Indien will in der Bioökonomie zur Spitze gehören
Die Regierung fördert das Wachstum von biobasierten verarbeitenden Industrien in Sektoren von Chemie über Gesundheit bis Ernährung. Das birgt Chancen und Risiken.
Die Bioökonomie gewinnt weltweit erheblich an Dynamik. Das Welt-Bioökonomie Forum schätzt das Volumen des Sektors auf etwa 4 Billionen Dollar, er könnte bis 2050 auf schätzungsweise 30 Billionen Dollar wachsen. Zunehmend investieren Staaten in biobasierte Innovationen, um in den Bereichen Energie, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Klimaschutz und Klimaanpassung neue Lösungen zu finden. Indien ist einer der Spitzenreiter beim weltweiten Wachstum der Bioökonomie. Es wird erwartet, daß der heimische Wirtschaftszweig bis 2030 einen Wert von 300 Mrd. Dollar erreichen wird.
Warum Bioökonomie?
Die Bioökonomie ergänzt die Revolution der sauberen Technologien. Sie berücksichtigt die Grundprinzipien der Kreislaufwirtschaft, d.h. Wiederverwendung, Reparatur, Aufarbeitung und Recycling, um die Ressourcennutzung zu optimieren und die Abfallmengen zu verringern.
Das Recycling und die Wiederverwendung biologischer Ressourcen senken den Bedarf an neuen Materialien und verringern damit den Druck auf die Ökosysteme und die Zerstörung von Lebensräumen. Durch die Reparatur und Wiederverwendung werden die mit den Produktions- und Entsorgungsprozessen verbundenen Emissionen reduziert. Die zirkuläre Bioökonomie leistet also einen wichtigen Beitrag, um Abfälle zu verringern und effizienter zu nutzen, Luft- und Wasserverschmutzung zu reduzieren und die biologische Vielfalt zu erhalten. Sie ist ein Eckpfeiler auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen, klimaresistenten und naturverträglichen Zukunft.
Bioökonomie in Indien: Potenzial und Initiativen
Indiens Bioökonomie ist von 10 Mrd. Dollar im Jahr 2014 auf 151 Mrd. Dollar im Jahr 2023 gewachsen, das sind mehr als 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Indien hat im August 2024 die erste Biotechnologiepolitik eingeführt, die Biotechnology for Economy, Environment and Employment (BioE3) Policy. Sie zielt darauf ab, eine leistungsstarke industrielle Bioproduktion in Bereichen wie biobasierte Chemikalien, intelligente Proteine, Präzisions-Biotherapeutika und klimaresistente Landwirtschaft zu fördern.
Konkret strebt die BioE3-Politik in Indien ein grünes Wachstum an, indem sie Zentren für die Bioproduktion und für biokünstliche Intelligenz (Bio-KI) aufbaut, die regionale Entwicklung fördert, lokale Ressourcen nutzt, Spitzentechnologien integriert sowie Arbeitsplätze schafft. Sie legt zudem den Schwerpunkt auf regulatorische Reformen und internationale Zusammenarbeit, um die Wettbewerbsfähigkeit Indiens im globalen Bioökonomie-Sektor zu stärken.
Dies sind die Sektoren:
BioIndustrial: Mit 72,6 Mrd. Dollar macht sie etwa 50 Prozent der gesamten indischen Bioökonomie aus. Dazu gehören Biokraft- und -kunststoffe, biobasierte Chemikalien und industrielle Enzyme. Dieses Segment ist ein Eckpfeiler der indischen Bioökonomie.
BioAgri: Wert: 12,4 Mrd. Dollar (etwa 8 Prozent des Gesamtvolumens). Der Schwerpunkt liegt auf landwirtschaftlicher Biotechnologie wie Bt-Baumwolle, sowie auf Biodüngern, Biopestiziden und Präzisionslandwirtschaft, zur Steigerung der Produktivität und Resilienz.
