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  • Klima & Ressourcen
  • 12/2022
  • Dr. Tina Beuchelt, Dr. Dennis Avilés Irahola
Schwerpunkt

Nicht länger an ihnen vorbei: Klimamittel müssen bevorzugt an Frauen gehen

Gemessen an ihrer Rolle in der Landwirtschaft stehen Frauen für Gelder zur Klimaanpassung in hinterster Reihe. Dabei kann die gezielte Förderung von Aktivistinnen und feministischen Gruppen einen Riesenunterschied machen.

Eine Frau pflegt schwimmende Gemüsebeete. In diesem Dorf in Bangladesch gibt es eine Klimagruppe und -Feldschule, die den Anbau widerstandsfähiger machen will. © Monir/Wethungerhilfe

Die Klimakrise wirkt sich bereits stark auf die landwirtschaftliche Produktion und die Ernährungssysteme aus. Schätzungen zufolge sind seit 1961 weltweit mehr als 21 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Produktivität durch den von Menschen verursachten Klimawandel verloren gegangen. Am stärksten betroffen sind dabei Afrika, Lateinamerika und die karibischen Staaten.(1) Unregelmäßige Regenfälle, wiederkehrende Dürren oder Überschwemmungen und höhere Temperaturen führen zu geringeren Erträgen oder zu kompletten Ernteausfällen und hohen Viehverlusten, wie derzeit am Horn von Afrika. Dies schlägt sich negativ auf die Haushaltseinkommen, die Ernährungssicherheit und die lokalen Lebensmittelpreise nieder.

Weil ihnen die Mittel zur Anpassung fehlen, sind von der Klimakrise daher zunehmend arme Haushalte betroffen, die von Gelegenheitsarbeit in der Landwirtschaft leben. Besonders spüren die Auswirkungen auch marginalisierte indigene Gruppen und kleinbäuerliche Familienbetriebe. Im Vergleich zu Männern sind Frauen in ländlichen Gebieten stärker von diesen Entwicklungen betroffen. Sie sind schutzbedürftiger. Warum?

Frauen leiden mehr unter Klimakrise als Männer

Dies hängt mit der Frauen zuerkannten Rolle in der Landwirtschaft und der ungleichen Belastung durch Haus- und Betreuungsarbeit zusammen. Ursachen sind aber auch ihr ungleicher Zugang zu und die Kontrolle über produktive Ressourcen wie Land, verbessertem Saatgut, Dünger, Maschinen und anderen Betriebsmitteln. Außerdem sind für Frauen in vielen Ländern Beratungsdienste, Wissen und Finanzierungsmöglichkeiten deutlich weniger zugänglich.

In diesem Dorf in Burkina werden unter dem Eindruck des Klimawandels auf die Landwirtschaft alternative Einkommensmöglichkeiten gefördert. © Happuc/Welthungerhilfe

Zugleich sind viele Frauen aufgrund ihrer Rollen und Aufgaben stärker von natürlichen Ressourcen und der Landwirtschaft abhängig. Sie haben im Vergleich zu Männern weniger Möglichkeiten, temporär zu migrieren. Oder sie müssen die Haushalte und landwirtschaftlichen Betriebe allein bewirtschaften, wenn ihre Ehemänner zeitweise abwandern, um woanders Geld zu verdienen.

Krise verschärft die Ungleichheiten der Geschlechter

Trotz ihres hohen Arbeitseinsatzes sind Frauen selten an landwirtschaftlichen Entscheidungen beteiligt. Sie kennen ihre gesetzlichen Rechte nur begrenzt und wissen kaum, wie sie diese durchsetzen können. Obwohl die Gleichstellung der Geschlechter inzwischen zunehmend öffentlich anerkannt wird, werden Frauen auch bei Entscheidungsprozessen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene in der Regel vernachlässigt oder von einer Teilnahme ausgeschlossen.(2-4)

Die Tatsache, dass Frauen die Auswirkungen des Klimawandels stärker hautnah zu spüren bekommen und damit verletzlicher sind als Männer, lässt sich somit durch diskriminierende patriarchalische Normen und Bräuche erklären, sowie durch Gesetze und sich fortsetzende Machtverhältnisse. Die Klimakrise verschärft diese geschlechtsspezifischen Ungleichheiten noch weiter.

