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  • Klima & Ressourcen
  • 08/2020
  • Erwin Northoff

Die FAO schafft einen neuen Digitalrat

Er soll koordinieren und beraten. Verbindliche Richtlinien gegen eine digitale Kluft sind nicht zu erwarten.

Wetterdaten auf dem Mobiltelefon: Die Maisbäuerin Grace Mukamana in Ruanda erhält bei zumehmend unberechenbaren Niederschlägen Informationen, mit denen sie besser entscheiden kann, welches Saatgut wie zu welchem Zeitpunkt verwendet. © IFAD / Simona Siad

Die Digitalisierung der Landwirtschaft ist auch in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern auf dem Vormarsch und wird zu tiefgreifenden Umwälzungen führen. Über Handys, Drohnen, elektronische Handelsplattformen, Satelliten und Roboter haben Millionen von Bauern heute einen nie dagewesenen Zugang zu Daten und Informationen. Diese helfen ihnen, Ressourcen gezielter und sparsamer einzusetzen, Wetter-, Markt- und Finanzinformationen ungefiltert zu nutzen, Geld zu überweisen, sowie über elektronische Plattformen direkt in Kontakt mit Verbrauchern zu treten – auch weltweit. Die Corona-Krise wird diesen Trend weiter beschleunigen. 

Einen Automatismus, der sicherstellt, dass von den neuen digitalen Techniken auch Millionen von Kleinbauern in armen Ländern profitieren werden, gibt es allerdings nicht. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sich ohne internationale Koordination, Rahmenrichtlinien und private sowie staatliche Unterstützung, der Graben zwischen den hyper-technologisierten und -vernetzten Ländern und den digital benachteiligten Regionen vergrößern wird. Bestehende Ungleichheiten drohen sich weiter zu verschärfen. 

Die große Herausforderung besteht darin, digitale Systeme und Anwendungen so zu gestalten und zu nutzen, dass sie zu inklusiven, umweltfreundlicheren, effizienteren und widerstandsfähigeren Ernährungssystemen beitragen.

Vor diesem Hintergrund ist es ein wichtiger Fortschritt, dass der Rat der FAO-Mitgliedsstaaten Anfang Juli entschieden hat, eine internationale Plattform für Digitalisierung in Ernährung und Landwirtschaft (International Platform for Digital Food and Agriculture) zu schaffen. Der Rat folgt damit einer Initiative des Globalen Forums für Ernährung und Landwirtschaft (GFFA) anlässlich der Grünen Woche in Berlin 2019 und 2020 sowie einem Vorschlag der FAO.

Erstes multilaterales Agrarforum für Digitalisierung

Damit ruft die Welternährungsorganisation das wohl erste globale Länderforum ins Leben, das sich mit dem wichtigen Thema Landwirtschaft und Digitalisierung befassen wird. Tatsächlich kann die neue Plattform eine eklatante Lücke schließen. Denn auf internationaler Ebene werden die komplexen Bedürfnisse und Probleme der Landwirtschaft in Bezug auf digitale Techniken und Anwendungen in  ländlichen Gebieten armer Länder noch viel zu wenig wahrgenommen.

Zwar beschäftigen sich verschiedene Akteure wie die OECD, die Internationale Union für Telekommunikation, die UNESCO, Weltbank und andere mit den vielfältigen Aspekten und Folgen der Digitalisierung. Aber es fehlt bislang an einem Gremium, das die spezifischen Interessen und Probleme der Branche, vor allem die von Millionen Kleinbauern, umfassend thematisiert und sich mit den Auswirkungen der neuen Technologien befasst. Wenn die neue Plattform mit einem klaren Mandat ausgestattet wird, könnte sie hier eine wichtige Rolle spielen.

Bislang hat der FAO-Rat den Aufgabenbereich dieses neuen Gremiums erst in groben Zügen festgelegt. Es soll die Koordination zwischen internationalen Foren zu Landwirtschaft und digitaler Ökonomie stärken, die internationale Gemeinschaft über die Auswirkungen der Digitalisierung auf Landwirtschaft und Ernährung informieren, Regierungen mit Politikberatung unterstützen, über Erfolgsmodelle informieren und freiwillige Richtlinien entwickeln, die den Nutzen der neuen Techniken für die Landwirtschaft betonen, aber auch die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Dimensionen thematisieren.

Beratungen bei der FAO: Delegierte beim "Digital Agriculture Transformation Seminar" im Juni 2019 in Rom. © FAO / Pier Paolo Cito

Der FAO-Rat betont, dass es sich bei der Plattform um einen “flexiblen, leichten, inklusiven und freiwilligen Koordinierungsmechanismus” handelt, und um kein neues, autonomes FAO-Gremium.

Über Themenbereiche und Prioritäten der Plattform wird eine Gruppe von Regierungsvertretern entscheiden, unterstützt von Experten, die von Regierungen ernannt werden. Diese Gruppe soll auch Politikempfehlungen und Richtlinien zur Digitalisierung in der Landwirtschaft erarbeiten und verabschieden. Technische Experten internationaler Organisationen und wissenschaftlicher Einrichtungen werden das Entscheidungsgremium unterstützen. Dies schließt die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank, den Internationalen Fonds für Agrarentwicklung, die OECD, die Welthandelsorganisation, die Internationale Union für Telekommunikation, die Weltorganisation für Tiergesundheit, das Welternährungsprogramm und das Technische Zentrum für landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung ein.

Eine große Zahl von nationalen, regionalen und internationalen Interessengruppen wird sich in einem Online-Forum an den Diskussionen beteiligen und Vorschläge machen können. Für die Verwaltung der Plattform wird ein kleines Büro innerhalb der FAO zuständig sein. 

