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  • Klima & Ressourcen
  • 06/2021
  • Christiane Fröhlich

Mythos Migrationsdruck: Klimawandel ist kein automatischer Treiber

Klimastress macht Menschen mobil, wenn sie die Mittel dafür haben – dagegen droht marginalisierten Gruppen in schwachen Staaten eher die Falle.

Ein Brunnen mit Solaranlage als Teil eines Bewässerungssystems. Ein Projekt des BRACED-Konsortiums in Burkina Faso zielt auf veränderte Anbaumethoden zur Anpassung an langfristige Klimafolgen. © Welthungerhilfe / Happuk

Die Angst vor den Folgen der globalen Erderwärmung nimmt zu. Flucht und Migration infolge des Klimawandels gehören dabei zu den Phänomenen, die besonders viel Aufmerksamkeit erhalten; oft steht dabei die Annahme im Zentrum, dass die Auswirkungen des Klimawandels, etwa Dürren, Stürme, Hitzewellen, Überschwemmungen und der Anstieg des Meeresspiegels, insbesondere bei bereits marginalisierten und armen Menschen die ohnehin schwierige Lebensgrundlage gefährdet und so Migration in (vermeintlich) sicherere oder wohlhabendere Gebiete auslöst oder zumindest begünstigt.

Dies scheint insbesondere dann logisch, wenn Gebiete dauerhaft unbewohnbar werden, zum Beispiel durch den Anstieg des Meeresspiegels. Bereits in seinem ersten Bericht von 1990 warnte etwa das International Panel on Climate Change (IPCC): “Die gravierendsten Auswirkungen des Klimawandels sind möglicherweise die auf Migration, wenn Millionen von Menschen durch Küstenerosion, Überschwemmungen und schwere Dürren vertrieben werden” (IPCC 1990, 103).

Im Jahr 2008 veröffentlichten die Europäische Kommission und der Hohe Vertreter der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einen Bericht über Klimawandel und internationale Sicherheit. Darin betonten sie, dass als Folge des Klimawandels "Europa mit einem erheblich erhöhten Migrationsdruck rechnen muss" (Rat der Europäischen Union, 2008, 4).

Darüber hinaus befürchten Forscher:innen, dass formelle und informelle Institutionen nicht in der Lage sein werden, die Folgen des Klimawandels effektiv abzufedern, was zusätzliche Migration zur Folge haben könnte. Da der Klimawandel also zunehmend als ein Sicherheitsproblem betrachtet wird, ist die Angst vor einer "Überflutung" der USA und Europas durch „Klimaflüchtlinge“ ein zentraler Aspekt der "Versicherheitlichung" des Klimawandels geworden (Brzoska und Oels 2011; Rothe 2015).

Wassertanks und -Kanister in einem Lager für Geflüchtete in Kenia. © Dickerhof / Welthungerhilfe

Vorhersagen fraglich

Infolge dieser Entwicklungen hat auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die akademische Forschung stellt die erwähnten Vorhersagen in Ermangelung einer soliden theoretischen und empirischen Grundlage allerdings überwiegend in Frage. Das bedeutet zwar nicht, dass der Klimawandel für künftige Migrationsbewegungen irrelevant sein wird. Doch die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und menschlicher Mobilität sind komplex und entziehen sich einfachen und alarmistischen Schlussfolgerungen.

So gibt es zahlreiche Studien, die keinen oder nur wenig Einfluss des Klimawandels auf Migration feststellen (z.B. Schutte et al. 2021; Black et al. 2011). Grund dafür sind einige analytische und methodische Schwierigkeiten, auf die im Folgenden noch eingegangen wird; etwa die Tatsache, dass „Klimamigration“ viele verschiedene Formen annehmen und außerdem auch als aktive Anpassungsleistung gesehen werden kann (Black et al. 2011).

Migration ist teuer

Der Klimawandel kann sich negativ auf das Wirtschaftswachstum und das individuelle Wohlergehen auswirken. Es wird erwartet, dass er zu längeren Dürren, schwereren und häufigeren Stürmen, veränderten Niederschlagsmustern sowie dem Anstieg des Meeresspiegels führt. In der Folge werden erhöhte Gesundheitsgefahren wie ein Anstieg von Malaria, negative Auswirkungen von Hitzewellen auf die Landwirtschaft oder der Verlust von Häusern und Vermögenswerten bei Stürmen erwartet.

Je nach individueller Positionierung einer Person, Familie oder Gemeinschaft wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit von Migration als Anpassung an den Klimawandel steigt, wenn die dazu notwendigen Ressourcen vorhanden sind. Familien oder Gemeinschaften beginnen also zum Beispiel, ihr Einkommen zu diversifizieren, indem sie etwa landwirtschaftliche Tätigkeiten zugunsten anderer Arbeitsplätze reduzieren und Familienmitglieder vom Land in die Stadt migrieren. Migration ist jedoch eine teure Aktivität und erfordert erhebliche finanzielle, zeitliche und soziale Ressourcen.

