • Klima & Ressourcen
  • 12/2022
  • Astrid Prange de Oliveira

Brasilien: Lulas Wählerinnen wollen mehr

Den Ausgang der Präsidentschaftswahlen haben Frauen entschieden. Nach dem Sieg von Luiz Inácio Lula da Silva fordern sie Macht, Mitbestimmung und Mitgestaltung. Ein Blick auf Lulas Influencerinnen.

Brasilien: Im Wahlkampf umgab Kandidat Lula sich häufig mit starken Frauen. © Lula Oficial via Flickr / Ricardo Stuckert

“Die Frauen haben Lula nicht trotz, sondern wegen der Frauen gewählt, die ihn unterstützt haben”, stellt die brasilianische Kolumnistin Vera Iaconelli in der Tageszeitung Folha de S.Paulo klar. Mit 52 Prozent stellen Frauen nicht nur die Mehrheit der brasilianischen Wählerschaft (siehe Kasten).Über die Hälfte von ihnen hat auch für Lula gestimmt. Denn die frauenfeindlichen und Gewalt verherrlichenden Sprüche von Amtsinhaber Jair Bolsonaro kamen bei den meisten Brasilianerinnen nicht gut an.

Einer seiner schlimmsten verbalen Angriffe richtete sich gegen Maria do Rosário, die ehemalige Ministerin für Menschenrechte und Abgeordnete der Arbeiterpartei PT. Sie legte im Juni 2019 im Plenum einen Bericht der Wahrheitskommission über Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur (1964-1985) vor, worauf Bolsonaro sie anschrie: „Bleib hier. Du hast mich vor einigen Tagen als Vergewaltiger bezeichnet, aber ich würde Dich nicht vergewaltigen, denn Du verdienst es nicht."

Was die Frauen Bolsonaro auch übel nahmen: Als ehemaliger Militär sprach er sich wiederholt gegen eine Aufarbeitung der Militärdiktatur aus. 2008 hatte er erklärt: „Der größte Fehler war, dass (Oppositionelle) gefoltert und nicht umgebracht“ wurden. So wurden die demonstrative Missachtung von Menschenrechten, Rassismus und Homophobie zu Markenzeichen des Präsidenten – ebenso wie offener Sexismus. Zugleich nimmt in Brasilien die Gewalt gegen Frauen seit 2015 zu. Die NGO „Forum für öffentliche Sicherheit“ (FBSP) erfasste einen starken Anstieg von Femiziden.

Gegen die Straflosigkeit

Genau an diesem Punkt will Lula ansetzen. Im Wahlkampf versprach der Kandidat mehr Geld für Programme zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen. Er sagte zu, den Kampf gegen Straflosigkeit zu verstärken und Ermittlungen zu beschleunigen. Als Hauptaufgabe sieht der Wahlsieger indes den Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit. Auf Wahlveranstaltungen hob er hervor, dass die Mehrheit der verschuldeten Familien von Frauen geführt würden – und diese Schulden neu verhandelt werden müssten.

Die Frauen, die für Lula Wahlkampf gemacht und diese Botschaften platziert haben, wollen nun ihren Einfluss geltend machen.

An erster Stelle steht Lulas Ehefrau Rosângela Lula da Silva, genannt Janja. Die 56-jährige Soziologin bezeichnet sich als Feministin und avancierte innerhalb weniger Wochen zum neuen politischen Superstar des Landes. Die politische Aktivistin ist seit 1983 Mitglied der Arbeiterpartei PT und kennt den 21 Jahre älteren Lula seit über 30 Jahren. Ihre Beziehung begann im April 2018, ein Jahr nach dem Tod von Lulas zweiter Ehefrau Marisa Leticia. Im Wahlkampf schmiedete Janja Allianzen hinter den Kulissen. Auch die Organisation der Feier zu Lulas Amtseinführung am 1. Januar 2023 liegt in den Händen der neuen First Lady.