Die Klimakrise trägt auch dazu bei, dass Spannungen innerhalb der landwirtschaftlichen Haushalte und damit die häusliche Gewalt zunimmt. Häufig entzünden sich Konflikte an Fragen, welcher Feldfrucht oder welchem Viehbestand Vorrang eingeräumt werden soll, wie die landwirtschaftliche Produktion aufrechterhalten werden kann. Auch zunehmende Ernährungsunsicherheit oder durch Naturkatastrophen verursachte Traumata tragen dazu bei.(5) Geschlechtsspezifische Gewalt wird zudem außerhalb der Haushalte systematisch eingesetzt, um sich im Ringen um Zugang und die Kontrolle über die immer knapper werdenden natürlichen Ressourcen durchzusetzen.

Geringe Rolle für Gleichberechtigung bei Klimafinanzierung

Die unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Klimakrise sind inzwischen weltweit anerkannt. Dennoch zeigt die OECD in ihrem Kennungssystem zu Anpassung und Gleichberechtigung der Geschlechter für die Klimafinanzierung im Zeitraum 2017-2018, dass nur schätzungsweise 1,5 Prozent der klimabezogenen offiziellen Entwicklungshilfe die Gleichstellung der Geschlechter als primäres Ziel ausweist und 34 Prozent als wichtiges, aber nicht vorrangiges Ziel. Bei  den verbleibenden 64 Prozent der Projekte war die Gleichstellung der Geschlechter entweder kein wichtiges Ziel oder nicht gekennzeichnet. Für den Sektor Landwirtschaft und Landnutzung berichten Buto und seine Kolleginnen, dass 49 Prozent der gesamten Mittelflüsse aus der OECD eine "Haupt-" oder "signifikante" Geschlechterkomponente aufweisen, während 48 Prozent der Mittelflüsse als "nicht signifikant" gekennzeichnet sind.

Finanzmittel erreichen Landwirtinnen kaum

Frauen in der Landwirtschaft stehen somit in der hintersten Reihe, wenn es um die Verteilung von Klimamitteln geht, seien es Darlehen, Zuschüsse oder Projekte, die von öffentlichen und privaten Einrichtungen (UN-Organisationen, Banken, Regierungen und andere nationale Einrichtungen sowie internationalen NRO) gewährt oder durchgeführt werden.

In einer Gemeinde in Liberia lernen Frauen im Spar- und Kreditverein (VLSA), mit welchen Rechten und Pflichten sie Geld leihen, in Saatgut investieren und zurückzahlen. © Radermacher/Welthungerhilfe

Dabei zeigen konkrete Initiativen und gezielte Projekte, dass sich diese Situation verändern lässt: durch die Unterstützung von frauengeführten Klimaprojekten, Aktivismus und feministischen Organisationen. Es können zudem Bedingungen geschaffen werden, um die vorherrschenden Geschlechternormen und -stereotypen zu verändern, beispielsweise durch die vermehrte Finanzierung von Projekten, die mit geschlechter- oder gender-transformativen Ansätzen arbeiten.(6)

Von der internationalen Klimafinanzierung, die hauptsächlich bilateral von OECD-Partnern und von multilateralen Entwicklungsbanken geleistet wird, sind rund 26 Prozent für den Agrarsektor bestimmt.(7) Auch wenn bei der Vergabe und Ausführung zunehmend geschlechtsspezifische Strategien und Aktionspläne integriert werden, ist dies immer noch zu wenig.(8) Und abgesehen von der Debatte über unzulängliche Mittel stellen sich weitere Fragen: Wie viel der Zuwendungen erreichen tatsächlich lokale Gemeinschaften und insbesondere Frauen? Inwieweit tragen die Gelder – selbst dort, wo Gender-Fragen berücksichtigt werden – dazu bei, geschlechtsspezifische Normen und Ungleichheiten etwa in Bezug auf Landbesitz, Marktzugängen und Entscheidungsprozessen zu verändern?

Jüngste Berichte (9+10) zeigen, dass Gelder der Klimafinanzierung nicht ausreichend auf lokal gesteuerte Projekte, gender-transformative Ansätze und Geschlechtergleichstellung ausgerichtet sind. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die meisten Mittel auf Maßnahmen zur Anpassung an Klimafolgen abzielen. Und diese umfassen große Investitionen in Infrastruktur oder den Ausbau erneuerbarer Energien, von denen die meisten lokalen und bäuerlichen Gemeinschaften erst noch profitieren müssen. Damit sind zu wenige Klimamittel verfügbar, die auf die unmittelbaren, meist auch sehr unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern in ihren Gemeinden eingehen könnten. Und es wird hierzu auch in Berichten kaum Rechenschaft abgelegt.