Nothilfe in Somaliland. Nach der schlimmen Dürre 2017 werden Essen und Wasser an die Bevölkerung verteilt. © Justfilms / Welthungerhilfe

Häufig sind die vom Klimawandel am stärksten betroffenen Menschen bereits marginalisiert und haben wenig bis gar keinen Zugang zu Anpassungsmaßnahmen wie der Umstellung auf klimaresistentere Anbauprodukte. Hinzu kommt, dass die vom Klimawandel am stärksten betroffenen Staaten oft Länder im sogenannten Globalen Süden sind, deren politisches System, wirtschaftliche Strukturen und bereits bestehende Konflikte sie oftmals zu schwachen oder fragilen Staaten machen. Auch die koloniale Ausbeutung und die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen Globalem Norden und Süden im internationalen System haben erheblich zur Fragilität dieser Staaten beigetragen.

Sie haben es schwerer, sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen, so dass die globale Erwärmung dazu beiträgt, "gefangene Bevölkerungen" (trapped populations, Zickgraf und Perrin 2017) zu produzieren, die zwar willens, aber nicht in der Lage sind zu migrieren (zum Beispiel, weil sie Schlepper nicht bezahlen können). Dies verdeutlicht, dass Klimaextreme nur das katalysieren können, was bereits vorhanden ist, d.h. sozioökonomische Marginalisierung, politische Diskriminierung oder staatliche Unterdrückung auf der einen Seite oder demokratische Strukturen auf der anderen Seite. Die kalifornische Dürre 2011-2017 und die europäische Hitzewelle 2018 lösten beispielsweise praktisch keine Migration aus.

Mobilität in vielen Formen

Die Auswirkungen der globalen Erwärmung lassen sich in schnell eintretende Extremereignisse wie Überschwemmungen und Stürme und langsam eintretende Ereignisse wie Dürren oder Landdegradation einteilen, wobei beide unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Es ist offensichtlich, dass Migration infolge einer Dürre von vielfältigeren Faktoren angetrieben wird als menschliche Mobilität infolge eines Tsunamis (Laczko und Aghazarm 2009). Dementsprechend nimmt menschliche Mobilität infolge des Klimawandels viele Formen an: freiwillige Migration, Flucht, geplante Umsiedlung sowie (freiwillige und erzwungene) Immobilität (Black u. a. 2013).

Diese sind zudem in bestehende sozioökonomische, politische und demografische Prozesse und Kontexte eingebettet. Deshalb ist es oft schwierig zu bestimmen, welche Rolle die sich verändernde Umwelt bei einer bestimmten Migrationsentscheidung tatsächlich gespielt hat. Zudem wird jemand, der umzieht, weil er/sie sich aufgrund einer Dürre und der daraus resultierenden Bodendegradation nicht mehr durch Landwirtschaft ernähren kann, seine/ihre Bewegung oft mit wirtschaftlichen Gründen erklären. Als Klimamigrant:in oder gar Klimaflüchtling wird er/sie sich nicht unbedingt sehen.

Schutz vor Überschwemmung. In der Stadt Beira in Mosambik baute die Weltbank Auffangbecken und Kanäle gegen Hochwasser infolge von Wirbelstürmen wie Idai 2019. © World Bank / Sarah Farhat

Umweltstress kann außerdem zu drei Arten von Reaktionen führen, die durch die jeweiligen sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen beeinflusst werden: passive Akzeptanz, aktive Anpassung, oder eben Migration (Hugo 2013, xvi). Somit ist Migration nur eine von mehreren möglichen Reaktionen auf die Auswirkungen des Klimawandels; es besteht also keinesfalls ein Automatismus. Dabei können vier Arten von Migrationsmustern unterschieden werden (Brzoska und Fröhlich 2016):