BioPharma: Wert: 53,8 Mrd. Dollar (35,6 Prozent des Gesamtvolumens). Der Schwerpunkt liegt auf erschwinglichen Lösungen in den Bereichen Pharmazeutika, Biologika, Diagnostika und medizinische Geräte.
BioIT/Forschungsdienstleistungen: Mit 12,1 Mrd. Dollar bewertet (6,11 Prozent des Gesamtvolumens). Hervorzuheben ist das Fachwissen in den Bereichen Auftragsforschung, klinische Versuche, Bioinformatik, Biotech-Software und Bio-Bildung.
Biokraftstoffe sind der Schlüssel
Indiens Bioökonomie-Strategie setzt außerdem auf eine stärkere Nutzung von Biokraftstoffen. Beim G20-Gipfel 2023 hat Indien deshalb zusammen mit den USA, Brasilien, Italien, Argentinien, Singapur, Bangladesch, Mauritius und den Vereinigten Arabischen Emiraten die Globale Allianz für Biokraftstoffe ins Leben gerufen. Gestützt auf eine solide politische Unterstützung und starke Nachfrage hat Bioethanol – eine erneuerbare Energiequelle, die aus Biomasse durch die Fermentation von Zuckerrohr, Zuckerrüben, pflanzlicher Stärke, Mais, Gerste, Weizen und Schwarzlauge gewonnen wird – in den letzten Jahren einen wachsenden Trend verzeichnet. Der Biokraftstoff wird vor allem für Fahrzeuge und die Stromerzeugung in landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt und fördert die ökologische wie auch die wirtschaftliche Nachhaltigkeit.
Für die Bauern hat die Bioethanolerzeugung einen zusätzlichen Markt für überschüssiges Getreide und Zucker geschaffen. Übersteigt deren Angebot die Nachfrage, bietet die Umwandlung in Bioethanol eine Alternative. Dies hilft, Verschwendung zu minimieren und sichert den Landwirten bessere Erträge. Sollte allerdings die Nachfrage nach Getreide und Zucker höher als das Angebot sein, würde akut die Ernährungssicherheit leiden. Dieses Problem ließe sich entschärfen, wenn lokale Wertschöpfungsketten stärker unterstützt und die Wiederverwendung und das Recycling von Lebensmittelressourcen gefördert würden.
Jede Diskussion über Indiens Nahrungsgetreide wäre unvollständig ohne einen Blick auf Reis oder Paddy (ungeschälter Reis). Reis macht über 23 Prozent der indischen Bruttoanbaufläche aus. Das Land erzeugt jährlich rund 490 Millionen Tonnen an Reis-Nebenprodukten, davon 38 Prozent Reisstroh, 20 Prozent Reishülsen und 8 Prozent Reiskleie. Für die Bioökonomie ist die Verarbeitung und Wertsteigerung dieser Produkte von großem Interesse.
BioAgri mit Fokus auf landwirtschaftliche Biotechnologie
Auch BioAgri gewinnt in Indien langsam an Bedeutung. Dieser Teilsektor umfasst gentechnisch veränderte (GV) Pflanzen; eines der bekanntesten Beispiele ist die Produktion von Bacillus thuringiensis (Bt)-Baumwolle. Sie ist derzeit die einzige gentechnisch veränderte Kulturpflanze, die in Indien für den kommerziellen Anbau zugelassen ist. In den Jahren 2023-24 hat Bt-Baumwolle trotz verspäteter Monsune und anderer klimatischer Widrigkeiten die Baumwollproduktion erheblich gesteigert. Die gentechnisch veränderte Pflanze ist widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Klimaeinflüsse, trägt zu höheren Erträgen bei und verringert die Abhängigkeit von chemischen Düngern und Pestiziden. So konnte die Baumwollproduktion von 6,8 Millionen Tonnen im Jahr 2022 auf 7,6 Millionen Tonnen im Jahr 2023 gesteigert werden.
