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  • Klima & Ressourcen
  • 06/2020
  • Elly Barrett, Angela Hinrichs

Auch eine Frage des Überlebens: Saatgut über die Katastrophe retten

Ein von Deutschland unterstütztes Projekt im Südlichen Afrika zeigt, warum Saatgut in die Nothilfe einbezogen werden muss.

Vorausdenken in der Krise: FAO-Mitarbeiter verteilen Saatgut für die kommende Ernte an 500 Haushalte im Südsudan. © FAO / Mayak Akuot

Nach Katastrophenfällen in vielen armen Ländern konzentriert sich die Nothilfe meistens darauf, Leben zu retten sowie Wasser, Nahrung und Unterkünfte bereitzustellen. Der Schutz und die Rettung wertvoller lokaler Getreidesorten spielt dagegen oft kaum eine Rolle. Dabei sind traditionelle Sorten für die Ernährungssicherheit unerlässlich. Ein von Deutschland unterstütztes Projekt im Südlichen Afrika zeigt, wie sinnvoll es ist, den Schutz von Saatgut in die Nothilfe einzubeziehen.  

Die Wirbelstürme Idai und Kenneth, die im Frühjahr 2019 im Südlichen Afrika wüteten, hatten für die Bauern verheerende Folgen: Kurz vor der Ernte verloren sie alles Getreide sowie ihre wertvollen Saatgutreserven. Rund 3,8 Millionen Menschen waren von den Stürmen und Überschwemmungen betroffen, ungefähr 800.000 Hektar Getreide fielen den Unwettern in Malawi, Mosambik und Simbabwe zum Opfer. 

Für die Nothilfe sind die Prioritäten klar: Es gilt Leben zu retten sowie die Menschen mit Wasser, Nahrung und einem Dach über dem Kopf zu versorgen. Die Artenvielfalt spielt bei den ersten Rettungsmaßnahmen allerdings oft kaum eine Rolle. Dabei sind die Auswirkungen von Wirbelstürmen, Überschwemmungen, Pandemien und Kriegen auf lokale Saatgutvorkommen verheerend. 

Wenn lokales Saatgut zerstört wird oder verloren geht, kann es zu Hunger und Unterernährung kommen. Und auch für die globale Biodiversität gehen wertvolle Saatgut-Ressourcen für immer verloren. Ein Umdenken ist deshalb dringend erforderlich.

Eine Studie der Welternährungsorganisation (FAO) hat die Folgen von 74 mittelschweren bis schweren Katastrophen in 53 Entwicklungsländern zwischen 2006 und 2016 untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass auf die Landwirtschaft 23 Prozent aller Schäden und Verluste entfielen, am schwersten traf es dabei den Getreidesektor.

Warum lokales Saatgut so wichtig ist 

In Afrika südlich der Sahara stammen rund 80 Prozent der von Kleinbauern benutzten Saaten aus örtlichen, von Bauern betriebenen Saatgutbeständen. Sie lagern diese große Vielfalt entweder auf ihren Höfen, oder in lokal verwalteten Saatgutbanken, oder sie bauen sie direkt  auf ihren Feldern an. Die ständige Nutzung des Saatguts und der Austausch unter den Bauern tragen dazu bei, die Bestände weiterzuentwickeln und zu erhalten. 

Über Jahrhunderte hinweg hat sich Saatgut an die jeweiligen lokalen natürlichen Bedingungen ländlicher Regionen angepasst. Für die Mehrzahl der Bauern ist dieses Saatgut unerlässlich, um Nahrung zu erzeugen. Es ist mit Blick auf Unwetter, Klimaschocks und Pflanzenkrankheiten widerstandsfähiger und entspricht lokalen Konsum- und Marktpräferenzen. 

Mit der Zucht und dem Anbau lokaler und oft vernachlässigter Sorten tragen die Bauern dazu bei, landwirtschaftliche Biodiversität zu erhalten. Davon profitieren Bauern, Wissenschaftler und Forscher, sowie Pflanzenzüchter auf der ganzen Welt, die daran arbeiten, Saatgut zu entwickeln, das dem Klimawandel und anderen Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist.  

Eine Kleinbäuerin im Distrikt Zaka: In Simbabwe wurde am International Maize and Wheat Improvement Center eine dürreresistente Saat für Mais entwickelt. © Johnson Siamachira / CIMMYT via Flickr

Lokale und kommerzielle Sorten 

Außer lokalen Sorten benutzen Kleinbauern oft auch kommerzielles Saatgut, um ihren Getreideanbau zu diversifizieren. Kommerzielles Saatgut bietet vor allem den Vorteil höherer Erträge. Doch das Marktangebot schwankt häufig, und die viele Sorten benötigen oft teure Düngemittel und Pestizide. Oft müssen die Bauern das Saatgut für jede Saison wieder neu einkaufen, während sie die lokalen Sorten selbst züchten können.

