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  • Klima & Ressourcen
  • 04/2021
  • Irene Hoffmann

Schwund der Artenvielfalt bedroht die Ernährungssicherheit

Das Ausmaß und das atemberaubende Tempo machen die Landwirtschaft anfälliger für Klimawandel, Schädlinge und Krankheiten. Ernährung wird immer einseitiger.

Ein Bauer mit Kuh in einem Reisfeld in Vietnam. Das Land hat mit der Förderung intensiver Landwirtschaft den Hunger gesenkt. © FAO / Hoang Dinh Nam

Weltweit geht die Artenvielfalt für unsere Ernährung und Landwirtschaft zurück. Für die Ernährungssicherheit ist dies ein ernstes Risiko. Die Landwirtschaft wird anfälliger für Klimawandel, Schädlingsbefall und Krankheiten. Die Art, wie wir Nahrungsmittel erzeugen, muss daher nachhaltiger werden, damit wir die Biodiversität besser erhalten und nutzen können. Auch verlangen neue Herausforderungen wie die Digitalisierung von genetischen Informationen nach Lösungen.

Der Verlust der biologischen Vielfalt beschleunigt sich in der ganzen Welt und die Ökosystemleistungen werden schlechter. Es wird geschätzt, dass aufgrund der von Menschen verursachten Umweltveränderungen und gemäß den aktuellen Trends eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind (IPBES, 2019). Auch die Geschwindigkeit ist alarmierend und betrifft die gesamte Menschheit.

Dabei sind Menschen auf Biodiversität und die von ihr erbrachten Ökosystemleistungen angewiesen, um ihren grundlegenden Nahrungsbedarf zu decken. Ackerbau und Viehzucht, Forstwirtschaft und Fischerei hängen von einem komplexen Netz lebender Organismen ab. Die Landwirtschaft ist zugleich einer der Hauptverursacher der Verarmung biologischer Vielfalt.

Agrobiodiversität

Biodiversität für Ernährung und Landwirtschaft umfasst die domestizierten Pflanzen und Tiere, die in Systemen von Ackerbau, Viehzucht, Forst- und Aquakultur genutzt werden, sowie ihre wilden Verwandten und andere wilde Arten, die für Nahrungsmittel und andere Produkte geerntet werden. Dazu gehört die "assoziierte Biodiversität", zu der die Bandbreite an Organismen gehört, die in und um Systemen der Lebensmittelproduktion leben, sie erhalten und zu deren Ertrag beitragen. (FAO, 2019)

Vielfalt schwindet von Tag zu Tag

Einmal zerstörte Artenvielfalt ist für immer verloren und kann nicht zurückgewonnen werden. Wie sehr die Artenvielfalt von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen erodiert, die für die Ernährungssysteme so unerlässlich ist, geht aus dem Weltzustandsbericht zur Biodiversität in Ernährung und Landwirtschaft hervor, den die Welternährungsorganisation (FAO) herausgibt. In einem noch nie dagewesenen Tempo verschwinden bäuerliche Sorten und Landrassen. Das führt dazu, dass die globale Ernährung immer homogener wird. Der Trend läuft Gefahr, eine vielfältige und nährstoffreiche Ernährung, die für die menschliche Gesundheit so unerlässlich ist, zu untergraben.

Die Statistiken sind alarmierend: Von den rund 6.000 verschiedenen Pflanzenarten, die als Nahrungsmittel verwendet werden, machen nur neun (Zuckerrohr, Weizen, Reis, Mais, Kartoffeln, Zuckerrüben, Maniok, Ölpalmen und Sojabohnen) ganze 66 Prozent der gesamten Erzeugung von Kulturpflanzen aus. Bei der Nutztierproduktion ist die Konzentration noch ausgeprägter. Sie stützt sich hauptsächlich auf acht Arten (Schwein, Huhn, Rind, Schaf, Ziege, Truthahn, Ente und Büffel), die einen Anteil von 97 Prozent der weltweiten Fleischproduktion stellen.

Auch die wertvollen wilden Verwandten von domestizierten Tieren und Nutzpflanzen in natürlichen Ökosystemen schwinden. Fast 20 Prozent der wilden Arten, die in der Roten Liste bedrohter Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN, 2021) als Nahrungsmittel für den Menschen aufgeführt sind, werden als bedroht eingestuft.

