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  • Klima & Ressourcen
  • 08/2022
  • Erwin Northoff

Klimakrise setzt Tierhaltung in Entwicklungsländern immer stärker unter Druck

Dürren und Fluten machen Viehzüchtern ebenso zu schaffen, wie schädliche Treibhausgase. Vielfältige Lösungen sind erforderlich, um den Sektor nachhaltiger, emissionsärmer und widerstandsfähiger zu machen.

Der Klimawandel zerstört die Lebensgrundlage von Pastoralisten. Hirten bringen ihre Herde zu einer Wasserstelle in Niger. © FAO/Dramane Bako via Flickr

Wenn der Ausstoß an Klimagasen ungebremst weitergeht, sind für die Tierhaltung in 60 bis 80 Jahren ein Drittel weniger Nutzfläche verfügbar, warnt eine Studie aus Finnland. Zugleich trägt die Nutztierhaltung erheblich zur Erderwärmung bei: Ein Großteil der Methan-, Lachgas- und Kohlenstoff­emissionen entstehen durch die Viehzucht und ihre Versorgungsketten; Wälder müssen Platz für Weiden und den Anbau von Tierfutter schaffen. Aber es wird auch geschätzt, dass etwa eine halbe Milliarde Menschen in ihrer Existenz davon abhängen, Tiere zu halten. Ein Interview mit dem Experten der Welternährungsorganisation FAO, Aimable Uwizeye.

Welternährung: Welche Folgen hat der Klimawandel für die Tierhaltung in Entwicklungsländern?

Aimable Uwizeye: Der Klimawandel beeinträchtigt ganze Ökosysteme und die Lebensgrundlagen von Millionen von Gemeinschaften vor allem in ländlichen Gebieten. Extremereignisse wie Dürren und Überschwemmungen werden häufiger, mit schwerwiegenden Folgen auch für die Viehzucht. In Äthiopien, Kenia und Somalia hat es beispielsweise in den letzten drei Jahren kaum geregnet. Wegen der Dürrekatastrophe findet das Vieh immer weniger Futter, viele Tiere sind verendet oder mussten notgeschlachtet werden.

Wie ist die Lage in anderen Gebieten?

Nicht nur am Horn von Afrika ist die Lage kritisch. In der Sahelzone zwingen veränderte Regenmengen und lange Trockenzeiten die Viehhirten, auf der Suche nach Gras und Wasser in andere Weidegebiete auszuweichen. Zunehmende Hitzewellen setzen den Tieren zu, viele verenden. In der Mongolei, am anderen Ende des Spektrums, führen extreme Winter und eisige Temperaturen aufgrund von Weide- und Wassermangel ebenfalls zu einer hohen Tiersterblichkeit. Ob Dürre oder Eiseskälte, für viele Bauern wird es immer schwieriger, genügend Futtermittel anzubauen, die Preise für Futter steigen. Besonders Kleinbauern können sich immer weniger Futter leisten.

Ob Dürre oder Eiseskälte, für viele Bauern wird es immer schwieriger, genügend Futtermittel anzubauen.

Aimable Uwizeye FAO Livestock Officer

Welche Herausforderungen gibt es für Länder mit mittlerem Einkommen, wie Brasilien, China, Indien oder die Türkei? 

Auch für sie birgt der Klimawandel vielfältige Herausforderungen. So stehen beispielsweise einige Staaten in Lateinamerika als wichtige globale Exporteure unter großem Druck, ihren Kohlenstoff- und Stickstoff-Fußabdruck bei der Rindfleisch- und Milchproduktion zu verbessern. Zudem sind der begrenzte Zugang zu Betriebsmitteln, Kapital, Wissen und Technologie und die sehr unterschiedlichen Produktionssysteme problematisch. Aber das Potenzial, ihre sehr verschiedenartigen Viehhaltungssysteme effizienter zu gestalten, ist durchaus erheblich.

Welchen Stellenwert hat die Tierhaltung in der Landwirtschaft von Entwicklungsländern?