Forschungen haben gezeigt, dass Kleinbauern gewöhnlich lokale Sorten bevorzugen, da sie sich dem Umweltstress wie Wasser- oder Nährstoffmangel besser anpassen. Sie sind außerdem billiger und leichter verfügbar, da die Bauern einen Teil ihrer Ernte als Saatgut aufbewahren oder es auf speziellen lokalen Märkten für Saatgut direkt erwerben.

Daraus wird deutlich: Wann immer es zu Katastrophen in ländlichen Regionen armer Länder kommt, sollten Nothilfemaßnahmen unbedingt verstärkt den Schutz von wertvollem lokalen Saatgut einbeziehen, um die Nahrungsmittelerzeugung wieder anzukurbeln. Dies ist ein entscheidender Schritt, um von Nahrungsmittelhilfe und anderer humanitärer Unterstützung unabhängig zu werden.

Nothilfe nach dem Wirbelsturm Idai

Für die FAO war nach den verheerenden Auswirkungen des Wirbelsturms Idai in Mosambik klar, die Bauern mit qualitativer Saatguthilfe zu unterstützen. Rund 100 000 Haushalte erhielten schnell reifende Sorten für die Wintersaat: 148 000 Kilogramm Mais, 78 000 kg Bohnen sowie Gemüsesaatgut. Außerdem verteilte die Organisation Geldgutscheine an rund 8000 Haushalte, die sich dafür Saatgut und andere landwirtschaftliche Hilfsmittel kaufen konnten.

Doch die Nothilfe der FAO hatte noch ein anderes übergeordnetes Ziel: Nämlich mit Regierungen, Genbanken und Bauern in der Region zusammenzuarbeiten, um wichtiges, verloren gegangenes Saatgut zu retten und den Bauern in Malawi, Mosambik und Simbabwe wieder zugänglich zu machen. Außerdem wurde die nationale und regionale Zusammenarbeit zum zukünftigen Schutz von lokalen Saatgutbeständen verstärkt. 

Dieses Projekt (“Foundations for rebuilding seed systems post Cyclone Idai: Zimbabwe, Mozambique and Malawi”) wird von Deutschland finanziell gefördert und wird Ende 2020 nach mehr als eineinhalb Jahren auslaufen. Das Projekt wird vom Internationalen Abkommen über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft unterstützt.

Genetische Erosion bedroht Welternährungssicherheit

Die Bedrohung von pflanzengenetischen Ressourcen geht aber nicht nur von Naturkatastrophen aus. Seit Generationen haben Bauern Saatgut von Tausenden von Pflanzen gepflegt und fortentwickelt, um die Getreidesorten zu züchten, die heute die Welt ernähren. Diese genetische Vielfalt ist heute in Gefahr. Bevölkerungswachstum, Verstädterung, die Industrialisierung der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelverarbeitung, sowie die übermäßige Ausbeutung natürlicher Ressourcen beschleunigen den Verlust an Pflanzenvielfalt. Besonders alarmierend sind die Zerstörung und Schädigung von Wäldern, vor allem in tropischen Ländern, sowie von aquatischen Ökosystemen. 

Um diese genetische Erosion zu stoppen, ist der leichte und kostengünstige Zugang der Bauern zu einem breiten Spektrum von Saatgut und genetischem Pflanzenmaterial unbedingt erforderlich. Mit diesem Genpool können sie Pflanzen entwickeln, die dem Klimawandel und anderen neuen Umweltbedrohungen trotzen. Dies ist ein wichtiger Beitrag, um auch in Zukunft Ernährungssicherheit zu gewährleisten.

Ein internationales Abkommen als Antwort

Das internationale Abkommen über pflanzengenetische Ressourcen ist eine Antwort auf diese Bedrohungen. Es wurde 2001 in Leipzig verabschiedet, 146 Staaten einschließlich der Europäischen Union haben es inzwischen ratifiziert. Der Vertrag fördert die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Genbanken, Forschern, Pflanzenzüchtern, Entwicklungsorganisationen und Bauern. Es ist ein globales System, das die Sammlung und den kontinuierlichen Austausch von Saatgut und pflanzlichem Material der für die Welternährung wichtigsten Sorten sichert. 

Bauern und ländliche Gemeinden leisten einen enormen Beitrag, um diese genetische Vielfalt zu erhalten und weiterzuentwickeln. Der Vertrag erkennt diese Leistung an, sowie das Recht der Bauern, lokales Saatgut auch weiterhin zu bewahren, zu züchten und es untereinander auszutauschen. 