Fast ein Drittel der Meeresfischbestände ist überfischt und ein Drittel der Süßwasserfischarten bedroht. Darüber hinaus schwinden weniger sichtbare Arten, die nicht auf unseren Tellern landen, wie Bestäuber und andere wirbellose Tiere und Mikroorganismen (beispielsweise Insekten, Fledermäuse, Vögel, Mangroven, Korallen, Seegräser, Regenwürmer, bodenbewohnende Pilze und Bakterien). Sie halten Böden fruchtbar, bestäuben Pflanzen, reinigen Wasser und Luft, halten Fische und Bäume gesund und bekämpfen Schädlinge und Krankheiten bei Pflanzen und Tieren.

Bestäuber Wespenbiene. Etwa 70 Prozent der meistproduzierten Pflanzenarten sind zu einem gewissen Grad auf Bestäubung durch Insekten angewiesen. © S. Mösch / naturimdetail.de via BUND

Ohne sie wäre Landwirtschaft unmöglich. Doch ihre Bedeutung für die Lebensmittelproduktion ist noch nicht im Detail erforscht und ihre Potenziale sind weitgehend unerkannt. Wir verlieren Biodiversität, ohne genau zu wissen, was wir verlieren. Es ist daher dringend notwendig, unser Wissen über Ökosysteme für Ernährung und Landwirtschaft zu verbessern und insbesondere die Rolle der verbundenen "assoziierten Biodiversität" zu untersuchen. Dies wird uns helfen, die Vielfalt, die unseren Ernährungssystemen zugrunde liegt, besser zu verstehen, zu erhalten und zu managen. Das Motto muss sein: Wir müssen mitder Biodiversität arbeiten, nicht gegen sie.

Mit nachhaltiger Landwirtschaft die Erosion stoppen

Die Bevölkerung wächst, das Klima verändert sich, der Trend zur Verstädterung und im globalisierten Handel – all das sind wichtige indirekte Gründe für den Verlust von Biodiversität. Die bedeutendsten direkten Ursachen für die Bedrohung der Artenvielfalt, die für Ernährung und Landwirtschaft so wichtig ist, sind veränderte Landnutzung und Wasserbewirtschaftung, Intensivierung von Erzeugungssystemen, das Abholzen von Wäldern, Überfischung, der exzessive Gebrauch von Pestiziden und Düngemitteln, sowie die Verschmutzung und Degradierung von Ökosystemen.

Nur mit einer nachhaltigeren Landwirtschaft wird es uns gelingen, die Erosion zu bekämpfen. Dies bedeutet eine Umstellung auf schonende Anbaumethoden, die eine größere Vielfalt von Nutzpflanzen- und Nutztierarten begünstigen, ineinandergreifende Lebensräume für Bestäuber und natürliche Feinde von Schädlingen erhalten, und mit umweltverträglicher Bodenbearbeitung den Einsatz chemischer Pflanzenschutz- und Düngemittel verringern.

Landwirte, Viehhalter, Waldbauern und Fischer sind Manager aber auch Bewahrer der Diversität. Rund 84 Prozent aller Höfe weltweit werden von Kleinbauern mit einer Anbaufläche von weniger als zwei Hektar bewirtschaftet. Obwohl sie nur 12 Prozent des gesamten Agrarlandes bearbeiten (Lowder et al. 2021), sind ihre Erträge im Schnitt höher und sie bergen mehr Artenvielfalt als größere Farmen (Ricciardi et al. 2021).

Lokales Wissen in der Landwirtschaft ist überaus wichtig, um Ernährungssysteme nachhaltiger zu gestalten. Erzeuger, Wissenschaftler und andere Interessenvertreter müssen enger zusammenarbeiten, um Anbaupraktiken und neue Techniken zu entwickeln, die sich positiv auf die Artenvielfalt und Dienstleistungen von Ökosystemen auswirken. Dabei gibt es nicht die eine Universallösung: Mögliche Ansätze reichen von der Agrarökologie bis hin zur Präzisionslandwirtschaft.

Im Rahmen eines Projekts zur Förderung traditioneller Artenvielfalt in Indien präsentieren Männer ihre Hirsegerichte bei einem Food Festival. © IFAD/Joanne Levitan

Alle Interessengruppen an der Transformation beteiligen

Nur wenn alle Beteiligten – Entscheidungsträger, Landwirte, Lebensmittelunternehmen und Verbraucher – den politischen Willen und gemeinsames Engagement an den Tag legen, kann die Wende zu Ernährungssystemen gelingen, die Biodiversität erhalten. Alle müssen dazu beitragen. Bauern benötigen Ausbildung, Beratung sowie günstige Rahmenbedingungen, die sie dabei unterstützen und belohnen, umweltverträglicher anzubauen, Agrobiodiversität zu schützen und Kulturlandschaften zu pflegen. Dies hilft auch, die Qualität von Wasser, Luft und Böden zu verbessern. Anreize wie Subventionen, die eine solche Transformation behindern, sollten schnellstmöglich abgeschafft werden.