Die Tierhaltung trägt weltweit zur Ernährungssicherheit und zum Lebensunterhalt von über einer Milliarde Menschen bei. Sie trägt zu etwa 40 Prozent zum landwirtschaftlichen Bruttosozialprodukt bei, und sie liefert hochwertige Proteine. Nahrhafte tierische Lebensmittel und gesunde Ernährung tragen auch zur kognitiven Entwicklung von Kindern bei. Tierhaltung ist ein fester Bestandteil der Wirtschaft und Kultur vieler Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Sie steuert zur ländlichen Entwicklung, zu Einkommen, zum Handel, und zu anderen wichtigen Entwicklungszielen bei.

Was sind umgekehrt die negativen Folgen der Viehzucht?

Die Viehhaltung kann die öffentliche Gesundheit und Lebensgrundlagen negativ beeinflussen. Ihre Auswirkungen auf die Umwelt, ihr Einfluss auf Infektionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können, sowie Antibiotika-Resistenzen und Fragen des Tierschutzes sind nur einige Beispiele dafür.

Wie sind die Wachstumsprognosen für die Viehproduktion in Entwicklungsländern?

Trotz der großen Herausforderungen wird erwartet, dass die Viehproduktion in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen in den nächsten zehn Jahren um rund 75 Prozent zunehmen wird, vor allem durch die Ausweitung des Viehbestands und eine Steigerung der Produktivität. Langfristig dürfte der Viehbestand laut FAO und OECD bis 2050 weltweit um rund 50 Prozent wachsen. Das Wachstum schafft neue wirtschaftliche Möglichkeiten. Es gibt auch einen Trend zu einer intensiveren Produktion, um die wachsende städtische Bevölkerung zu versorgen.

Muttersau im Norden Indiens. Zwei Drittel aller in Armut lebenden Tierhalter weltweit sind Frauen. © ILRI/Ram Deka via Flickr

Werden alle Landwirte von diesen Trends profitieren?

Nein, nicht alle werden davon profitieren können. Kleinbauern haben beispielsweise eine geringe Verhandlungsmacht auf den Märkten. Viele kleine Erzeuger sind Frauen, die oft schlechter an Betriebsmittel, Kredite und Informationen gelangen und weniger Anschluss an Märkte haben als Männer. Es sollte mehr Anreize geben, um die Gleichstellung in der Viehwirtschaft zu verbessern, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo viele Frauen und Mädchen in Armut leben und überhaupt kaum Zugang zu Vieh haben. Es arbeiten auch immer weniger Jugendliche in der Landwirtschaft. Pastoralisten, die besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden, werden leider oft von der nationalen Politik und den Entwicklungsprogrammen nicht berücksichtigt.

Wie kann Tierhaltung klimaresistenter werden?

Dazu gehört, knappe Wasserressourcen effizienter zu nutzen, Futterpflanzen anzubauen, die widerstandsfähiger gegen Wasserstress und Hitze sind, Vorratslager für Futter anzulegen und das Management ihrer Herden zu ändern. Der Zugang zu und die Nutzung von Grundwasserressourcen helfen Landwirten in Kenia, Dürreperioden zu bewältigen, und ihre Tiere mit Trinkwasser zu versorgen. Das Vieh ist mobil und kann in Gebiete getrieben werden, in denen es Wasser, Futter und Schatten gibt. Außerdem können sich Landwirte mit Frühwarnsystemen und rechtzeitigen Informationen auf nahende Krisen vorbereiten, Wasser- und Futterreserven anlegen und während einer Trockenzeit schwache und alte Tiere verkaufen. Es gibt mittlerweile auch Viehversicherungssysteme, die Tierhaltern eine Entschädigung bieten, wenn sie wegen schwieriger Umweltbedingungen Mehrausgaben haben.

Was muss politisch getan werden, um Tierhaltungssysteme resistenter zu machen?

Der Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Land und Wasser ist für eine klimaresistente Tierhaltung unerlässlich. Allerdings gibt es häufig Konflikte im Zusammenhang mit Landbesitz, und es ist oft schwierig, ein Entwicklungsprogramm umzusetzen, wenn Vieh auf Gemeindeland weidet.