Einen eigenen Haushalt für die neue Plattform gibt es allerdings bislang nicht. Die FAO war offenbar nicht bereit, das neue Gremium finanziell zu unterstützen. Stattdessen sollen freiwillige Beiträge von den Mitgliedsländern eingeworben werden, und das könnte angesichts knapper Kassen dauern. Hier hätte die Organisation mit gutem Beispiel und einer Anschubfinanzierung vorangehen können, um zu zeigen, dass die Digitalisierung für sie ein wichtiges neues Themengebiet ist, und dass sie bereit ist, Lösungen zur Überwindung der globalen digitalen Kluft in den ländlichen Räumen mitzuentwickeln.

Viele Menschen stehen an für eine Registrierung, Somalia.
Schlange stehen für die Registrierung: Rund 240 000 Haushalte in Somalia bekommen zur Ernte über SMS auf ihr Handy E-Gutscheine für die Mobile Money Platform, damit sie bei lokalen Händlern Saatgut, Werkzeug, Säcke oder andere Dienstleistungen kaufen können. © FAO

Die Ungleichheiten im Zugang zu digitalen Anwendungen sind überwältigend: zwischen den Industriestaaten der OECD, den Schwellenländern und den armen Staaten einerseits; und dort wiederum zwischen Stadt und Land, zwischen großen Agrarbetrieben und kleinen Erzeugern, sowie zwischen Männern und Frauen.

Wohl ist die Zahl genereller Nutzer digitaler Dienste in den vergangenen Jahren weltweit rasant gestiegen, auf rund fünf Milliarden Mobilfunkteilnehmer (66 Prozent der Weltbevölkerung) und 3,3 Milliarden Internetnutzer (43 Prozent der Weltbevölkerung). Doch die große Mehrheit der Menschen in den ländlichen Gebieten vieler armer Länder, rund 1,2 Milliarden Menschen, sind von jeglichen digitalen Netzen ausgeschlossen oder können sich diese Dienste wegen hoher Kosten nicht leisten. Insgesamt ist die Landwirtschaft der in der Weltwirtschaft am wenigsten digitalisierte Sektor.

In der industriellen Landwirtschaft sind Roboter schon im Einsatz: Hier ein Unkrautvernichter, der von einem amerikanischen Start-up entwickelt wurde. © Farmwise pr

Dennoch bleiben viele Fragen ungeklärt. Die Digitalisierung macht die Bauern nicht nur zu Nutznießern von Innovation, sondern auch zu wertvollen Datenlieferanten. Wem aber gehören die von Satelliten, Datenbanken oder Plattformen erzeugten Informationen? Wer kontrolliert, ob und wie die von Digitalunternehmen und Plattformen generierten Datenmengen an Dritte weitergegeben werden? Gibt es für die Bauern ein Copyright, wenn mit ihren gelieferten Daten neue Produkte entstehen? Wer gewährleistet Datenschutz auch im ländlichen Raum? 

Die Bauern sind in vielen Staaten diesen neuen Entwicklungen schutzlos ausgeliefert, wie das Beispiel Afrikas zeigt: In nur 23 afrikanischen Staaten gab es 2018 Datenschutzgesetze, nur 11 Staaten haben bisher die Konvention der Afrikanischen Union zur “Cybersecurity” unterzeichnet.

Zugangsbarrieren für Millionen Menschen senken

Soll die Digitalisierung auch in den armen Ländern erfolgreich sein und zu effizienteren und ressourcenschonenderen Ernährungssystemen beitragen, müssen die  Zugangsbarrieren für Millionen von Menschen zu den Informations- und Kommunikationstechnologien vor allem im ländlichen Raum gesenkt werden. Es fehlt nicht nur an digitaler Infrastruktur und Stromversorgung. Selbst dort, wo es digitale Dienste gibt, verhindern hohe Preise, mangelndes digitales Wissen und für die Bedürfnisse der Bauern ungeeignete Informationen eine breite Nutzung.

Schäden in der Reisernte: Auf den Philippinen arbeiten Experten der Regierung und der FAO in der Provinz Pampanga an der Datensammlung über Drohnen. © FAO / Veejay Villafranca

Ein stärkeres Engagement von Agrar-, Finanz-, Bildungs-, Kommunikations- und Verkehrsministerien in den weniger entwickelten Ländern ist deshalb unerlässlich, wenn an die Interessen und Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung angeknüpft werden soll. Private und öffentliche Investoren müssen enger kooperieren, um digitale Netze und Dienstleistungen auch in benachteiligten Regionen anzubieten. Alphabetisierungs- und Digitalisierungsoffensiven sind nötig, besonders für Frauen und Jugendliche, und müssen lokalen Bedürfnissen entsprechen. 

Die neue Digitalplattform der FAO könnte zu einem wichtigen Instrument werden, um das Potenzial digitaler Anwendungen in der Landwirtschaft, besonders in den ärmeren Staaten, deutlich stärker in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion zu rücken. Sie kann Regierungen beraten und dabei Millionen Bauern eine Stimme verleihen. Allerdings benötigt die neue Koordinierungsstelle rasch eine umfangreiche technische und finanzielle Ausstattung sowie damit einhergehend eine klare politische Rückendeckung und ein aktives Engagement seitens der Mitgliedsländer und der FAO, wenn die Rahmenbedingungen der Digitalisierung für die Landwirtschaft gemeinsam gestaltet werden sollen.

Erwin Northoff ist ehemaliger Leiter der Presseabteilung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und Mitglied im Redaktionsbeirat von "Welternährung.de".
Erwin Northoff Mitglied im Redaktionsbeirat

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