Verbraucher können beim Einkauf darauf achten, ob Hersteller Rücksicht auf die Vielfalt nehmen, beispielsweise in der biologischen Landwirtschaft oder der nachhaltigen Fischerei. Hierzu zählt auch das Angebot regionaler Pflanzensorten oder Nutztierrassen. In Hinterhöfen und Gärten können wir helfen, Insektenpopulationen wieder aufzubauen und Blumen zu pflanzen, um einheimische Bienen anzulocken.

Allerdings reicht die Erhaltung von Artenvielfalt auf den Feldern und in der Natur nicht aus. Als Versicherung gegen mögliche Verluste benötigen wir zusätzlich Gen- und lokale Saatgutbanken, die Proben des Erbmaterials speichern. So lässt sich die Vielfalt pflanzen- und tiergenetischer Ressourcen sichern, die wir in Zukunft für die weitere Forschung und Züchtung benötigen.

Wem nutzt die Digitalisierung genetischer Ressourcen?

Im Zuge der Einführung moderner biotechnologischer Methoden werden genetische Ressourcen zunehmend sequenziert und in Datenbanken gespeichert. Das ermöglicht es, losgelöst von physischer Materie Genmaterial zu verändern und neue Organismen zu schaffen. Alles, was benötigt wird, sind digitale Sequenzinformationen, die in Online-Datenbanken frei verfügbar sind.

Während die Digitalisierung genetischer Information erstaunliche Chancen bietet, wirft sie auch neue und sehr komplexe ethische und rechtliche Fragen auf. So erwareten etwa die Herkunftsländer genetischer Ressourcen, dass die Gewinne, die sich aus der Forschung und Entwicklung ihrer Ressourcen ergeben, mit ihnen geteilt werden.

Im Jahr 2010 verabschiedeten die Regierungen zwar das Nagoya-Protokoll. Dieses rechtliche Rahmenwerk erleichtert den Zugang zu genetischen Ressourcen und soll dafür sorgen, dass die sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile geteilt werden. Mit der zunehmenden Digitalisierung von genetischen Informationen und ihrer Verfügbarkeit in Datenbanken befürchten viele Länder aber inzwischen, dass das Nagoya-Protokoll zugunsten weniger Nutznießer untergraben werden könnte.

Ohne Biodiversität gibt es keine Ernährungssicherheit

Im Jahr 1970 zerstörte eine Pilzkrankheit etwa 15 Prozent der Maisernte in den Vereinigten Staaten. Die südliche Maisblattfäule (Southern Corn Leaf Blight) richtete einen geschätzten Schaden von einer Milliarde Dollar an (Bruns, 2017). Es ist ein Beispiel dafür, wie die Erosion der biologischen Vielfalt den landwirtschaftlichen Systemen ihre Fähigkeit nimmt, sich an Umweltveränderungen und Schocks wie den Klimawandel oder an Ausbrüche von Schädlingen und Krankheiten anzupassen. Damit geraten die Ernährungssicherheit und viele Existenzgrundlagen in Gefahr.

Papaya-Setzlinge im Süden Ruanda für mehr Artenvielfalt. Das Becken des Kigera-Flusses in Ruanda, Uganda and Tansania ist zunehmend ausgelaugt. © FAO / Marco Longari

Um derart verheerende Ernteausfälle zu verhindern und mit möglichen neuen Krankheitserregern fertig zu werden, ist es unabdingbar, eine größere Bandbreite an genetischer Vielfalt in unsere Produktionssysteme einzubinden. Gerade im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist es zwingend erforderlich, genetische Vielfalt einzusetzen, um Pflanzensorten und Tierrassen an klimatische Veränderungen anzupassen.

Entwicklungsländer, die von der Klimakrise gefährdet sind, benötigen dabei zusätzliche Unterstützung, um langfristig nachhaltige und widerstandsfähige landwirtschaftliche Systeme zu schaffen, die zudem in der Lage sind, eine wachsende Bevölkerung zu ernähren. In vielen Ländern arbeiten Landwirte und Forscher bereits daran zu identifizieren, welche Baum- und Nutzpflanzensorten, Zuchttiere und welche Kombinationen davon am besten zu den jeweiligen Umgebungen passen und Stressfaktoren am besten widersstehen können (FAO, 2021).