Besonders für Kleinbauern kann das eine höhere Produktivität und Rentabilität bedeuten. Außerdem sinkt die Umweltbelastung, und die Bauern werden weniger schädlichen Chemikalien ausgesetzt. Folglich hat der BioAgri-Sektor nicht nur das Einkommen der Landwirte gestärkt, sondern auch Möglichkeiten für größere Investitionen und Gewinne im Bereich der Biotechnologie eröffnet.
Zugleich zählt auch die allgemeine öffentliche Wahrnehmung. Ein Mangel an Kenntnis schürt die Skepsis der Menschen, so ist die gesellschaftliche Akzeptanz so gering wie die Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen – insbesondere wegen der damit verbundenen Risiken und unsicheren Umweltauswirkungen. Um diese Risiken zu vermeiden, ist eine intensivere Forschung über die Fortschritte der Biotechnologie erforderlich. Auch könnten gezielte Aufklärungskampagnen zur Erläuterung der Vor- und Nachteile solcher Pflanzen hilfreich sein. Robuste Sicherheitsmaßnahmen und gestraffte Regulierungsverfahren könnten eine zügige Einführung erleichtern.
Herausforderungen, Risiken und mögliche Lösungen
Das Potenzial der indischen Bioökonomie scheint zwar vielversprechend, doch müssen einige inhärente Herausforderungen und Risiken bewältigt werden, um es voll ausschöpfen zu können. So gehören zu den grundlegenden Problemen des noch jungen indischen Bioökonomiesektors die Defizite an qualifizierten Arbeitskräften, eine unzureichende Finanzierung und mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz. Der Personalmangel behindert beispielsweise in Bereichen der Biotechnologie, Bioinformatik, synthetischer Biologie und Bioproduktion die Innovation. Deshalb sind Bildung, Fortbildung und Mentoring äußerst wichtig. Spezielle Programme an Hochschulen, Kooperationsinitiativen zwischen Industrie und Universitäten sowie Schulungen für Studenten, Forscher und Unternehmer könnten die Qualifizierung fördern.
Hohe Volatilität erschwert Investitionen
Um das Wachstum der Bioökonomie in Indien zu fördern, bedarf es eines Zuflusses regelmäßiger Investitionen. Der Sektor unterliegt jedoch starken Schwankungen und ist finanziellen Risiken ausgesetzt, z.B. unsicheren Renditen und unbestimmten Saatgutpreisen. Dies macht den Wirtschaftszweig für Investoren und Landwirte weniger attraktiv.
Während Forschung und Innovation gedeihen, bleibt die Umsetzung vom Labor in kommerziell nutzbare Produkte eine Herausforderung. Die Einrichtung von Bioproduktionszentren, Biofoundries (Technologieplattformen für synthetische Biologie), oder Bio-KI-Zentren erfordert Infrastruktur, Finanzmittel und Fachwissen. Viele Erwartungen richten sich auf öffentlich-private Partnerschaften, wenn es um die notwendige Unterstützung für Startkapital geht, um Risiken zu teilen und Ressourcen zu bündeln.
Innovation für höhere Selbstversorgung
Ein weiteres Anwendungsgebiet der Bioökonomie ist die Stärkung der lokalen Liefer- und Wertschöpfungsketten, um die Abhängigkeit Indiens von weltweiten Importen zu verringern. Dies umfasst beispielsweise das Verbrennen von Reisstoppeln. Wohl steht die Wertschöpfungskette beim Reis beim Übergang zur Bioökonomie vor einigen Hürden, weil beispielsweise die Zeitspanne zwischen der Ernte der Monsun- und der Winterkulturen sehr kurz ist. Das Einpflügen von Reisstroh in den Boden, wie es im Rahmen des indischen Happy-Seeder-Programms gefördert wird, unterstreicht derweil die Idee eines bioregenerativen Ansatzes, durch den Materialien zur Verbesserung der Bodenqualität beitragen können.