Als Feministin versteht sich auch Simone Tebet, ehemalige Präsidentschaftskandidatin des liberalen Wahlbündnisses “Coligação Brasil para Todos” (Koalition Brasilien für Alle): “Für mich bedeutet Feministin zu sein, Frauenrechte zu verteidigen, und zwar unabhängig von politischen Lagern”, erklärte sie jüngst in dem brasilianischen Podcast Sufrágio.

Die Juristin und Senatorin hat Lulas Kandidatur im zweiten Wahlgang unterstützt. In dem nach der Wahl zusammengestellten Übergangskabinett koordiniert sie den Bereich soziale Entwicklung und Kampf gegen den Hunger. Im künftigen Kabinett Lulas wird Tebet als mögliche Ministerin für Landwirtschaft oder Bildung gehandelt.

Parteipräsidentin bestimmt Kurs

Ebenfalls entscheidend zum Wahlsieg Lulas beigetragen hat Gleisi Hoffmann, Präsidentin der Arbeiterpartei PT. Die Politikerin aus dem Süden Brasiliens schmiedete eine Koalition aus zehn Parteien für Lulas Kandidatur. Als Senatorin setzte sie sich für eine Hausfrauenrente, vereinfachte Gerichtsverfahren bei Gewaltverbrechen gegen Frauen, für Frauenhäuser und die Einführung einer Frauenquote von 50 Prozent im Parlament ein. 

Im Parteivorsitz wird die Juristin und Finanzexpertin die PT-Minister im Kabinett koordinieren und damit maßgeblichen Einfluss auf die politische Ausrichtung der Regierung nehmen. Schon jetzt leitet sie die Verhandlungen mit mehr als 300 Personen in dem einberufenen Übergangskabinett.

Eine Schlüsselfigur für Lulas Erfolg ist auch Brasiliens Sängerin Nummer eins Daniela Mercury. Die Künstlerin, die mehr als elf Millionen Alben weltweit verkaufte, wird als mögliche Kulturministerin gehandelt. Dabei ist Mercury mehr als Musik: Als bekennende Lesbierin kämpft sie für LGBTQ-Rechte. Seit 2013 ist sie mit der Journalistin Malu Verçosa verheiratet und hat Lulas Kampagne mit Konzerten und Veranstaltungen intensiv unterstützt.

Kehrt Kautschukzapferin Marina Silva zurück? 

Lulas Gallionsfigur für Umwelt- und Klimaschutz ist die ehemalige brasilianische Umweltministerin Marina Silva. Sie ist als Politikerin mehrfach ausgezeichnet und international bekannt. Die Tochter von Kautschukzapfern wuchs im Amazonas auf und verließ erstmals mit 16 Jahren die Siedlung im Regenwald, um zur Schule zu gehen.

Der ungewöhnliche politische Werdegang Silvas begann in den 1980er Jahren als Mitstreiterin von Umweltschützer Chico Mendes, der von Großgrundbesitzern ermordet wurde. Bis 2009 war sie Mitglied der Arbeiterpartei PT.

Mit 36 Jahren zog sie 1994 als jüngste Abgeordnete der Geschichte Brasiliens in den Senat ein. 2003 holte Lula sie als Umweltministerin ins Kabinett. Fünf Jahre später trat sie nach einem Streit mit ihm über Umweltauflagen beim Bau von Wasserkraftwerken zurück.

Silva verließ auch die PT und gründete nach einigen Jahren bei den brasilianischen Grünen ihre eigene Partei, das “Netzwerk für nachhaltige Entwicklung” (Rede Sustentabilidade). Nun will sie die unter Präsident Bolsonaro vorangetriebene Zerstörung des Amazonas stoppen. Die heute 64Jährige gilt als eine der aussichtsreichsten Anwärterinnen für das Umweltministerium.

Ministerium für Indigene

Dem Thema Klima- und Waldschutz kommt unter Lula eine “herausragende Bedeutung” zu, sagt Silva. Dies zeige sich auch in dem Wahlversprechen, zusätzlich ein neues “Ministerium der eingeborenen Völker” (Ministèrio dos Povos Originários) zu gründen. Als indigener Ministerin Brasiliens werden Silvas Parteikollegin Joenia Wapichana Erfolgsaussichten eingeräumt. Wapichana war 2018 die erste indigene Abgeordnete im Parlament.