Könnten Sie ein Beispiel nennen?

In der Sahelzone dringen Hirten in fremde Weidegebiete ein, was zur Schließung von Weidekorridoren und zu Konflikten zwischen Viehhirten und Ackerbauern führt. Hier bedarf es politischer Maßnahmen in den Bereichen Landbesitz, Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, Landrückgewinnung, oder Sozialverträgen zwischen verschiedenen Nutzern von Gemeinschaftsland. Strategien müssen partizipativ entwickelt werden, um sektorübergreifend die Probleme des Klimawandels in die Agrar- und Tierhaltungspolitik einzubeziehen.

Wie können Bauern selbst klimafreundlicher produzieren?

Es gibt mehrere technische Lösungen für Kleinbauern, klimaverträgliche Tierprodukte zu erzeugen. Dazu gehören die Züchtung produktiverer Tiere, die Verbesserung des Tierfutters, die Gewährleistung von Tiergesundheit und Tierwohl sowie ein verbesserter Umgang mit Dung, Herden und Grasland. So konnte Ruanda beispielsweise den Anteil hochproduktiver Milchkühe (Kreuzungen und reine Rassen) von 23 Prozent im Jahr 2008 auf mehr als 53 Prozent im Jahr 2015 steigern. Der Anteil unproduktiver Tiere, hauptsächlich der Rasse Ankole, ging zurück. Lokale Rassen müssen allerdings durch spezielle Programme erhalten werden, denn sie haben ein angepasstes Immunsystem gegen endemische Infektionskrankheiten und können widrige Umweltbedingungen besser ertragen.

Häufige extreme Wetterlagen bedrohen Nomaden und Vieh in der Mongolei. © FAO/Eran Raizman via Flickr

Und die schweren Auswirkungen der Viehhaltung auf die Umwelt?

Es kommt darauf an, mit klimagerechten Ansätzen die Effizienz in sehr unterschiedlichen Tierhaltungssystemen zu steigern. Allein durch eine Optimierung von Verfahren können Treibhausgase um 30 Prozent gesenkt werden. Lebensmittelabfälle in der Schweineproduktion wiederzuverwerten, kann die Menge an Sojabohnen und Getreide, die als Futtermittel verwendet werden, reduzieren und so die Konkurrenz zwischen Trog und Teller verringern. In Ländern wie Japan und Südkorea wird dies bereits erfolgreich praktiziert.

Agrarökologische Weidesysteme haben zudem positives Potenzial für die Ernährungssicherheit, die biologische Vielfalt, die Boden- und Luftqualität und den Kohlenstoffbestand im Boden. Treibhausgase können verringert werden. Auch die Biotechnologie ist Teil der Lösung, vor allem auf der Grundlage genetischer Selektion und Genomik, um neue Rassen zu entwickeln, die robust, widerstandsfähig und produktiv sind und ebenfalls weniger Treibhausgase verursachen.

Tun Regierungen genug, um die Landwirte zu unterstützen?

Länder versuchen, mit technischen Lösungen und politischen Maßnahmen ihre Viehhaltung nachhaltiger zu entwickeln und zugleich die Lebensgrundlage der Bauern zu verbessern. Da die klimatischen Herausforderungen immer schwerwiegender und intensiver werden, brauchen sie aber mehr internationale Unterstützung, um die Tierhaltung widerstandsfähiger und emissionsärmer zu gestalten. Hinzu kommen Probleme grenzüberschreitender Tierkrankheiten, für die internationale Hilfen und Lösungen erforderlich sind. Die FAO hilft Ländern beim Aufbau von Frühwarnsystemen, beim Abbau von Methan- und Treibhausgasemissionen sowie bei der Entwicklung von Politiken und langfristigen Strategien zur Emissionsminderung in der Viehwirtschaft.

Welche internationalen Initiativen zur Unterstützung des Viehsektors gibt es?

Internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank, IFC, IFAD und die Afrikanische Entwicklungsbank finanzieren inzwischen Entwicklungsprogramme für die Viehhaltung. So unterstützt die Weltbank das Regional Sahel Pastoralism Support Project in sechs Ländern Westafrikas, um die Produktivität, Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit der Lebensgrundlagen von Viehbauern durch Investitionen, Kapazitätsaufbau und politischen Dialog zu verbessern.

Außerdem sind die meisten der in den nationalen Klimazielen der Entwicklungs- und Schwellenländer genannten Maßnahmen in der Viehwirtschaft an Bedingungen geknüpft: Ihre Umsetzung erfordert eine internationale Klimafinanzierung. Dies ist eine Herausforderung, da der Sektor mit etwa 2 bis 3 Prozent aller Klimainvestitionen weltweit stark unterfinanziert ist.

Spieße vom Grill. Schweinefleisch ist in Uganda ein beliebtes Nahrungsmittel. © K. Dhanji/ILRI via Flickr

WelcheLänder haben selbst positive Schritte unternommen, um die Viehzucht widerstandsfähiger zu machen?

Mehrere Länder tun etwas, um sowohl die Resilienz zu verbessern als auch die Treibhausgasemissionen in der Viehhaltung zu verringern. Über 80 Länder haben z.B. die Viehwirtschaft in ihre nationalen Klimaziele aufgenommen und Entwicklungsprogramme und konkrete Schritte entwickelt, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Die gute Nachricht ist, dass selbst Länder, die in ihren nationalen Klimaverpflichtungen weniger Gewicht auf die Viehwirtschaft gelegt haben, sich jetzt auf die Entwicklung umfassender Klimamaßnahmen für die Tierhaltung zubewegen.

Mit einer neuen Initiative unterstützt die FAO diese Bemühungen. Wir arbeiten mit Burkina Faso, Costa Rica, Kenia, Nicaragua, Ruanda, Senegal und Uruguay zusammen, um die Tierhaltungs- und Klimapolitik zu stärken. Dies wird den Staaten helfen, Treibhausgasemissionen besser zu verstehen und mithilfe von evidenzbasierten Strategien und technischen Lösungen Szenarien zur Eindämmung und Anpassung zu entwickeln. Dank des Engagements der Regierung hat es Costa Rica geschafft, den Kohlenstoffbestand im Boden durch Änderungen in der Grünlandbewirtschaftung, der Beweidung und der Landnutzung enorm zu erhöhen.

Sollten Verbraucher in Anbetracht des Klimawandels und der Zerstörung der natürlichen Ressourcen weniger Fleisch essen?

Der Fleischverbrauch reicht aktuell von Überkonsum mit rund 95 kg in Nordamerika bis zu Unterernährung mit rund 12 kg pro Person und Jahr in Afrika. Es könnte also sowohl für das Klima als auch für die menschliche Gesundheit von Vorteil sein, wenn in vielen reichen Ländern weniger Fleisch gegessen würde.

Vergessen wir aber nicht, dass Fleisch auch eine wichtige Quelle für Energie und hochwertiges Eiweiß ist und außerdem eine Reihe von wichtigen Mikronährstoffen liefert, an denen es in vielen Entwicklungsländern mangelt. Dazu gehören Vitamin B6 und B12, Riboflavin, Thiamin, Niacin, Biotin, Vitamin A, D, E und K, Kalzium, Eisen, Zink und verschiedene essenzielle Fettsäuren, die nur schwer in ausreichender Menge aus pflanzlichen Lebensmitteln gewonnen werden können.

Darüber hinaus halten die meisten Viehzüchter in armen Ländern die Tiere als Aktivposten für wirtschaftliche Stabilität, Einkommen und sozialen Schutz. Sie werden als Zugtiere zum Transport und Pflügen eingesetzt und liefern Dung, der als organischer Dünger wichtig ist.

Das Gespräch führte:

Erwin Northoff ist ehemaliger Leiter der Presseabteilung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und Mitglied im Redaktionsbeirat von "Welternährung.de".
Erwin Northoff Mitglied im Redaktionsbeirat

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