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  • Klima & Ressourcen
  • 09/2019
  • Corinna Kreidler

Mosambik nach dem Sturm: Wo Wunsch und Wirklichkeit aufeinander prallen

Die Krise nach den Verwüstungen offenbart, warum der Vorsatz zum besseren Wiederaufbau humanitäre Helfer vor unlösbare Zielkonflikte stellt.

Nach den Verwüstungen der Wirbelstürme standen mehr als 150.000 Menschen vor dem Nichts und mussten in Notunterkünften untergebracht werden.
Herkulesaufgabe Wiederaufbau: Die Wirbelstürme Kenneth und Idai haben im März 2018 in Mosambik die bislang schlimmsten Verwüstungen angerichtet. © IFRC/DRK/Climate Centre / Denis Onyodi

Der erste Wirbelsturm traf die Küstenregion und kostete 603 Menschen das Leben. Etwa 225.000 Häuser wurden in der Provinz Sofala ganz oder teilweise zerstört, 150.000 Menschen mussten zeitweise in Notunterkünfte ziehen. Das war im März dieses Jahres. Seitdem kann jeder Dritte von ihnen nicht in sein früheres Zuhause zurück. Ganze Siedlungsgebiete gelten als dauerhaft flutgefährdet oder fern jeglicher greifbaren Unterstützung. Kein Ort für ältere alleinstehende Menschen und alleinstehende Frauen.

Sechs Wochen später traf es den Norden Mosambiks, wo der zweite Wirbelsturm weite Gebiete mit sintflutartigen Regenfällen überzog und eine Schneise der Verwüstung hinterließ. Rund 40.000 Häuser wurden beschädigt oder zerstört, und 20.000 Menschen mussten vorübergehend untergebracht werden.

Dies sind Auswirkungen einer Klimakrise, zu der Mosambik – im Gegensatz zu den Industrieländern – nur einen Bruchteil beigetragen hat. Deren ganze Wucht das Land aber heute schon erleiden muss. Eines der ärmsten Länder der Welt ist den Folgen des Klimawandels weitgehend schutzlos ausgeliefert. Auch früher gab es schon Wirbelstürme, aber nie waren sie so extrem. Wissenschaftler können den Zusammenhang zwischen der Erwärmung des Meeres vor der mosambikanischen Küste infolge des Klimawandels und der Intensität der Stürme gut belegen. 

Nach den beiden Katastrophen setzte eine Welle der Hilfsbereitschaft ein. Auch die deutsche Öffentlichkeit war großzügig. Allein das Spendenbündnis „Aktion Deutschland hilft“ sammelte 13 Millionen Euro ein – fast das Dreifache dessen, was das Auswärtige Amt zur Verfügung gestellt hat. Nun wird überall appelliert, den Wiederaufbau zukunftsorientiert zu gestalten: Neue Häuser sollen so gebaut werden, dass sie zukünftigen Wirbelstürmen besser standhalten können, unmittelbar an der Küste soll gar nicht mehr gebaut werden, und auch nicht in Gebieten, die regelmäßig überflutet werden. 

Nördlich der Stadt Beira wurden durch den Zyklon Idai weite Landschaften überschwemmt, Siedlungen beschädigt und Ernten zerstört.
Nördlich der Stadt Beira wurden durch den Zyklon Idai weite Landschaften überschwemmt, Siedlungen beschädigt und Ernten zerstört. © European Union 2019/ Christian Jepsen

In der Zwickmühle: Was tun mit wenig Mitteln

Oft werden diese Lehren unter dem englischen Begriff des „build back better“ oder auch „build back safer“ zusammengefasst. Aber so richtig und wichtig dieser Vorsatz ist – das schiere Ausmaß der Katastrophe und die Kosten für diese besseren Bauweisen stellen die Verantwortlichen vor ein gewaltiges Dilemma: Wollte man alle 265.000 beschädigten Häuser besser wiederaufbauen, würde allein dieses Programm rund 160 Millionen US-Dollar kosten. Mit den Mitteln der humanitären Hilfe, die bislang zur Verfügung stehen, ist dies nicht zu leisten. Insgesamt sind das für alle Sektoren, darunter Nahrungsmittelhilfe, Wasser- und Sanitärversorgung, psychosoziale Unterstützung, Gesundheitsversorgung, nur 224 Millionen US-Dollar. 

Die 1,2 Milliarden USD, die die Gebergemeinschaft an langfristiger Wiederaufbauhilfe im Juni zugesagt hat, werden – wenn sie denn in einigen Monaten oder auch Jahren tatsächlich fließen – voraussichtlich vor allem in den Wiederaufbau der staatlichen Infrastruktur investiert. Wohl hat die Regierung für „Housing“ bis 2020 um mehr als 600 Mio. US-Dollar gebeten hat. (s. Grafik). Für die Unterkünfte der Allerärmsten steht dieses Geld zumindest kurzfristig jedoch nicht zur Verfügung. Hier hilft unmittelbar, vor der nächsten Regenzeit, und auf Dorfebene nur die humanitäre Hilfe. 