“Wir haben lange darauf gewartet, dass der brasilianische Staat die wichtige Rolle indigener Völker anerkennt. Wir verfügen über die Fähigkeit, unsere Anliegen selbst voranzutreiben”, betonte Wapichana in einem Interview mit der Deutschen Welle auf der Klimakonferenz COP27 in Ägypten. “Nach vier Jahren Kahlschlag unter Bolsonaro würde ein Ministerium die Beziehungen zwischen dem brasilianischen Staat und indigenen Völkern wieder stärken.”

“Wir wollen die Hälfte aller Ministerien”

Wie viele und welche Frauen es in das Kabinett von Lula schaffen werden, ist offen. Schon jetzt ist das Ringen und Rangeln um wichtige Posten in vollem Gange. Nach Berichten der Tageszeitung Folha de S. Paulo wird es wahrscheinlich ganze 30 Ministerien geben, um die Ansprüche von den politischen Verbündeten Lulas auf Spitzenposten irgendwie zufrieden zu stellen.

Einige Namen stehen bereits fest. Am 9. Dezember verkündete Lula, dass der ehemalige Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates Maranhao, Flávio Diniz, das Justizministerium übernehmen würde. Das Finanzministerium leitet künftig Fernando Haddad, ehemaliger Bürgermeister der Metropole Sao Paulo. Das Außenministerium und das Präsidialamt wurden ebenfalls mit Männern besetzt.

In dieser bereits schwierigen politischen Gemengelage fordern auch Lulas Influencerinnen ihren Anteil ein. “Wir wollen die Hälfte aller Ministerien”, fordern die Sprecherinnen der Frauenbewegungen “Vamos juntas” (Lass uns zusammengehen) und “Vote nelas” (Wähle Frauen). “Chile und Spanien zeigen, dass eine paritätische Besetzung möglich ist.”

Ob diese Forderungen erfüllt werden, bleibt abzuwarten. Der Völkerrechtler Thiago Amparo meldet in seiner Kolumne Zweifel an: “Wo sind die Frauen, Lula? Es ist 2023!”, fragt er  in seiner Kolumne. “In einem Land, in dem der Männeranteil im Parlament 82 Prozent beträgt, ist gleichberechtigte Teilhabe an der Macht keine Nebensache. Sie sichert das Überleben einer fortschrittlichen Politik und erkennt an, wer Bolsonaro die rote Karte gezeigt hat.”

Lula hat sich noch nicht eindeutig festgelegt. Nur ein Versprechen will er auf jeden Fall einlösen: Das unter Bolsonaro abgeschaffte Frauenministerium soll wiederbelebt werden.

Die rote Karte

Am 30. Oktober 2022 setzte sich Ex-Präsident Luiz inacio Lula da Silva im zweiten Wahlgang gegen Amtsinhaber Jair Bolsonaro durch. Nach Angaben des Obersten Wahlgerichts Tribunal Superior Eleitoral (TSE) stimmten 50,90 Prozent der Wahlberechtigten für Lula, und 49,10 Prozent für Amtsinhaber Bolsonaro.

Von den insgesamt 156.454.011 Wahlberechtigten waren 82.373.164 weiblich, was einem Frauenanteil von 62,65 Prozent an der Wählerschaft entspricht. Die männliche Wählerschaft umfasste 74.044.065 Personen, ein Anteil von 47,33 Prozent.

Die abgegebenen Stimmen pro Kandidat werden nicht nach Geschlecht aufgeschlüsselt. Nach einer Vorwahlumfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha vom 25. und 27.Oktober wollten jedoch 52 Prozent der befragten Wählerinnen für Lula und 41 Prozent für Bolsonaro stimmen. Bei den befragten Männern sprachen sich dagegen 46 Prozent für Lula und 48 Prozent für Bolsonaro aus.

Astrid Prange de Oliveria
Astrid Prange de Oliveira Deutsche Welle

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