Um eingefahrene Rollen und Bräuche geht es in einem gendertransformativen Projekt in Uganda. © Sagal/Welthungerhilfe

Die von der Klimakrise gefährdeten Gemeinschaften, und innerhalb dieser besonders Frauen, sind somit dreifach belastet: Sie haben keinen einfachen Zugang zu Finanzmitteln, sind mit Finanzfragen generell nicht vertraut und sind bereits mit den unmittelbaren Auswirkungen der Klimakrise konfrontiert.

Die Gleichstellung der Geschlechter muss Priorität haben

Abschließend sind die folgenden zwei Schlussfolgerungen zu ziehen: Erstens sollten klimabezogene Projekte im Sektor Landwirtschaft stärker geschlechtsspezifisch ausgerichtet und die Gleichstellung der Geschlechter darin systematisch zur Priorität gemacht werden. Investitionen aus Klimafonds sollten in größerem Umfang in lokale Gemeinden fließen. Sie sollten von Anfang an, schon in der Phase der Politik- und Projektgestaltung, den Schwerpunkt auf geschlechtertransformative Programme legen, die den unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Frauen sowie ihrem Zugang zu und ihrer (Mit-)Kontrolle über Ressourcen Rechnung tragen.(11)

Die Berichterstattung auf nationaler und Programmebene sollte transparenter sein und darüber informieren, wie viel Geld die lokalen Gemeinschaften bekommen und wie viel tatsächlich in gendertransformative Maßnahmen investiert wird.

Zweitens hat sich gezeigt, dass die Arbeit mit feministischen Organisationen auf lokaler Ebene große Auswirkungen auf Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung haben kann; daher sollten solche Organisationen stärker in landwirtschaftliche und ländliche Klimaanpassungsprojekte einbezogen werden.

Dr. Tina Beuchelt Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Dr. Dennis Avilés Irahola Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Referenzen:

(1) Ortiz-Bobea, A., Ault, T.R., Carrillo, C.M. et al. Anthropogenic climate change has slowed global agricultural productivity growth. Nat. Clim. Chang.11, 306–312 (2021). https://doi.org/10.1038/s41558-021-01000-1

(2) UNFCCC (2019): Differentiated impacts of climate change on women and men, integration of gender considerations into climate policies, plans and actions, and progress in enhancing gender balance in national climate delegations. Synthesis report by the secretariat. Synthesis report by the secretariat. FCCC/SBI/2019/INF.8. Hg. v. United Nations.

(3) GGCA (2016): Gender and Climate Change: A Closer Look at Existing Evidence. Global Gender and Climate Alliance (GGCA), WEDO, OAk Foundation. Online verfügbar unter https://wedo.org/wp-content/uploads/2016/11/GGCA-RP-FINAL.pdf.

(4) United Nations (2022): Report of the Special Rapporteur on violence against women and girls, its causes and consequences, Reem Alsalem. Violence against women and girls in the context of the climate crisis, including environmental degradation and related disaster risk mitigation and response. A/77/50. Seventy-seventh session. UN General Assembly

(5) Ibid.

(6) Patricia Kristjanson, Elizabeth Bryan, Quinn Bernier, Jennifer Twyman, Ruth Meinzen-Dick, Caitlin Kieran, Claudia Ringler, Christine Jost & Cheryl Doss (2017) Addressing gender in agricultural research for development in the face of a changing climate: where are we and where should we be going?, International Journal of Agricultural Sustainability, 15:5, 482-500, DOI:10.1080/14735903.2017.1336411

(7) Buto, O., Galbiati, G.M., Alekseeva, N., Bernoux, M. 2021. Climate finance in the agriculture and land use sector - global and regional trends between 2000 and 2018. Rome, FAO. https://doi.org/10.4060/cb6056en

(8) Schalatek, L. (2022). Gender and Climate Finance. Climate Finance Fundamentals 10. Heinrich Böll Stiftung & ODI. February 2022. Available at: https://climatefundsupdate.org/wp-content/uploads/2022/03/CFF10-Gender-and-CF_ENG-2021.pdf

(9) UNCC. (2021). The Climate Finance Question. November 2, 2021. Blog. Available at: https://unfccc.int/blog/the-climate-finance-question

(10) Oxfam (2020). Climate Shadow Report 2020. DOI: 10.21201/2020.6621

(11) Kristjanson, Patricia; Bryan, Elizabeth; Bernier, Quinn; Twyman, Jennifer; Meinzen-Dick, Ruth; Kieran, Caitlin et al. (2017): Addressing gender in agricultural research for development in the face of a changing climate: where are we and where should we be going? In: International Journal of Agricultural Sustainability 15 (5), S. 482–500. DOI: 10.1080/14735903.2017.1336411.

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