Neue Zwischentechnologien wie für Strohballenpressung sowie der systematische Austausch von Wissen und Forschungsergebnissen über gemischte Anbaumethoden könnten ebenfalls dazu beitragen, Veränderungen zu bewirken. Gleichzeitig benötigt die einheimische Produktion wichtiger Inputs und Materialien (z. B. Enzyme und Spezialgeräte) der Förderung, um Eigenständigkeit zu stärken. Die staatliche Unterstützung durch steuerliche Anreize, Zuschüsse und Subventionen könnte weitere Innovationsschübe auslösen.
Unbeabsichtigte Umweltgefahren vermeiden
Bei der Förderung der Bioökonomie gilt es vorrangig, die vollständige Nachhaltigkeit, d.h. die Erhaltung von Land, Wasser und biologischer Vielfalt, sicherzustellen. Auch wenn der Schwerpunkt auf der zirkulären Bioökonomie liegt, können einige biotechnologische Prozesse durchaus unbeabsichtigte ökologische Folgen haben. So könnte die groß angelegte Produktion von biobasierten Materialien zu Abholzung, Monokulturen und übermäßigem Wasserverbrauch führen.
Auch die unsachgemäße Entsorgung von Bioabfällen oder Nebenprodukten könnte natürlichen Ökosystemen schaden, was sich nachteilig auf die Lebensgrundlagen lokaler Gemeinschaften auswirken kann. Deshalb bedarf es sorgfältiger Planung und strikter Umweltvorschriften, um diese Risiken zu begrenzen. Eine proaktive Regierungsführung und ein regelmäßiger Austausch mit Gemeinschaften und Interessengruppen könnten sicherstellen, die Bioökonomie-Strategie integrativ und nachhaltig zu machen.
Indien an einer kritischen Schwelle
Soll der Übergang zur Bioökonomie reibungslos gelingen, ist ein kooperativer Ansatz erforderlich. Dazu gehören einheitliche Rahmenbedingungen, die sich auf einen Konsens zwischen den verschiedenen Interessengruppen (Primärerzeugern, Logistikdienstleistern, Forschern und politischen Entscheidungsträgern) stützen können. Sie sind von entscheidender Bedeutung. Sie setzen voraus:
- Ein transparentes und unterstützendes politisches Umfeld, das Investitionen anregt, Vorschriften vereinfacht und Inklusivität und nachhaltige Praktiken fördert.
- Starke Allianzen zwischen Regierung, Industrie, Wissenschaft und Verbrauchern, um Innovationen voranzutreiben und Wachstum integrativ zu gestalten.
- Ausbildungsprogramme für qualifizierte Arbeitskräfte und Aufklärungskampagnen, um die gesellschaftliche Akzeptanz für biobasierte Produkte zu verbessern.
- Kontinuierliche Forschung und Entwicklung, um kostengünstige und ausbaufähige Lösungen zu entwickeln.
Indien befindet sich an einer kritischen Schwelle auf seinem Weg zur Bioökonomie. Durch die Förderung von Innovationen, die Stärkung lokaler Kapazitäten und die Berücksichtigung von Kreislaufprinzipien könnte das Land eine entscheidende Rolle beim globalen Übergang zu einer biobasierten Zukunft spielen. Dieser Wandel bietet nicht nur eine weitere Gelegenheit für Wachstum, sondern ist ein Weg, um eine sichere, integrative und nachhaltige Zukunft zu gewährleisten.
Weiterführende Literatur:
- CSTEP’s White Paper on Circular Bioeconomy 2024 - Growing the circular bioeconomy, with a focus on the Global South
- India Bioeconomy Report 2024 by BIRAC - IBER_2024.pdf
- Agricultural Bioeconomy 2023 (Innovation and Foresight in the post-COVID Era) -https://www.sciencedirect.com/book/9780323905695/agricultural-bioeconomy
- The Bioeconomy and Food System Transformation 2023 - https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK599635/#:~:text=Bioeconomy%20offers%20support%20for%20the,and%20recycling%20of%20food%20resources.
- Changing Agricultural Stubble Burning Practices in the Indo-Gangetic Plains: is the Happy Seeder a Profitable Alternative 2020 - https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14735903.2020.1834277