Mehr Wertschätzung und Taten gefordert

Das einzige ständige zwischenstaatliche Gremium, das sich speziell mit der Biodiversität für Ernährung und Landwirtschaft befasst, ist die FAO-Kommission für genetische Ressourcen. Sie bietet ihren Mitgliedern (178 Länder und die Europäischen Union) eine Verhandlungsplattform mit dem Ziel, genetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft nachhaltig zu nutzen und zu erhalten und ihre Vorteile gerecht zu verteilen.

Die Kommission hat technische und politische Richtlinien verabschiedet, wie etwa globale Aktionspläne für pflanzen-, tier- und forstgenetische Ressourcen. Diese helfen Ländern, ihre eigenen Politiken zu formulieren. Derzeit wird ein Aktionsplan zu aquatischen genetischen Ressourcen erstellt. Außerdem arbeitet die Kommission an einer politischen Antwort auf den FAO-Weltzustandsbericht zur Biodiversität (FAO, 2019). Die Pläne sind freiwillig, doch zeigen sie durchaus Auswirkungen auf Länderebene. So geben mehr als 40 Prozent von ihnen an, dass sie eine nationale Strategie samt Aktionsplans für tiergenetische Ressourcen abgeschlossen haben. Weitere 20 Prozent bereiten diese vor.

Trotz dieser Fortschritte muss ein nachhaltiger Umgang mit genetischen Ressourcen dringend weiter verbessert werden. Es ist notwendig, die Zusammenarbeit zu stärken zwischen politischen Entscheidungsträgern, Erzeugerorganisationen, Verbrauchern, dem Privatsektor und zivilgesellschaftlichen Organisationen in einem Querschnitt der Bereiche Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt.

Die Rolle der biologischen Vielfalt für die Ernährung und Landwirtschaft muss besser anerkannt und höher in Wert gesetzt werden, denn sie wirkt positiv auf die Ernährungssicherheit, menschliche Existenzgrundlagen, Gesundheit und die Umwelt. Wenn sie das UN-Nachhaltigkeitsziel Null Hunger erreichen will, muss die Staatengemeinschaft deutlich mehr tun, die Artenvielfalt zu erhalten und sie nachhaltig zu nutzen.

Referenzen:

Bruns, A. (2017). Southern Corn Leaf Blight: A Story Worth Retelling. Agronomy Journal 109:1–7, https://doi.org/10.2134/agronj2017.01.0006

FAO (2019). The State of the World’s Biodiversity for Food and Agriculture, J. Bélanger & D. Pilling (eds.). FAO Commission on Genetic Resources for Food and Agriculture Assessments. Rome http://www.fao.org/documents/card/en/c/ca3129en/

FAO (2021). The role of genetic resources for food and agriculture in climate change adaptation and mitigation. CGRFA/WG-FGR-6/21/Inf.6, http://www.fao.org/3/cb3888en/cb3888en.pdf

IUCN (2021), International Union for Conservation of Nature. The IUCN Red List of Threatened Species https://www.iucnredlist.org/

IPBES (2019). Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services https://www.ipbes.net/global-assessment

Pilling, D., Bélanger, J., Diulgheroff , S., Koskela, J., Leroy, G., Mair, G. and Hoffmann, I. (2020) “Global status of genetic resources for food and agriculture: challenges and research needs : Global status of genetic resources for food and agriculture”, Genetic Resources, 1(1), pp. 4-16. https://doi.org/10.46265/genresj.2020.1.4-16

Lowder S.K., Sánchez M.V., Bertini R. (2021). Which farms feed the world and has farmland become more concentrated?, World Development (142), 105455, https://doi.org/10.1016/j.worlddev.2021.105455

Ricciardi, V., Mehrabi, Z., Wittman, H., James, D., Ramankutty, N. (2021) Higher yields and more biodiversity on smaller farms. Nature Sustainability . https://doi.org/10.1038/s41893-021-00699-2

Irene Hoffmann FAO, Büro für Klimawandel, Biodiversität und Umwelt

Die in diesem Text geäußerten Ansichten sind die der Autorin und spiegeln nicht unbedingt die Position oder die Politik der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen wider.

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