Die beste Strategie, um pflanzliche Vielfalt zu erhalten, ist der Schutz und die Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen auf den Feldern (in situ) und in Genbanken (ex situ). Beide Ansätze sind im Abkommen deutlich verankert. Auf den Feldern können Bauern direkt Saatgut züchten, das den lokalen Standorten entspricht und sich an neue und sich verändernde Umweltbedingungen anpasst. Die Sammlung von wertvollem Saatgut in Genbanken schützt es vor endgültigem Verlust, so dass Agrarforscher und Züchter es auch in Zukunft nutzen können.

Das Saatgut-Projekt 

Das Saatgut-Projekt der FAO im Südlichen Afrika bezieht sich ausdrücklich auf das Abkommen. Das Projekt stärkt den Erhalt und Austausch von pflanzengenetischem Material, indem es Bauern und Forscher unterstützt, den Wert vieler lokaler und gefährdeter Sorten zu erkennen, sie zu erneuern und der ländlichen Bevölkerung wieder zugänglich zu machen. So werden in den von Wirbelstürmen betroffenen Gebieten gefährdete Sorten gesichert, erneuert sowie in nationalen Genbanken und örtlich aufbewahrt, um auch in Zukunft von Bauern und Forschern genutzt werden zu können. 

Werden Saatgutreserven in Katastrophengebieten für immer zerstört, kommt es darauf an herauszufinden, welche Pflanzensorten die Bauern wieder anbauen, essen und in Zukunft verkaufen wollen. Aufgrund dieser Präferenzen wird dann in regionalen, nationalen und internationalen Genbanken nach dem entsprechenden genetischen Material gesucht, um den Bauern neue Züchtungen für einen Neuanfang zugänglich zu machen. 

Für diese Bestandsaufnahme arbeitet das FAO-Projekt eng mit den Genbanken Simbabwes, Malawis und Mosambiks zusammen. Erste Studien in Simbabwe haben ergeben, dass für die Bauern sehr wichtige lokale Sorten wie Mais, Sorghum, Zuckerschoten, Perlhirse und Süßkartoffeln nach dem Wirbelsturm für immer verlorengegangen sind. Glücklicherweise sind Muster der meisten zerstörten Pflanzensorten in der nationalen Genbank gespeichert und können von dort abgerufen und neu gezüchtet werden.

Für die Bauern sehr wichtige lokale Sorten wie Mais, Sorghum, Zuckerschoten, Perlhirse und Süßkartoffeln waren nach dem Wirbelsturm Idai für immer verlorengegangen.

Elly Barett und Angela Hinrichs

Doch das Projekt geht über die traditionell genutzten Pflanzen hinaus. Es analysiert Klimadaten aus den betroffenen Gebieten sowie Präferenzen der Bauern, um herauszufinden, ob es weiteres geeignetes Zuchtmaterial in regionalen, nationalen und internationalen Genbanken gibt, das den Bauern in den geschädigten Gebieten schnell verfügbar gemacht und getestet werden kann. 

Viele nationale Katastrophenpläne übersehen leider immer noch, wie wichtig die Bedeutung und der Wiederaufbau lokaler Saatgut-Systeme für die Ernährungssicherung sind. Das FAO-Projekt will dagegen zeigen, dass sich der Schutz durchaus erfolgreich in Nothilfe-Strategien und -pläne integrieren lässt.

Es unterstützt die Genbanken der drei Länder dabei, eng zusammenzuarbeiten und entsprechende nationale und regionale Strategien zu entwickeln, um lokales und gut angepasstes Saatgut im Ernstfall ausreichend zur Verfügung zu stellen. Damit sind Regierungen und ländliche Gemeinden besser auf künftige Naturkatastrophen vorbereitet, die in der Region leider immer weiter zunehmen.

Die Folgen von Covid-19 

Die Covid-19-Pandemie ist auch am lokalen Saatgutsektor im Südlichen Afrika nicht spurlos vorübergegangen. Es ist zu befürchten, dass wegen der Lockdown-Verbote der Zugang der Bauern zu Saatgut eingeschränkt sein wird. Auch lokale Lieferketten werden unterbrochen, Forschungs- und Entwicklungsarbeiten begrenzt, und die Verteilung von pflanzengenetischem Material reduziert. Dies alles dürfte sich nachteilig auf die Ernährungssicherheit in der Region und auf das Erreichen der UN-Entwicklungsziele auswirken. 

Das FAO-Projekt wird die Folgen von Covid-19 auf örtliche Saatgut-Systeme untersuchen. Es wird mit den betroffenen Ländern zusammenarbeiten und entsprechende Strategien entwickeln, um auf die neuen Herausforderungen national und regional reagieren zu können.  

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