  1. "Ökologisch-ökonomische Migrant:innen", die migrieren, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Solche Bevölkerungsbewegungen sind weltweit bereits häufig. In der Regel migrieren dabei nur einzelne Mitglieder eines Haushalts. Diese Art der Migration ist entweder kurzfristig und temporär (saisonal) oder langfristig (Lebenszyklus); meist handelt es sich entweder um Binnen- oder um Süd-Süd-Migration. Die Hauptantriebskraft ist das Einkommen; das Ziel ist die wirtschaftliche Diversifizierung des Lebensunterhalts für sich und die in der Heimat verbliebenen Angehörigen, letzteres oft durch Rücküberweisungen. Es ist zu erwarten, dass sich zukünftige Umweltveränderungen auf solche Bevölkerungsbewegungen auswirken, allerdings nur im Zusammenhang mit einer Vielzahl anderer Faktoren, insbesondere den Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensgrundlagen sowohl in den potenziellen Entsende- als auch in den Aufnahmestaaten.
  2. "Klimakatastrophen-Flüchtlinge". Menschen können mehr oder weniger gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen, wenn die Lebensbedingungen unter das Erträgliche gesunken sind. Die Migration erfolgt dann in der Regel an den nächstgelegenen Ort, an dem die Bedingungen wieder erträglich sind, oft auch dorthin, wo es internationale Aufmerksamkeit und Hilfe gibt, oder an Orte, an denen die Migrant:innen Verwandte oder andere soziale Beziehungen haben. Klimakatastrophen-Flüchtlinge neigen im Allgemeinen dazu, in die Regionen zurückzuwandern, die sie gezwungen waren zu verlassen, sobald die Bedingungen dies zulassen.
  3. "Permanente Klimaflüchtlinge". Klimabedingte Katastrophen können jedoch auch dauerhaftere Formen annehmen, bei denen die physische Umwelt verschwindet oder dauerhaft unbewohnbar wird, z. B. aufgrund des durch den Klimawandel verursachten Anstiegs des Meeresspiegels, oder aufgrund anhaltender Wüstenbildung. Solche Vertreibungsmigrationen und Umsiedlungen sind der letzte Ausweg, wenn die Veränderungen so extrem sind, dass ein Verbleib an Ort und Stelle nicht möglich ist. Das Risiko der Vertreibung ist besonders hoch in armen Ländern, in denen Investitionen in Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel schwierig sind, was sie wiederum besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels macht.
  4. "Vom Klima betroffene Migrant:innen". Aufgrund der Bedeutung natürlicher Ressourcen wie Land und Wasser sind die Lebensgrundlagen von Migrant:innengruppen, wie z.B. Hirten in Teilen Afrikas und Asiens, besonders von den sich ändernden Umweltbedingungen betroffen. Sie müssen möglicherweise ihre Migrationsmuster ändern oder sind sogar gezwungen, ihre Lebensweise aufzugeben.
Männer bauen Dämme gegen den steigenden Meeresspiegel in Tarawa, Kiribati. Der kleine Südseestaat mitten im Pazifik ist am heftigsten vom Klimawandel betroffen. © Lauren Day / World Bank

All diese Optionen folgen unterschiedlichen zeitlichen Abläufen und hängen von den jeweiligen individuellen Fähigkeiten und Ressourcen ab, wobei die zirkuläre Arbeitsmigration ein gewisses Maß an wirtschaftlichem Geschick erfordert (etwa die Fähigkeit der Anpassung an einen sich verändernden Markt) und eher eine erste als eine letzte Möglichkeit darstellt, wenn sich die Lebensbedingungen zu verschlechtern beginnen. Vertreibung und Umsiedlung hingegen folgen in der Regel auf ein Extremereignis wie Überschwemmungen und können im Zuge politischer Maßnahmen erfolgen, die auf Bevölkerungsgruppen abzielen, die nicht in der Lage sind, sich aus eigener Kraft an die veränderten Bedingungen anzupassen. Ein Beispiel hierfür ist die geplante Bevölkerungsumsiedlung als Anpassung an den steigenden Meeresspiegel, wie sie im pazifischen Raum bereits im Gange ist (Fröhlich & Klepp 2018).

Grundsätzlich gilt: Migration im Kontext des Klimawandels findet häufig innerhalb eines Landes oder zwischen benachbarten Staaten statt, da die Menschen, die vom Klimawandel besonders betroffen sind, oft nicht über die Mittel verfügen, weitere Migrationsstrecken zurückzulegen. Es ist eine der sehr wenigen Gewissheiten der Migrationsforschung, dass Armut Migration eher verhindert, während wirtschaftliche Entwicklung Migration (zunächst) verstärkt. Mit Vorhersagen in Bezug auf zu erwartende Zahlen von „Klimaflüchtlingen“, etwa von der Weltbank (2018), ist schließlich vorsichtig umzugehen. Die methodischen Schwierigkeiten solcher Projektionen haben Abubakar et al. (2018) am Beispiel Bangladesch aufgezeigt, vor allem die Schwierigkeit, Umweltwandel zweifelsfrei mit der globalen Erderwärmung in Verbindung zu bringen.

Literatur

Brzoska, M. and Oels, A. (2011) ‘„Versicherheitlichung“ des Klimawandels? Die Konstruktion des Klimawandels als Sicherheitsbedrohung und ihre politischen Folgen’, in Brzoska, M. et al. (eds) Klimawandel und Konflikte. Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, pp. 51–66. doi: 10.5771/9783845234632-51.

Hugo, G. (ed.) (2013) Migration and climate change. Northampton, MA: Edward Elgar (An Elgar research collection, 15).

Rothe, D. (2015) Securitizing Global Warming : A Climate of Complexity. Routledge. doi: 10.4324/9781315677514.

Zickgraf, C. and Perrin, N. (2017) ‘Immobile and Trapped Populations’, in Gemenne, F., Ionesco, D., and Mokhnacheva, D. (eds) Atlas der Umweltmigration. München: oekom, pp. 44–46.

Christiane Fröhlich GIGA Institut für Nahost-Studien, Hamburg

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