Die ist dabei mit harten Entscheidungen konfrontiert: Entweder bekommen wenige Tausend Menschen eine Wirbelsturm-resistente Unterkunft, und Zehntausende andere bekommen gar nichts. Oder Zehntausende bekommen rudimentäre Baumaterialien, meist nicht mehr als eine solide Plastikplane, ein paar Werkzeuge und ein paar Hölzer, aus denen die Menschen in Eigenregie eine behelfsmäßige Unterkunft zimmern. Die meisten Hilfsorganisationen entscheiden sich schweren Herzens für die zweite Variante, da es unabsehbare Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den betroffenen Gebieten hätte, wenn einige Wenige bevorzugt würden. Nur ganz besonders benachteiligte Gruppen wie alleinstehende ältere Menschen, bekommen eine solide Unterkunft. 

Die Regierung von Mosambik hat für die Gebergemeinschaft einen Kostenplan für den Wiederaufbau erstellt

Rückblickend wird man die schlechte Lösung hinterfragen

Zugleich ist allen bewusst: Die temporären Unterkünfte werden keinem weiteren Wirbelsturm standhalten. Auch unter normalen Witterungsbedingungen halten sie höchstens ein Jahr. Sie sind also eigentlich eine schlechte Lösung. Rückblickend werden Kommentatoren zurecht die Frage stellen, wieso keine besseren Lösungen gefunden wurden. Die harten Zielkonflikte, mit denen die Verantwortlichen vor Ort in Echtzeit umgehen müssen, werden dann aber vergessen sein. Die Rahmenbedingungen, unter denen Lehrbuchmeinungen umgesetzt werden müssen, sind eben selten so, wie sie sein sollten. Deshalb driften Wunsch und Wirklichkeit in Mosambik drastisch auseinander.  

Ein vergleichbar hartes Dilemma tut sich noch in einem zweiten elementar wichtigen Sektor auf: der Nahrungsmittelversorgung. In den Wochen unmittelbar nach den Wirbelstürmen versorgte das Welternährungsprogramm (WFP) 1,6 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln. Bei rund 12 US-Dollar pro Person kostet das etwa 19,2 Millionen US-Dollar pro Monat. Die Wirbelstürme haben die gesamte Jahresernte vernichtet. Sie geschahen wenige Wochen bevor die Felder hätten abgeerntet werden können, und die nächste Ernte ist nicht vor April. Folglich wären etwa weitere 192 Millionen US-Dollar nötig, um alle Betroffenen bis zur nächsten Ernte versorgen zu können. 

Dazu kommt der Bedarf für neues Saatgut. Auch das wurde vernichtet. Die Böden sind versalzen oder mit dicken Schichten Schlamm bedeckt. Eigentlich müsste ein breit angelegtes Arbeitsbeschaffungsprogramm gestartet werden, um rechtzeitig zur nächsten Anbauperiode die Flächen wieder urbar zu machen. Weitere Millionen wären hierzu nötig. Man bräuchte also mindestens doppelt so viel Geld wie derzeit verfügbar, nur um den Menschen Unterkunft und Nahrung geben zu können. Und dann wäre noch kein Brunnen repariert, keine Gesundheitsstation funktionstüchtig, Kinder gingen nicht wieder zur Schule und es gäbe keinerlei psychosoziale Unterstützung. Die Zielkonflikte gehen also noch weit über das hier Beschriebene hinaus.

Rückblickend wird man zurecht die Frage stellen, wieso keine besseren Lösungen gefunden wurden.

Corinna Kreidler Unabhängige Expertin für humanitäre Hilfe

Kein Lehrbuch berücksichtigt reale Zielkonflikte 

All das zeigt: Wenn die humanitäre Hilfe unzureichend ist und nicht die bestmöglichen Lösungen anbietet, die idealerweise denkbar wären, so tut sie das nicht, weil sie es nicht besser wüsste oder gerne anders handeln möchte. Vielmehr versucht sie mehr recht als schlecht, durch die Vielzahl der Dilemmata zu navigieren, die sich auftun, wenn konkrete Entscheidungen zu treffen sind. In Echtzeit und unter Bedingungen, die keine Theorie berücksichtigt.

Wohl gibt es auch Positives zu vermelden: So werden viele Menschen nach dem Wirbelsturm tatsächlich viel besser mit Wasser versorgt als vorher. Im Rahmen der humanitären Hilfe werden eine Vielzahl von Brunnen rehabilitiert, die schon seit Jahren nicht mehr funktionierten, und in vielen Ortschaften werden neue Brunnen gebohrt und mit Handpumpen versehen. Wo die Menschen ihr Trinkwasser aus den Flüssen holten, gibt es in künftig sauberes Wasser. Das wird zu einem deutlichen Rückgang von Durchfallerkrankungen führen und damit auch zu einem verbesserten Ernährungszustand der Menschen, vor allem der Kleinkinder.

Auch die beschriebenen Zielkonflikte wären mit großzügigeren Mittelzusagen leichter aufzulösen. Wohlwissend, dass selbst dann kein zukünftiger Wirbelsturm verhindert wird. Dass die armen Länder ausbaden müssen, was die reichen Länder anrichten, geht in der öffentlichen Diskussion über Klima-Gerechtigkeit weiterhin weitgehend unter. Auf diesem Auge ist die Debatte – auch in Deutschland – immer noch fast blind. Das Beispiel Mosambik zeigt ganz aktuell, dass sich das dringend ändern muss.

Corinna Kreidler

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